TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/30 I406 2119287-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2021
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Entscheidungsdatum

30.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I406 2119287-1/59E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2015, Zl. XXXX nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 28.05.2019 sowie am 28.07.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte II. bis V. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt III., erster Satz zu lauten hat:

„Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wird Ihnen gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), nicht erteilt.“

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. wird stattgegeben und das auf die Dauer von sieben Jahren befristete Einreiseverbot ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste spätestens im September 2013 in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am 22.09.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Rahmen der Erstbefragung am 24.09.2013 an, er sei am XXXX .1995 in Freetown, Sierra Leone, geboren. Sein Fluchtgrund sei, dass er in der Heimat kaum Möglichkeit gehabt habe, zu überleben, da seine Eltern verstorben seien und sein Ziehvater sich nicht mehr um ihn habe kümmern können.

Das XXXX hielt in einem gerichtsmedizinischen Gutachten zur forensischen Altersschätzung vom 27.11.2013 ein Mindestalter des Beschwerdeführers zum Untersuchungszeitpunkt von 21 Jahren fest.

Auf Vorhalt dieses Gutachtens erklärte der Beschwerdeführer in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 09.12.2013, nach dem Tod seines Vaters habe ihm sein Vormund gesagt, sein Geburtsdatum sei der XXXX 1995.

In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 18.03.2014 beharrte der Beschwerdeführer, befragt zu seiner Herkunft, darauf, aus Sierra Leone zu stammen, und verneinte die Frage, ob er je außerhalb von Freetown gelebt habe, weiters die Frage, ob er je in einem anderen Land außerhalb von Freetown Probleme gehabt habe.

Ein XXXX - Sprachanalysebericht vom 07.05.2014 hielt fest, der Beschwerdeführer stamme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus Sierra Leone.

In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 12.01.2015 verneinte der Beschwerdeführer nach Vorhalt des XXXX Gutachtens erneut die Frage, ob er vor der Einreise nach Österreich jemals außerhalb von Sierra Leone gelebt habe.

In seinem Gutachten vom 28.11.2015 hielt der Sachverständige XXXX zusammenfassend fest, eine Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Sierra Leone sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, ebenso sei der Beschwerdeführer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Nigeria hauptsozialisiert worden; positive Hinweise auf eine Haupt- oder Teilsozialisierung außerhalb Nigerias lägen nicht vor.

In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 21.12.2015 erklärte der Beschwerdeführer nach Vorhalt des Gutachtens von XXXX erneut, aus Sierra Leone zu stammen.

Mit Bescheid vom 21.12.2015, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr.100/2005 (AsylG) (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab; zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) erlassen. Weiters wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Absatz 1 AsylG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) Gemäß § 13 Absatz 2 AsylG hat er sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 17.05.2014 verloren (Spruchpunkt V.). Zugleich wurde gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 FPG über ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

Mit Eingabe vom 05.01.2016 erhob der Beschwerdeführer, damals vertreten durch RA Edward W. Daigneault, gegen den vorangeführten Bescheid der belangten Behörde vollumfänglich Beschwerde. Zur Herkunft des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, „meine grundsätzliche Abstammung aus Nigeria war insofern nie anzuzweifeln, weil aus meinem Familiennamen XXXX die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Igbos hervorgeht, und zwar auch, wenn mir selbst eine derartige Zugehörigkeit gar nie bewusst war. Schließlich hatte ich keine Papiere und wuchs ohne Eltern auf. In wieweit anhand meiner sonstigen Aussagen der Aufenthalt in Sierra Leone zurecht angezweifelt werden darf, erscheint nicht wichtig.“

Mit Beschluss vom 10.02.2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als verspätet zurück.

Mit Erkenntnis vom 09.06.2016 behob der Verfassungsgerichtshof diesen Beschluss, da im Gegensatz zur Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerdefrist im gegenständlichen Fall vier Wochen betrage und die Beschwerde daher rechtzeitig eingebracht worden sei.

Mit Schreiben vom 18.04.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat zum rechtlichen Gehör sowie Fragen zu seiner persönlichen Situation.

Mit Stellungnahme vom 07.05.2019 brachte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers vor, die menschenrechtliche sowie wirtschaftliche Lage im Herkunftsstaat sei entsprechend den Länderberichten prekär und brachte weiters zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers vor, dieser habe sich bestens integriert und sei ehrenamtlich tätig, befinde sich in der Grundversorgung und verfüge über einen Arbeitsvorvertrag.

Am 28.05.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

Der Beschwerdeführer blieb dieser unentschuldigt fern.

