RS Vfgh 2021/10/6 E4201/2020

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Veröffentlicht am 06.10.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2
EpidemieG 1950 §7, §17, §32, §46
AVG §62
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf finanzielle Vergütung einer Gesellschaft nach dem EpidemieG 1950 für deren Verdienstentgang durch die Quarantäne einer Arbeitnehmerin; mangelhafte Auseinandersetzung mit der rechtlichen Qualität einer die Absonderung der Arbeitnehmerin anordnenden telefonischen Enunziation der zuständigen Behörde

Rechtssatz

Gemäß §7 Abs1a EpiG kann die Bezirksverwaltungsbehörde zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach §7 Abs1 leg cit angeführten anzeigepflichtigen Krankheit kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen anhalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränken, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Die in §7 Abs1a erster Satz EpiG vorgesehenen Eingriffe können mit Bescheid (Mandatsbescheid) oder - bei Gefahr im Verzug - durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt getroffen werden.

§32 Abs1 Z1 EpiG begründet einen Anspruch auf Vergütung unter anderem, wenn und soweit jemand "gemäß §§7 oder 17 abgesondert worden" ist. Sowohl nach dem Wortlaut als auch bei verfassungskonformem Verständnis gilt dies sowohl für Fälle der Absonderung durch Bescheid als auch für Fälle der Absonderung durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

Indem das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) Vergütungsansprüche auf Fälle einer bescheidmäßig erfolgten Absonderung beschränkt hat, hat es dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt (im Unterschied zum Sachverhalt in E 06.10.2021, E221/2021):

Wenn das LVwG im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung davon ausgeht, dass lediglich über die Kinder der Arbeitnehmerin der beschwerdeführenden Gesellschaft telefonisch Heimquarantäne verhängt worden sei, woraufhin sich die Mitarbeiterin "sodann ebenfalls in Quarantäne begeben habe", entfernt es sich nämlich von dem von ihm selbst festgestellten Sachverhalt, wonach gegenüber der Arbeitnehmerin der beschwerdeführenden Gesellschaft im Rahmen eines Telefonats mit dem Magistrat der Stadt Linz geäußert worden sei, dass "sie sich selbst bis zum Vorliegen der Testergebnisse der Kinder ebenfalls in private Quarantäne zu begeben habe".

Im weiteren Verfahren wird das LVwG daher zu prüfen haben, ob diese - nach den (bisherigen) Feststellungen des LVwG telefonisch durch einen Mitarbeiter der für Absondungsanordnungen zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde getätigte - Enunziation gegenüber der Arbeitnehmerin der beschwerdeführenden Gesellschaft in der Form eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt mit sofortigem Befolgungsanspruch erging oder als bloße Empfehlung erfolgte, die keinen Vergütungsanspruch begründet. Dabei ist vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage (§7 iVm §43 und §32 Abs1 Z1 EpiG) im Zweifel davon auszugehen, dass Telefonanrufe durch die für Absonderungen zuständige (Abteilung der) Bezirksverwaltungsbehörde verbindliche Anordnungen, deren Nichtbefolgung auch sanktionsbewehrt ist, zum Gegenstand haben, sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände dagegen sprechen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

COVID (Corona), Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Bescheid mündlicher, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Behördenzuständigkeit, Behörde Organe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4201.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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