TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/18 I422 2240764-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.08.2021
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Entscheidungsdatum

18.08.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §52 Abs1
NAG §55 Abs1
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I422 2240764-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2021, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrer Tochter in das Bundesgebiet ein und ist seit 02.09.2013 durchgehend in Österreich hauptgemeldet.

Am 16.09.2013 stellte sie beim Amt der XXXX Landesregierung einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers, welchem zunächst mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts XXXX vom 30.07.2015, Zl. XXXX stattgegeben wurde. Dieses Erkenntnis wurde jedoch in weiterer Folge mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12.12.2017, Ra 2015/22/0150 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im zweiten Verfahrensgang wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 16.09.2013 auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers schließlich mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts XXXX vom 31.10.2018, Zl. XXXX rechtskräftig abgewiesen. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 26.02.2019, Zl. XXXX abgelehnt.

Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 23.04.2020 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt werde, gegen sie eine Ausweisung zu erlassen und ihr die Möglichkeit eingeräumt, hierzu sowie zu einem umfassenden Fragenkatalog hinsichtlich ihrer persönlichen und familiären Verhältnisse innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu beziehen.

Mit Schriftsatz vom 07.05.2020 ("Stellungnahme") brachte die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme bei der belangten Behörde ein. Darin führte sie im Wesentlichen aus, dass einer Ausweisung diverse Gründe entgegenstünden, und „sind diese mannigfach und ergeben sich insbesondere aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Unionsbürgerschaft und dem einfachen Unionsrecht sowie der Judikatur des EuGH“. Konkret wurde verwiesen auf das „Recht auf Daueraufenthalt gem. § 54a NAG“, „Der Schutz nach Art. 8 EMRK“, „Die Anwendung des Art. 7 GRC und das Verhältnis zwischen GRC und EGMR“, „Das Abgeleitete Aufenthaltsrecht aufgrund von Art. 21 und 20 EAUV und der Richtlinie 2004/38 EG“, „Aufenthaltsrecht auch nach Art. 12 der Verordnung 1612/68/EG/ nunmehr Art 10 der VO 492/2011“, sowie „Das Verhältnis von Volljährigkeit zu Unterhaltsleistung“. Der Stellungnahme angeschlossen wurden drei „Lohn-Gehaltsabrechnungen“ der Beschwerdeführerin von Februar bis April 2020 für eine Erwerbstätigkeit für einen Verein, eine Kopie ihrer E-Card sowie ein auf sie lautender, im Februar 2015 abgeschlossener Mietvertrag mit einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15.02.2021 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihr ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführerin kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukomme und eine Ausweisung auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben zeitige.

Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 15.03.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltlich wurde im Wesentlichen vorgebracht, die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und sei der angefochtene Bescheid mangels des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Ausweisung mit materieller Rechtswidrigkeit belastet. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen; den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes ersatzlos beheben; in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens beheben und an die erste Instanz zurückverweisen.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 25.03.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. Ihre Identität steht fest.

Im Jahr 1992 flüchtete sie aufgrund des Jugoslawien-Krieges nach Deutschland, wo ihr aufgrund einer in weiterer Folge geschlossenen Ehe ein Aufenthaltsrecht zukam. Diese Ehe wurde mit 17.07.2014 rechtskräftig geschieden.

Im September 2013 zog die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer 1995 geborenen Tochter A.T. (IFA-Zl. XXXX ) nach Österreich und sind beide seit 02.09.2013 durchgehend im Bundesgebiet hauptgemeldet. Die Beschwerdeführerin und A.T. leben seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt, hiervon seit Februar 2015 in einer seitens der Beschwerdeführerin angemieteten Wohnung einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft.

Die Beschwerdeführerin ging in Österreich von 01.09.2014 bis 11.09.2016, von 31.01.2017 bis 12.02.2021, sowie laufend seit 22.02.2021 angemeldeten Erwerbstätigkeiten als Arbeiterin, überdies von 23.11.2018 bis 23.12.2018 als geringfügig beschäftigte Angestellte nach. Von 14.09.2016 bis 22.01.2017 bezog sie Arbeitslosengeld.

