TE Bvwg Beschluss 2021/10/19 W254 2247223-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

19.10.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
SchPflG 1985 §11 Abs2
SchPflG 1985 §11 Abs3
StGG Art17
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W254 2247223-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA über die Beschwerde von XXXX , als gesetzliche Vertreterin der mj. Schülerin XXXX , gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Oberösterreich vom 21.09.2021, Zl. Präs/3a-103-2/331-2021 den Beschluss:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Oberösterreich zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit einem von der belangten Behörde aufgelegten Formular zeigte die Beschwerdeführerin am 06.09.2021 die Teilnahme ihrer am XXXX geborenen Tochter, XXXX (Kind) am häuslichen Unterricht an. Als Beruf der Mutter wurde Tagesmutter angeführt.

2. Mit dem bekämpften Bescheid untersagte die belangte Behörde den angezeigten häuslichen Unterricht für das Schuljahr 2021/2022. In Spruchpunkt 2. des Bescheides wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen.

Begründend wird ausgeführt, dass aus der eingeholten Stellungnahme der Kinder- und Jugendhilfe hervorgehe, dass nicht bekannt sei, wie die Beschulung der Tochter zu Hause mit der Tätigkeit als Tagesmutter in Einklang zu bringen sei. Es werde angezweifelt, ob eine Gleichwertigkeit gegeben sei. Die Kinder- und Jugendhilfe empfehle einen regelmäßigen Schulbesuch, um soziale Kontakte und soziales Lernen zu ermöglichen. Die Bildungsdirektion habe keinen Anlass, diese Stellungnahme in Zweifel zu ziehen.

3.       Mit Schreiben vom 04.10.2021 erhob die Beschwerdeführerin die verfahrensgegenständliche Beschwerde. Begründend führte sie aus, dass die belangte Behörde ein amtswegiges Ermittlungsverfahren nicht durchgeführt habe. Insbesondere habe sie es verabsäumt Parteiengehör einzuräumen. Die Behörde habe lediglich die Stellungnahme der Kinder- und Jugendhilfe übernommen und habe den relevanten Sachverhalt nicht ermittelt. Aus dieser Stellungnahme gehe auch lediglich hervor, dass nicht bekannt sei, wie die Beschwerdeführerin den Heimunterricht bewerkstellige. Die belangte Behörde habe daher auch gegen die ihr auferlegte Begründungspflicht verstoßen. Der Bescheid sei willkürlich und rechtswidrig. Der häusliche Unterricht könne nur untersagt werden, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass die Gleichwertigkeit des Unterrichts nicht gegeben sei. Dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, welche Gründe für und gegen die Gleichwertigkeit sprächen und welche dieser Gründe nach Ansicht der Behörde weitaus überwiegten.

Weiters beantragte die Beschwerdeführerin, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

4. Einlangend mit 11.10.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin zeigte am 06.09.2021 die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2021/2022 an. Das Schuljahr in Oberösterreich hat am 13.09.2021 begonnen.

Im behördlichen Verfahren wurden notwendige Ermittlungen des Sachverhalts nicht einmal ansatzweise geführt. Ein abschließender, für die Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Rechtslage relevanter Sachverhalt konnte nicht festgestellt werden. Die Bildungsdirektion für Oberösterreich unterließ insbesondere Ermittlungen zur Gleichwertigkeitsprüfung.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten rudimentären Verwaltungsakt. Neben dem bekämpften Bescheid besteht der Akt, abschließend aufgezählt, aus dem Schülerstammblatt, dem verfahrensmaßgeblichen Antragsformular der Beschwerdeführerin, der Stellungnahme der Kinder- und Jugendhilfe Vöcklabruck (die vor allem die Schwester XXXX betrifft) und der Bescheidbeschwerde.

Die Feststellungen zum rechtserheblichen Sachverhalt konnten aufgrund der Aktenlage nicht erfolgen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten kommt im Verfahren nach dem Schulpflichtgesetz Parteistellung zu (siehe Jonak/Kövesi Das Österreichische Schulrecht14, Anm. 2 zu § 6 SchPflG, S. 491).

