RS Vfgh 2021/9/25 UA6/2021

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 25.09.2021
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art30 Abs3
B-VG Art53 Abs3
B-VG Art138b Abs1 Z7
VO-UA §6, §9, §11, §20, §21, §23
InformationsordnungsG §2, §4, §13, §18, §19, §20
InformationsV betr den Umgang mit klassifizierte und nicht-öffentliche Informationen im Nationalrat und Bundesrat
VfGG §7 Abs1, §56i

Leitsatz

Zurückweisung einer Beschwerde betreffend den Umgang mit Chatprotokollen des Mobiltelefons des Beschwerdeführers durch den Ibiza-Untersuchungsausschuss mangels zulässigen Beschwerdegegenstands bzw -vorbringens; keine Ermächtigung bzw Verpflichtung des Vorsitzenden und des Verfahrensrichters, bestimmte – von informationspflichtigen Organen vorgelegte – Akten und Unterlagen (Chatprotokolle) auf deren abstrakte Relevanz zu prüfen und von der Verteilung an Mitglieder des Untersuchungsausschusses auszunehmen; Unzulässigkeit der Beschwerde gegen die Verwaltung und Verteilung der Unterlagen durch den Vorsitzenden und den Verfahrensrichter mangels Möglichkeit der Verletzung in Persönlichkeitsrechten durch dieses Verhalten; Präsident des Nationalrates für Verwaltung und Verteilung der Unterlagen nach dem InformationsordnungsG und die InformationsV zuständig; Weitergabe von Unterlagen durch einzelne Mitglieder des Untersuchungsausschusses an Außenstehende mangels Ausübung der Funktion als Nationalratsmitglied kein Beschwerdegegenstand

Rechtssatz

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, die den Mitgliedern des Ibiza-Untersuchungsausschusses vorgelegten Unterlagen, konkret (bestimmte) Chatprotokolle des Mobiltelefons des Beschwerdeführers, seien vom Untersuchungsgegenstand und vom Untersuchungszeitraum des Ibiza-Untersuchungsausschusses nicht (abstrakt) umfasst und die Verteilung der vorgelegten Unterlagen an alle Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses habe den Beschwerdeführer in den von ihm bezeichneten Persönlichkeitsrechten verletzt, betrifft keinen zulässigen Beschwerdegegenstand gemäß Art138b Abs1 Z7 B-VG:

Wie der VfGH bereits in VfSlg 20303/2018 ausgesprochen hat, haben Personen, die von der Vorlage von Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss betroffen sind, kein Beschwerderecht gemäß Art138b Abs1 Z7 B-VG mit der Begründung, das vorlagepflichtige Organ habe die Akten und Unterlagen zu Unrecht (dh Akten und Unterlagen, die nicht vom Untersuchungsgegenstand umfasst sind) vorgelegt. Dem Betroffenen steht aber nach anderen Rechtsvorschriften (zB nach dem Datenschutzgesetz) die Möglichkeit offen, bei den dafür zuständigen Verwaltungsbehörden oder ordentlichen Gerichten gegen jenes Organ vorzugehen, das dem Untersuchungsausschuss behauptetermaßen zu Unrecht Akten und Unterlagen vorgelegt hat.

Soweit die von der Bundesministerin für Justiz vorgelegten Unterlagen, konkret (bestimmte) Chatprotokolle des Mobiltelefons des Beschwerdeführers, vom Untersuchungsgegenstand und vom Untersuchungszeitraum des Ibiza-Untersuchungsausschusses nicht (abstrakt) umfasst seien, handelt es sich um ein nach Art138b Abs1 Z7 B-VG unzulässiges Beschwerdevorbringen.

Gleiches gilt für die in Beschwerde gezogene - an die Vorlage der Unterlagen durch das vorlagepflichtige Organ anschließende - Verteilung der vorgelegten Unterlagen an die Mitglieder des Untersuchungsausschusses: Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Verteilung der vorgelegten Unterlagen an sämtliche Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses verletze den Beschwerdeführer in seinen Persönlichkeitsrechten, weil die darin enthaltenen Chatprotokolle des Mobiltelefons des Beschwerdeführers vom Untersuchungsgegenstand nicht (abstrakt) umfasst seien, richtet sich der Sache nach auch gegen den Umfang der Vorlage.

Die Verteilung der seitens der Bundesministerin für Justiz vorgelegten Akten und Unterlagen stellt einen internen Vorgang zwischen der zuständigen Registratur der Parlamentsdirektion und zugangsberechtigten Personen gemäß dem Informationsorganisationsgesetz dar, der nicht zum Gegenstand einer Beschwerde nach Art138b Abs1 Z7 B-VG gemacht werden kann.

Im Übrigen ist auf Folgendes hinzuweisen: Die Verwaltung der vorgelegten Akten und Unterlagen obliegt der Registratur des Nationalrates, die als Organisationseinheit der Parlamentsdirektion dem Präsidenten des Nationalrates untersteht. Die Funktion des Präsidenten des Nationalrates ist von jener des Vorsitzenden eines Untersuchungsausschusses zu unterscheiden. Art138b Abs1 Z7 B-VG sieht keine Möglichkeit vor, Persönlichkeitsrechtsverletzungen wegen des Verhaltens (in der Funktion) des Präsidenten des Nationalrates im Rahmen einer Beschwerde an den VfGH geltend zu machen.

