TE Vwgh Beschluss 2021/10/11 Ra 2020/04/0179

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Veröffentlicht am 11.10.2021
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Index

L82000 Bauordnung
40/01 Verwaltungsverfahren
50/01 Gewerbeordnung

Norm

AVG §13 Abs1
AVG §56
AVG §8
BauRallg
GewO 1994 §353
GewO 1994 §359b
GewO 1994 §359b Abs1
GewO 1994 §359b Abs2
GewO 1994 §74
GewO 1994 §74 Abs2
GewO 1994 §77

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/04/0180
Ra 2020/04/0181

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision 1. der M H, 2. des E M und 3. der M M, alle in N, alle vertreten durch Dr. Karl Hepperger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Müllerstraße 27/II, gegen das am 10. März 2020 mündlich verkündete und am 4. April 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol, Zl. LVwG-2018/32/2023-36, betreffend gewerberechtliches Betriebsanlagengenehmigungsverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck; mitbeteiligte Partei: Gemeinde N in N), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 4. Juni 2018 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (belangte Behörde) der mitbeteiligten Partei nach Maßgabe der vorgelegten Projektunterlagen die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Biomasse-Hackgutfeuerungsanlage mit einer Nennwärmeleistung von 400 kW unter Vorschreibung von Auflagen am näher bezeichneten Standort.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis stellte das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung fest, dass die beantragte Betriebsanlage die Voraussetzungen nach § 359b Abs. 1 Z 2 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), wonach das Ausmaß der der Betriebsanlage zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten und sonstigen Betriebsflächen nicht mehr als 800 m2 betrage und die elektrische Anschlussleistung der zur Verwendung gelangenden Maschinen und Geräte 300 kW nicht übersteige, erfülle (Spruchpunkt 1.); sprach aus, dass die im Bescheid der belangten Behörde angeführten Auflagen, ausgenommen die Auflage Punkt 1. aus abfalltechnischer Sicht, als Aufträge nach § 359b Abs. 3 GewO 1994 gelten (Spruchpunkt 2.); erteilte anstelle der Auflage Punkt 1. aus abfalltechnischer Sicht einen näher ausgeführten Auftrag (Spruchpunkt 3.); wies die Beschwerde der Revisionswerber, soweit damit das Nichtvorliegen der Voraussetzungen zur Durchführung des vereinfachten Verfahrens nach § 359b GewO 1994 vorgebracht worden sei, als unbegründet ab und im Übrigen als unzulässig zurück, ohne den sonstigen Anträgen der Revisionswerber Folge zu geben (Spruchpunkt 4.), und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt 5.).

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerber seien als (Mit)Eigentümer von Grundstücken, die im Immissionsbereich der beantragten Betriebsanlage lägen, Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994.

Gemäß Z 4 (Spalte 1) des Anhangs 1 UVP-G 2000 seien Feuerungsanlagen mit einer Brennstoffwärmeleistung von mindestens 200 MW UVP-pflichtig. Die antragsgegenständliche Anlage mit einer Leistung von 400 kW erreiche lediglich 0,2%, nicht jedoch 25% des Schwellenwerts. Eine Einzelfallprüfung nach dem UVP-G 2000 scheide daher ebenfalls aus.

Bei einem gewerblichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren handle es sich um ein Projektverfahren, weshalb es der Behörde verwehrt sei, mehr oder etwas Anderes zu genehmigen, als vom Genehmigungswerber beantragt worden sei. Das Vorbringen der Revisionswerber, es handle sich beim anhängigen Projekt lediglich um die erste Ausbaustufe und weitere Ausbaustufen würden noch folgen, gehe daher ins Leere.

Das Ausmaß der der beantragten Betriebsanlage zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten und sonstigen Betriebsflächen betrage insgesamt nicht mehr als 800 m². Ebenso übersteige die elektrische Anschlussleistung der zur Verwendung gelangenden Maschinen und Geräte nicht 300 kW. Es lägen daher die Voraussetzungen für die Durchführung des vereinfachten Verfahrens nach § 359b Abs. 1 Z 2 GewO 1994 vor, weshalb das Verwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren in das vereinfachte Verfahren zu wechseln habe. Mit Schreiben vom 27. Jänner 2020 sei der mitbeteiligten Partei und den Revisionswerbern mitgeteilt worden, dass das Verwaltungsgericht davon ausgehe, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens gemäß § 359b Abs. 1 Z 2 GewO 1994 vorliegen würden.