3.2. Zu A)

3.2.1. Art. 17 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG), RGBl. Nr. 142/1867, garantiert die Freiheit des häuslichen Unterrichts auf jedem theoretischen Wissensgebiet ohne jede Beschränkung (vgl. VfGH Slg. Nr. 4579 und 4990). Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die Erteilung häuslichen Unterrichts irgendwelchen Beschränkungen zu unterwerfen. Die Regelungen des Schulpflichtgesetzes beziehen sich daher ausschließlich auf die Frage, ob ein Kind durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht bereits seine Schulpflicht erfüllt, oder ob es dazu des Besuches einer allgemeinen Pflichtschule bedarf (vgl. VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332 m.w.N.).

Nach § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen den Polytechnischen Lehrgang – mindestens gleichwertig ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. haben die Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte die Teilnahme ihres Kindes am häuslichen Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß Abs. 2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist.

3.2.2. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73 f.).

Bescheide, in denen die Behörde nicht in eindeutiger Weise aufzeigt, von welcher konkreten Sachverhaltsannahme sie ausgegangen ist und worauf sich die getroffenen Tatsachenfeststellungen in Einzelnen stützen, sind mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 60, insb. Rz 35ff mwN).

Die belangte Behörde hat keine entscheidungsrelevanten Feststellungen getroffen und somit willkürlich die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2021/2022 untersagt. Eine Abwägung der Gründe, die für oder gegen eine Teilnahme am häuslichen Unterricht sprechen, nahm die Bildungsdirektion für Oberösterreich überhaupt nicht vor. Das Begründungselement, wonach nicht bekannt ist, wie die Mutter aufgrund der Tätigkeit als Tagesmutter die Beschulung der Tochter zu Hause in Einklang bringen soll, erfüllt nicht die Anforderungen an einen Bescheid. Es wäre die Aufgabe der Behörde gewesen, diese Zweifel an der Vereinbarkeit von Beruf und Häuslichen Unterricht nicht im Raum stehen zu lassen, sondern Ermittlungen dahingehend zu tätigen. Es fehlen wesentliche Ermittlungsergebnisse (etwa Arbeitsauslastung der Mutter, Strukturierung des Unterrichts), um die Gleichwertigkeit des Unterrichts beurteilen zu können. Aus dem Akteninhalt lässt sich nicht nachvollziehen, weshalb der Unterricht als nicht gleichwertig angesehen wird, die belangte Behörde geht dabei ohne nähere Beweisaufnahme von bloßen Annahmen aus.

3.2.3. Da somit die erforderlichen entscheidungswesentlichen Feststellungen nicht getroffen wurden, ist der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Oberösterreich zurückzuverweisen.

3.2.4. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchzuführen haben und iSd § 11 Abs. 3 SchPflG festzustellen haben, ob mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, ob der häusliche Unterricht in der geplanten Form, die gesetzlich geforderte Gleichwertigkeit aufweist. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, das die Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichtes im Vergleich zu dem in einer öffentlichen Schule nicht gegeben ist, wenn gewichtigere Gründe gegen die Gleichwertigkeit sprechen als für die Gleichwertigkeit. Ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der häusliche Unterricht dem an einer im § 5 Schulpflichtgesetz 1962 genannten Schule nicht gleichwertig ist, dann steht es im freien Ermessen der belangten Behörde, die Teilnahme am häuslichen Unterricht zu untersagen (siehe VwGH vom 25.02.1971, 2062/70).

3.2.5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG Abstand genommen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war. Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (siehe VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127; 27.03.2019, Ra 2019/10/0017, jeweils m.w.N.).

3.2.6. Mit der gegenständlichen Aufhebung des angefochtenen Bescheides erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über die aufschiebende Wirkung.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - unter Punkt 3.2. dargestellten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Gleichwertigkeit häuslicher Unterricht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W254.2247223.1.00

Im RIS seit

11.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten