TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/8 E3947/2020

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Veröffentlicht am 08.06.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57,
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53, §55
BFA-VG §49, §52
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels Anwesenheit eines - ordnungsgemäß geladenen - Rechtsberaters bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen aus Nigeria

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach Einreise in das Bundesgebiet am 25. Oktober 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Da sich der Beschwerdeführer dem Verfahren entzogen hat, wurde das Verfahren am 6. März 2016 eingestellt. Am 23. Juli 2020 wurde der Beschwerdeführer im Zuge einer Personenkontrolle aufgegriffen und festgenommen. In der Folge stellte er einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 30. Juli 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Es wurde gemäß §13 Abs2 Z1 AsylG 2005 festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verloren hat. Gemäß §53 Abs1 iVm Abs3 Z1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

3. Der Beschwerdeführer bevollmächtigte am 20. August 2020 die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe mit seiner Vertretung im Verfahren und erhob in der Folge durch seine bevollmächtigte Vertreterin ausschließlich gegen Spruchpunkt VIII. des Bescheides (Einreiseverbot) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30. September 2020, zu der der Beschwerdeführervertreter zwar ordnungsgemäß geladen war, jedoch nicht erschienen ist, mit dem hier angefochtenen Erkenntnis vom 2. Oktober 2020 als unbegründet ab.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe von seinem Recht gemäß §52 Abs1 BFA-VG Gebrauch gemacht und die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe mit seiner Vertretung vor dem Bundesverwaltungsgericht bevollmächtigt. Der Beschwerdeführervertreter sei jedoch zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Weder sei der Beschwerdeführer seitens des Richters über das Recht gemäß §52 Abs2 BFA-VG, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung von einem Rechtsberater vertreten zu werden, belehrt noch gefragt worden, ob er auf die Anwesenheit seines Rechtsberaters verzichte. Dieser Verfahrensmangel stelle Willkür dar.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es das Vorbringen des Beschwerdeführers im Wesentlichen bestätigt und ergänzend darauf hinweist, aus den Ladungen zur mündlichen Verhandlung ergebe sich eindeutig als Verhandlungsort Wien. Unmittelbar vor Beginn der Verhandlung sei dem erkennenden Richter telefonisch mitgeteilt worden, dass der Beschwerdeführervertreter an der Außenstelle des Bundesverwaltungsgerichtes in Innsbruck erschienen sei. Gemäß §52 Abs2 BFA-VG wäre der Beschwerdeführervertreter gehalten gewesen, über eigene Kommunikationsmittel oder durch Inanspruchnahme der Dienste des Gerichtes unverzüglich den verfahrensführenden Richter und eine Vertretung zu kontaktieren, um eine Vertretung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung sicherzustellen.

II. Rechtslage

§52 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012, idF BGBl I 53/2019 lautet wie folgt:

"Rechtsberatung vor dem Bundesverwaltungsgericht

§52. (1) Das Bundesamt hat den Fremden oder Asylwerber bei Erlassung einer Entscheidung, ausgenommen Entscheidungen nach §53 BFA-VG, §§19, 76 bis 78 AVG, §§46 Abs2 bis 2b, 60 Abs1 und 2, 69 Abs2, 88 bis 94 FPG und nach dem VVG, oder einer Aktenvorlage gemäß §16 Abs2 VwGVG, schriftlich darüber zu informieren, dass ihm kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird. Zugleich hat das Bundesamt den bestellten Rechtsberater oder die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung davon in Kenntnis zu setzen.

(2) Rechtsberater unterstützen und beraten Fremde oder Asylwerber jedenfalls beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben ihre Beratungstätigkeit objektiv und nach bestem Wissen durchzuführen und den Beratenen die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen. Auf deren Ersuchen haben sie die betreffenden Fremden oder Asylwerber auch im Verfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten. Im Fall der Erlassung eines Schubhaftbescheides bezieht sich die Beratung und Vertretung durch den Rechtsberater auch auf die unmittelbar vorangegangene Festnahme und Anhaltung nach diesem Bundesgesetz."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in dem an seine ständige Rechtsprechung zum rechtstaatlichen Prinzip anknüpfenden Erkenntnis VfSlg 11.196/1986 ausgesprochen hat und seither festhält (vgl VfSlg 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998, 16.245/2001), müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt die Auffassung vertreten, dass das Verfahren zur Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die ein Abweichen von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) erforderlich machen können (vgl VfSlg 13.831/1994, 13.834/1994, 13.838/1994, 15.218/1998). Im Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 hat er ua auch darauf hingewiesen, dass dem rechtsschutzsuchenden Asylwerber neben dem sprachlichen grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis der Entscheidung ermöglicht werden muss, und es ihm demnach möglich sein muss, sich "der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand" zu bedienen (vgl VfSlg 18.809/2009).

3.2. In seinem Erkenntnis VfSlg 19.490/2011 hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf seine Rechtsprechung (VfSlg 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie VfGH 2.10.2010, U3078-3079/09) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren durch den damaligen Asylgerichtshof im Hinblick auf den damals in §66 AsylG 2005 (nunmehr §§49 und 52 BFA-VG) normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält.

3.3. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. Mai 2016, Ro 2016/18/0001, judiziert, dass auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip einerseits und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften andererseits resultierenden Verfahrensgarantien es auch Sache des Verwaltungsgerichtes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann. Zu diesem Zweck hat es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Asylwerber das Ersuchen um Teilnahme an den Rechtsberater vor der Verhandlung gestellt hatte, diesem aber vom Rechtsberater unentschuldigt nicht entsprochen worden ist, von der Möglichkeit des §19 Abs1 AVG, der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß §17 VwGVG sinngemäß anzuwenden ist, Gebrauch zu machen und das nötige Erscheinen des Rechtsberaters durch förmliche Ladung zu bewirken (vgl auch VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0060 und 14.12.2016, 2016/19/0006).

3.4. Der Beschwerdeführer bevollmächtigte die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe mit seiner Vertretung im Rechtsmittelverfahren gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. Juli 2020 und erhob durch seine bevollmächtigte Vertreterin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Zu der am 30. September 2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumten mündlichen Verhandlung ist der Rechtsberater des Beschwerdeführers unentschuldigt nicht erschienen. Dennoch führte der erkennende Richter die mündliche Verhandlung durch, ohne den Beschwerdeführer zumindest über die Möglichkeit der Ladung des Rechtsberaters in Kenntnis zu setzen oder ihn dahingehend zu befragen, ob er sein Vertretungsverhältnis aufrechterhält. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Rechtsberater zwar ordnungsgemäß geladen, jedoch nicht am Verhandlungsort in Wien, sondern an der Außenstelle des Bundesverwaltungsgerichtes in Innsbruck erschienen ist. Auch wenn dieser Fehler dem Rechtsberater anzulasten ist, hätte der erkennende Richter den Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung über seine Rechte gemäß §52 BFA-VG informieren müssen. Diese Information ist nicht erfolgt, obwohl der erkennende Richter – seinen eigenen Angaben zufolge – bereits vor Beginn der mündlichen Verhandlung in Kenntnis davon war, dass der Rechtsberater am falschen Ort erschienen ist. Dieser Umstand legt nicht nahe, dass eine weitere Vertretung des Beschwerdeführers durch den ihm zur Seite gestellten Rechtsberater nicht mehr erwünscht sei. Diese Handhabung des Verfahrensrechtes stellt Willkür dar (vgl VfGH 24.2.2020, E2425/2019).

3.5. Das angefochtene Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ladung, Rechtsschutz, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3947.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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