TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/3 95/19/0490

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Veröffentlicht am 03.10.1996
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 idF 1995/351 §2 Abs3 Z4;
AufG 1992 idF 1995/351 §3 Abs1 Z2;
AufG 1992 idF 1995/351 §6 Abs2;
AufG Anzahl der Bewilligungen 1995 §3 Z1;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der ND, vertreten durch den Vater MD, beide in S, letzterer vertreten durch Rechtsanwalt Dr. K in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Mai 1995, Zl. 112.993/3-III/11/95, betreffend Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Mai 1995 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 25. August 1994 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung sei gemäß § 6 Abs. 2 AufG vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Diese Voraussetzung habe die Beschwerdeführerin, die sich seit mehreren Jahren illegal im Bundesgebiet aufhalte, nicht erfüllt. Aus diesem Grund sei die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen. Auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin - auch im Zusammenhang mit ihren persönlichen Verhältnissen - sei nicht weiter einzugehen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin verweist auf ihre Antragsbehauptung, sie sei am 5. August 1991 in Österreich geboren, sowie darauf, daß ihr aufgrund des im Verwaltungsverfahren erbrachten Nachweises, wonach ihre Mutter seit 8. Juni 1990 über einen unbefristeten Wiedereinreisesichtvermerk verfüge, gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zustehe. Zwar könne der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie vermeine, daß ein Erstantrag grundsätzlich vom Heimatstaat aus gestellt werden müsse. Im Hinblick auf die durch Art. 8 Abs. 1 MRK geschützten familiären Interessen der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern stelle es eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung dar, wenn die Familie aufgrund der Elternschaft mit dem neugeborenen Kind das Bundesgebiet zu verlassen gehabt hätte, um für das neugeborene Kind vom Ausland aus einen Antrag auf Aufenthaltsbewilligung stellen zu können.

Im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am 16. Juni 1995 hatte die belangte Behörde § 6 Abs. 2 AufG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 anzuwenden. Der erste Satz dieser Bestimmung ordnet an, daß der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen ist. Nach ihrem dritten Satz ist eine Antragstellung im Inland ausnahmsweise für jene im Bundesgebiet aufhältige Personen zulässig, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG festgelegt ist. Die letztgenannte Bestimmung sieht vor, daß die Bundesregierung in der gemäß § 2 Abs. 1 AufG zu erlassenden Verordnung über die Anzahl der Bewilligungen für ein bestimmtes Jahr in Österreich geborene Kinder von Fremden (§ 3 Abs. 1 Z. 2 AufG) insoweit von der Anrechnung auf die Zahl der Bewilligungen ausnehmen kann, als dadurch das Ziel der Zuwanderungsregelung nicht beeinträchtigt wird.

Diese Verordnungsermächtigung hat die Bundesregierung mit der am 27. Juni 1995 ausgegebenen Verordnung BGBl. Nr. 408/1995 genutzt, nach deren § 3 Z. 1 in Österreich geborene Kinder von Fremden, die (u.a.) aufgrund eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerks zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind, den Antrag ausnahmsweise im Inland stellen können. Diese Verordnungsbestimmung stand jedoch im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Bescheides noch nicht in Kraft.

Die für die Entscheidung der belangten Behörde maßgeblichen, nicht im Verfassungsrang stehenden generellen Normen nahmen daher, anders als nach Inkrafttreten der in Rede stehenden Verordnung (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 96/19/0161), auf die durch Art. 8 Abs. 1 MRK geschützten familiären Interessen des Fremden bei Anwendung des § 6 Abs. 2 erster Satz AufG noch nicht Bedacht. Daher hatte die belangte Behörde Art. 8 MRK unmittelbar anzuwenden; ein Eingriff in das durch dessen Abs. 1 geschützte Familienleben der Beschwerdeführerin wäre nur aus den in seinem Abs. 2 umschriebenen Gründen zulässig (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 1995, B 1611-1614/94, und vom 29. Juni 1995, B 2688/94, denen sich der Verwaltungsgerichtshof etwa im hg. Erkenntnis vom 29. Februar 1996, Zl. 95/18/0759, angeschlossen hat).

Schon durch die Schaffung der Verordnungsermächtigung in § 6 Abs. 2 letzter Satz AufG (in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG) für in Österreich geborene Kinder von Fremden, die die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG erfüllen, hat der Gesetzgeber der AufG-Novelle 1995 zu erkennen gegeben, daß den in Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Bestimmung des § 6 Abs. 2 erster Satz AufG gegenüber den spezifischen familiären Interessen dieser Kinder jedenfalls dann geringeres Gewicht zukommt, wenn - nur dadurch ist die Verordnungsermächtigung eingeschränkt - durch deren Ausnahme von der Anrechnung auf die Zahl der Bewilligungen das Ziel der Zuwanderungsregelung nicht beeinträchtigt wird.

Eine solche Beeinträchtigung nahm die Bundesregierung bei Erlassung der Verordnung BGBl. Nr. 408/1995 am 27. Juni 1995 offenbar nicht an. Feststellungen dahin, daß die hiefür maßgeblichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 16. Juni 1995 andere gewesen sind, wurden im angefochtenen Bescheid nicht getroffen.

Aufgrund dieser Erwägungen beruht die Annahme der belangten Behörde, die oben wiedergegebenen Behauptungen der Beschwerdeführerin zu ihren persönlichen Verhältnissen seien belanglos, auf einem Rechtsirrtum. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995190490.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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