TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/2 Ra 2019/19/0062

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Veröffentlicht am 02.11.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §58
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des S A L, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das am 16. November 2018 mündlich verkündete und am 27. Dezember 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, G309 2175197-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 10. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 13. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        In der Begründung führte das BVwG - soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich - aus, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen glaubhaft darzulegen. Der Revisionswerber habe im Fall seiner Rückkehr insbesondere keine Schwierigkeiten auf Grund seines Religionsbekenntnisses zu befürchten.

5        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene (außerordentliche) Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6        Die Revision rügt in ihrem Zulässigkeitsvorbringen unter anderem Begründungs- und Ermittlungsmängel in Zusammenhang mit der aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung des Revisionswerbers.

7        Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

8        Für die Annahme einer Verfolgung wegen Apostasie ist Voraussetzung, dass der Revisionswerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch in seinem Heimatstaat leben wird (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2021/19/0155, mwN, insbesondere unter Bezug auf EuGH 4.10.2018, Bahtiyar Fathi, C-56/17, Rn. 88).

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben.

10       Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 25.3.2021, Ra 2020/19/0072, mwN).

11       Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht:

12       Wie die Revision zutreffend rügt, ist diesem nämlich nicht zu entnehmen, ob das BVwG von einer Konfessionslosigkeit des Revisionswerbers aus innerer Überzeugung ausging oder nicht. Der Revisionswerber hat bereits in seiner Einvernahme vor dem BFA angegeben, Probleme auf Grund seiner Religionszugehörigkeit gehabt zu haben. In der mündlichen Verhandlung brachte er vor, zwar als Schiit eingetragen zu sein, sich jedoch zu keiner Religionsgemeinschaft zu bekennen. Das BVwG stellte in Bezug auf den religiösen Glauben des Revisionswerbers zunächst fest, dass sich dieser zu keiner Glaubensrichtung bekenne. In der rechtlichen Beurteilung kam es jedoch zum Schluss, dass der Revisionswerber (offiziell) schiitischen Glaubens sei und er bei einer Rückkehr keine Schwierigkeiten auf Grund seines Religionsbekenntnisses zu befürchten habe.

Aus dieser Begründung geht damit nicht hervor, ob das BVwG von der Annahme ausging, dass der Revisionswerber konfessionslos sei und seine Konfessionslosigkeit als identitätsstiftendes Merkmal verstehe. Eine diesbezügliche Feststellung wäre im vorliegenden Fall aber erforderlich gewesen, vor allem in Hinblick auf die Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses, wonach Apostaten häufig ernsthafter Verfolgung durch die Gesellschaft ausgesetzt seien und zum Teil sogar getötet würden (oftmals von den eigenen Angehörigen oder Bekannten). Angesichts des Vorbringens des Revisionswerbers wäre daher seine aktuell bestehende Glaubensüberzeugung zu untersuchen und der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung dazu näher zu befragen gewesen.

13       Das BVwG hat sich somit ohne Begründung über ein relevantes Parteivorbringen hinweggesetzt. Mangels konkreter und widerspruchsfreier Feststellungen betreffend die Konfessionslosigkeit des Revisionswerbers ist die angefochtene Entscheidung einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich, weshalb dem BVwG eine Verletzung der Begründungspflicht vorzuwerfen ist.

14       Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 2. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019190062.L00

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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