Mit Erkenntnis vom 29.05.2019, I406 2119287-1/20E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom 21.12.2015 als unbegründet ab.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

Mit Erkenntnis vom 28.11.2019, E 2548/2019-16, hob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.05.2019 auf, soweit damit die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie gegen die rechtlich davon abhängenden Aussprüche abgewiesen worden war. Im Übrigen (soweit dem Beschwerdeführer die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten versagt blieb) lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Zusammengefasst begründete der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung damit, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Feststellungen zur Lage in Nigeria auf veraltete Länderberichte gestützt habe.

Daraufhin erhob der Beschwerdeführer am 03.02.2020 außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

Mit Beschluss vom 20.02.2020, Ra 2020/14/0069-3, wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurück.

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erwuchs am selben Tag in Rechtskraft.

Mit Schreiben vom 07.04.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die Länderberichte zur Situation in Nigeria. Der Beschwerdeführer nahm die Gelegenheit zur Erstattung einer Stellungnahme zu den Länderberichten nicht wahr.

Am 15.04.2020 gab der damalige Rechtsvertreter RA Edward W. Daigneault dem Bundesverwaltungsgericht die Vollmachtsauflösung bekannt.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 28.07.2021 an.

Mit der Ladung zur Verhandlung wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderberichte zur Situation in Nigeria übermittelt und ihm die Gelegenheit gegeben, zur Frage einer allfälligen sozialen Verfestigung in Österreich Stellung zu nehmen. Die Ladung und das Parteiengehör wurden dem Beschwerdeführer am 17.06.2021 ordnungsgemäß durch Hinterlegung zugestellt.

Nachdem der Beschwerdeführer das Schriftstück nicht behob, veranlasste das Bundesverwaltungsgericht zusätzlich eine polizeiliche Zustellung der Ladung und des Parteiengehörs, welche trotz mehrmaliger Zustellversuche durch das SPK XXXX nicht erfolgreich war.

Der Beschwerdeführer blieb der am 28.07.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung unentschuldigt fern.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsbürgerschaft und Herkunft.

Der Beschwerdeführer reiste spätestens im September 2013 in das österreichische Bundesgebiet ein. Er ist seit dem 25.05.2020 nicht mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Ab dem 18.02.2021 hatte er eine Nebenwohnsitzmeldeadresse in Österreich, die mit 23.07.2021 abgemeldet wurde. Aktuell verfügt er über keine aufrechte Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 20.05.2014, XXXX , wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften gemäß §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wovon sechs Monate unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden. Datum der letzten Tat ist der 17.05.2014.

Die Verurteilung ist seit dem 17.06.2019 getilgt, seither gilt der Beschwerdeführer als unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat am 04.08.2016 die B1-Prüfung für Deutsch abgelegt.

Der Beschwerdeführer verfügt über mehrjährige Schulbildung im Herkunftsstaat und verfügt dort über einen Bruder und damit über familiäre Anknüpfungspunkte, in Österreich machte er keine familiären Anknüpfungspunkte geltend.

Der Beschwerdeführer lebte bis 23.05.2020 von der Grundversorgung und verfügt über einen Arbeitsvorvertrag.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat (Stand 23.11.2020) des Beschwerdeführers stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

1        COVID-19

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020). Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet (WKO 14.9.2020).

Anm.: Diese Informationen zu COVID-19 sind zum Teil ebenfalls in den Kapiteln Bewegungsfreiheit, medizinische Versorgung und Grundversorgung eingepflegt.

Quellen:

•        Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 13.10.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.10.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html, Zugriff 13.10.2020

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html, Zugriff 13.10.2020

2        Politische Lage

Letzte Änderung: 17.11.2020

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl. AA16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress" (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party" (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).

Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 30.9.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786, Zugriff 30.9.2020

•        BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

•        DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a- 47858131, Zugriff 9.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019, Zugriff 9.4.2020

3        Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.11.2020

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_- abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_- 2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise

(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5,16.4.2020

•        BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345, Zugriff 28.10.2020

•        CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 8.10.2020

•        DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft, Zugriff 28.10.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_C OI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in-zamfara-state-on-june-20, Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)

•        Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020

•        UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 8.10.2020

Nigerdelta

Letzte Änderung: 17.11.2020

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben (ÖB 10.2019).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Es kam zur Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur (AA 16.1.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020). Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein neuer Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2019). Das Amnestieprogramm ist bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein „Waffenstillstand“ zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu „erkaufen“ und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 16.1.2020).

Die Lage bleibt aber sehr fragil, da weiterhin kaum nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 16.1.2020). Angriffe auf Erdöleinrichtungen stellen weiterhin eine Bedrohung für die Stabilität und die Erdölproduktion dar (ACCORD 17.4.2020). Der Konflikt betrifft die Staaten des Nigerdeltas, darunter Abia, Akwa, Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers (EASO 2.2019).

Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 16.1.2020).