A.T. bezog zuletzt von 21.08.2020 bis 02.11.2020 sowie von 05.11.2020 bis 11.12.2020 Arbeitslosengeld, ehe sie am 14.12.2020 – für einen Tag – einer angemeldeten Erwerbstätigkeit als Arbeiterin nachging. Ihr bislang längstes Beschäftigungsverhältnis als Angestellte erstreckte sich von 01.10.2018 bis 15.07.2019, ansonsten scheint sie lediglich für jeweils einen bis wenige Tage – zumeist mit geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen – im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger auf. Seit 12.04.2021 geht sie nunmehr laufend einer angemeldeten Erwerbstätigkeit als Angestellte nach.

2. Beweiswürdigung:

Der umseits unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Auskünfte aus dem zentralen Melderegister, dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister und dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihres vor den österreichischen Behörden in Vorlage gebrachten – sowie im zentralen Melderegister sowie Informationsverbund zentrales Fremdenregister vermerkten - bosnischen Reisepasses Nr. XXXX fest.

Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen und ihrer in Deutschland geschlossenen Ehe, welche mit 17.07.2014 rechtskräftig geschieden wurde, ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich ab September 2013 ergeben sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit eingeholten Auskünften aus dem zentralen Melderegister sowie dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister.

Dass die Beschwerdeführerin und ihre Tochter A.T. seit ihrer gemeinsamen Einreise in das Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt und seit Februar 2015 in einer seitens der Beschwerdeführerin angemieteten Wohnung einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft leben, ergibt sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister in Zusammenschau mit einem seitens der Beschwerdeführerin im Zuge ihrer Stellungnahme an die belangte Behörde vom 07.05.2020 in Vorlage gebrachten Mietvertrag.

Die Versicherungszeiten der Beschwerdeführerin in Österreich als Arbeiterin sowie geringfügig beschäftigte Angestellte, als auch die Feststellungen zu ihrem Bezug von Arbeitslosengeld, ergeben sich aus einer Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger, ergänzend aus drei ihrer Stellungnahme an die belangte Behörde vom 07.05.2020 angeschlossenen Gehaltsabrechnungen für Februar, März und April 2020.

Die Versicherungszeiten von A.T. in Österreich sowie ihre nunmehr laufende Beschäftigung als Angestellte seit 12.04.2021 ergeben sich aus einer Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheides:

3.1. Zur Frage der Rechtsstellung der Beschwerdeführerin als begünstigte Drittstaatsangehörige:

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg cit als Drittstaatsangehöriger jeder Fremde, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.

Als begünstigter Drittstaatsangehöriger gilt gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 FPG der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Ausweisung erlassen. Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Es steht fest, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Staatsbürgerin von Bosnien und Herzegowina und damit weder um eine EWR-Bürgerin noch eine Schweizer Bürgerin handelt. Dem angefochtenen Bescheid ist jedoch auch nicht zu entnehmen, ob bzw. aufgrund welcher Umstände die belangte Behörde von der Annahme ausgegangen sei, dass es sich bei ihr um eine begünstigte Drittstaatsangehörige handle.

Aufgrund ihrer in Deutschland geschlossenen Ehe kommt der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht der Status einer begünstigten Drittstaatsangehörigen zu. Grundsätzlich kommt die Rechtsposition als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG einem Fremden, der mit einem in Österreich lebenden, sein unionsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmenden EU-Bürger aufrecht verheiratet ist (unabhängig davon, ob die Ehe als Scheinehe zu qualifizieren ist), zu (vgl. VwGH 14.04.2016, Ro 2016/21/0005). Zwar führt die Scheidung der Ehe eines Unionsbürgers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, unter den weiteren Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 lit. a Unionsbürger-RL für dessen Familienangehörige nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn die Ehe bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Aufnahmemitgliedstaat. Dies deckt sich auch mit der Regelung des § 54 Abs. 5 NAG und können solche Personen nach Art. 18 Unionsbürger-RL und § 54a NAG grundsätzlich auch ein Daueraufenthaltsrecht erwerben (vgl. VwGH 28.10.2015, Ro 2014/10/0083). Angesichts des Umstandes, dass die Ehe der Beschwerdeführerin – ungeachtet dessen, ob es sich bei ihrem Gatten überhaupt um einen EWR-Bürger gehandelt hat, welcher sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, dieser überhaupt jemals in Österreich gelebt hat, oder wie lange die Ehe andauerte (all dies wurde seitens der belangten Behörde nicht erhoben) – bereits am 17.07.2014 rechtskräftig geschieden wurde, hatte die Ehe jedoch, vor dem Hintergrund der erstmaligen Wohnsitznahme der Beschwerdeführerin in Österreich am 02.09.2013, unstreitig nicht für mindestens ein Jahr im Aufnahmemitgliedstaat Österreich Bestand. Daher kann sich die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Eheschließung in Deutschland unter keinen Umständen auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern nach §§ 52 Abs. 1 Z 1 iVm 54 Abs. 5 Z 2 NAG oder den Status einer begünstigten Drittstaatsangehörigen berufen.

