TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/12 W155 1439189-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2021
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Entscheidungsdatum

12.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AVG §69 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W155 1439189-2/13E

W155 1439191-2/26E

W155 1439194-2/9E

W155 1439195-2/9E

W155 1439192-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerden von

1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. XXXX , geboren am XXXX , 4. XXXX , geboren am XXXX , und 5. XXXX , geboren am XXXX , alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.08.2018, Zahlen 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX , 4. XXXX und 5. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

III. Den Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und werden 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX 4. XXXX , und 5. XXXX , der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

IV. 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX , 4. XXXX , und 5. XXXX werden befristete Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 12.08.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


I. Verfahrensgang:

Vorverfahren:

Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist Mutter und gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen (BF2 bis BF4) sowie des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers (BF5).

Die BF1 reiste alleine spätestens am 10.03.2013 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihre vier minderjährigen Kinder, damals im Alter von ca. 9, 5, 4, und 3 Jahren überließ sie in der Obhut eines Schleppers von Griechenland nach Österreich.

Die minderjährige BF2 und der minderjährige BF5 reisten am 12.03.2013 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte die BF1 als gesetzliche Vertreterin für diese am 13.03.2013 ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz.

Die minderjährigen BF3 und BF4 reisten ca. ein Monat später, am 03.04.2013 in das österreichische Bundesgebiet und stellte die BF1 als gesetzliche Vertreterin für diese am 04.04.2013 jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

Am 11.03.2013 erfolgte die niederschriftliche Erstbefragung der BF1 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Sie gab an, dass sie Pakistan verlassen habe, weil ihr Mann schwer drogensüchtig und gewalttätig gewesen sei. Er habe sie und ihre Kinder immer geschlagen und das ganze Hab und Gut verkauft. Ihr Vater habe die Situation mitbekommen und für sie und ihre Kinder ohne Wissen des Ehemannes die Flucht organisiert.

Die minderjährigen BF2 bis BF5 wurden aufgrund ihres Kleinkindalters nicht niederschriftlich einvernommen.

Im Rahmen der Einvernahme beim Bundesasylamt am 27.05.2013 brachte die BF1 vor, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten und ihre Fluchtgründe auch für ihre Kinder gelten würden. Sie sei in Pakistan geboren, habe nie in Afghanistan gelebt und habe keine Angehörigen in Afghanistan. Sie habe keine Geschwister, auch hätten ihre Eltern keine Geschwister. Sie habe Pakistan verlassen, weil ihr Mann stark drogensüchtig gewesen sei und sie immer geschlagen und misshandelt habe. Er habe mit dem Tod gedroht und alles, was sie zu Hause gehabt hätte, verkauft. Auch das Leben ihres Vaters sei in Gefahr, auch er sei mit dem Tod bedroht worden. Eine Anzeige gegen den Ehemann sei aber nie erstattet worden. Ihr Leben wäre auch in Afghanistan durch ihren Ehemann in Gefahr. Der BF1 wurde mitgeteilt, dass sich die begründetet Furcht vor Verfolgung auf das Herkunftsland (also Afghanistan) beziehen müsse und die zu treffende Entscheidung in Ihrem Asylverfahren auch davon beeinflusst werde, dass es in Ihrem Fall kein Familienoberhaupt gebe. Eine diesbezügliche Änderung (indem etwa der Ehemann nach Österreich kommt) könne zu einer anderslautenden Entscheidung führen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.11.2013, Zl. XXXX , wurde der Antrag der BF1 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zugewiesen (Spruchpunkt II.) und befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.11.2014 erteilt (Spruchpunkt III.). Inhaltsgleiche Bescheide ergingen an die minderjährigen BF2 bis BF5 am selben Tag im Rahmen des Familienverfahrens. Eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan habe nicht festgestellt werden können, vielmehr eine private Auseinandersetzung in Pakistan, die in keinem Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund nach der GFK stehe. Außerdem habe die BF1 nicht gezeigt, dass sie dem als westlich zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild zugetan wäre.

Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.11.2013 erhob die BF1 fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof.

Mit Beschluss vom 10.07.2014, Zl. XXXX (BF1), XXXX (BF2), XXXX (BF3), XXXX (BF4) und XXXX (BF5), behob das Bundesverwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das aktuelle Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) zurück. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde seiner Ermittlungspflicht nicht in ausreichendem Sinne nachgekommen sei. Es seien für eine abschließende Beurteilung der Frage, ob der BF1 der Status einer Asylberechtigten zu gewähren sei, weitere Ermittlungen notwendig.

Im Rahmen einer neuerlichen Einvernahme der BF1 vor der belangten Behörde am 05.01.2015 gab sie an, dass sie keinen Kontakt zu ihrem Ehemann habe. Sie habe auch ihren Vater nicht mit der Scheidung beauftragt, aus Angst, ihr Ehemann könnte ihrem Vater etwas antun. Sie habe eine (telefonische) Fernbeziehung zu einem Mann, der in Salzburg lebe. Sie habe jemanden, der sie im Alltag unterstütze. Ihre zwei älteren Töchter würden in die Schule, ihre beiden Kleinen in den Kindergarten gehen. Sie gehe einkaufen. Sie würde zuerst die Sprache lernen und dann als Verkäuferin arbeiten. Auf die Frage, was ihr besonders wichtig erscheine, gab sie nichts an.

In einem Aktenvermerk vom selben Tag betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten hielt die belangte Behörde fest, dass die BF1 aus Gründern der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen und aus Blutrache vor ihrem Ehemann eine asylrelevante Verfolgung drohe.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 05.01.2015, Zl. XXXX , wurde dem Antrag der BF1 auf internationalen Schutz stattgegeben und ihr der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Weiters wurde festgestellt, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Gleichlautende Bescheide ergingen im Rahmen des Familienverfahrens an die minderjährigen BF2 bis BF5. Beweiswürdigend wurde im Bescheid betreffend die BF1 ausgeführt, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in ihrem Heimatland in Verbindung mit ihrem Vorbringen die behauptete Furcht vor Verfolgung als glaubwürdig habe gewertet werden können. Gem. § 58 Abs. 2 AVG könne eine nähere
Begründung entfallen. Da der BF1 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt wurde und keine Asylausschlussgrund vorlag, wurde den BF2 bis BF5 derselbe Schutz gewährt.

Gegenständliches Verfahren:

Spätestens am 12.09.2017 reiste der Ehemann der BF1, XXXX (in der Folge: AKZ), geb. XXXX , illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.09.2017 gab er bezüglich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass sie schon vor fünf Jahren beschlossen hätten, Afghanistan zu verlassen, weil dort Krieg herrsche und außerdem gebe es die Taliban und die Daesh. Er habe vier Kinder, davon drei Töchter. In Afghanistan hätten Mädchen und Frauen keine Rechte. Er habe aus Afghanistan fliehen müssen, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei und seine Familie bereits in Österreich lebe.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 27.11.2017 gab AKZ hinsichtlich seiner Fluchtgründe an, dass seine Kinder in Österreich seien. In seiner Heimatprovinz XXXX sei die Lage sehr schlecht gewesen. Es habe immer Explosionen gegeben und hätten Taliban Leute entführt und Bomben gelegt. Seine Familie sei mit ihm gemeinsam in Pakistan gewesen und wäre dann wegen der schlechten Sicherheitslage in Pakistan und weil die pakistanische Regierung sie nicht habe haben wollen, nach XXXX gereist. Seine Familie sei jedoch wegen der schlechten Sicherheitslage nicht in XXXX geblieben. Er sei schon vorher nach Afghanistan, XXXX gereist, weil sein Bruder krank gewesen sei. Erst nach dessen Tod sei er nach Österreich gekommen.

In weiterer Folge wurden die BF1 sowie AKZ aufgrund stark aufgetretener Divergenzen zwischen ihren Aussagen zu einer neuerlichen Einvernahme am 07.12.2017 vor die belangte Behörde geladen. Hierbei gab die BF1 hinsichtlich ihrer Fluchtgründe erneut an, dass sie aus Pakistan geflohen sei, da sie mit ihrem Mann Probleme gehabt hätte. Er sei schlecht mit ihnen umgegangen und es sei ihnen finanziell nicht gut gegangen. Ihr Mann habe Drogen konsumiert und alles Geld für seine Drogen ausgegeben. Er habe sie und die Kinder geschlagen und weil es ihr wirklich sehr schlecht gegangen sei, habe sie die Kinder gepackt und sei nach Österreich gekommen. Weiters gab die BF1 wiederholend an, dass ihr Mann hierbleiben solle, weil sie ihn liebe. Er habe bei ihrem Vater um Verzeihung gebeten. Er wäre jetzt ein guter Mensch und würde seine Kinder vermissen. Ihr Vater habe sie angerufen und den Kontakt mit ihrem Mann hergestellt. Auf die Frage, warum ihr Mann im Falle einer Rückkehr nicht arbeiten könne, wo er sich doch geändert habe, antwortete sie, dass es in XXXX jeden Tag Explosionen gebe und: „Alle anderen Afghanen machen das auch so, dass zuerst die Frauen kommen und dann die Männer“. Nachgefragt meinte sie, dass sie es mit eigenen Augen in Traiskirchen gesehen hätte: „Sie sagten, sie wären vor ihren Männern eingereist“. In Afghanistan sei überall Gefahr und jeden Tag würden Kinder sterben, alle würden weglaufen.

AKZ gab im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 07.12.2017 auf die Frage, weshalb seine Frau Afghanistan verlassen habe, an, dass es zwischen ihm und seiner Frau nicht so gut gewesen sei. Sie hätten ein bisschen Probleme gehabt. Er habe manchmal geraucht, aber seine Frau nicht geschlagen. Er habe seine Frau verwöhnt und ihr Ketten gekauft. Er liebe seine Frau und Ehepaare würden sich immer streiten. Erneut befragt, weshalb seine Frau das Herkunftsland verlassen habe, gab er an, dass dies vor allem wegen der schlechten Sicherheitslage erfolgt wäre und weil sie auch nichts gehabt hätten. Auf den Vorhalt der divergierenden Angaben zu seiner Frau führte er aus, dass seine Frau Stress gehabt habe und dass sie damit einen besseren Bescheid bekomme: „Die meisten die herkommen erfinden was, damit sie einen besseren Bescheid bekommen. So wie meine Frau“. Weiter befragt führte er aus, dass seine Frau bei ihren am Anfang angegeben Antworten habe bleiben müssen.

Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme der BF1 vor der belangten Behörde am 17.01.2018 gab diese erneut an, dass es ihr nicht gut gegangen sei, weil sei immer mit ihrem Mann gestritten habe. Sie hätten kein Geld gehabt. Abgesehen davon sei Krieg gewesen. Er habe das Geld für Drogen ausgegeben. Auf Vorhalt seiner Aussagen, gab sie an, dass sie die Wahrheit gesagt habe und ihr Mann über sie Lügen erzähle. Sie wolle trotz alledem mit ihm zusammenleben, er sei nett und respektiere sie und die Kinder.

In der Folge leitete die belangte Behörde ein Wiederaufnahmeverfahren ein und befragte die BF1 am 18.06. 2018 im Wesentlichen zu ihrem Tagesablauf in Österreich. Sie führte u.a. aus, dass Ihre älteste Tochter mit 17 oder 18 Jahren heiraten könne, wenn der richtige Mann käme, der nett sei und sie versorgen könne. Sie solle die Lebensweise der BF1 übernehmen.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 13.08.2018 wurden das rechtskräftig entschiedene Erstverfahren der BF1 bis BF5 gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG wiederaufgenommen (Spruchpunkt I.) und die Anträge auf internationalen Schutz der BF sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt II.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt IV.), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkt V.) und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen fest (Spruchpunkt VII.)

Die belangte Behörde führte zur Wiederaufnahme der Asylverfahren der BF im Bescheid der BF1 im Wesentlichen Folgendes an:

Die BF1 und ihre Kinder (BF2 bis BF5), hätten aufgrund der damals für glaubhaft befundenen Integrationsbemühungen der BF1 aber vor allem aufgrund der Tatsache, dass die BF1 zum damaligen Zeitpunkt als Frau und Mutter ohne männliche Bezugsperson in Afghanistan gegolten habe, den Status der Asylberechtigten erhalten. Die damals festgestellten Fluchtgründe, welche zur Asylgewährung betreffend die BF1 geführt hätten, nämlich die westliche Orientierung, die Behauptung keine männliche Bezugsperson in Afghanistan zu haben, die behauptete familiäre Gewalt durch ihren Ehemann und die befürchtete Bedrohung durch den Ehemann, hätten aufgrund der durchgeführten Parteiengehöre massiv in Zweifel gezogen werden müssen. Zu diesem Zwecke seien die BF1 und ihr Ehemann mehrfach durch die Behörde einvernommen worden und hätte eine Vielzahl an Widersprüchen festgestellt werden können. So habe eine wissentliche und gezielte Täuschung der Behörde durch die BF1 festgestellt werden können. Betreffend die Fluchtgründe, die zur Asylgewährung der BF1 und der BF2 bis BF5 geführt hätten, werde festgestellt, dass die BF1 die Behörde absichtlich getäuscht hätte, um für sich und ihre Kinder den Asylstatus zu erschleichen. Das in der Folge durchgeführte Ermittlungsverfahren hätte ergeben, dass weder die BF1 noch ihr Ehemann oder ihre Kinder in Afghanistan einer konkreten oder gezielt gegen sie gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen seien oder eine solche bei einer Rückkehr befürchten müssten. Rechtlich wurde im Bescheid betreffend die BF1 auf § 69 Abs. 1 Z 1 AVG verwiesen, wonach die BF1 den Bescheid erschlichen hätte. Hinsichtlich der BF2 bis BF5 wurde darauf verwiesen, dass ihre Verfahren aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens ebenso wiederaufzunehmen gewesen seien.

Gegen diese Bescheide der belangten Behörde erhoben BF1-BF5 fristgerecht Beschwerde und führten begründend aus, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Der BF1 drohe aufgrund des Umstandes, dass diese zur sozialen Gruppe der Frauen gehöre, im Falle ihrer Rückkehr asylrelevante Verfolgung. Ebenso drohe den BF2 bis BF5 aufgrund des Umstandes, dass diese zur sozialen Gruppe der Kinder gehören, im Falle ihrer Rückkehr asylrelevante Verfolgung. Zur erneuten Annäherung der BF1 und ihrem Ehemann sei auszuführen, dass jener vor ein paar Jahren wieder Kontakt aufgenommen habe, indem er beim Vater der BF1 vorstellig geworden sei, diesen um Verzeihung gebeten und ihn davon überzeugt habe, nunmehr drogenfrei zu sein und sein Verhalten zu bereuen. Daraufhin habe der Vater der BF1 seiner Tochter den Kontakt mit ihrem Ehegatten ermöglicht. Der Ehegatte der BF1 habe sich in Pakistan einer Therapie unterzogen und sich seit seiner Ankunft in Österreich gegenüber seiner Frau und seinen Kindern wohlverhalten.

Die gegenständlichen Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten langten beim Bundesverwaltungsgericht am 20.09.2018 ein.

Am 14.07.2019, 01.03.2019, 30.07.2019, 02.12.2019, 22.12.2019, und 09.06.2020 wurde das Bundesverwaltungsgericht von Amtshandlungen gegen die BF2 verständigt.

