TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/28 W272 2238433-1

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Veröffentlicht am 28.06.2021
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Entscheidungsdatum

28.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W272 2238432-1/13E

W272 2238433-1/12E

W272 2238434-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN, MBA als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX , alle StA. Georgien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterbringungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 24.11.2020, Zahlen XXXX , XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.03.2021 zu Recht erkannt:

I. beschlossen:

A) Das Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird infolge Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt II. bis VI. werden als unbegründet abgewiesen.

B) Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird zurückgewiesen.

C) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (in weiterer Folge BF 1) reiste am 12.12.2019 gemeinsam mit ihrem Mann, dem Zweitbeschwerdeführer (in weiterer Folge BF 2) und der gemeinsamen Tochter, der Drittbeschwerdeführerin (in weiterer Folge BF 3), direkt über einen Flug von Georgien in das österreichische Staatsgebiet ein und stellte am 13.12.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1. Z 13 AsylG 2005. Die Beschwerdeführer sind georgische Staatsangehörige.

2. Am Tag der Antragstellung wurden die Antragsteller einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, bei der die BF 1 angab, sie sei in Georgien geboren und gehöre dem orthodoxen Christentum an. Sie sei am 12.12.2019 mit dem Flugzeug von Tiflis nach Wien Schwechat geflogen. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, erklärte die BF 1, die BF 3 sei 2014 an Blutkrebs erkrankt und seien am 02.12.2019 Lungentumore, nämlich Ewing Sarkom/PNET, bei ihr festgestellt worden. In Georgien sei dies nicht behandelbar.

Der BF 2 gab ebenfalls an in Georgien geboren zu sein. Er sei gemeinsam mit seiner Frau (der BF 1) und der gemeinsamen Tochter (BF 3) am 12.12.2019 über einen Direktflug von Georgien nach Österreich gekommen. Als Fluchtgrund nannte er die Krankheit der BF 3. Diese sei in Georgien nicht zu behandeln, weswegen ihm die Ärzte geraten hätte nach Österreich zu reisen. In Georgien gebe es keine ausreichende Behandlung für die BF 3. Viele Kinder würden in den georgischen Spitälern sterben.

3. Am 18.05.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme mit dem BF 2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge BFA) unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die georgische Sprache statt. Der BF 2 gab an, er sei gesund. Grund für die Flucht sei die Krankheit der BF 3 gewesen. Sie habe im Alter von drei Jahren Blutkrebs gehabt und habe eine Therapie dafür bekommen. Jetzt habe sie wieder Krebs. Am 02.12.2019 sei ihr in bösartiger Tumor aus der Lunge herausoperiert worden. Ein anderer Tumor sei aber nicht entfernt worden, weil die Ärzte gemeint hätten, die BF 3 sei dafür zu schwach und seien auch die Ärzte für diese OP nicht richtig vorbereitet gewesen. Der Arzt habe ihm gesagt, die Krankheit der BF 3 sei nur in Österreich zu therapieren. Deshalb seien sie hierhergekommen. Er spreche kein Deutsch und gehe in Österreich keiner Arbeit nach. In Georgien sei er seit 2017 nicht mehr berufstätig gewesen. Er habe beim Sicherheitsdienst bei der Polizei gearbeitet, es seien dort aber Leute abgebaut worden. Den Unterhalt habe er mit Hilfe seines Vaters bestritten. Die BF 3 würde in Georgien sterben. Die Ärzte seien unaufmerksam und hätten nicht genug Erfahrung mit solchen Krankheiten. Es gebe keine guten Therapien und Medikamente. Auch die finanzielle Situation habe zum Verlassen Georgiens beigetragen.

Der BF 2 lehnte es ab eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu Georgien abzugeben.

4. In einer Klinischen Bestätigung des LKH-Univ.Klinikum Graz vom 18.05.2020 wurde mitgeteilt, dass die BF 3 sich seit 27.12.2019 in Behandlung befindet. Die Behandlung werde voraussichtlich bis Ende des Jahres 2020 dauern.

5. Am 20.05.2020 fanden niederschriftliche Einvernahmen der Beschwerdeführer über Skype unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die georgische Sprache statt, bei der die BF 1 zunächst angab, sie sei gesund, nehme keine Medikamente und sei arbeitsfähig. Sie sei in Georgien geboren, gehöre der Volksgruppe der Georgier und dem orthodoxen Christentum an. Sie spreche Georgisch und Griechisch. In Georgien habe sie die Pflichtschule und ein College für Zahntechnik absolviert. Mit 18 Jahren sei sie zum Arbeiten nach Griechenland gegangen. 2009 habe sie dort ihren Mann (den BF 2) geheiratet und die gemeinsame Tochter (BF 3) sei dort zur Welt gekommen. Die BF 1 sei Hausfrau und Mutter gewesen. Von 2012 bis 2017 habe sie wieder in Georgien gelebt. 2014 sei bei der BF 3 erstmals Leukämie diagnostiziert worden und sie habe dann eine neunmonatige Therapie gemacht. 2017 sei die BF 1 mit dem BF 2 wieder zurück nach Griechenland um dort zu arbeiten. Die BF 3 habe in dieser Zeit in Georgien bei ihren Großeltern gelebt. Anfang Dezember 2019 sei die BF 1 zurück nach Georgien gereist, weil bei der BF 3 wieder gesundheitliche Probleme aufgetreten seien. Bei der BF 3 sei schließlich Ewing Sarkom, ein bösartiger Knochentumor, diagnostiziert worden und sei der BF 1 von den behandelnden Ärzten geraten worden, nach Österreich zu reisen, weil die Medizin hier fortgeschritten sei und es Genesungschancen gebe. Andere Fluchtgründe habe sie nicht. Die BF 1 gab weiters an, in Georgien würden noch ihr Vater, ihre Schwester, die Großeltern väterlicherseits, mehrere Tanten und Nichten leben. Ihre Mutter sei in Griechenland aufhältig. Ihrer Familie in Georgien gehe es gut, und habe sie etwa zweimal pro Woche per Internet Kontakt mit ihrem Vater und ihrer Schwester. Sie könne in Georgien leben, sei dort nie verfolgt worden oder habe Probleme mit den Behörden gehabt. Zu ihrem derzeitigen Aufenthalt in Österreich befragt, erklärte die BF 1, sie habe versucht sich für einen Deutschkurs beim Verein ISOP anzumelden, dieser sei aber aufgrund der Corona-Krise geschlossen. Sie versuche Deutsch zu lernen, verbringe aber viel Zeit in der Klinik bei der BF 3, sodass sie keine Möglichkeit habe sich zu integrieren. Die BF 3 befinde sich hauptsächlich im Krankenhaus und wenn sie zuhause sei, müsse sie aufgrund ihres geschwächten Immunsystems isoliert werden.

Befragt zur Krankheit und Behandlung der BF 3, gab die BF 1 an, derzeit werde eine Strahlen- und Chemotherapie gemacht um den Tumor zu verkleinern. Erst dann könne er herausoperiert werden. Die Behandlung werde noch bis Ende 2020 dauern und die Überlebenschancen stünden sehr gut.

Zu den Länderfeststellungen gab die BF 1 an, in Georgien würden teilweise Medikamente von schlechter Qualität verabreicht werden und es gebe die Tabletten nicht, die die BF 3 brauche. Sie hätten auf Lieferungen aus dem Ausland wochenlang warten müssen. Auch sei es bei der BF 3 notwendig, Flüssigkeit von der Hüfte und der Wirbelsäule zu entnehmen, wofür sie in Georgien weder eine Anästhesie noch ein schmerzstillendes Mittel bekommen habe. Auch seien zwar die Kosten für Behandlung der Leukämie vollständig vom georgischen Gesundheitsministerium getragen worden, jene für die aktuelle Behandlung hätte die BF 1 selbst tragen müssen uns seien diese sehr hoch.

Vorgelegt wurden:  Georgischer Reisepass, Nr. 18AF00248 lautend auf die BF1;
Georgischer Reisepass, Nr. 17AB57866, lautend auf die BF3;
Konvolut an medizinischen Unterlagen der BF3;

Der BF 2 gab zunächst an, er nehme keine Medikamente, sei gesund und erwerbsfähig. Er sei georgischer Staatsangehöriger und dem orthodoxen Christentum zugehörig. Er spreche Georgisch als Muttersprache, daneben auch Russisch und Griechisch. Er habe die Schule nach elf Jahren mit Matura abgeschlossen und danach vier Jahre an der Polizeiakademie studiert. 2003 habe er die Polizeiausbildung abgeschlossen. 2005 sei er nach Griechenland gegangen und habe dort in einer Parkgarage gearbeitet. Dort habe er die BF 1 kennengelernt und 2010 sei dort die gemeinsame Tochter geboren. 2011 seien sie zurück nach Georgien gereist und von 2013 bis 2017 habe er bei der Botschaft als Sicherheitsdienst gearbeitet. Im Jahr 2017 sei er erneut nach Griechenland gegangen und 2019 nach Georgien zurück, wegen der Erkrankung der BF 3. Die Heirat mit der BF 1 habe 2013 in Georgien stattgefunden. Im Herkunftsland würden sich noch seine Eltern, seine Schwester, eine Tante, Onkel und deren Kinder befinden. Mit seinen Eltern und seiner Schwester habe er jeden zweiten Tag per Internet Kontakt. Seine Familie in Georgien lebe in normalen Verhältnissen. Er und seine Familie hätte zusammen mit seinen Eltern in einer Eigentumswohnung gelebt. In Georgien habe er niemals Probleme mit den Behörden gehabt und sei auch nie persönlich verfolgt oder bedroht worden. Er selbst habe bei einer Rückkehr nach Georgien nichts zu befürchten, für die BF 3 bestehe aber die Gefahr falsch behandelt zu werden und Medikamente schlechter Qualität zu bekommen. Nach ihrer letzten Operation in Georgien habe man vergessen ihre Nähte und den Katheter vom Körper zu entfernen. Befragt zu seinem Leben in Österreich erklärte der BF 2, er bekomme staatliche Unterstützung und selten auch Unterstützung von seinen Eltern. Die BF 3 benötige spezielle Kost, für die er selbst aufkommen müsse. Er versuche sich Deutsch beizubringen, müsse sich aber auf die BF 3 konzentrieren. Er verbringe viel Zeit im Krankenhaus, ansonsten halte er sich im Quartier auf.

Zu den Länderfeststellungen zu Georgien, gab der BF 2 an, Georgien sei ein sicheres Land, aber das die medizinische Versorgung und das medizinische System seien zurückgeblieben. Die Ärzte seien oft nicht qualifiziert.

Vorgelegt wurden: Georgischer Reisepass Nr. 18AF00247, lautend auf den BF 2;

6. Am 10.11.2020 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme der BF 1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, bei der die BF 1 angab, sie sei gesund und nehme nur ab und zu Medikamente zur Beruhigung. Es habe sich seit der letzten Einvernahme nicht viel verändert, sie arbeite nicht, sondern sei die meiste Zeit im Klinikum bei der BF 3. Sie besuche zweimal in der Woche den Deutschkurs im Quartier.

Als gesetzliche Vertretung der BF 3 zu deren derzeitigem Gesundheitszustand befragt, erklärte die BF 1, sie fühle sich sehr schwach und esse sehr wenig. Aufgrund der Ansteckungsgefahr gehe sie kaum nach draußen und besuche auch keine Schule oder Unterricht. Die BF 3 habe in Österreich eine Stammzellentransplantation bekommen und seien ihr die Krebstumore herausoperiert worden. Die Therapie sei erfolgreich gewesen und die Krebserkrankung geheilt. Alle drei Monate müsse ein MR der Lunge und Blutuntersuchungen gemacht werden und einmal im Monat bekomme sie ein Medikament Inhalation im Krankenhaus verabreicht. Zuhause brauche sie darüber hinaus keine Medikamente mehr. Auf Vorhalt, dass die Behandlung in Österreich erfolgreich abgeschlossen sei und nur noch diverse Kontrolltermine nötig seien, die auch in Georgien durchgeführt werden können, gab die BF 1 an, dass dies in Georgien zwar möglich sei, sie jedoch alles selber bezahlen müsste. Die Lage in Georgien sei wegen der Corona-Pandemie nicht so einfach, sie könne dort nicht arbeiten. Sie wolle schon nach Georgien zurückkehren, die BF 3 gehöre jedoch zu einer Corona-Risikogruppe und sollte sie an Corona erkranken, würde ihr in Georgien nicht geholfen werden.

Zu den Länderfeststellungen gab die BF 1 an, dass sie diese kenne, aber 99 Prozent davon nicht stimme.

Vorgelegt wurden: Aktuelle Arztbefunde

7. Mit Bescheiden vom 24.11.2020 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 12.12.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen gemäß § 46 FPG nach Georgien zulässig sind (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 6 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen beträgt.

Begründend führte das BFA aus, dass die Beschwerdeführer gezielt nach Österreich gereist seien, um die Erkrankung der BF 3 hier bestmöglich medizinisch behandeln zu lassen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in Georgien der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt seien. Asylrelevante Gründe hätten die Beschwerdeführer nicht angegeben und hätten auch nicht ermittelt werden können. Die BF 3 würde im Falle einer Rückkehr wegen ihres Gesundheitszustandes in keine lebensbedrohende Situation geraten, denn sei eine grundlegende Versorgung mit Lebensmitteln und ärztlicher Versorgung gewährleistet. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Herkunftsland in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würden, denn hätten sie familiäre Anknüpfungspunkte in Georgien. Eine Rückkehr nach Georgien sei den Beschwerdeführern zumutbar. Die BF 3 leide derzeit an keiner schwerwiegenden lebensbedrohenden physischen oder psychischen Erkrankung, da die Behandlung der Krebserkrankung „Ewing Sarkom“ in Österreich erfolgreich abgeschlossen worden sei. Es seien nur noch diverse Kontrolluntersuchungen in gewissen Abständen notwendig, welche auch in Georgien zur Verfügung stünden, was von der BF 1 auch nicht bestritten worden sei. Die BF 3 sei als immungeschwächte Person im Hinblick auf die vorherrschend Corona-Pandemie in der Gruppe der „Covid19-Risikopatienten“ einzuordnen. Die Beschwerdeführer seien eine Kernfamilie. Zu anderen Personen in Österreich bestehe kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis. Eine besondere Integrationsverfestigung könne bei den Beschwerdeführern nicht festgestellt werden. Es liege somit kein schützenswertes Familien- oder Privatleben in Österreich vor, sodass die Rückkehrentscheidung gerechtfertigt sei.

8. Gegen die Bescheide des BFA brachten die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein und beantragen dem Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Inhaltlich wurde im Wesentlichen auf die Fluchtgründe die die Beschwerdeführer betreffende Gefahrenlage verwiesen, die im Rahmen der Einvernahme am 20.05.2020 detailliert geschildert worden seien. Zur Nichterteilung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass die BF 3 an Krebs leide, im Falle einer Rückkehr keinen Zugang zu den derzeit verwendeten Medikamenten habe und es fraglich sei, ob die Beschwerdeführer sich diese in Falle der eventuellen Verfügbarkeit leisten könnten. Aus den oben genannten Gründen sowie mit Berücksichtigung der individuellen gesundheitlichen Umstände würden die Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in ihre Heimat in eine aussichtslose Lage geraten.

9. Am 18.03.2021 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Hierbei wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zurückgezogen.

Vorgelegt wurden: Amb. Arztbrief Päd. Hämato-/Onkologie vom LKH-Univ. Klinikum Graz vom 12.03.2021;

Bestätigung Teilnahme Deutschkurs A1 von BF 1 und BF 3 vom 11.03.2021;

10. Mit Schreiben vom 07.04.2021 legten die Beschwerdeführer weitere Beweismittel vor und stellten den Antrag das Ermittlungsverfahren bis zum 07.06.2021 fortzuführen, weil am 10.05.2021 und am 01.06.2021 ärztliche Kontrollen der BF 3 stattfinden.

Vorgelegt wurden:  Geburtsurkunde der BF 3;
Heiratsurkunde der BF 1 und des BF 2;

11. Mit Aktenvermerk vom 16.06.2021 teilten die Beschwerdeführer mit, dass die BF 3 derzeit keine Chemotherapie benötige und alle vier Monate eine medizinische Kontrolle brauche, die aber auch in Georgien erledigt werden könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die volljährige BF 1 führt den Namen XXXX , ist am XXXX in Georgien geboren, georgische Staatsangehörige und Angehörige des orthodoxen Christentums. Die BF 1 besuchte neun Jahre die Pflichtschule und danach zweieinhalb Jahre ein College für Zahntechnik. Sie spricht Georgisch und Griechisch. Die BF 1 lebte von 2005 bis 2011 in Griechenland, wo sie ihren Mann (BF 2) kennenlernte und am XXXX die gemeinsame Tochter (BF 3) zur Welt kam. Von 2011 bis 2017 lebte sie in Georgien und von 2017 bis 2019 wieder in Griechenland. Aufgrund der Erkrankung der BF 3 reiste sie 2019 zurück nach Georgien. Die BF 1 heiratete den BF 2 am 19.04.2013 in Georgien. Die BF 1 war in Georgien Hausfrau und kümmerte sich um die BF 3. In Griechenland war sie als Babysitterin tätig. Während ihres Aufenthalts in Österreich ging die BF 1 keiner Beschäftigung nach. Außer dem BF 2 und der BF 3 verfügt die BF 1 in Österreich über keine familiären oder verwandtschaftlichen Beziehungen. Sie nimmt an einem online Deutschkurs für das Sprachniveau A1 teil. Sie versteht etwas Deutsch und kann teilweise mit einzelnen Worten antworten. Die BF 1 ist grundsätzlich ihrem Alter entsprechend entwickelt, gesund und arbeitsfähig und fällt sohin nicht unter die Covid-19-Risikogruppe.

Der volljährige BF 2 führt den Namen XXXX , wurde am XXXX in Georgien geboren, ist georgischer Staatsbürger und Angehöriger des orthodoxen Christentums. Er besuchte elf Jahre die Grundschule, schloss diese mit Matura ab und absolvierte vier Jahre eine Polizeiakademie. Er spricht Georgisch, Russisch und Griechisch. Von 2005 bis 2011 lebte er in Griechenland, wo er seine Frau (BF 1) kennenlernte und die gemeinsame Tochter (BF 3) geboren wurde. 2013 heirateten er und die BF 1 in Georgien. Von 2013 bis 2017 arbeitete der BF 2 bei der Sicherheitspolizei. Von 2017 bis 2019 ging er erneut nach Griechenland und arbeitete dort als Parkwächter. 2019 reisten sie aufgrund der Erkrankung der BF 3 zurück nach Georgien und am 12.12.2019 nach Österreich. In Österreich hat der BF 2 außer seiner Frau (BF 1) und Tochter (BF 3) keine weiteren Verwandten. Während seines Aufenthalts in Österreich war er nicht berufstätig und setzte er auch sonst keine Integrationsschritte. Er spricht kein Deutsch. Der BF 2 ist seinem Alter entsprechend entwickelt, gesund und arbeitsfähig. Er fällt nicht unter die Covid-19-Risikogruppe.

Die minderjährige BF 3 ist die Tochter der BF 1 und des BF 2, führt den Namen XXXX und wurde am XXXX in Griechenland geboren. Sie ist georgische Staatsbürgerin. Sie wird von ihrer Mutter, der BF 1, gesetzlich vertreten. Die BF 3 lebte vor der Ausreise nach Österreich mit der BF 1 und dem BF 2 in einem gemeinsamen Haushalt, in der Wohnung ihrer Großeltern. Während die BF 1 und der BF 2 ab 2017 in Griechenland arbeiteten, lebte die BF 3 in Georgien bei ihren Großeltern. Sie besuchte in Georgien die ersten drei Schulstufen und ein Semester der Vierten. In Österreich geht die BF 3 nicht zur Schule.

Bei der BF 3 wurde 2014 in Georgien Leukämie diagnostiziert. Nach einer neunmonatigen Therapie, die vom georgischen Gesundheitsministerium bezahlt wurde, war sie in Remission. Am 05.12.2019 wurden bei der BF 3 Ewing Sarkom und zwei Tumore, einer rechts bei der Lunge, der zweite bei der sechsten Rippe festgestellt. Einer der Lungentumore wurde in Georgien operativ entfernt. In Österreich bekam die BF 3 Strahlen- und Chemotherapie, danach wurde der Tumor an der Rippe und drei Rippen entfernt und eine Stammzellentransplantation gemacht. Die Krebserkrankung wurde erfolgreich geheilt. Die behandelnden Ärzte des LKH-Graz empfehlen für mindestens zwei Jahre alle 6 Monate eine MR-Untersuchung der Lunge. Weiters sollte sechs Monate lang eine Dekontamination gemacht werden, bei der der BF 3 die Medikamente Zovirax und Amphothericin B oral und einmal monatlich Pentacarinat zur Inhalation verabreicht wurden. Die Dekontamination ist bereits abgeschlossen.

Die weiteren Kontrolltermine können auch in Georgien durchgeführt werden und haben die Beschwerdeführer auch Zugang zum georgischen Gesundheitssystem. Die BF 3 erhielt in Georgien bereits diverse Untersuchungen und wurde dort auch erfolgreich behandelt.

Die BF 3 braucht derzeit keine Chemotherapie oder sonstige Behandlungen und nimmt außer Vitamin D keine Medikamente.

Die Pflege und Obsorge der minderjährigen BF 3 ist durch die BF 1 und den BF 2 gesichert.

Die BF 3 fällt nicht unter die Covid-19-Risikogruppe.