Anders als der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde meint, lässt sich aus den in der Beschwerde angeführten Bestimmungen auch keine Ermächtigung bzw Verpflichtung des Vorsitzenden bzw des Verfahrensrichters des Untersuchungsausschusses ableiten, von informationspflichtigen Organen vorgelegte Akten und Unterlagen im Hinblick auf ihre Relevanz für den Untersuchungsgegenstand zu prüfen und gegebenenfalls von der Verteilung an die Mitglieder des Untersuchungsausschusses auszunehmen. Der Untersuchungsausschuss und seine Mitglieder haben ausschließlich zu beurteilen, ob das aufgeforderte Organ seiner Vorlageverpflichtung in genügender Weise entsprochen hat und allenfalls - bei unterschiedlicher Auffassung über den Umfang der Vorlageverpflichtung - eine Klärung beim VfGH nach Art138b Abs1 Z4 B-VG zu erwirken.

Die Beschwerde erweist sich insoweit als unzulässig, weil das bekämpfte Verhalten des Ibiza-Untersuchungsausschusses und/oder seiner Funktionäre keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten des Beschwerdeführers bewirken kann.

Soweit der Beschwerdeführer der Sache nach die (unrechtmäßige) Verwaltung und Verteilung der ihn betreffenden Unterlagen in Beschwerde zieht, wendet er sich gegen die Vorgehensweise der zuständigen Registratur bzw des Präsidenten des Nationalrates. Eine Zuständigkeit des Vorsitzenden (oder des Verfahrensrichters) eines Untersuchungsausschusses ist im Zusammenhang mit der Verwaltung und Verteilung der Akten und Unterlagen im Nationalrat nicht vorgesehen: Das Informationsordnungsgesetz und die Informationsverordnung sehen Aufgaben des Präsidenten des Nationalrates, nicht aber des Vorsitzenden (oder des Verfahrensrichters) eines Untersuchungsausschusses vor. Das Verhalten (bzw Unterlassen) des Präsidenten des Nationalrates im Rahmen seiner Aufgaben nach dem Informationsordnungsgesetz oder der Informationsverordnung kann nicht zum Gegenstand einer Beschwerde nach Art138b Abs1 Z7 B-VG gemacht werden.

Für den VfGH ist anhand des Beschwerdevorbringens nicht ersichtlich, dass der Vorsitzende oder der Verfahrensrichter des Ibiza-Untersuchungsausschusses gegen eine vom Beschwerdeführer zutreffend angeführte, diesen in ihrer Funktion als Vorsitzenden oder Verfahrensrichter obliegende Verpflichtung verstoßen haben könnten, die eine Verletzung des Beschwerdeführers in Persönlichkeitsrechten zu begründen vermag.

Die Beschwerde erweist sich insoweit als unzulässig, weil das bekämpfte Verhalten des Ibiza-Untersuchungsausschusses und/oder seiner Funktionäre keine Verletzung in Persönlichkeitsrechten des Beschwerdeführers bewirken kann.

Die Aussagen des VfGH in VfSlg 20015/2015 im Hinblick auf den Umfang des Beschwerdegegenstandes nach Art138b Abs1 Z7 litb B-VG sind auf die gerügte (und behauptete) Weitergabe von Unterlagen durch Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses an Dritte übertragbar: Das Verfahren nach Art138b Abs1 Z7 litb B-VG bezieht sich nur auf das Verhalten eines Mitgliedes des Untersuchungsausschusses "in Ausübung seines Berufes als Mitglied des Nationalrates" (vgl die Erläuterungen zu §56i VfGG). Art138b Abs1 Z7 litb B-VG ist so zu verstehen, dass nur das Verhalten eines Mitgliedes des Untersuchungsausschusses während und nicht außerhalb der Sitzungen des Untersuchungsausschusses Gegenstand im Verfahren nach Art138b Abs1 Z7 B-VG sein kann.

Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung in Persönlichkeitsrechten mit der Begründung geltend macht, dass zumindest eines von zwei namentlich genannten Mitgliedern Unterlagen, den Beschwerdeführer betreffend, an Personen außerhalb des Ibiza-Untersuchungsausschusses weitergegeben hätte, kann dieses behauptete Verhalten sohin nicht zum Gegenstand einer Beschwerde nach Art138b Abs1 Z7 B-VG gemacht werden.

Der Vollständigkeit halber weist der VfGH darauf hin, dass dem Beschwerdeführer andere Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen, zumal nach dem bestehenden Sachverhalt das behauptete Verhalten nicht in Ausübung des Berufes gemäß Art57 Abs1 B-VG erfolgt ist.

Entscheidungstexte

  • UA6/2021
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 25.09.2021 UA6/2021

Schlagworte

VfGH / Untersuchungsausschuss, Rechte höchstpersönliche, Verschwiegenheitspflicht, Ehrenbeleidigung, VfGH / Prüfungsgegenstand, Nationalrat, Datenschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:UA6.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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