TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/28 W124 2245445-2

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Veröffentlicht am 28.09.2021
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Entscheidungsdatum

28.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §33
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W124 2245445-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Vorverfahren:

1.1.    Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am XXXX am Flughafen Wien-Schwechat im Zuge einer Identitätsfeststellung gemäß § 12a des Grenzkontrollgesetzes (GrekoG) durch Organe der Bundespolizei einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

1.2.    Am XXXX fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Schwechat die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei führte dieser aus, dass er aus XXXX , Uttar Pradesh, Indien stamme, ledig sei, im Heimatland zwölf Jahre die Grundschule besucht und als Landwirt gearbeitet habe. Er gehöre der Volksgruppe der Saini sowie der Religionsgemeinschaft der Sikhs an und spreche Punjabi. In Indien würden seine Eltern leben. Zu seinem Fluchtgrund brachte der BF vor, dass seine Familie fünf Killa (Hektar) Landwirtschaft entlang eines Flusses besitze. Deshalb hätten sie auch sehr viel Sand auf ihren Feldern gehabt. Da der MLA ihrer Region mit Sand und Kies Geschäfte mache, habe er ihren Grund in Besitz nehmen wollen. Seine Familie habe ihm das Land aber nicht überlassen wollen, weshalb der BF und dessen Vater zwei bis drei Mal von Leuten des MLA geschlagen und mit dem Umbringen bedroht worden seien. Sein Vater habe sich Sorgen um das Leben des BF gemacht und ihn daher ins Ausland geschickt. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland fürchte der BF um sein Leben.

1.3.    Nachdem die Einreise des BF nicht gestattet wurde, wurde dieser am XXXX im Rahmen eines Flughafenverfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Erstaufnahmestelle Flughafen, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF an, er sei ledig und habe mit seinen Eltern bis XXXX im Bundesstaat Uttar Pradesh gelebt. Sein Vater sei Landwirt und ihm gehöre eine eigene Landwirtschaft in der Größe von fünf Killa. Der BF habe in Indien zwölf Jahre die Grundschule besucht und bis XXXX als Landwirt bei seinem Vater gearbeitet. Von XXXX bis zur Ausreise im XXXX habe er bei seiner Tante mütterlicherseits, die in der Stadt XXXX , Provinz Uttar Khand, 100 Kilometer vom Wohnort der Eltern des BF entfernt wohne, gelebt. Dort habe er nicht gearbeitet; sein Vater habe ihm Geld geschickt. In Indien, im Heimatort, würden seine Eltern leben. Sein Vater bestreite nach wie vor den Lebensunterhalt durch die familieneigene Landwirtschaft. Der BF habe in Indien keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppe bzw. Religionszugehörigkeit gehabt, auch gebe es keinen Haftbefehl gegen ihn.

Zu seinen Fluchtgründen brachte der BF folgendes vor (VP: nunmehriger BF; LA: Leiter der Amtshandlung):

[…]

LA: Kommen wir bitte jetzt nochmals zu allen Ihren Fluchtgründen. Sie haben schon etwas dazu angegeben. Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Nennen Sie nun bitte detailliert und in Ihren eigenen Worten alle Ihre Fluchtgründe, sodass ich mir ein Bild davonmachen kann? Sie haben hierzu ausreichend Zeit.

VP: Entlang des Flusses hatten wir 5 Killa Landwirtschaft und hatten daher sehr viel Sand. Deshalb wollte der MLA unsere Landwirtschaft haben. Er wollte sie illegal in Besitz nehmen, aber wir wollten unsere Landwirtschaft nicht hergeben. Deshalb wurden wir von Ihnen bedroht und ich wurde von seinen Leuten auch 2-3 Mal verprügelt. Ich wurde mit dem Umbringen bedroht. Deshalb hat meine Familie beschlossen, dass ich das Land verlassen soll, weil ich nicht sicher bin. Als wir auf den Feldern gearbeitet haben, hat er Leute geschickt um uns zu bedrohen. 1-2 Mal sind sie auch mit einem Bagger gekommen um den Sand aufladen zu können. Wir waren bei der Polizei, die Anzeige wurde nicht entgegengenommen, sie haben nicht auf uns gehört. Der MLA ist sehr mächtig und deshalb hat keiner auf uns gehört und da ich der einzige Sohn meiner Eltern bin, haben sie mich ins Ausland geschickt. Der Bruder meines Vaters ist auch mit dem MLA zusammen, sein Bruder will auch, dass mein Vater die Landwirtschaft verliert. Befragt, das ist alles.

