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19/05 Menschenrechte;Norm
AufG 1992 §2 Abs3 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des H in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Mai 1995, Zl. 113.240/3-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Mai 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 12. April 1994 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufG) und § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz (FrG) abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, daß gemäß § 6 Abs. 2 AufG der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen sei. Nach der auch auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers beruhenden Aktenlage sei der vorliegende Erstantrag von seinem Lebensgefährten bei der Botschaft Preßburg eingebracht worden.
Zum Abweisungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG führte die belangte Behörde aus, es stehe fest, daß der Beschwerdeführer seit 11. Mai 1993, dem Ablauf seines letzten gültigen Sichtvermerkes, über keine gültige Aufenthaltsbewilligung verfüge und somit seit mehr als zwei Jahren keinen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des § 15 Abs. 1 FrG im Bundesgebiet nehme. Damit liege ein zwingender Sichtvermerksversagungsgrund vor und es könne ihm keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Die öffentlichen Interessen überwögen auch aufgrund der unzulässigen Antragstellung daher seine privaten Interessen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als diesem nicht klar entnommen werden kann, ob die Behörde mit der Begründung, der vorliegende Erstantrag sei vom Lebensgefährten des Beschwerdeführers bei der Botschaft Preßburg eingebracht worden, auch zum Ausdruck bringen möchte, daß sich der Beschwerdeführer selbst bei Antragstellung nicht im Ausland befunden habe, sondern er selbst zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland aufhältig gewesen sei.
Wollte die belangte Behörde diesen Sachverhalt zum Ausdruck bringen, so ist sie - auch im Hinblick auf das fortgesetzte Verfahren - darauf hinzuweisen, daß sie schon zum Zeitpunkt der Entscheidung (Bescheiderlassung am 1. Juni 1995) § 6 Abs. 2 AufG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 anzuwenden hatte. Der erste Satz dieser Bestimmung ordnet an, daß der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen ist. Nach ihrem dritten Satz ist eine Antragstellung im Inland ausnahmsweise ua. für jene im Bundesgebiet aufhältigen Personen zulässig, für welche dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG festgelegt ist. Die letztgenannte Bestimmung sieht ua. vor, daß die Bundesregierung in der gemäß § 2 Abs. 1 AufG zu erlassenden Verordnung über die Anzahl der Bewilligungen für ein bestimmtes Jahr Inhaber eines Befreiungsscheines, die eine Aufenthaltsbewilligung hatten, insoweit von der Anrechnung auf die Zahl der Bewilligungen ausnehmen kann, als dadurch das Ziel der Zuwanderungsregelung nicht beeinträchtigt wird.
Diese Verordnungsermächtigung hat die Bundesregierung mit der am 27. Juni 1995 ausgegebenen Verordnung BGBl. Nr. 408/1995 auch genutzt. Zwar stand diese Verordnungsbestimmung im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Bescheides noch nicht in Kraft, doch hätte die belangte Behörde - wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. Oktober 1996, Zl. 95/19/0490, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - mit näherer Begründung ausgesprochen hat, in einem solchen Fall Art. 8 MRK unmittelbar anzuwenden gehabt. Aufgrund der sich im gegenständlichen Verwaltungsakt behaupteten schwerwiegenden persönlichen und familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu Österreich (der Beschwerdeführer lebe und arbeitete seit März 1970 in Österreich, vier seiner ehelichen Kinder seien in Österreich geboren worden und lebten hier, er lebe seit 1983 in Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und bewohne mit dieser und einem Sohn eine Wohnung in Österreich; er sei im Besitz eines Befreiungsscheines, welcher zuletzt mit Bescheid des Arbeitsamtes St. Pölten vom 29. März 1993 bis 11. Mai 1998 verlängert worden sei) war der Beschwerdeführer im Hinblick auf das zitierte hg. Erkenntnis und die darin zitierte Rechtsprechung beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes berechtigt, den gegenständlichen Antrag vom Inland aus zu stellen, zumal er während der Gültigkeitsdauer seines letzten Sichtvermerkes (dieser lief am 11. Mai 1993 ab) über einen Befreiungsschein verfügte (vgl. die mit Bescheid vom 29. März 1993 erteilte Verlängerung des Befreiungsscheines ab 12. Mai 1993 bis 11. Mai 1998).
Hinsichtlich der auf das Vorliegen des Sichtvermerksversagungsgrundes des § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zielenden Ausführungen der belangten Behörde kann es dahingestellt bleiben, ob die bloße Tatsache des unerlaubten Aufenthaltes (bei der auch zu berücksichtigen wäre, daß der Beschwerdeführer nach Ablauf des letztgültigen Sichtvermerkes am 11. Mai 1993 am 3. August 1993 einen Antrag auf Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz eingebracht hat, welcher mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 14. Dezember 1993 "zurückgewiesen" worden sei, weil der Antrag vom Ausland aus hätte gestellt werden müssen, und der Beschwerdeführer am 12. April 1994 den gegenständlichen Antrag gestellt hat) hinreicht, eine Prognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG, nämlich daß der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, überhaupt zulässigerweise zu stellen. Denn jedenfalls ist bei einer auf diesen Sichtvermerksversagungsgrund gestützten Entscheidung auf die persönlichen und familiären Verhältnisse des Fremden im Sinne des Art. 8 MRK einzugehen. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid die - bereits oben erwähnten - massiven persönlichen und familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu Österreich nicht erwähnt, sondern sich mit dem bloßen Satz "Die öffentlichen Interessen überwiegen auch aufgrund der unzulässigen Antragstellung daher Ihre privaten Interessen" begnügt. Sie hat damit in Wahrheit keine Interessenabwägung durchgeführt. Damit hat sie den angefochtenen Bescheid auch mit einer - prävalierenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 1995, Zl. 95/18/0826), weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995190404.X00Im RIS seit
02.05.2001