TE Vfgh Erkenntnis 2021/10/6 E4201/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.10.2021
beobachten
merken

Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2
EpidemieG 1950 §7, §17, §32, §46
AVG §62
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf finanzielle Vergütung einer Gesellschaft nach dem EpidemieG 1950 für deren Verdienstentgang durch die Quarantäne einer Arbeitnehmerin; mangelhafte Auseinandersetzung mit der rechtlichen Qualität einer die Absonderung der Arbeitnehmerin anordnenden telefonischen Enunziation der zuständigen Behörde

Spruch

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft stellte mit Schreiben vom 11. Mai 2020 einen Antrag auf Vergütung des Verdienstentganges einer näher bezeichneten Arbeitnehmerin gemäß §32 Epidemiegesetz 1950 für den Zeitraum vom 2. bis zum 3. April 2020. Im anschließenden E-Mail-Verkehr zwischen der zuständigen Behörde und der beschwerdeführenden Gesellschaft wurde – auf Nachfrage der Behörde – zunächst die Auskunft erteilt, dass keine behördliche Absonderung der Arbeitnehmerin erfolgt sei, sondern die Kinder der Arbeitnehmerin auf das Coronavirus getestet worden seien, weshalb die Arbeitnehmerin als Verdachtsfall gegolten und sich in Quarantäne begeben habe. In einem weiteren E-Mail führte die beschwerdeführende Gesellschaft aus, dass die Maßnahme zur Absonderung durch eine Behörde bzw der Behörde zurechenbare Einrichtung ("Mobiles Einsatzteam des Roten Kreuzes") verfügt worden sei.

2. Mit Bescheid vom 19. August 2020 wies der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft ab. Begründend wird im Bescheid ausgeführt, dass "die von der telefonischen Gesundheitsberatung '1450' erteilten Auskünfte keine behördlichen Absonderungen iSd §7 Epidemiegesetz 1950 darstellen". Mangels behördlicher Absonderung iSd §7 Abs1a Epidemiegesetz 1950 habe die beschwerdeführenden Gesellschaft daher keinen Anspruch auf Vergütung iSd §32 Abs1 Epidemiegesetz 1950.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 10. November 2020 als unbegründet ab.

3.1. Das Landesverwaltungsgericht stellt zunächst den "Verfahrensgang" unter anderem wie folgt dar:

"[…] I.2. Mit Schreiben vom 10. September 2020 erhob die Bf rechtzeitig Beschwerde gegen diesen Bescheid. Darin führt sie hinsichtlich des Sachverhaltes aus, dass eine Angestellte der Bf, Frau […], am 1. April 2020 vom Kindergarten/Hort der Stadt Linz […] angerufen und informiert worden sei, dass alle Kinder am schnellsten Wege abzuholen seien, da die Leiterin des Kindergartens/Horts positiv auf COVID-19 getestet worden sei. Zur selben Zeit sei bereits das Rote Kreuz im Kindergarten/Hort gewesen, um die Testung sämtlicher Kinder vorzunehmen. Im Zuge dessen seien auch die beiden Kinder der Mitarbeiterin der Bf getestet worden.

Die Mitarbeiterin der Bf sei noch am 1. April 2020 vom Magistrat der Stadt Linz/Gesundheitsamt Linz angerufen worden, wobei ihr telefonisch mitgeteilt worden sei, dass es die Quarantäne bis zum Aufliegen der Testergebnisse der Kinder verhänge. Die Mitarbeiterin der Bf sei in diesem Telefonat weiters bezüglich ihrer Kontaktpersonen befragt worden und habe die Auskunft erhalten, dass bei ihr derzeit keine Testung durchgeführt werde, dass man die Testergebnisse der Kinder abwarte und sie sich bis zum Vorliegen der Testergebnisse der Kinder ebenfalls in private Quarantäne zu begeben habe. Für den Fall der positiven Testung der Kinder werde der Mitarbeiterin der Bf angekündigt, dass sie ebenfalls getestet werde. […]

Spätestens am 5. April 2020 - der genaue Tag sei der Mitarbeiterin der Bf nicht mehr bekannt - sei die Mitarbeiterin telefonisch darüber informiert worden, dass die Tests ihrer Kinder negativ ausgefallen seien und die Quarantäne beendet sei. Die angeordnete Heimquarantäne habe sohin von 2. bis 3. April 2020 gedauert. […]