In Georgien verfügen die BF 1 und der BF 2 über Verwandte, nämlich den Vater und die Schwester der BF 1 und die Eltern und die Schwester des BF 2. Darüber hinaus haben beide Tanten und Onkel im Herkunftsland. Die Beschwerdeführer lebten bis zu ihrer Ausreise in einem gemeinsamen Haushalt mit den Eltern des BF 2 in einer Eigentumswohnung in Tiflis. Die Beschwerdeführer haben etwa zweimal in der Woche über das Internet Kontakt mit den Verwandten in Georgien, insbesondere mit den Eltern und den Geschwistern. Die BF 1 und der BF 2 haben auch Freunde im Herkunftsland, mit denen sie jedoch seltener in Kontakt stehen.

Die Beschwerdeführer kennen die georgische Kultur und die Gepflogenheiten und lebten diese. Sie sprechen die Sprache, sind dort geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Der BF 2 hat in Georgien auch gearbeitet.

Die BF 1 und der BF 2 sind in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, waren dort nie inhaftiert, waren keine Mitglieder einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, sie haben sich nicht politisch betätigt und hatten keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland.

Die BF 1 und die BF 3 nehmen an einem Deutschkurs für A1 teil, der in ihrer Unterkunft unterrichtet wird. Der BF 2 nahm an keinem Deutschkurs teil. Ansonsten gehen die Beschwerdeführer keinen kulturellen oder sozialen Aktivitäten in Österreich nach und haben keine Kontakte zu Österreichern. Sie leben von der Grundversorgung und gingen während ihres Aufenthalts in Österreich keiner Beschäftigung nach. Die BF 1 und der BF 2 haben keine strafrechtlichen Verurteilungen in Österreich.

Die Beschwerdeführer reisten am 12.12.2019 über einen Direktflug von Georgien in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 13.12.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Einreise der Beschwerdeführer erfolgte zum Zweck der Behandlung der BF 3 unter Umgehung der Einreise- und Niederlassungsvorschriften und nicht auf einer Verfolgung und der daraus resultierenden Schutzsuche. Der Aufenthalt im Bundesgebiet war nur durch die illegale Einreise und der unbegründeten Stellung des Asylantrages vorübergehend legalisiert.

Eine ausgehende Gefährdung durch die Beschwerdeführer für die Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich besteht nicht.

Georgien ist ein sicherer Herkunftsstaat gemäß § 19 BFA-VG.

1.2. Zur Situation im Fall einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihr Herkunftsland:

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es ist ihnen möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben und es ist ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen. Die Beschwerdeführer haben auch die Möglichkeit wieder bei den Eltern des BF 2 einzuziehen und finanzielle Unterstützung durch ihre Verwandten zu erlangen. Sie können selbst für ihr Auskommen, Fortkommen und die medizinischen Untersuchungen der BF 3 sorgen. Dies haben die BF 1 und der BF 2 bereits im Zuge der ersten Krebserkrankung der BF 3 und den Untersuchungen und der Operation hinsichtlich der zweiten Erkrankung im Dezember 2019 getan. Es ist ihnen zumutbar sich in der Stadt Tiflis, wo sie bereits vor ihrer Ausreise und auch in den Jahren von 2011 bis 2017 gelebt haben, wieder anzusiedeln.

Es ist den Beschwerdeführern möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in Georgien Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Weitere, die Beschwerdeführer treffende individuelle Gefährdungslagen konnten nicht festgestellt werden.

Die volljährigen BF 1 und BF 2 haben Zugang zum georgischen Arbeitsmarkt und steht es ihnen frei eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen. Sie verfügen beide über Schul- und Berufsausbildungen und Berufserfahrung.

Ebenso haben die Beschwerdeführer Zugang zum – wenn auch minder leistungsfähige als das österreichische – Sozialsystem des Herkunftsstaates und könnten dieses in Anspruch zu nehmen.

Darüber hinaus ist es den Beschwerdeführern unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende Coronapandemie in Georgien, mit Stand 22.06.2021, kein Rückkehrhindernis darstellt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung liegt die Infektionsrate bei 359.141 Personen und 5.175 Todesfällen (Johns Hopkins University). Die BF 1 und der BF 2 sind körperlich gesund und gehören mit Blick auf ihr Alter und das Fehlen einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Auch die BF 3 gehört keiner COVID-19 Risikogruppe an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Georgien eine COVID-19-Erkankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würden.

1.3. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt (Stand 29.03.2021).

COVID-19

Letzte Änderung: 29.03.2021

COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 25.2.2021).

Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg bei positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1.000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020). Im Dezember stieg die tägliche Zahl der Infektionen auf ca. 5.000. Mit strengen Maßnahmen konnte die zweite Welle bis Mitte Jänner 2021 weitgehend unter Kontrolle gebracht werden (civil 18.1.2021)

Die zentrale Homepage der Regierung mit Informationen über Covid-19 ist in Georgien unter www.stopcov.ge zu finden. Die Internetseite ist neben Georgisch auch auf Englisch, Abchasisch, Aserbaidschanisch, Armenisch und Russisch verfügbar. Somit wird gewährleistet, dass auch die Angehörigen von Minderheiten alle relevanten Informationen zur Pandemie im Allgemeinen, zur speziellen Hygiene und zu Maßnahmen der Regierung erhalten (BAMF 10.2020). Auf dieser Seite werden auch tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen veröffentlicht (StopCoV.ge o.D.).

Der öffentliche Überlandverkehr wurde landesweit mit 25.2.2021 wieder aufgenommen (USEMB 25.2.2021). Mit Wirkung von 1.2.2021 durften Schulen, Hochschulen und Kindergärten wieder öffnen (Jam 23.1.2021). Weitere Lockerungen des wirtschaftlichen Lebens wurden im Zeitraum Februar-März 2021 ermöglicht (Gov.ge 24.2.2021). Stand Mitte März 2021 bestehen weiterhin nächtliche Ausgangssperren (USEMB 25.2.2021; vgl. Gov.ge 24.2.2021).

Mitte Jänner 2021 wurde der nationale Impfplan vorgestellt. Die Risikogruppen sollen bis Jahresmitte 2021 geimpft sein. Es ist nicht zu erwarten, dass Personen, die nicht den Risikogruppen angehören, vor dem Spätsommer/Frühherbst 2021 geimpft werden (civil 18.1.2021). Am 13.3.2021 erhielt Georgien, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, erstmals 43.200 Impfdosen von Astra Zeneca (UNICEF 12.3.2021).

Mit 1.2.2021 wurden alle Einschränkungen für Linienflüge aufgehoben (1TV 1.2.2021; vgl. Jam 23.1.2021). Alle Personen, die einen vollständigen Impfschutz nachweisen können, müssen bei Einreise nicht in Quarantäne. Personen, die keinen Impfschutz und keinen negativen PCR-Test (nicht älter als 72 Stunden), nachweisen können, werden bei Einreise für unbestimmte Zeit und auf eigene Kosten in Quarantäne verbracht (USDOS 25.2.2021; vgl. MoF o.D.), falls eine Selbstisolierung nicht möglich ist. Bei Vorlage eines negativen PCR-Tests (nicht älter als 72 Stunden) muss eine achttägige Selbstisolation samt einer weiteren PCR-Testung fünf Tage nach Einreise auf eigene Kosten durchgeführt werden (MoF o.D.).

Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die Georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).

Politische Lage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Georgien wurde im April 1991 unabhängig [bis dahin Teilrepublik der Sowjetunion]. Nach der georgischen Unabhängigkeit erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien. 1992 erfolgten Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die jedoch von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden (AA 23.9.2020). Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion (bpb 26.8.2020; vgl. US DOS 11.3.2020) und kontrolliert ein Fünftel des georgischen Staatsgebiets (FAZ 23.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Durch Verfassungsänderung am 17.11.2013 wurde das Land von einer Präsidialrepublik zu einer Parlamentarischen Demokratie. Die georgische Außenpolitik sieht in der Integration Georgiens in EU und NATO ein prioritäres Ziel für eine nachhaltige demokratische Entwicklung des Landes. Dies wirkt sich unmittelbar auf den innenpolitischen Reformwillen aus (AA 23.9.2020). In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 3.3.2021).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabischwili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60 % gegen ihren Konkurrenten Grigol Vaschadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakaschwili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018, FH 3.3.2021). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabischwili (OSCE/ODIHR 29.11.2018).

Das Parlament Georgiens hat 150 Sitze, wovon 120 über Parteienlisten und 30 über Direktmandate in Wahlkreisen vergeben werden. Bei den Wahlen 2016 wurden noch 72 Direktmandate vergeben (KP 26.11.2020). Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die nächsten, planmäßig 2024 stattfindenden Wahlen, beschlossen (KP 23.11.2019; vgl. RFE/RL 28.11.2019, taz 2.11.2020, FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020). Die Reform des Wahlrechts konnte erst nach Massenprotesten 2019 durchgesetzt werden (taz 2.11.2020; vgl. DW 24.6.2019, US DOS 11.3.2020).

Die Wahlhürde für die Verhältniswahl ist auf 1% der Stimmen festgelegt. Es besteht ein Begrenzungsmechanismus, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40% der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).

Bei den trotz COVID-Panedmie am 31.10.2020 durchgeführten Parlamentswahlen erzielte die bisherige Regierungspartei Georgischer Traum 48% der Stimmen und mit 91 Sitzen erneut eine satte Mehrheit von 60% der Mandate (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Das größte Oppositionsbündnis, die Vereinigte Nationale Bewegung, erhielt 26,9% der Stimmen zugeschrieben (EN 2.11.2020). Insgesamt haben neun Parteien den Sprung ins Parlament geschafft (KP 26.11.2020; vgl. Jam 26.11.2020). Der Gründer des Wahlbündnisses Georgischer Traum, Bidzina Iwanischwili, hatte zur Parlamentswahl 2020 wieder das Amt des Parteivorsitzenden übernommen, allerdings ohne sich um irgendeine Regierungsfunktion zu bewerben. Im Februar 2021 erfolgte der nach seinen Aussagen endgültige Rückzug ins Privatleben. Es zeigt sich allerdings das Hauptproblem, das Iwanischwili seiner Partei und dem Land hinterlassen hat: Eine Mehrheitspartei ohne klare Programmatik, ohne klare innerparteiliche Demokratie und ohne politisch selbständige Charaktere an ihrer Spitze. Eine Partei, die nach wie vor den Verdacht nicht ausräumen kann, nur willfähriges Erfüllungsinstrument ihres Gründers und Mentors zu sein, der nach wie vor im Hintergrund die Fäden zieht (KP 11.2.2021). Kobachidse ist der Nachfolger von Bidsina Iwanischwili als Vorsitzender der Regierungspartei "Georgischer Traum" (FAZ 18.2.2021).

Die unterlegene Opposition prangerte erhebliche Wahlmanipulationen an und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Wasserwerfer ein (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Einheimische Wahlbeobachter*innen stellten zahlreiche Ungereimtheiten fest (taz 2.11.2020). Gemäß OSZE waren die Parlamentswahlen kompetitiv und insgesamt wurden die Grundfreiheiten respektiert. Dennoch haben weitverbreitete Vorwürfe von der Ausübung von Druck auf die Wähler und der unklaren Abgrenzung zwischen der Regierungspartei und dem Staat das Vertrauen der Öffentlichkeit in einige Aspekte des Wahlvorganges unterminiert. Der grundlegend überarbeitete Rechtsrahmen bot eine solide Grundlage für die Abhaltung demokratischer Wahlen und die technischen Aspekte der Wahlen wurden trotz der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie effizient gehandhabt. Jedoch hat sich die Dominanz der Regierungspartei in den Wahlkommissionen negativ auf die Wahrnehmung ihrer Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ausgewirkt, insbesondere auf den unteren Ebenen (OSCE/ODIHR 1.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021).

In Folge rief die Opposition zum Boykott der Stichwahl am 21.11.2020 in 17 Direktwahlkreisen auf, wodurch sich alle Kandidaten des Georgischen Traums sich bei einer Wahlbeteiligung von 26% durchsetzen konnten (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020). Die Oppositionsparteien planen aus Protest, ihre Parlamentssitze nicht zu besetzen (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020, Jam 26.11.2020). Die 90 Abgeordneten der Regierungspartei sind ausreichend, damit das Parlament seine Arbeit aufnehmen kann - um Gesetze zu verabschieden, die Abgeordneten auf die Parlamentsausschüsse zu verteilen und eine Regierung zu ernennen. Das Parlament wird jedoch nicht in der Lage sein, die Verfassung zu ändern oder die Präsidentin abzusetzen (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Als Regierungschef wurde Giorgi Gacharia ernannt. Dieser ist nach nur zwei Monaten im Amt am 18.2.2021 zurückgetreten (Standard 18.2.2021, 22.2.2021). Als Nachfolger wurde der frühere Verteidigungsminister Irakli Garibaschwili mit den Stimmen der Regierungsfraktion Georgischer Traum zum neuen Regierungschef gewählt (Standard 22.2.2021).

Die Opposition boykottiert Stand Ende Februar 2021 weiterhin die Arbeit im Parlament (Standard 22.2.2021). Es ist weder durch die Intervention von US-Botschafter Kelly Degnan noch durch andere internationale Moderatoren gelungen, die politische Krise in Georgien zu lösen und die Opposition davon zu überzeugen, den Parlamentsboykott aufzugeben (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Oppositionsvertreter zeigten sich zuletzt aber zu Gesprächen mit der Regierung bereit, um Auswege aus der Krise zu finden. Die Situation müsse entschärft werden, sagte der Oppositionspolitiker Nika Melia und bekräftigte zugleich seine Forderung nach Neuwahlen, welche die Regierungsfraktion aber vehement ablehnt. Zuletzt hatte sich die Lage zugespitzt, weil Melia in Untersuchungshaft genommen werden sollte. Ihm wird die versuchte Erstürmung des Parlaments 2019 vorgeworfen. Verhandlungen mit der Opposition seien notwendig, sagte Garibaschwili, "aber nicht mit diesen Verbrechern" (Standard 22.2.2021).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen (EDA 28.7.2020). Die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen und die hohe Arbeitslosigkeit haben zu einem Anstieg der allgemeinen Kriminalität beigetragen, die jedoch immer noch niedriger ist, als in vielen europäischen Ländern (MSZ o.D.; vgl. EDA 28.7.2020).

Im Dezember 2017 führte eine Reihe von Operationen georgischer Spezialkräfte in der Hauptstadt und im Pankisi-Tal [Munizipalität Achmeta, Region Kachetien] zur Verhaftung von Militanten, die beschuldigt wurden, an Terroranschlägen im Ausland beteiligt gewesen zu sein und Berichten zufolge beabsichtigten, Ziele auf georgischem Boden anzugreifen (MAECI 27.1.2021). Die politische Lage ist polarisiert (SZ 18.2.2021).

Die Situation an der De-facto-Grenze zwischen Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien ist seit dem georgisch-russischen Krieg im August 2008 weitgehend ruhig. Doch bleibt die Lage angesichts der Unvereinbarkeit der Positionen und der zahlreichen Behinderungen des kleinen Grenzverkehrs angespannt. Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion. Seit dem August-Krieg 2008 stellt Moskau finanzielle Unterstützung für die sozio-ökonomische Entwicklung und die Infrastruktur bereit und gewährt der abchasischen und südossetischen Bevölkerung Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft. Russland unterhält weiterhin Stützpunkte und Truppen in Abchasien und Südossetien, darunter zwischen 3.000 und 4.000 Soldaten sowie Grenzschutztruppen des Inlandsgeheimdienstes FSB, welche die Demarkationslinien (administrative border lines – ABL) zum georgischen Kernland sichern. Zwischen Tiflis und den De-facto-Regierungen in Sochumi und Zchinwali bestehen keine offiziellen bilateralen Kontakte. Einziges Forum zum Austausch auf hochrangiger politischer Ebene sind die vierteljährlichen internationalen Gespräche im Rahmen des Genfer Prozesses. Trotzdem hat Georgien seit 2012 seine Politik der Isolation Abchasiens und Südossetiens aufgegeben und bemüht sich um Kooperation auf humanitärer Ebene. Dazu zählt etwa das Angebot, der abchasischen und südossetischen Bevölkerung den kostenfreien Zugang zum georgischen Bildungs- und Gesundheitssystems zu ermöglichen (bpb 26.8.2020; vgl. ACLED 2.2020).

Aus Sicht Abchasiens und Südossetiens ist der politische Status ihrer Gebiete endgültig geklärt. Sie lehnen Verhandlungen mit Georgien über eine gemeinsame Staatlichkeit ab und verfolgen den Aufbau bilateraler Beziehungen unter Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Die Regierung in Tiflis pocht dagegen auf die Wahrung der territorialen Integrität Georgiens. Sie versucht, ihre guten Beziehungen zur EU und den USA zu nutzen, aber auch multilaterale Foren wie die UNO, um ihrer Position Nachdruck zu verschaffen (bpb 26.8.2020). Gemäß dem georgischen Gesetz über "besetzte Gebiete" vom 23. Oktober 2008 sind die Gebiete der Autonomen Republik Abchasien und der Region Zchinwali (Südossetien) als "besetzt" zu betrachten (MAECI 27.1.2021).

Wegen Zugangsbeschränkungen gibt es nur wenige Informationen über die humanitäre Lage und Menschenrechtslage in Abchasien und Südossetien (US DOS 11.3.2020). Der EU-Sonderbeauftragte für den Südkaukasus und die EU-Beobachtermission (EUMM) unterstützen aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung (EC 5.2.2021). Obwohl der EUMM der Zutritt zu Abchasien und Südossetien verwehrt bleibt, und es weiterhin zu Zwischenfällen kommt, konnte bisher ein Wiederaufflammen der bewaffneten Auseinandersetzungen verhindert werden (bpb 26.8.2020).

NGOs und Menschrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Zivilgesellschaft ist robust (FH 3.3.2021). Menschenrechtsorganisationen und andere Nichtregierungsorganisationen (NRO) können sich ohne Probleme registrieren und ihre Arbeit durchführen; ohne jede staatliche Behinderung ermitteln, öffentlich Ergebnisse präsentieren und Kritik äußern. Sie werden in der Öffentlichkeit gut wahrgenommen und können auch Einfluss auf die politische Willensbildung ausüben (AA 17.11.2020; vgl. EC 5.2.2021, US DOS 11.3.2020). Während manche NGOs in die politischen Diskussionen einbezogen werden (FH 3.3.2021; vgl. AA 17.11.2020, EC 5.2.2021, US DOS 11.3.2020), berichten andere, dass sie unter Druck stehen, vor allem in Form von öffentlicher Kritik von Regierungsbeamten aber auch seitens der Opposition (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Trotz der Schwäche der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Bezug auf die Zahl der Mitglieder und der Abhängigkeit von finanziellen Zuwendungen aus dem Ausland spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Formulierung der staatlichen Politik und der Aufsicht. Über die von der EU unterstützten Nationalen Plattform des Forums der Zivilgesellschaft hat Letztere die Möglichkeit, ihre Anliegen auf internationaler Ebene zu äußern (BS 29.4.2020; vgl. EC 5.2.2021). Die Zivilgesellschaft ist weiterhin sehr aktiv, wenn es darum geht, öffentliche Institutionen, auch bis zu einem gewissen Grad auf lokaler Ebene, zur Rechenschaft zu ziehen (EC 5.2.2021).

Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie spielte die Zivilgesellschaft mehr denn je eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Bedürftigen (EC 25.2.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Artikel 7 der georgischen Verfassung verpflichtet den Staat zu Anerkennung und Schutz der universellen Menschenrechte; sie sind direkt anwendbares Recht für Staat und Bürger. Einzelne Menschenrechte sind explizit in eigenen Verfassungsartikeln aufgeführt. Mit dem Büro des Public Defenders (Ombudsperson), aber auch dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments bestehen weithin bekannte Institutionen und Beschwerdeeinrichtungen. Auch Staatsanwaltschaft und Gerichte, die in Georgien an Unabhängigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen haben, werden zunehmend zur Wahrung individueller Rechte in Anspruch genommen. Darüber hinaus können lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen ohne jede staatliche Behinderung ermitteln und öffentlichkeitswirksam Ergebnisse präsentieren und Kritik äußern. Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten werden vom Staat weitgehend geachtet und gestärkt. Die Lage der Menschenrechte hat sich weiter den internationalen Standards angenähert und in vielen Bereichen einen guten Stand erreicht. In einigen Bereichen der Gesellschaft sind insbesondere Minderheitenrechte wenig akzeptiert, sodass Minderheiten mit Benachteiligung und Diskriminierung rechnen müssen. Vereinzelt kommt es auch zu gewalttätigen Handlungen. Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und im Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann (AA 17.11.2020).

Beim Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es systemische Probleme. Seit Jahren wird die georgische Regierung immer noch für politische Verfolgung und politische Inhaftierung verantwortlich gemacht. Die Bedrohung durch Informationsmanipulation und Radikalisierung im polarisierten Medienumfeld nehmen zu. Der Schutz der Rechte verschiedener Minderheitengruppen und die Umsetzung von Gleichberechtigung gehören immer noch zu den größten Herausforderungen im Lande. Ungeachtet der positiven Gesetzesänderungen der letzten Jahre und der verstärkten Reaktion auf die begangenen Verbrechen, ist die Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt immer noch eine große Herausforderung in der georgischen Gesellschaft. Die Lage von Menschen mit Behinderungen ist immer noch ernst. Ethnische und religiöse Minderheiten sowie Angehörige sexueller Minderheiten sind immer noch Gegenstand von systemischer Diskriminierung und Stigmatisierung (HRC 2021; vgl. US DOS 11.3.2020). In Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden nicht dominante und bereits marginalisierten Gruppen aus dem Anti-Krisen-Aktionsplan ausgeschlossen. Die Krise wird vermutlich einen schweren und langfristigen Einfluss auf die Durchsetzung der Gleichstellungspolitik haben (HRC 2021). Die Straffreiheit bei Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 13.1.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Georgien ist weiterhin, trotz der COVID-19-bedingten Herausforderungen, der Umsetzung, den Verpflichtungen und Zusagen des EU-Assoziierungsabkommens verpflichtet. Die Angleichung an die europäischen Standards im Bereich der Menschenrechte wurde auch 2020 im Großen und Ganzen fortgesetzt. Verbesserungen 2019/2020 konzentrierten sich auf die Entwicklung und Umsetzung einer neuen Menschenrechtsstrategie, die insbesondere auf die Rechte des Kindes, häusliche Gewalt und die Inklusion von Mitgliedern gefährdeter Gruppen/Minderheiten abzielt (EC 5.2.2021).

Es kommt weiterhin zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen in den separatistischen Regionen Georgiens (HRC 2021; vgl. US DOS 11.3.2020), darunter rechtswidrige oder willkürliche Tötungen und Inhaftierungen (US DOS 11.3.2020).

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung: 29.03.2021

Gesetzlich sind Frauen den Männern gleichgestellt und genießen auch im öffentlichen Leben die gleichen Rechte, die sie aber aufgrund gesellschaftlicher Traditionen und Konventionen, ungeachtet gleich hohen Bildungsstandes, nicht immer ausüben können (AA 17.11.2020; vgl. FH 3.3.2021). Die Gleichstellung der Geschlechter stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Frauen zählen zu den vulnerabelsten Gruppen (PD 2.4.2020).

Gewalt gegen Frauen ist weiterhin ein ernstes Problem und zählt derzeit zu den wichtigsten Menschenrechtsthemen der Regierung. Fälle häuslicher Gewalt werden von der Gesellschaft und den Behörden meist als interne Familienangelegenheit betrachtet. Die Bereitschaft, dagegen Maßnahmen zu ergreifen, nimmt jedoch weiterhin zu (AA 17.11.2020; vgl. HRC 2021, FH 3.3.2021). Der Kampf gegen häusliche Gewalt ist eine der Prioritäten der Regierung und der Staatsanwaltschaft. Jedoch trotz der Fortschritte der vergangenen Jahre ist eine effiziente Strafverfolgung immer noch herausfordernd (HRC 2021). Die Unterstützung im Rahmen der bilateralen Zuweisung zwischen Georgien und der EU für 2019 konzentrierte sich auf die Entwicklung und Umsetzung einer neuen Menschenrechtsstrategie, die insbesondere auf die Rechte des Kindes, häusliche Gewalt und die Einbeziehung von Mitgliedern gefährdeter Gruppen/Minderheiten abzielt (EC 5.2.2021).

2019 wurden 4.185 Fälle häuslicher Gewalt von den Behörden strafrechtlich verfolgt, verglichen mit 3.232 im Jahr 2018 und 1.986 im Jahr 2017. Im Jahr 2019 wurden 51% der Beschuldigten in Untersuchungshaft genommen. Laut NGOs zeigten sowohl Strafverfolgungsbehörden als auch die Staatsanwälte in Tiflis eine verbesserte Professionalität bei der Bekämpfung von Verbrechen in Verbindung mit häuslicher Gewalt (US DOS 11.3.2020). Im Jahr 2019 wurden 19 Morde an Frauen gemeldet, von denen zehn Anzeichen von häuslicher Gewalt aufwiesen. Darüber hinaus wurden 22 versuchte Morde an Frauen gemeldet, davon 18 aufgrund häuslicher Gewalt (PD 2.4.2020).

Gesetze über häusliche Gewalt schreiben die Anordnung vorübergehender Schutzmaßnahmen vor, einschließlich einstweiliger Verfügungen, die es einem Täter verbieten, sich dem Opfer für sechs Monate zu nähern und Gemeinschaftseigentum, wie beispielsweise einen Wohnsitz oder ein Fahrzeug, zu nutzen. Das Büro der Ombudsperson erklärte, dass die Opfer oft berichteten, dass sie unangemessene Antworten von Strafverfolgungsbeamten auf Verstöße gegen einstweilige Verfügungen erhielten. Seit August 2018 gilt die Verletzung einer einstweiligen Verfügung als Straftat (US DOS 11.3.2020).

Schutz vor häuslicher Gewalt kann in Frauenhäusern oder Einrichtungen für Mütter und Kinder geboten werden (AA 17.11.2020). Lokale NGOs und die Regierung betreiben gemeinsam eine 24-Stunden-Hotline und Unterkünfte für misshandelte Frauen und ihre minderjährigen Kinder. Plätze in Schutzeinrichtungen sind begrenzt und nur vier der zehn Regionen des Landes verfügen über solche Einrichtungen (US DOS 11.3.2020). Häusliche Gewalt wird oft nur mit bedingten Strafen geahndet und es gibt Fälle, in denen die Polizei versucht, zwischen Opfer und Täter zu vermitteln, anstatt eine Anzeige aufzunehmen; insbesondere wenn Täter und Polizist sich kennen (ifact 12.7.2018).

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum wurden 2019 gesetzlich definiert (US DOS 11.3.2020; vgl. PD 2.4.2020). Man findet kaum Frauen in Führungspositionen (NZZ 30.12.2020; vgl. FH 3.3.2021). Der Global-Gender-Gap-Index des World Economic Forums sah Georgien 2020 auf Rang 74 (2018: 99) von 153 Ländern in Hinblick auf die Gesamtlage der Frauen. Beim Subindex 'political empowerment' lag das Land 2020 auf Rang 94 (WEF 2020).

Im Frühjahr 2020 wurden während der COVID-19-Krise besondere Maßnahmen ergriffen, um von häuslicher Gewalt Betroffene zu unterstützen. Sie wurden von Bewegungseinschränkungen befreit und Informationen über staatliche Unterstützung wurden bereitgestellt (EC 5.2.2021; vgl. HRC 2021). Die Zahl der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt ist in dieser Zeit angestiegen (EC 5.2.2021).

Kinder

Letzte Änderung: 29.03.2021

Staatliche repressive Handlungen gegen Kinder gibt es in Georgien nicht. Jedoch ist die staatliche Unterstützung von Kindern – ob bei Bildung oder Sozialhilfe – gering. Kinderarmut wie auch Fehl- oder Unterentwicklung aufgrund Mangelernährung stellen ein großes Problem dar. Mithilfe von Kindern zum Erwerb des Familieneinkommens ist insbesondere bei ethnischen Minderheiten verbreitet und akzeptiert mit der Folge, dass die Schulpflicht vernachlässigt wird (AA 17.11.2020). Gewalt gegen Kinder im familiären Kontext, in Heimen, Pflegefamilien und Bildungseinrichtungen ist nach wie vor ein erhebliches Problem, wobei 70% der Kinder mindestens eine Methode der gewaltsamen Disziplinierung erleben. Gleichzeitig steigt das Vertrauen der Öffentlichkeit, Fälle von Gewalt den zuständigen Behörden zu melden (EC 5.2.2021; vgl. AA 17.11.2020).

Die Zahl der Fälle von Selbstmord und Selbstmordversuchen unter Jugendlichen hat im Jahr 2019 im Vergleich zu den Vorjahren zugenommen. Der Schutz vor sexuellem Missbrauch in Gemeinschaftsunterkünften ist von entscheidender Bedeutung. Die Schulabbrecherquote ist hoch; Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten, oder Kinder, die in jungen Jahren beschäftigt, verheiratet oder in die Arbeitswelt eingebunden sind, sind besonders gefährdete Gruppen. Die staatliche Fürsorge für Kinder in Internaten, die nach religiösen Bekenntnissen arbeiten, bleibt ein Problem. Die hohe Kinderarmutsrate zeigt weiterhin, dass die staatliche Politik nicht auf die Beseitigung der Armut ausgerichtet ist; staatliche Programme können die Bedürfnisse von Familien, die in Armut leben, nicht voll befriedigen (PD 2.4.2020).

Mit 1.9.2020 ist das Gesetz über die Kinderrechte in Kraft getreten. Es hat positive Auswirkungen auf die Situation der Kinder. Mit dem Gesetz wurde die Aufsichtsrolle des Pflichtverteidigers bei der Beurteilung des Rechtsstatus von Kindern gestärkt. Die Justiz gewährt kostenlose Rechtshilfe und spezialisierte Personen werden für die Arbeit mit Kindern ausgebildet. Bildungseinrichtungen wurde die Pflicht auferlegt, Kinder über ihre Rechte und Mechanismen zu ihrem Schutz zu informieren. Ein ständiger parlamentarischer Rat für den Schutz der Kinderrechte wurde in der Legislative eingerichtet, um die Arbeit zwischen den Behörden zu koordinieren. In Übereinstimmung mit dem Gesetz kann nur ein Richter die Frage der Trennung eines Kindes von seiner Familie, und nur im Falle einer extremen Notlage, entscheiden. Nach dem neuen Gesetz ist der Staat dafür verantwortlich, sozial bedürftige Familien mit bedarfsgerechter finanzieller Unterstützung zu versorgen. Außerdem müssen bei Bedarf Sozialarbeiter und Psychologen die Eltern bei der Erziehung unterstützen (HRC 2021; vgl. EC 5.2.2021, GE-Pr 20.9.2019).

Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung beträgt für beide Geschlechter 18 Jahre. Die Zwangsverheiratung von Minderjährigen unter 18 Jahren wird mit zwei bis vier Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Im Jahr 2019 untersuchte mit Stand 12.12.19 das Büro der Ombudsperson 43 Fälle von Verheiratung Minderjähriger, verglichen mit 45 im Jahr davor. Im Jahr 2018 startete das Innenministerium eine Informationskampagne gegen Kinderehen. Berichten zufolge kommt es bei bestimmten ethnischen und religiösen Gruppen häufiger zu Kinderehen (US DOS 11.3.2020).

Die Kinderbetreuung ist nicht vollständig deinstitutionalisiert. Zwei große staatliche Einrichtungen sind weiterhin in Betrieb und beherbergen etwa 80 Kinder mit schweren und mehrfachen Behinderungen. Die Regierung hat spezialisierte familienähnliche Dienste entwickelt und zwei solcher Einrichtungen eingeführt. Die Mechanismen für spezialisierte Pflegedienste für Kinder mit komplexen Behinderungen und Bedürfnissen wurden verstärkt. Über 900 Kinder leben in 38 unregulierten Einrichtungen, hauptsächlich Internaten, die von lokalen Gemeinden, der georgisch-orthodoxen Kirche und muslimischen Gemeinden finanziert und betrieben werden (EC 5.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020). Das effektive Funktionieren des Koordinationsmechanismus, der sich mit der Deinstitutionalisierung befasst, wurde durch die COVID-19-Pandemie behindert (EC 5.2.2021). Die Regierung gewährt Zuschüsse für die Hochschulbildung von Kindern in Heimen und Pflegefamilien, einschließlich einer vollständigen Deckung der Studiengebühren und eines Stipendiums, und leistet Soforthilfe für Pflegefamilien (US DOS 11.3.2020).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde der Schulbetrieb zeitweise eingeschränkt. Aufgrund mangelnden Internetzugangs hatten zehntausende Kinder auch nur eingeschränkten Zugang zur Fernlehre (Jam 23.1.2021).

Grundversorgung

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet (AA 17.11.2020). Die staatliche Sozialhilfe liegt bei GEL 220 [ca. EUR 55] im Monat. Die Rentensätze für Personen unter 70 Jahre liegen bei 220 Georgischen Lari [GEL; ca. 55 Euro] im Monat. Rentner über 70 Jahre erhalten aktuell zwischen 250 und 300 GEL [ca. 62 bis 75 Euro]. Zum Erhalt müssen die Personen seitens der Behörden als bedürftig eingestuft werden. Die soziale Absicherung erfolgt in aller Regel durch den Familienverband. Eine große Rolle spielen die Geldtransfers der georgischen Diaspora im Ausland (AA 17.11.2020).

Trotz der beachtlichen wirtschaftlichen Entwicklung seit 2003 sind große Teile der georgischen Bevölkerung unterbeschäftigt oder arbeitslos. Etwa 20 % der Georgier leben in Armut. Vor allem die Bewohner der ländlichen Bergregionen sind betroffen, aber auch städtische Arbeitslose sowie zumeist in Isolation lebende Binnenvertriebene und Alleinerzieherinnen. Ländliche Armut führt meist zu Landflucht oder Emigration. Die Rücküberweisungen von saisonalen und permanenten Auslandsmigranten machen einen nennenswerten Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus (ADA 8.2020).

Die meisten Arbeitsplätze gibt es im Groß- und Einzelhandel sowie in Autowerkstätten, im Kleinwarengeschäft, in der Industrie und im Bauwesen (IOM 2019). Viele Pensionisten sind noch erwerbstätig, da die Pension alleine zum Überleben nicht ausreicht. Dagegen ist die Arbeitslosigkeit unter den 15-25-Jährigen recht hoch. Die meisten Erwerbstätigen befinden sich im Alter von 40 bis 60 Jahren (IOM 2019). Das Durchschnittseinkommen (nominal) der unselbstständig Beschäftigten lag im dritten Quartal 2020 bei den Männern bei GEL 1.472,5 [rund EUR 370] und bei den Frauen bei GEL 978,1 [rund EUR 245] (GeoStat 2021b).

Die COVID-19-Pandemie hatte verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft (HRW 13.1.2021; vgl. KP 11.2.2021, ADA 8.2020) Statt der ursprünglich prognostizierten Steigerung des Brutto-Inlands-Produktes (BIP) um 4,3 % wurde am Jahresende schließlich ein Rückgang um 5,1 % des BIP vermeldet (KP 11.2.2021). Allein im zweiten Quartal 2020 schrumpfte das BIP um über 16 % (HRW 13.1.2021) Der Tourismus, der in den letzten Jahren stark gewachsen war und für rund 20 % des georgischen BIP verantwortlich ist, kam völlig zum Erliegen (KfW 3.6.1010). Die Zahl der internationalen Besucher Georgiens sank im Jahr 2020 um 80 % im Vergleich zum Vorjahr (KP 11.2.2021).

Es kam 2020, im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, zu einem Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut (HRW 13.1.2021; vgl. ADA 8.2020, GeoStat 2021a). Die Arbeitslosigkeit lag im 4. Quartal 2020 im urbanen Raum bei 22,2 % (verglichen mit 16,6 % im 4. Quartal 2019). Im ländlichen Raum lag die Arbeitslosigkeit im 4. Quartal 2020 bei 17,7 % (verglichen mit 16,7 % im 4. Quartal 2019) (GeoStat 2021a). Die hohe Zahl Erwerbstätiger in ländlichen Geg

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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