TE Vfgh Erkenntnis 2021/9/22 E2594/2021

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57,
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53, §55
BFA-VG §49, §52
BG über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH §2
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels Anwesenheit eines - ordnungsgemäß geladenen - Rechtsberaters (der BBU GmbH) bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Am 27. August 2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 27. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und gewährte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise.

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 9. Juni 2021 als unbegründet ab. Eine asylrelevante Verfolgung sei mangels glaubhaften Fluchtvorbringens auszuschließen. Eine solche sei auch auf Grund des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt außerdem fest, dass dem Beschwerdeführer auf Grund einer innerstaatlichen Fluchtalternative der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei. Im Gegensatz zu einer Rückkehr in die Provinz Paktia sei eine Ansiedlung in Mazar-e Sharif möglich. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers sei in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif in eine ausweglose Situation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art2 und 3 EMRK geschützten Rechte zu erleiden.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung seit VfSlg 11.196/1986 zum rechtsstaatlichen Prinzip festhält (vgl VfSlg 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998, 16.245/2001), müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Der Verfassungsgerichtshof hat vor diesem Hintergrund wiederholt die Auffassung vertreten, dass das Verfahren zur Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die ein Abweichen von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes erforderlich machen können (vgl VfSlg 13.831/1994, 13.834/1994, 13.838/1994, 15.218/1998). Im Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 hat er ua auch darauf hingewiesen, dass dem rechtsschutzsuchenden Asylwerber neben dem sprachlichen grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis der Entscheidung ermöglicht werden muss, und es ihm demnach möglich sein muss, sich "der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand" zu bedienen (vgl auch VfSlg 18.809/2009).

In VfSlg 19.490/2011 hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung (VfSlg 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie VfGH 2.10.2010, U3078/09 ua) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren durch den damaligen Asylgerichtshof im Hinblick auf den damals in §66 AsylG 2005 (nunmehr §§48 bis 52 BFA-VG) normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. Mai 2016, Ro 2016/18/0001, judiziert, dass es auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip einerseits und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften andererseits resultierenden Verfahrensgarantien auch Sache des Verwaltungsgerichtes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann.

2.2. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. März 2018 wurde dem Beschwerdeführer die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin amtswegig zur Seite gestellt. Der Beschwerdeführer bevollmächtigte die Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH und die Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe mit 9. April 2018 und erhob durch seine bevollmächtigte Vertreterin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit Schreiben vom 9. April 2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht der BBU GmbH die Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis und führte darin aus, dass dem Beschwerdeführer amtswegig die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin zur Seite gestellt wurde, weshalb die Rechtsberatung ab 1. Jänner 2021 von der BBU GmbH wahrgenommen werde. Die vom Beschwerdeführer erteilte Vollmacht an die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe sei mit 31. Dezember 2020 erloschen. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung informierte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer in einem Merkblatt darüber, dass die BBU GmbH für seine Rechtsberatung zuständig sei und, sollte der Beschwerdeführer die Teilnahme eines Rechtsberaters an der Beschwerdeverhandlung wünschen, er mit der BBU GmbH Kontakt aufnehmen möge. Mit E-Mail vom 5. Mai 2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht einem Mitarbeiter der BBU GmbH auf Grund eines zuvor geführten Telefonates den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27. Februar 2018.

In der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht wird kein Vertreter des Beschwerdeführers ausgewiesen. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass die erkennende Richterin nach Aufruf der Sache "etwaige Vertretungsbefugnisse" geprüft habe. In der Folge führt die erkennende Richterin die mündliche Verhandlung durch, ohne den Beschwerdeführer angesichts der Abwesenheit eines Rechtsberaters über ein allfälliges Vollmachtsverhältnis zu einer Rechtsberatung befragt und ohne ihn über seine Rechte gemäß §52 BFA-VG aufgeklärt, insbesondere über die Möglichkeit der Ladung des Rechtsberaters in Kenntnis gesetzt zu haben. Diese Handhabung des Verfahrensrechts stellt Willkür dar (vgl VfGH 24.2.2020, E2425/2019; 8.6.2021, E3947/2020; VfSlg 19.490/2011).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ladung, VfGH / Vertreter, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2594.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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