Mit Parteiengehör der belangten Behörde vom 13. Mai 2020 sei die Bf um Auskunft ersucht worden, ob die Mitarbeiterin der Bf behördlich abgesondert worden sei und ob es dazu einen Bescheid gebe. Mit Stellungnahme vom selben Tag habe die Bf der belangten Behörde mitgeteilt, dass keine behördliche Absonderung vorgelegen habe, dass die Kinder der Mitarbeiterin getestet worden seien und daher auch sie als Verdachtsfall gegolten habe und sich in Quarantäne begeben habe. Mit einem weiteren Parteiengehör vom selben Tag zu GZ 0030409/2020 sei der Bf mitgeteilt worden, dass die Mitarbeiterin der Bf aufgrund keines nach §32 EpidemieG aufgezählten Grundes abgesondert worden sei, keine behördliche Absonderung nach §§7, 17, 32 Abs1 Z1 EpidemieG vorliege und es keine Rechtsgrundlage für den Antrag gebe, weshalb die belangte Behörde die Zurückweisung des Antrags beabsichtigte.

Diese Auskunft habe der damals zuständige Bearbeiter der Bf, der keine juristische Ausbildung und demgemäß kein Wissen über die begriffsmäßigen Feinheiten des Verwaltungsrechts habe, mitgeteilt. Richtigerweise sei die Mitarbeiterin sehr wohl behördlich abgesondert worden, es habe lediglich keine bescheidmäßige Absonderung vorgelegen. Auch habe sie sich nicht in Quarantäne begeben - diese Formulierung indiziere ein freiwilliges Handeln der Mitarbeiter der Bf - sondern sei die Quarantäne vom Magistrat der Stadt Linz telefonisch angeordnet worden.

[…]"

In der Folge hält das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich fest: "Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem unter I.1. und I.2. dargestellten Sachverhalt aus."

3.2. In rechtlicher Hinsicht führt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich aus, dass der Aufenthalt in Heimquarantäne, solange diese nicht unter eine der Ziffern des §32 Abs1 EpiG zu subsumieren sei, keine Vergütungsansprüche rechtfertige. In Betracht käme allenfalls ein Anspruch nach §32 Abs1 Z1 EpiG. Es sei jedoch unbestritten, dass gegen die Mitarbeiterin der beschwerdeführenden Gesellschaft kein Absonderungsbescheid iSd §7 oder §17 EpiG erlassen worden sei. Dies werde auch in der Beschwerde nicht behauptet, sondern vielmehr vorgebracht, dass die Heimquarantäne telefonisch über die Kinder der Mitarbeiterin der beschwerdeführenden Gesellschaft verhängt worden sei und sich die Mitarbeiterin sodann ebenfalls in Quarantäne begeben habe. Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes sei "systemimmanent" davon auszugehen, dass ausschließlich an die Rechtssatzform "Bescheid" entsprechende weitere Ansprüche anknüpfen würden. Lediglich ein Bescheid biete die Grundlage dafür, den Rechtsunterworfenen Pflichten aufzuerlegen und, falls der bescheidmäßigen Anordnung nicht Folge geleistet werde, Sanktionen zu ergreifen. Aus Sicht der Rechtsunterworfenen biete ein Bescheid wiederum Gewähr dafür, dessen Rechtmäßigkeit durch die Instanzen überprüfen zu lassen. Im Ergebnis verwirkliche die beschwerdeführende Gesellschaft keinen der in §32 Abs1 EpiG ausgeführten Sachverhalte, da seit 16. März 2020 behördlich in keiner der genannten Formen gegen sie vorgegangen worden sei. Folglich bestehe auch für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges bzw der als Dienstgeberin geleisteten Entgeltzahlungen.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG und auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§32 Abs1 Z1 Epidemiegesetz 1950) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Das Landesverwaltungsgericht habe jegliche Ermittlungstätigkeit zur Existenz eines Absonderungsbescheides gemäß §7 Epidemiegesetz 1950 unterlassen und keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Zudem gehe es aktenwidrig davon aus, dass die Heimquarantäne telefonisch über die Kinder der Mitarbeiterin der beschwerdeführenden Gesellschaft verhängt worden sei und sich die Mitarbeiterin sodann ebenfalls in Quarantäne begeben habe, wodurch das Landesverwaltungsgericht zum Ausdruck bringe, dass gegen die Mitarbeiterin selbst überhaupt keine behördliche Maßnahme im Zusammenhang mit der Heimquarantäne verfügt worden sei. Soweit die telefonisch über die Mitarbeiterin angeordnete Quarantäne rechtlich als (fern-)mündlicher Bescheid gemäß §62 Abs1 AVG zu qualifizieren sei, sei bereits nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts §32 Abs1 Z1 Epidemiegesetz 1950 erfüllt. Bescheide gemäß §§7 und 17 Epidemiegesetz 1950 könnten jedenfalls seit Inkrafttreten des §46 Epidemiegesetz 1950 idF BGBI. I 43/2020 rechtswirksam auch telefonisch erlassen werden. Soweit die telefonisch angeordnete Quarantäne rechtlich nicht als Bescheid zu qualifizieren sei, unterstelle das Verwaltungsgericht §32 Abs1 Z1 Epidemiegesetz 1950 einen verfassungswidrigen Inhalt, wenn es für den Vergütungsanspruch das Vorliegen eines Bescheides über die Absonderung gemäß §§7 bzw 17 Epidemiegesetz 1950 verlange. §7 Abs1a Epidemiegesetz 1950 regle nicht, in welcher Rechtsform die Absonderung zu erfolgen habe. Die telefonische Anordnung der belangten Behörde sei, wenn sie keinen Bescheid darstelle, als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu deuten. Die Mitarbeiterin der beschwerdeführenden Gesellschaft sei von einer Dienststelle der belangten Behörde, dem Gesundheitsamt Linz, aufgefordert worden, sich in Quarantäne zu begeben. Die Aufforderung sei als Befehl der belangten Behörde an die Mitarbeiterin mit unverzüglichem Befolgungsanspruch zu deuten. Bei Ausschluss einer behördlichen Absonderungsmaßnahme in Form unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt vom Vergütungsanspruch läge im Vergleich zu behördlichen Absonderungsmaßnahmen im Wege eines Bescheides eine unsachliche Differenzierung vor. Eine Rechtfertigung, den Vergütungsanspruch von der Form der behördlichen Anordnung der Absonderung gemäß §§7 oder 17 EpiG abhängig zu machen, bestehe nicht. §32 Abs1 Z1 EpiG sei daher verfassungskonform so auszulegen sei, dass darunter sämtliche behördliche Absonderungsmaßnahmen ungeachtet ihrer Rechtsform fielen.

5. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz und das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Rechtslage

1. §7 und §32 Epidemiegesetz 1950 – EpiG, BGBl 186/1950, idF BGBl 702/1974 (§32) bzw BGBl I 63/2016 (§7) lauteten wie folgt:

"Absonderung Kranker.

§7. (1) Durch Verordnung werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungsmaßnahmen verfügt werden können.

(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Die angehaltene Person kann bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes beantragen. Jede Anhaltung ist dem Bezirksgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen, die sie verfügt hat. Das Bezirksgericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung oder der letzten Überprüfung die Zulässigkeit der Anhaltung in sinngemäßer Anwendung des §17 des Tuberkulosegesetzes zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde.

(2) Kann eine zweckentsprechende Absonderung im Sinne der getroffenen Anordnungen in der Wohnung des Kranken nicht erfolgen oder wird die Absonderung unterlassen, so ist die Unterbringung des Kranken in einer Krankenanstalt oder einem anderen geeigneten Raume durchzuführen, falls die Überführung ohne Gefährdung des Kranken erfolgen kann.

(3) Zum Zwecke der Absonderung sind, wo es mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse geboten erscheint, geeignete Räume und zulässig erkannte Transportmittel rechtzeitig bereitzustellen, beziehungsweise transportable, mit den nötigen Einrichtungen und Personal ausgestattete Barackenspitäler einzurichten.

(4) Abgesehen von den Fällen der Absonderung eines Kranken im Sinne des Abs2 kann die Überführung aus der Wohnung, in der er sich befindet, nur mit behördlicher Genehmigung und unter genauer Beobachtung der hiebei von der Behörde anzuordnenden Vorsichtsmaßregeln erfolgen.

(5) Diese Genehmigung ist nur dann zu erteilen, wenn eine Gefährdung öffentlicher Rücksichten hiedurch nicht zu besorgen steht und der Kranke entweder in eine zur Aufnahme solcher Kranker bestimmte Anstalt gebracht werden soll oder die Überführung nach der Sachlage unbedingt geboten erscheint.

Vergütung für den Verdienstentgang.

§32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1. sie gemäß §§7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

2. ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß §11 untersagt worden ist, oder

3. ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß §17 untersagt worden ist, oder

4. sie in einem gemäß §20 im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, oder

5. sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß §20 in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist, oder

6. sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß §22 angeordnet worden ist, oder

7. sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß §24 verhängt worden sind,

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

(2) Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, der von der in Abs1 genannten behördlichen Verfügung umfaßt ist.

(3) Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl Nr 399/1974, zu bemessen. Die Arbeitgeber haben ihnen den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß §21 des Bauarbeiterurlaubsgesetzes 1972, BGBl Nr 414, ist vom Bund zu ersetzen.

(4) Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist die Entschädigung nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen.

(5) Auf den gebührenden Vergütungsbetrag sind Beträge anzurechnen, die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen."

2. §46 Epidemiegesetz 1950 – EpiG, BGBl 186/1950, der zuvor Militärapotheken geregelt hat, lautet seit 15. Mai 2020 (BGBl I 43/2020; die Überschrift erst seit 8. Juli 2020 [BGBl I 62/2020]) wie folgt:

"Telefonischer Bescheid

§46. (1) Bescheide gemäß §7 oder §17 dieses Bundesgesetzes können für die Dauer der Pandemie mit COVID-19 abweichend von §62 Abs1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr 51/1991 in der geltenden Fassung, aufgrund eines Verdachts mit der Infektion von SARS-CoV-2 auch telefonisch erlassen werden.

(2) Die Absonderung endet, wenn die Behörde nicht innerhalb von 48 Stunden einen Bescheid über die Absonderung gemäß §7 dieses Bundesgesetzes wegen einer Infektion mit SARS-CoV-2 erlässt.

(3) Der Inhalt und die Verkündung eines telefonischen Bescheides ist zu beurkunden und der Partei zuzustellen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) vor, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich unterlaufen:

3.1. Gemäß §7 Abs1a EpiG kann die Bezirksverwaltungsbehörde (§43 Abs4 EpiG) zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach §7 Abs1 leg cit angeführten anzeigepflichtigen Krankheit (siehe dazu die Absonderungsverordnung RGBl. 39/1915, idF BGBl II 21/2020) kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen anhalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränken, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Die in §7 Abs1a erster Satz EpiG vorgesehenen Eingriffe können mit Bescheid (Mandatsbescheid) oder – bei Gefahr im Verzug – durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt getroffen werden (Erläut zur RV 1187 BlgNR 25. GP, 16; VfGH 10.3.2021, G380/2020 ua).

§32 Abs1 Z1 EpiG begründet einen Anspruch auf Vergütung unter anderem, wenn und soweit jemand "gemäß §§7 oder 17 abgesondert worden" ist (zum Übergang des Anspruches auf den Arbeitgeber siehe §32 Abs3 leg cit). Sowohl nach dem Wortlaut als auch bei verfassungskonformem Verständnis gilt dies sowohl für Fälle der Absonderung durch Bescheid als auch für Fälle der Absonderung durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

3.2. Indem das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Vergütungsansprüche auf Fälle einer bescheidmäßig erfolgten Absonderung beschränkt hat, hat es dem Gesetz einen gleichheitswidrigen und damit verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, der im vorliegenden Fall (im Unterschied zu dem dem Erkenntnis VfGH 6.10.2021, E221/2021 ua, zugrunde liegenden Sachverhalt) ergebnisrelevant ist:

3.2.1. Wenn das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung davon ausgeht, dass lediglich über die Kinder der Arbeitnehmerin der beschwerdeführenden Gesellschaft telefonisch Heimquarantäne verhängt worden sei, woraufhin sich die Mitarbeiterin "sodann ebenfalls in Quarantäne begeben habe", entfernt es sich nämlich von dem von ihm selbst festgestellten Sachverhalt, wonach gegenüber der Arbeitnehmerin der beschwerdeführenden Gesellschaft im Rahmen des in Rede stehenden Telefonats mit dem Magistrat der Stadt Linz geäußert worden sei, dass "sie sich selbst bis zum Vorliegen der Testergebnisse der Kinder ebenfalls in private Quarantäne zu begeben habe".

3.2.2. Im weiteren Verfahren wird das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich daher zu prüfen haben, ob diese – nach den (bisherigen) Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes telefonisch durch einen Mitarbeiter der für Absonderungsanordnungen zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde getätigte – Enuntiation gegenüber der Arbeitnehmerin der beschwerdeführenden Gesellschaft in der Form eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt mit sofortigem Befolgungsanspruch erging oder als bloße Empfehlung erfolgte, die keinen Vergütungsanspruch begründet. Dabei ist vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage (§7 iVm §43 und §32 Abs1 Z1 EpiG) im Zweifel davon auszugehen, dass Telefonanrufe durch die für Absonderungen zuständige (Abteilung der) Bezirksverwaltungsbehörde verbindliche Anordnungen, deren Nichtbefolgung auch sanktionsbewehrt ist, zum Gegenstand haben, sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände dagegen sprechen.

3.3. Indem das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich infolge einer dem Gleichheitssatz widersprechenden Auslegung des §32 Abs1 Z1 EpiG erhebliche Ermittlungen unterlassen hat, hat es die beschwerdeführende Gesellschaft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B-VG) verletzt.

IV. Ergebnis

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

COVID (Corona), Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Bescheid mündlicher, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Behördenzuständigkeit, Behörde Organe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4201.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten