TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/17 95/01/0434

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Veröffentlicht am 17.12.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner sowie Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des J in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. August 1995, Zl. 4.344.173/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Liberias und reiste am 6. März 1994 in das Bundesgebiet ein. Am 9. März 1994 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner noch am selben Tag vorgenommenen niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, während der Kriegszeiten sei er als Soldat zwangseingezogen worden. Er sei aus der Kaserne geflohen, sei aber verhaftet und eingesperrt worden. Es habe sich dabei um die NPFL Rebel Group Barracks in Monrovia, der Hauptstadt Liberias, gehandelt. Er sei im Dezember 1992 aus Liberia geflohen und habe sich danach in der Republik Elfenbeinküste aufgehalten. Er sei aus seinem Heimatland geflohen, weil auf Desertion die Todesstrafe stehe. Er habe die Armee verlassen, weil er nicht habe Soldat sein wollen. Einen anderen Grund für seine Flucht habe es nicht gegeben. Nach zweitägigem Aufenthalt in der Republik Elfenbeinküste sei er per Flugzeug nach Bulgarien geflogen, nach weiteren zwei Tagen mit der Bahn in das ehemalige Jugoslawien gereist. Dort habe er sich in Belgrad aufgehalten. Er sei verhaftet worden und ca. 6 Monate inhaftiert gewesen, weil er ohne Visum eingereist gewesen sei. Nach seiner Entlassung sei er weitere 8 Monate in Belgrad aufhältig gewesen und habe dort in einer privat angemieteten Wohnung gewohnt. Seinen Reisepaß habe er nach seiner Entlassung ebensowenig wie andere Dokumente oder Geld zurückerhalten.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. März 1994 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers zufolge Verneinung seiner Flüchtlingseigenschaft als auch infolge Annahme der Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 im ehemaligen Jugoslawien abgewiesen.

In seiner fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer Verletzungen von Verfahrensvorschriften im Verfahren erster Instanz durch unvollständige Protokollierung geltend, die er auch anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung vor Unterzeichnung des Protokolles gerügt habe, der jedoch keine Beachtung geschenkt worden sei. Der Beschwerdeführer wiederholte daraufhin in der Berufung schriftlich seine bereits anläßlich seiner Ersteinvernahme angeblich gemachten, jedoch nicht protokollierten Angaben über die näheren Umstände seiner Inhaftierung in den Rebel Group Barracks dahingehend, er sei zwei Monate dort angehalten und schwer mißhandelt und gefoltert worden. Manchmal sei er morgens von Soldaten aus seiner Zelle geholt und ins Freie gebracht worden. Um seine Hände sei ein dickes Seil gebunden worden, sodann sei er an den Armen an einem Baum aufgehängt worden, wo man ihn bis zu einer Stunde habe hängen lassen. Daraufhin sei das Seil mit einer Elektrosäge durchtrennt worden. Anschließend sei er von zwei Soldaten in die Zelle zurückgebracht worden, wobei diese ihn fast hätten tragen müssen, weil er nach dieser Tortur nicht mehr in der Lage gewesen sei, selbständig zu gehen. Während seines Gefängnisaufenthaltes sei er viermal auf derartige Weise aufgehängt worden. Nach diesen Mißhandlungen habe er oft zwei Tage nicht aufstehen können. Das sei für ihn am schlimmsten gewesen. Er sei aber auch mit Kabeln geschlagen worden. Man habe ihn beschuldigt, Informationen an rivalisierende Gruppen weiterzuleiten. Wie oft er mit Kabeln geschlagen worden sei, könne er nicht mehr sagen. An manchen Tagen habe man ihn in seiner Zelle gelassen, an anderen Tagen habe man ihn abgeholt und auf ihn eingeschlagen oder ihn wie geschildert aufgehängt. Nach zwei Monaten, am 10. Dezember 1992, sei es ihm gelungen, mit Hilfe eines Soldaten aus den Barracks zu entkommen. Um Mitternacht habe dieser Soldat seine Zelle aufgesperrt und ihm eine Uniform gegeben, wie sie in den Barracks getragen worden sei, sodaß er ohne Schwierigkeiten habe entkommen können. Bei einer allfälligen Rückkehr nach Liberia drohe ihm die Todesstrafe.