Am 06.03.2020 wurde die BF2 von einem Bezirksgericht wegen §83(1) StGB, §241e (3), §15 StGB, §127 StGB zu einer 3-monatigen Freiheitsstrafe auf 3 Jahre bedingt verurteilt.

Am 23.11.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache und Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher die BF1 bis BF5 sowie der Ehegatte der BF teilnahmen. Die belangte Behörde blieb entschuldigt der Verhandlung fern. Die BF nahmen durch ihre Rechtsberatung zu den Länderfeststellungen Stellung und verwiesen auf die UNHCR-RL und darauf, dass die BF das Risikoprofil der lange im westlichen Ausland aufgehaltenen Personen erfüllen, insbesondere als westlich orientierte Frauen. Selbst bei einer Rückkehr im gemeinsamen Familienverband sei es für die Töchter der BF1 unmöglich, in das Schulsystem eingegliedert zu werden.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 28.05.2021, Zl. XXXX , wurde die BF2 wegen § 107(1) StGB, §§107c (1) Z1 und Z2 StGB zu einer 3-monatigen Freiheitsstrafe mit einer Probezeit von 3 Jahren bedingt verurteilt.

Mit Urteil vom 09.07.2021, Zl. XXXX wurde die BF2 wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15,127 StGB, des Vergehens der Hehlerei nach § 164 (1) StGB und des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 (1) StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil vom 28.05.2021 zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 3 Monaten unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von 3 Jahren bedingt verurteilt. Außerdem wurde die Weisung erteilt, sich einer Psychotherapie zu unterziehen und einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen.

Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, GZ XXXX wurde AKZ der Status eines subsidiär Schutzberechtigten, befristet auf ein Jahr, zuerkannt

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person der Beschwerdeführer

Die BF1 ist seit ca. 2003 mit AKZ traditionell islamisch verheiratet. Sie sind leibliche Eltern der BF2 bis BF5.

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch dieser Erkenntnisse angeführten Namen und Geburtsdaten. Sie sind afghanische Staatsangehörige. Sie sind Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und bekennen sich zum sunnitischen Glauben, den sie unregelmäßig praktizieren. Die BF1 fastet im Ramadan. Die Muttersprache der BF1 ist Dari, sie spricht auch Urdu.

Die BF1 wurde in XXXX , Pakistan geboren. Die Eltern der BF2 stammen aus Afghanistan, XXXX und haben wegen des Krieges Afghanistan verlassen. Der Vater der BF1 lebt in XXXX , sie hat nach ihren Angaben keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Ob die Mutter der BF1 verstorben ist, kann nicht festgestellt werden.

Es kann nicht festgestellt werden, ob die BF1 eine Schule besucht hat.

Die BF1 lebte zunächst mit ihren Eltern und nach der Hochzeit mit ihrem Ehemann in XXXX , einem Vorort von XXXX im selben Haus, aber in unterschiedlichen Stockwerken. Sie war Hausfrau und nicht berufstätig. Die BF2 ist nicht von ihrem Ehemann in Pakistan geschieden worden.

Die BF1 hat Geschwister und Verwandte in Afghanistan.

Die BF2 bis BF5 wurden in XXXX geboren.

Nach Angabe der BF1 hat AKZ vom Ertrag seiner Grundstücke in XXXX , Afghanistan gelebt und in hat zudem in Pakistan in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet. AKZ war immer wieder für kurze Zeit in Afghanistan.

Die BF1 bis BF5 waren auf dem Weg nach Europa erstmals in Afghanistan, XXXX .

Die BF2 bis BF5 haben in Pakistan keine Schule besucht.

Zum Fluchtgrund

Die BF haben nie in Afghanistan gelebt. Die BF haben daher keine Fluchtgründe, die den Herkunftsstaat Afghanistan betreffen vorgebracht.

Die BF1 hat Pakistan aus privaten und wirtschaftlichen Gründen verlassen.

Die BF2 bis BF 5 haben keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, sondern beziehen sich auf die Fluchtgründe der BF1.

Die BF1 hat die belangte Behörde zur Erlangung des Asylstatus wissentlich getäuscht.

Zur Rückkehrmöglichkeit

Eine Rückkehr der BF in die Heimatprovinz des AKZ ist nicht möglich, da diese Provinz als relativ volatil eingestuft ist.

Die BF haben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet) durch Private, sei es vor dem Hintergrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit (Tadschiken), ihrer Religion (sunnitische Moslems), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung im Falle der Rückkehr zu erwarten.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht den BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht den BF auch keine Gefahr durch Familienangehörige des AKZ oder ihn selbst.

Die BF1 bis BF5 sind mit den kulturellen bzw. landesspezifischen Gepflogenheiten des Herkunftsstaates vertraut, obwohl sie in Pakistan geboren wurden. Sie sprechen eine Landessprache.

Die weiblichen Beschwerdeführer wären im Herkunftsstaat alleine aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Hinsichtlich der BF2 bis BF5 kann nicht festgestellt werden, dass es ihnen grundsätzlich unmöglich oder unzumutbar wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem (neuerlich) zu integrieren, da sie dieses Gesellschaftssystem in Österreich weitgehend leben. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass den minderjährigen BF auf Grund ihres Alters beziehungsweise vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan physische und/oder psychische Gewalt droht und sie deswegen einer Verfolgung ausgesetzt wären. Den minderjährigen BF droht keine von den Eltern abgeleitete Verfolgung.

Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe allein auf Grund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit wurde nicht konkret vorgebracht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.

Der BF1 wäre es alleine nicht möglich und zumutbar, sich in den Hauptstädten XXXX , Herat oder in Mazar-e Sharif niederzulassen. Sie hat keine bzw. eine geringfügige Schulbildung und verfügt über keine Berufsausbildung und ist noch nie selbst für ihren Unterhalt aufgekommen. Bei einer Ansiedelung in der Stadt XXXX , Mazar-e Sharif oder Herat könnten die BF1 aktuell, sohin im Entscheidungszeitpunkt, die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft, für sich und ihre minderjährigen Kinder nicht in ausreichendem Maße befriedigen. Die BF würden daher aktuell in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten. Es kann nicht festgestellt werden, ob die Familienangehörigen der BF1, konkret der Vater der BF1 in der Lage wären, diese bei der Neuansiedlung in XXXX , Mazar-e-Sharif oder Herat ausreichend zu unterstützen.

Die BF2 könnte bei einer Ansiedelung in der Stadt XXXX , Mazar-e Sharif oder Herat aktuell, sohin im Entscheidungszeitpunkt, die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft, für sich alleine nicht in ausreichendem Maße befriedigen. Die BF2 würde daher aktuell in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten. Die BF2 hat zumindest einen Großvater in XXXX , es kann nicht festgestellt werden, ob dieser oder andere Familienangehörigen in der Lage wären, die BF2 bei einer Neuansiedlung in XXXX , Mazar-e-Sharif oder Herat ausreichend zu unterstützen. Die BF2 ist zudem in Pakistan geboren und war nur kurze Zeit in Afghanistan vor ihrer Flucht aufhältig.

Zum Leben In Österreich:

Die Familie lebt von der Grundversorgung.

Die BF1 bis BF5 sind gesund. Die BF1 nimmt aktuell Medikamente zum Einschlafen, sie leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Krankheit.

Die BF1, BF3, BF4 und BF5 sind strafrechtlich unbescholten bzw. strafunmündig.

Bei der BF1 handelt es sich nicht um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie kümmert sich nach wie vor um den Haushalt, wird aber von ihrem Ehemann unterstützt. Sie hat A1-Niveau Deutschkenntnisse, besucht aktuell keinen Deutschkurs und will den Beruf einer Verkäuferin ausüben. Sie hat einen Werte- u. Orientierungskurs besucht. Sie bewegt sich im sozialen Umfeld einer Vertrauensperson und von afghanischen Familien. Sie bedarf bei komplexeren Tätigkeiten, wie etwa Arztbesuchen, einer Unterstützung – insbesondere in sprachlicher Hinsicht – durch eine Vertrauensperson. Sie ist nicht Mitglied in einem Verein und übernimmt keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Sie geht sie mit den Kindern spazieren, manchmal in ein Fitness Center und shoppen. Sie erschien zur Beschwerdeverhandlung modisch gekleidet- Bei der BF1 ist keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung zu erkennen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines „westlichen Verhaltens“ oder eine „westliche Lebensführung“ als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann.

Eine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines „westlichen Verhaltens“ oder eine „westliche Lebensführung“ als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann konnte auch im Hinblick auf die mj. Töchter der BF1 nicht erkannt werden.

Die BF2 besucht seit 01.01.2021 einen Vorbereitungskurs zum Pflichtschulabschluss. Sie hat den Berufswunsch Maschinenbautechnikerin zu werden, ohne konkretes Wissen an das Anforderungsprofil, außer der Absolvierung einer Lehre. Sie trifft sich mit Freundinnen und mag Wien. Sie beantwortet die Fragen in der Beschwerdeverhandlung nicht auf Deutsch. Die BF2 wurde dreimal strafrechtlich verurteilt (siehe Verfahrensgang).

Die BF3 geht in eine neue Mittelschule und trifft sich manchmal mit Freundinnen. Sie hat die deutsche Sprache bisher gut erlernt und möchte Ärztin werden, wobei sie sich noch nicht genau informiert hat, welche konkreten Ausbildungsschritte sie dafür setzen muss. Sie hilft einer Mitschülerin beim Lernen.

Bei der zwölfjährigen BF4 konnte wegen ihres jungen Alters keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung erkannt werden, dass die Verinnerlichung einer westlichen Lebensführung als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität hätte angenommen werden können. Sie besucht eine neue Mittelschule.

BF5 besucht in Österreich eine neue Mittelschule.

Die BF1 lebt in Österreich gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Kindern. Die Ehe ist aufrecht.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Fassung 21.07.2020 gekürzt auf die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen:

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe sind derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).

Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).

Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).

Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).

Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lock down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) –Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020). Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt. 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019). Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend NichtPaschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Kunar

Kunar liegt im Osten Afghanistans. Sie besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai und Nuristani. Die Provinz hat 490.690 Einwohner (LIB, Kapitel 2.18).

In der Provinz sind der ISKP, Al-Qaida und die Lashkar-e Taiba aktiv. Auch betreiben Mitglieder der Teherik-e Taliban Pakistan (TTP) in der Provinz Kunar eine Militärbasis. In der Provinz Kunar werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durchgeführt. Zusammenstöße zwischen ISKP-Kämpfern und den Regierungskräften, aber auch zwischen ISKP-Anhänger und Taliban finden statt. Dabei werden Kämpfer auf beiden Seiten getötet und verletzt, zudem kommt es in manchen Fällen auch zu zivilen Opfern. Im Jahr 2019 gab es 256 zivile Opfer (77 Tote und 179 Verletzte) in der Provinz Kunar. Dies entspricht einem Rückgang von 36% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO), Landminen und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.18).

In der Provinz Kunar reicht eine „bloße Präsenz“ in dem Gebiet nicht aus, um ein reales Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2019 gab es 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 2.1).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).

Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 2.1).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).

Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15).

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 - 19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB, Kapitel 15.1).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB, Kapitel 15.1).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Es bestehen keine sozialen oder politischen Stammesstrukturen (LIB, Kapitel 16.3).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB Kapitel 16.3).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, dies steht im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – halten an (LIB, Kapitel 16.3).

Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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