Den Revisionswerbern komme daher lediglich das Recht zu, die Frage der Verfahrensart geltend zu machen, und erweise sich insofern deren Beschwerde als zulässig, jedoch nicht berechtigt. Soweit in der Beschwerde jedoch materielle Interessen, wie etwa unzumutbare Belästigungen durch Staub, Lärm, Luftschadstoffe, usw. vorgebracht würden, sei die Beschwerde unzulässig und daher zurückzuweisen.

Eine gesetzliche Grundlage dafür, dass die Gewerbebehörde bzw. das Verwaltungsgericht mit der Entscheidung bis zu einer baubehördlichen Bewilligung zuzuwarten habe, bestehe nicht.

Schließlich ergebe sich auf der Grundlage der Gutachten der beigezogenen Sachverständigen durch die Erteilung von Auflagen die Vermeidung von Gefährdungen und unzumutbaren Belästigungen im Sinne des § 74 Abs. 2 GewO 1994.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH), der deren Behandlung jedoch mit Beschluss vom 22. September 2020, E 1510/2020-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5        In der Folge erhoben die Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. für viele VwGH 29.6.2021, Ra 2021/01/0208, Rn. 5, mwN).

10       Diesem Erfordernis wird die Revision mit ihrem allgemein gehaltenen Zulässigkeitsvorbringen, wonach die Voraussetzungen für die Durchführung eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 359b GewO 1994 nicht vorlägen, es sich beim gegenständlichen Vorhaben um ein „Megaprojekt“ bzw. „beim gegenständlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren um ein Großverfahren (wenn auch mit 400 kW ‚getarnt‘)“ handle, „welches kein vereinfachtes Verfahren“ zulasse, und aus diesem Grund - wie von der Erstrevisionswerberin beantragt - zwingend eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen gewesen wäre, nicht gerecht. Diese Zulässigkeitsausführungen zeigen nicht ansatzweise auf, weshalb in Bezug auf das konkrete Vorhaben die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren gemäß § 359b Abs. 1 GewO 1994, insbesondere der vom Verwaltungsgericht bejahte Tatbestand des § 359b Abs. 1 Z 2 GewO 1994 nicht erfüllt seien. Mit dem pauschalen Vorbringen, es „wäre zwingend eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen gewesen“, zeigt die Revision einen konkreten, die UVP-Pflicht auslösenden Tatbestand (nach dem UVP-G 2000) und somit eine Verletzung der Revisionswerber in ihrem im Rahmen ihrer eingeschränkten Parteistellung als Nachbarn zukommenden subjektiven Recht auf Einhaltung der gesetzlich normierten Zuständigkeiten (vgl. dazu VwGH 9.9.2015, Ro 2015/04/0009) nicht auf.

11       Bei Vorliegen eines den Voraussetzungen des § 353 GewO 1994 entsprechenden Genehmigungsantrages hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht dann, wenn sich aus diesem Ansuchen ergibt, dass die Anlage den in § 359b Abs. 1 GewO 1994 genannten Tatbestandsvoraussetzungen entspricht, von Amts wegen einen Feststellungsbescheid im Sinne dieser Gesetzesstelle zu erlassen (vgl. VwGH 21.6.1993, 90/04/0240; 22.4.1997, 97/04/0037; 15.3.2017, Ra 2017/04/0024, Rn. 14, jeweils mwN).

12       Im Übrigen bezieht sich die Parteistellung der Nachbarn im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 359b GewO 1994 gemäß Abs. 2 ausdrücklich nur auf die Frage, ob die Zuordnung zu einem der Anwendungsfälle des § 359b Abs. 1 GewO 1994 vorliegt. Darüber hinaus gehend steht den Nachbarn laut ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 359b Abs. 2 letzter Satz GewO 1994 keine Parteistellung zu. Im Rahmen dieser eingeschränkten Parteistellung kommt ihnen nicht das Recht zu, die Schutzgüter des § 74 Abs. 2 GewO 1994 zu relevieren (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2017/04/0138, Rn. 11, 12, mwN).