LA. Das sind Ihre Fluchtgründe, weshalb Sie nun einen Asylantrag gestellt haben?
VP: Ja.

LA: Wer oder was ist der MLA?

VP: Er ist ein Mitglied vom Parlament.

LA: Warum war der MLA an Ihrer Landwirtschaft interessiert und wie sind diese auf die Landwirtschaft Ihrer Familie gekommen?

VP: Er hat selbst mit Sand gehandelt. Er ist eine korrupte Person. Ich weiß nicht wie er auf unsere Landwirtschaft gekommen ist.

LA: Wen meinen Sie mit er? Können Sie genauere Daten zu dieser Person angeben (Name, Herkunft, Wohnort)?

VP: XXXX , er ist der MLA unserer Region. Er wohnt in XXXX , Uttar Pradesh U.P.


LA: Wer waren die Personen, welche Sie verprügelt hätten?
VP: Leute von dem Ml-A. Befragt, genauere Angaben kann ich nicht machen.

LA: Woher wussten Sie, dass es Leute der MLA waren?

VP: Weil ich die Personen gemeinsam mit dem MLA gesehen habe, als sie mit dem Bagger gekommen sind.

LA: Wie sahen die Personen aus?

VP: Es waren 3 Personen. Einer war unter 1,7 m und einer war ziemlich groß 1,85 m, der letzte war auch groß.

LA. Wie oft gab es körperliche Übergriffe?

VP: 2-3 Mal. Befragt wie oft, 3 Mal.

LA: Wann war das erste Mal?

VP: Ich habe auf den Feldern gearbeitet. Es war im XXXX .

LA: Wer war bei dem ersten Mal dabei?

VP: Es waren 3 Personen. Befragt, ich und mein Vater waren auf den Feldern.

LA: Was ist passiert?

VP: Sie sind gekommen und haben uns bedroht, dass wir von den Feldern weggehen sollen, die Felder gehören jetzt dem MLA Mein Vater hat gesagt nein. Daraufhin wurden mein Vater und ich von ihnen geschlagen und danach sind sie weggegangen. Befragt, ich hatte keine Verletzungen.

LA: Wann war das 2 Mal?

VP: Das 2 Mal war nach ca. 5 Tagen. Befragt, es war als wir auf dem Weg zu den Feldern waren.

LA: Was genau ist vorgefallen?

VP: Es waren 6-7 Personen die in einem Auto gekommen sind. Befragt, es waren alle in einem Auto. Befragt, es war ein Geländewagen.

LA: Welche Personen waren das?

VP: Die drei Personen die beim ersten Mal waren, waren dabei und weitere 4 neue.

LA: Was ist jetzt genau passiert?

VP: Mein Vater und ich wurden von Ihnen mit dem umbringen bedroht. Sie sagten zu meinem Vater, wenn er die Landwirtschaft nicht hergibt werden sie mich umbringen. Sie haben dann begonnen mich zu schlagen. Es ist uns gelungen, dann von dort zu flüchten. Befragt, es war auf der Straße. In der Nähe war eine Ziegelsteinfabrik, dort haben wir uns versteckt.

LA: Haben Sie Verletzungen erlitten?

VP: Nein Verletzungen nicht. Ich hatte Schmerzen.

LA: Wann war das dritte Mal?

VP: 5-6 Tage nach dem 2 Vorfall wurden wir wieder von den Personen geschlagen. An dem Tag waren sie auf unseren Feldern mit den Baggermaschinen. An dem Tag ist der MLA mit 7 Personen auf unserer Landwirtschaft gewesen.

LA: Was ist passiert?

VP: Sie haben unsere Weizenernte vernichtet. Wir haben sie daran gehindert, daraufhin wurden wir von Ihnen geschlagen. Wir haben sie angebettelt unsere Ernte nicht zu vernichten. Daraufhin hat der MLA gesagt, ich gebe dir Zeit, 15 Tage, die Landwirtschaft herzugeben, wenn du sie nicht hergibst bringen wir deinen Sohn um. Nach dem 3 Vorfall schickten meine Eltern mich zu meiner Tante nach Uttar Khand.

LA: Wann sind Sie zu Ihrer Tante gezogen?

VP: Im XXXX .

LA: Wie viel Zeit liegt zwischen dem letzten Vorfall und Ihrem Umzug?

VP: 6-7 Tage.

LA: Wie erfolgten die genannten Bedrohungen?

VP: Immer mündlich. Befragt wann war das letzte Mal, im XXXX .

LA: Gab es seit September bis zu Ihrer Ausreise weitere Vorfälle?

VP: Mein Vater hat weiterhin Bedrohungen bekommen. Befragt, es waren Bedrohungen gegen mich.

LA: Wann haben Sie zuletzt von einer solchen Bedrohung gehört?

VP: Bis zum XXXX , ich habe ihn danach nur noch am Flughafen gesehen und seither nichts mehr gehört.

LA: Haben Sie einen der genannten Vorfälle zur Anzeige gebracht?

VP: Wir haben es 2 Mal versucht, aber unsere Anzeige wurde nicht entgegengenommen. Befragt, weil der MLA mächtiger ist als wir.

LA: Wer wusste von Ihrem Aufenthalt bei Ihrer Tante?

VP: Nur meine Eltern. Befragt, ich habe mich nur in Ihrem Haus aufgehalten.

LA: Sie haben das Haus Ihrer Tante 5 Monate nicht verlassen?

VP: Ja.

LA: Hatten Sie selbst noch Probleme seit Sie bei Ihrer Tante gelebt haben?

VP: Nein ich nicht.

LA: Welche Stellung hat Ihre Kaste? Gab es Probleme mit den Behörden aufgrund Ihrer Kastenzugehörigkeit?

VP: Unsere Kaste ist die Nummer 2. Nein es gab keine Probleme.

LA: Gibt es sonst noch ein Vorbringen oder Vorfälle zu Ihrem Fluchtgrund?

VP: Nein.

LA: Sie befinden sich im Sondertransitbereich. Es besteht für Sie jederzeit die Möglichkeit freiwillig auszureisen.

VP: Okay.

LA an Rechtsberatung: Gibt es von Ihrer Seite noch offene Fragen oder Anträge?

RB: Nein.

[…]

1.4.    Am XXXX wurde das Büro des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge in Österreich (im Folgenden: UNHCR) gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 um Erteilung der Zustimmung zur Abweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz ersucht.

1.5.    Mit Schreiben vom XXXX wurde dem BFA mitgeteilt, dass eine Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt werde, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne.

1.6.    Mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom XXXX gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Unter Spruchpunkt III. wurde dem BF gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die vom BF behaupteten Fluchtgründe offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechen würden. Diese Ansicht der Behörde sei letztlich auch vom UNHCR geteilt worden, was sich aus dem im Akt befindlichen Schreiben vom XXXX ergebe. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass eine Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG an dem Umstand scheitere, dass sich der BF nicht im Bundesgebiet aufhalte.

1.7.    Gegen diesen Bescheid erhob der BF, vertreten durch die BBU GmbH, fristgerecht am XXXX vollinhaltlich Beschwerde und verwies auf seine bisher im Verfahren getätigten Angaben.

1.8.    Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (im Folgenden: BVwG) vom XXXX , zu GZ XXXX , wurde die Beschwerde des BF vom XXXX gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Beurteilung des BFA, wonach das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche, sei zutreffend, zumal seine diesbezüglichen Angaben vage und nicht nachvollziehbar gewesen seien. Es sei nicht ersichtlich, warum ausgerechnet der BF sein Heimatland verlassen habe müssen, sein Vater jedoch, dem die Landwirtschaft aufgrund der es zu Bedrohungen gekommen sei gehöre, in Indien verbleiben könne. Wäre die Familie tatsächlich aufgrund der Landwirtschaft bedroht und verfolgt worden, hätte vermutlich auch der Vater des BF Indien verlassen müssen. Überdies habe der BF die drei behaupteten Vorfälle, bei denen er bzw. sein Vater geschlagen und bedroht worden sei, nur vage und oberflächlich geschildert. Auch in zeitlicher Hinsicht seien die Angaben widersprüchlich gewesen. So habe der BF bei seiner Einvernahme vor dem BFA angegeben, der erste Vorfall habe am XXXX , der zweite Vorfall fünf Tage danach, und der dritte Vorfall fünf bis sechs Tage nach dem Zweiten stattgefunden und er sei im XXXX zu seiner Tante gezogen. Auf die anschließende Frage, wie viel Zeit zwischen dem letzten Vorfall und dem Umzug zur Tante vergangen sei, habe er hingegen angegeben, dass lediglich sechs bis sieben Tage dazwischen gelegen seien. Dies stimme keinesfalls mit seinen Angaben, der erste Vorfall habe sich im XXXX ereignet, und er habe bis Mitte XXXX in der Landwirtschaft gearbeitet, überein. Da seine Angaben nicht glaubwürdig gewesen seien, sei nicht davon auszugehen, dass der BF tatsächlich vom MLA und dessen Männern verfolgt werde.

Das Erkenntnis erwuchs am XXXX in Rechtskraft.

2.       Gegenständliches Verfahren

2.1.    Am XXXX stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und gab bei seiner Erstbefragung vor Organen des Öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX zu Protokoll, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht blieben und sich seit dem letzten Asylantrag diesbezüglich nichts geändert habe. Bei einer Rückkehr habe er Angst, von Parteianhängern der gegnerischen Partei getötet zu werden.

2.2.    Am XXXX wurde der BF im Rahmen eines Flughafenverfahrens vor dem BFA, Erstaufnahmestelle Flughafen, niederschriftlich einvernommen. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der BF an, es habe sich seit seinem letzten Asylantrag nichts an seinen Fluchtgründen geändert und er halte diese aufrecht. Er habe keine neuen Fluchtgründe, sein Leben sei jedoch nach wie vor wegen dem Grundstücksstreit in Gefahr. Bei einer Rückkehr nach Indien würden ihn die Leute des MLA umbringen.

2.3.    Mit im Spruch genannten Bescheid vom XXXX wies das BFA den Folgeantrag des BF vom XXXX auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Rechtssache zurück.

Begründend wurde ausgeführt, dass das erste Asylverfahren am XXXX in zweiter Instanz rechtskräftig abgeschlossen worden sei und sich die Fluchtgründe des BF seitdem nicht geändert hätten. Der BF habe seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht gehalten und im gegenständlichen Verfahren keinen Sachverhalt vorgebracht, der nach rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens entstanden sei. Der BF befinde sich seit XXXX im Sondertransitbereich am Flughafen Wien Schwechat, ihm sei bis dato nicht die Einreise in das Bundesgebiet gestattet worden, er habe in Österreich weder familiäre noch soziale Anknüpfungspunkte und spreche nicht Deutsch.

Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG scheitere schon an dem Umstand, dass sich der BF nicht im Bundesgebiet befinde. Da nach § 33 Abs. 5 AsylG im Flughafenverfahren über die aufenthaltsbeendende Maßnahme nach dem 8. Hauptstück des FPG nicht abzusprechen sei, sei eine Prüfung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG und damit verbunden die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht gekommen.

2.4.    Am XXXX erhob der BF, vertreten durch die BBU GmbH, fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX .

In der Beschwerdeschrift wiederholte der BF das bisher vorgebrachte und führte aus, er habe am XXXX einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt und bei der Erstbefragung bzw. der Einvernahme vor dem BFA ausführlich angegeben, dass er im Fall der Rückkehr nach Indien mit massiven Verfolgungshandlungen und Bedrohungen zu rechnen habe. Der zurückweisende Bescheid des BFA vom XXXX sei infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere der Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, rechtswidrig, zumal die belangte Behörde die Lage in Indien völlig verkannt habe. Der BF habe zwar versucht, seine Fluchtgeschichte umfassend und detailliert vorzubringen, sei jedoch bei der Einvernahme durch das BFA nicht ausreichend befragt worden. Die belangte Behörde habe seine Angaben, ohne ihn von vorläufigen Beweisergebnissen in Kenntnis zu setzen, mit dem Bescheid plötzlich pauschal für unglaubwürdig bzw. bereits entschieden befunden. Er sei daher in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Auch die Länderfeststellungen seien selektiv und teilweise unrichtig ausgewertet worden, da diese die unsichere, instabile und beunruhigende Sicherheitslage feststellen würden.

Zum Beweis seines Vorbringens wurde die neuerliche Einvernahme des BF bzw. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

2.5.    Das BFA legte dem BVwG die gegenständliche Beschwerde am XXXX samt der bezughabenden Verwaltungsakte vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des BF

Der BF ist Staatsangehöriger von Indien, spricht Punjabi und Hindi, gehört der Volksgruppe der Siani sowie der Religionsgemeinschaft der Sikhs an und wurde am XXXX in XXXX , Uttar Pradesh (Indien) geboren. Er besuchte im Heimatland zwölf Jahre die Grundschule und arbeitete anschließend bis XXXX als Landwirt auf der familieneigenen Landwirtschaft. Im XXXX zog er von seinem Heimatdorf zu seiner Tante nach Uttar Khand und lebte dort bis zu seiner Ausreise im XXXX . Dort wurde er von seinem Vater finanziell unterstützt. In Indien leben die Eltern des BF. Sein Vater besitzt nach wie vor die Landwirtschaft und kann sich dadurch den Lebensunterhalt sichern. Darüber hinaus lebt in Indien auch eine Tante mütterlicherseits des BF.

Er ist ledig, gesund sowie arbeitsfähig und ist somit in der Lage, im Herkunftsstaat den notwendigen Unterhalt zu sichern.

Der BF befindet sich seit dem XXXX in der Sondertransitzone des Flughafen Wien Schwechat und es wurde ihm die Einreise ins Bundesgebiet nicht gestattet. Er bezieht in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung und ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2.    Zum Verfahrensgang

Der BF reiste am XXXX via Flug XXXX aus Belgrad kommend am Flughafen Wien-Schwechat an und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Vorverfahren zusammengefasst an, dass seine Familie in Indien eine Landwirtschaft in der Größe von fünf Killa besitze und der MLA ihrer Region dieses Grundstück in Besitz habe nehmen wollen. Da seine Familie ihm das Land nicht überlassen habe wollen, seien sein Vater und der BF zwei bis drei Mal von den Leuten des MLA geschlagen und mit dem Umbringen bedroht worden. Der erste Vorfall habe sich im XXXX , der zweite fünf Tage danach, der dritte Vorfall habe sich fünf bis sechs Tage nach dem zweiten Vorfall ereignet. Beim dritten Vorfall habe der MLA der Familie des BF fünfzehn Tage Zeit gegeben, um die Landwirtschaft zu übergeben, widrigenfalls er den BF umbringen würde. Diese Bedrohung habe im XXXX stattgefunden. Sein Vater habe ihn deswegen im XXXX zu seiner Tante geschickt, bei der der BF bis zu seiner Ausreise im XXXX gelebt habe.

Der Antrag vom XXXX wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX abgewiesen, was mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , in zweiter Instanz bestätigt wurde. Daraufhin stellte der BF am XXXX einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, der mit nunmehr angefochtenem Bescheid des BFA vom XXXX wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen wurde. Zu den einzelnen Spruchpunkten im Detail sowie zur Begründung wird auf die diesbezügliche Zusammenfassung unter Punkt I.2.3. verwiesen.

1.3.    Zu den Flucht- und Verfolgungsgründen

Der BF brachte seit Rechtskraft der Entscheidung über seinen letzten Asylantrag vom XXXX kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen vor. Das von ihm aufrecht erhaltene Vorbringen erwies sich schon im Vorverfahren als im Kern unglaubwürdig.

Nicht festgestellt werden kann des Weiteren, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach dem BF in Indien aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Gefahr für das Leben oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr nach Indien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Der BF leidet an keiner zwischenzeitlich aufgetretenen lebensbedrohlichen oder im Herkunftsland nicht behandelbaren Krankheit.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Obwohl Indien derzeit von COVID-19 stark betroffen und daher das Gesundheitssystem entsprechend strapaziert ist, besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde, da er mit Blick auf sein Alter, seinen Gesundheitszustand und das Fehlen physischer Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend dieser Krankheit angehört.

Auch sonst ist in Indien zwischenzeitlich keine entscheidungswesentliche Änderung der Situation eingetreten.

1.4.    Zur COVID-19-Krankheit:

COVID-19 (coronavirus disease 2019 "Coronavirus-Krankheit 2019") ist eine durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Infektionskrankheit. Sie wurde erstmals 2019 in der Metropole Wuhan (Provinz Hubei) beschrieben, entwickelte sich im Januar 2020 in der Volksrepublik China zur Epidemie und breitete sich schließlich zur weltweiten COVID-19-Pandemie aus. Die genaue Ausbruchsquelle ist derzeit noch unbekannt. Es wird angenommen, dass sich das Virus wie andere Erreger von Atemwegserkrankungen hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion verbreitet (vgl. https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Uebertragbare-Krankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/Neuartiges-Coronavirus.html; Stand 12.06.2020).

Die Wahrscheinlichkeit von schweren Erkrankungen und Todesfa?llen steigt bei Personen u?ber 65 Jahren und bei Personen mit definierten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf- Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen, geschwächtem Immunstatus, Krebs und Fettleibigkeit deutlich an. Diese Risikogruppen sind bis heute für die Mehrheit der schweren Erkrankungen und Todesfälle verantwortlich. Nach der Infektion gibt es aktuell (noch) keine spezifische Behandlung fu?r COVID-19, jedoch kann eine frühzeitige unterstützende Therapie, sofern die Gesundheitsfürsorge dazu in der Lage ist, die Ergebnisse verbessern. Zusammenfassend la?sst sich sagen, dass der Krankheitsverlauf des COVID-19, sofern es durch das Coronavirus ausgelo?st wurde, fu?r die Allgemeinbevo?lkerung als mild bis moderat, fu?r a?ltere Menschen mit definierten Risikofaktoren jedoch als gravierend bis to?dlich eingescha?tzt wird (vgl. www.who.int/health topics/coronavirus).

1.5.    Zur Lage im Herkunftsstaat Indien werden die vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen dem Verfahren zugrunde gelegt

1.4.1.  COVID-19

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021

?        FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

?        GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

?        HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

?        HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021

?        TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021

1.4.2.  Politische Lage

Letzte Änderung: 21.05.2021

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).

Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (11.2.2021): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 6.5.2021

?        BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 23.3.2021

?        CIA - Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 6.5.2021

?        DS Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi-inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 6.5.2021

?        DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 6.5.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.5.2021

?        KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf, Zugriff 11.5.2021

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020

?        TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff am 6.5.2021

1.4.3.  Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).

Indien und China

Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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