Darüber hinaus kommt der Beschwerdeführerin jedoch auch nicht aufgrund ihrer Angehörigeneigenschaft zu ihrer in Österreich lebenden Tochter A.T., einer deutschen Staatsangehörigen, der Status einer begünstigten Drittstaatsangehörigen zu, da für Verwandte eines EWR-Bürgers in gerader aufsteigender Linie Voraussetzung hierfür wäre, dass ihnen von diesem EWR-Bürger tatsächlich Unterhalt gewährt wird. Die Bestimmung des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG gestaltet sich insoweit wortident mit jener des § 52 Abs. 1 Z 3 NAG hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erwerb eines Aufenthaltsrechts für Angehörige von EWR-Bürgern („Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;“). Ob A.T. im vorliegenden Fall tatsächlich ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, kann letztlich dahingestellt bleiben, da der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12.12.2017, Zl. Ra 2015/22/0150, mit welchem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts XXXX vom 30.07.2015, Zl. XXXX , womit dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers zunächst stattgegeben worden war, behoben wurde, bereits ausdrücklich klargestellt hat, dass der Beschwerdeführerin zum betreffenden Zeitpunkt mangels der Erfüllung der Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 Z 3 NAG kein Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern zukam. Der Verwaltungsgerichtshof führte hierzu aus:

„5.2. Vorliegend kommt im Hinblick darauf, dass die drittstaatsangehörige Zweitmitbeteiligte (Anm.: die Beschwerdeführerin) die Mutter der Erstmitbeteiligten ist, von den soeben genannten Tatbeständen nur jener des § 52 Abs. 1 Z 3 NAG (entspricht Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/38) in Betracht. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass es sich beim Angehörigen des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers um einen Verwandten in gerader aufsteigender Linie handeln muss, dem von diesem "Unterhalt (tatsächlich) gewährt" wird.

Zum Erfordernis der tatsächlichen Unterhaltsgewährung ist der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen, dass sich die Eigenschaft als Familienangehöriger, dem der aufenthaltsberechtigte Unionsbürger "Unterhalt gewährt", aus einer tatsächlichen Situation ergibt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Familienangehörige vom Aufenthaltsberechtigten materiell unterstützt wird. Indessen kann sich beim Vorliegen der umgekehrten Situation, in der also dem Aufenthaltsberechtigten von einem Drittstaatsangehörigen Unterhalt gewährt wird, dieser nicht auf die Eigenschaft als Verwandter in aufsteigender Linie, dem der Aufenthaltsberechtigte "Unterhalt gewährt", im Sinn der Richtlinie 2004/38 berufen (vgl. etwa EuGH 8.11.2012, Iida, C-40/11, Rn. 55; siehe auch VwGH 7.6.2016, Ra 2015/22/0161).