Mit Bescheid vom 15. April 1994 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG infolge Annahme der Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 in den Staaten seiner Durchreise (Cote d"Ivoire und Bulgarien) ab. Infolge der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 14. Dezember 1994, B 1176/94-8, den bekämpften Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren bei der belangten Behörde neuerlich anhängig wurde. Im fortgesetzten Berufungsverfahren legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 7. August 1995 eine gutachterliche Stellungnahme des Assistenzprofessors Dr. P zum Beweis für die von ihm behaupteten Folterungen vor.

Mit (Ersatz-)Bescheid vom 8. August 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und begründete dies nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage im wesentlichen damit, Flüchtlingseigenschaft komme ihm nicht zu, sei doch aus den Angaben des Beschwerdeführers lediglich hervorgekommen, daß er in seiner Heimat im Jahr 1992 zum Militärdienst eingezogen worden, jedoch lediglich aus dem Grunde desertiert sei, weil er kein Soldat habe werden wollen. Die Einberufung zur Militärdienstleistung stelle jedoch keine Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 dar, sondern eine Maßnahme zur Durchsetzung staatsbürgerlicher Pflichten, die jeden treffen könnte. Die Beweggründe, der geforderten Militärdienstpflicht nicht nachzukommen, seien asylrechtlich unbeachtlich, wenn sie keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsmotivation des Staates zuließen. Es sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers auch nicht zu entnehmen gewesen, daß mit der Einberufung eine asylrechtlich relevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre. Überdies sei es dem Beschwerdeführer möglich gewesen, vor Einreise in das Bundesgebiet in der Republik Cote d"Ivoire und Slowenien, beides Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention, Schutz vor Verfolgung zu erhalten. Zu der in der Berufung geltend gemachten Verfahrensverletzung durch unrichtige bzw. unvollständige Protokollierung seiner Angaben entgegnete die belangte Behörde, der Beschwerdeführer sei gegen Ende seiner Einvernahme ausdrücklich gefragt worden, ob er zu den Gründen seiner Flucht noch etwas zu ergänzen habe, worauf er geantwortet habe, daß er keine weiteren Gründe hinzuzufügen gehabt habe. Das nunmehrige Berufungsvorbringen, er habe keine Möglichkeit gehabt, die Vorfälle während seiner Haft darzulegen, sei "somit schlichtweg falsch". Es sei auch objektiv nicht nachvollziehbar, daß er vergessen habe, die angeblichen Mißhandlungen anzuführen, sodaß der Eindruck entstehe, daß das nunmehrige Berufungsvorbringen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimme, sondern lediglich den Zweck habe, die Chancen auf Asylgewährung zu erhöhen. Den Ausführungen des Sachverständigen im vorgelegten schriftlichen Gutachten begegnete die belangte Behörde mit dem Hinweis, daraus ergebe sich lediglich die Möglichkeit, daß die festgestellten Narben durch Mißhandlungen entstanden sein könnten, sodaß sich aus dieser Beurteilung noch kein Schluß - "und nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit" - ergebe, daß diese Narben tatsächlich von Folter herrührten. Überdies sei auch auffällig, daß der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Berufung angebliche Mißhandlungen detailliert und "offensichtlich" abschließend dargelegt habe, andererseits von Schlägen mit "dünneren Drähten und Mißhandlungen mit einer Eisenstange" in der Berufung mit keinem Wort gesprochen habe, sodaß der Verdacht bestehe, daß der Beschwerdeführer zwei der objektiv vorhandenen Narben als Folterspuren deklariert habe, um sein bisheriges Vorbringen, welches nicht geeignet sei, Flüchtlingseigenschaft zu begründen, "griffiger" zu gestalten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zutreffend rügt der Beschwerdeführer die von der belangten Behörde herangezogene Argumentation zur Verneinung der vom Beschwerdeführer in der Berufung behaupteten Verfahrensverletzung und damit der Anwendung des § 20 Abs. 2 AsylG 1991. Insbesondere erweist es sich als Zirkelschluß, wenn die belangte Behörde davon ausgeht, es beweise die Mangelfreiheit des Verfahrens erster Instanz, wenn aus dem Protokoll hervorgehe, der Beschwerdeführer sei gegen Ende der Einvernahme ausdrücklich gefragt worden, ob er zu den Gründen seiner Flucht noch etwas zu ergänzen habe, und dies vom Beschwerdeführer verneint worden sei, wird doch gerade das vom Beschwerdeführer dezidiert bestritten. Dieser abschließende Satz war - nach Darstellung in der Berufung - ja Auslöser dafür, daß der Beschwerdeführer die Unvollständigkeit des mit ihm aufgenommenen Protokolls bekanntgab und den Versuch unternommen zu haben behauptet, eine entsprechende Ergänzung der Niederschrift noch zu erreichen (Berufung: "Bevor ich meine Aussage unterschreiben mußte, wurde mir der Inhalt der Niederschrift übersetzt. Als ich darauf aufmerksam machte, daß