13       Ungeachtet dessen macht die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen als Verfahrensmängel geltend, dass das Verwaltungsgericht entgegen dem Antrag der Erstrevisionswerberin weder eine Stellungnahme des Arbeitsinspektorats noch ein lärmtechnisches Gutachten eingeholt habe, über nicht näher beschriebene Protokollberichtigungsanträge der Revisionswerber nicht entschieden habe und dem Antrag der Erstrevisionswerberin auf Unterbrechung des Verfahrens bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung der beantragten Betriebsanlage nicht entsprochen habe. Diesem Vorbringen kommt bereits deshalb keine Berechtigung zu.

14       Darüber hinaus setzt die Zulässigkeit der Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen, für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen. Der Revisionswerber hat daher die Entscheidungswesentlichkeit des Mangels konkret zu behaupten. Er darf sich nicht darauf beschränken, einen Verfahrensmangel (bloß) zu relevieren, ohne die Relevanz für den Verfahrensausgang durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen, darzulegen (vgl. etwa zuletzt VwGH 20.7.2021, Ra 2020/04/0171, Rn. 6, mwN).

15       Die in der Revision nicht weiter fallbezogen substantiierte Behauptung von Verfahrensmängeln reicht nicht aus, um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

16       Die Revision vermag auch mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, bei dem sowohl von der belangten Behörde als auch vom Verwaltungsgericht beigezogenen „sicherheits- und emissionstechnischen Amtssachverständigen“ handle es sich nicht um einen gewerbetechnischen Sachverständigen, weshalb kein gewerbetechnisches Sachverständigengutachten vorliege, keinen relevanten Verfahrensmangel darzulegen. Tatsächlich holte das Verwaltungsgericht ein ergänzendes Gutachten über die zu erwartenden Immissionen der beantragten Betriebsanlage, allfällige Vorkehrungen zur Verhütung oder Verringerung der in Betracht kommenden Immissionen und Art und Intensität der Immissionen ein. Inwiefern dieses Gutachten in Bezug auf die Beurteilung der vom Verwaltungsgericht angenommenen Tatbestandsvoraussetzung des § 359b Abs. 1 Z 2 GewO 1994 mangelhaft sein soll, zeigt die Revision nicht auf (vgl. zum erforderlichen Inhalt von gewerbetechnischen Gutachten in Betriebsanlagengenehmigungsverfahren etwa VwGH 14.10.2015, Ra 2015/04/0076, mwN).

17       Schließlich verkennt das Zulässigkeitsvorbringen, wonach ein Betriebsanlagengenehmigungsverfahren nach Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung durchzuführen sei und deshalb dem Antrag der Erstrevisionswerberin auf Unterbrechung des Verfahrens stattzugeben gewesen wäre, dass weder die Durchführung eines gewerblichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens noch eine gewerbliche Betriebsanlagengenehmigung eine rechtskräftige Baubewilligung gesetzlich voraussetzt. Es besteht keine gesetzliche Grundlage für ein Zuwarten der Gewerbebehörde bzw. des Verwaltungsgerichts mit ihrer Entscheidung bis zu einer baubehördlichen Genehmigung. Gewerbebehörden und Baubehörden haben vielmehr unabhängig voneinander ein Projekt in Orientierung an den von ihnen zu vollziehenden Rechtsvorschriften zu beurteilen (vgl. VwGH 24.4.2007, 2004/05/0285; 12.8.2020, Ra 2019/05/0223, Rn. 8; 12.4.2018, Ra 2018/04/0086, Rn. 14, jeweils mwN).

18       In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 11. Oktober 2021

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Gewerberecht Nachbar Rechtsnachfolger Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten Kompetenztatbestände Baupolizei und Raumordnung BauRallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020040179.L00

Im RIS seit

01.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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