Wie den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu entnehmen ist, haben die Mitbeteiligten ihren Lebensunterhalt seit der Einreise nach Österreich zunächst aus Ersparnissen und seit der Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit durch die Zweitmitbeteiligte im Jahr 2014 im Wesentlichen aus deren Einkommen finanziert. Folglich wurde nicht der Zweitmitbeteiligten von der Erstmitbeteiligten tatsächlich Unterhalt gewährt, sondern umgekehrt der Erstmitbeteiligten von der Zweitmitbeteiligten. Im Hinblick darauf kann aber die Zweitmitbeteiligte nicht als Familienangehörige im Sinn des Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/38 angesehen werden, da ihr durch die Erstmitbeteiligte kein Unterhalt gewährt wird. Sie ist daher nicht als Berechtigte im Sinn des § 54 Abs. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Z 3 NAG bzw. des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zu erachten.“

Aufgrund des erhobenen Sachverhaltes hat sich an der Situation der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter A.T. zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt insoweit auch nichts maßgeblich geändert. Zwar geht A.T. nunmehr ebenfalls – seit 12.04.2021 – einer angemeldeten Erwerbsstätigkeit als Angestellte nach, jedoch ist es nach wie vor die Beschwerdeführerin, welche ihrer Tochter A.T. in der von ihr angemieteten Wohnung eine Unterkunft zur Verfügung stellt. Auch weist die Beschwerdeführerin angesichts des Umstandes, dass sie im Wesentlichen - mit kurzen Unterbrechungen - seit dem Jahr 2014 laufend angemeldeten Erwerbstätigkeiten in Österreich nachgeht, eine erheblich nachhaltigere Integration auf dem heimischen Arbeitsmarkt auf als ihre Tochter. Vor diesem Hintergrund auch kann nach wie vor nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführerin von ihrer in Österreich lebenden Tochter tatsächlich Unterhalt im Sinne der vorzitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie des EuGH gewährt wird, wodurch ihr ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 52 Abs. 1 Z 3 NAG bzw. der Status einer begünstigten Drittstaatsangehörigen zukäme.

Nach § 55 Abs. 1 NAG kommt das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht EWR-Bürgern und ihren Angehörigen zu, solange die dort festgelegten Bedingungen erfüllt sind. Wie bereits der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12.12.2017, Zl. Ra 2015/22/0150 in Bezug auf die Beschwerdeführerin festgestellt hat, erfüllte sie bereits zum damaligen Zeitpunkt nicht die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich und sind seitdem auch keine entscheidungswesentlichen Änderungen des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten. Damit steht fest, dass die Beschwerdeführerin weiterhin weder begünstigte Drittstaatsangehörige ist noch ihr ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt.

3.2. Zur Frage der Erlassung einer Ausweisung:

Nachdem feststeht, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um keine begünstigte Drittstaatsangehörige handelt, stellt sich die Frage, ob zu Recht eine Ausweisung gegen sie erlassen wurde.

Im Falle des die Ausweisung regelnden § 66 Abs. 1 FPG ist klar formuliert, dass EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige unter bestimmten Voraussetzungen ausgewiesen werden können, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt. Nachdem die Beschwerdeführerin jedoch weder EWR-Bürgerin, noch Schweizer Bürgerin oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist, fällt sie nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der genannten Bestimmung. Auch hat der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich klargestellt, dass Ausweisungen und Aufenthaltsverbote nach §§ 66 und 67 FPG nur gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige zur Anwendung gelangen, während gegen alle sonstigen Drittstaatsangehörigen, wie im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin, nur eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG - entweder alleine oder in Verbindung mit einem Einreiseverbot nach § 53 FPG - in Betracht kommt (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0115).

Die Erlassung einer Ausweisung auf Grundlage des § 66 Abs. 1 iVm § 55 Abs. 3 NAG gegen die Beschwerdeführerin war daher unzulässig und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides somit zu beheben. Nachdem es sich bei der Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes von einem Monat (Spruchpunkt II.) um einen rechtlich darauf aufbauenden Spruchpunkt handelt, war der Bescheid in seiner Gesamtheit ersatzlos zu beheben.

4. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann nach Abs. 2 entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Z 1) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2).

Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Arbeitslosengeld aufenthaltsbeendende Maßnahme Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren begünstigte Drittstaatsangehörige Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung Erwerbstätigkeit EU-Bürger EWR-Bürger Integration Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rechtsgrundlage Rückkehrentscheidung Scheidung Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I422.2240764.1.00

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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