meine Angaben ......"). Aus dem Akt ist auch nicht ersichtlich,

daß die belangte Behörde ein entsprechendes Verfahren (z.B. durch Befragung des vernehmenden Beamten des Bundesasylamtes oder des Dolmetschers) durchgeführt hätte, sodaß die Beurteilung der belangten Behörde, das Berufungsvorbringen, der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit gehabt, die Vorfälle während seiner Haft darzulegen, sei "schlichtweg falsch", einer entsprechenden Begründung ermangelt. Ebensowenig ist nachvollziehbar, wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer offensichtlich unterstellt, die von ihm in der Berufung dargestellten Mißhandlungen "vergessen" zu haben. Diese Begründungsfehler, mit denen die belangte Behörde ihren Bescheid belastete, erscheinen jedoch auch wesentlich, da bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers, daß nämlich Folter ihm gegenüber auch deswegen angewendet worden sei, weil man ihm die Weitergabe von Informationen an andere rebellierende Gruppierungen zumindest unterstellt, sohin eine politische Aktivität bei ihm vermutet habe, deren Asylrelevanz von vornherein nicht ausgeschlossen werden kann.

Der belangten Behörde ist aber auch hinsichtlich der Würdigung des vom Beschwerdeführer vorgelegten Sachverständigengutachtens vorzuhalten, daß von einem Asylwerber wohlbegründete Furcht vor Verfolgung in seinem Heimatland lediglich glaubhaft gemacht werden muß und eine strenge Beweisführung nicht erforderlich ist. Wird durch ein Sachverständigengutachten die Möglichkeit eingeräumt, daß sichtbare Verletzungsfolgen auf Folter zurückzuführen seien, bedarf es schon einer eingehenderen und auf andere Umstände gestützten Begründung, um den Kausalitätszusammenhang zwischen der behaupteten Folter und den sichtbaren Narben schlüssig verneinen zu können.

Allein die Verletzung von Verfahrens- und Begründungsvorschriften durch die belangte Behörde hätte noch nicht zum Erfolg der Beschwerde führen müssen, hätte die belangte Behörde zu Recht vom Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 Gebrauch gemacht. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, reicht die nicht aus dem Akt zu entnehmende, auf konkrete Ermittlungsergebnisse gestützte Vermutung, ein Staat werde sich auf Grund "im großen und ganzen effektiv" gestalteter Rechts- und Verfassungsordnung an das "Nonrefoulementrecht" des Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention halten, bei Vorliegen eines entsprechenden Beschwerdevorbringens - so hat der Beschwerdeführer vorgebracht, die belangte Behörde habe Ermittlungen zur Frage unterlassen, ob er in Slowenien bzw. der Republik Cote d"Ivoire keinen Abschiebungsschutz genossen hätte - für die Annahme der Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 nicht aus (vgl. dazu

hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413, und vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in ständiger Judikatur ausgesprochen hat, kommt es bei Annahme der Verfolgungssicherheit jeweils auf die faktischen Gegebenheiten in dem in Rede stehenden Drittstaat an.

Aus den dargelegten Gründen hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Verfahrensverletzungen belastet, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte gelangen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Gutachten Beweiswürdigung der BehördeBeweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärterSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010434.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

15.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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