Das Risiko von Entführungen ist hoch und besteht landesweit (AA 8.10.2020), so wurden auch im Jahr 2019 Zivilisten entführt um Lösegeld zu erhalten (USDOS 11.3.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (8.10.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 8.10.2020

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

Middle-Belt inkl. Jos/Plateau

Letzte Änderung: 17.11.2020

In Zentralnigeria bestehen Konflikte zwischen Hirten und Bauern um Land und Ressourcen. In einzelnen Fällen forderten diese Auseinandersetzungen mehrere hundert Tote. Der Konflikt nimmt durch die fortschreitende Wüstenbildung in Nordnigeria, Bevölkerungswachstum und die angespannte wirtschaftliche Lage zu (AA 24.5.2019a).

Seit Jahrzehnten kommt es in Nigeria – vorwiegend im Middle-Belt – zu religiös motivierter Gewalt zwischen christlichen, sesshaften Bauern und nomadisch lebenden, muslimischen Viehhirten. Ursprünglich ein Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser und Land, hat der Konflikt zunehmend eine ethnisch-religiöse Dimension bekommen (EASO 2.2019). Der Konflikt lädt sich immer stärker ideologisch auf und verstärkt den Antagonismus zwischen Christen und Muslimen bzw. verschiedenen Ethnien (AA 16.1.2020).

2019 gab es weniger Berichte über religiös motivierte interkommunale Gewalt im Middle Belt als im Jahr 2018. Es gab jedoch Berichte über Angriffe von kommunalen oder ethnischen Milizen auf ganze Gemeinden, wie in Kaduna zwischen christlichen Adara und muslimischen Fulani Gruppen, sowie in Zamfara und Taraba (USCIRF 4.2020). Bei bewaffneten Zusammenstößen zwischen Bauern und Viehhirten über immer knapper werdende Ressourcen wurden 2019 mindestens 96 Menschen getötet (AI 8.4.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 30.9.2020

•        AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty Report, Nigeria, 2019, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669032, Zugriff 16.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028970/Nigeria.pdf, Zugriff 9.10.2020

Nordnigeria – Boko Haram

Letzte Änderung: 23.11.2020

Boko Haram ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 24.5.2019a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama’atu Ahlis Sunna Lidda’awati wal-Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a).

Dem Konflikt fielen bisher unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 24.5.2019a; vgl. HRW 14.1.2020; EASO 11.2018a). Milizen der Boko Haram und der an Einfluss gewinnende ISIS-WA terrorisieren die Zivilbevölkerung weiterhin durch Mord, Raub, Zwangsverheiratungen, Vergewaltigung und Menschenhandel (AA 16.1.2020). Diese Gruppen sind auch weiterhin für Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich (USDOS 24.6.2020).

Seit der Angelobung von Präsident Buhari im Mai 2015 wurden effektivere Maßnahmen gegen die Aufständischen ergriffen (ACCORD 17.4.2020). Die von Boko Haram betroffenen Staaten (v.a. Kamerun, Tschad, Niger, Nigeria) haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer circa 10.000 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AU-EU o.D.). In den vergangenen Jahren wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten intensiviert und hat laut Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten „technischen Sieg“ geführt (ÖB 10.2019). Tatsächlich gelang es dem nigerianischen Militär und Truppen aus den Nachbarländern Tschad, Niger und Kamerun, Boko Haram aus einigen Gebieten zu verdrängen (GIZ 9.2020a). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten Islamischen Staat ist Boko Haram mittlerweile zur ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen - oft auch durch Attentäterinnen - zurückgekehrt (ÖB 10.2019; vgl. ACCORD 17.4.2020). Insgesamt hat sich die Sicherheitslage im Nordosten nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 wieder verschlechtert. Die nigerianischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, ländliche Gebiete zu sichern und zu halten und beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 16.1.2020)

Einige Gebiete stehen immer noch unter der Kontrolle der verschiedenen Fraktionen der Gruppe. JAS scheint im Nordosten in Richtung Kamerun am aktivsten zu sein, während ISIS-WA hauptsächlich in der Nähe der Grenze zu Niger operiert (EASO 2.2019). Im Jahr 2019 führten Boko Haram und ISIS-WA Angriffe auf Bevölkerungszentren und Sicherheitskräfte im Bundesstaat Borno durch. Boko Haram führte zudem in eingeschränktem Ausmaß Anschläge im Bundesstaat Adamawa durch, während ISIS-WA Ziele im Bundesstaat Yobe angriff. Boko Haram kontrolliert zwar nicht mehr so viel Territorium wie zuvor, jedoch ist es beiden Gruppen im Nordosten des Landes weiterhin möglich, Anschläge auf militärische und zivile Ziele durchzuführen (ACCORD 17.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

ISIS-WA scheint im Juni 2020 im nordöstlichen Nigeria wieder an Stärke zu gewinnen. Im Juni 2020 wurden mehr als 120 Menschen innerhalb einer Woche von der Gruppe getötet (AP 26.6.2020). Allein im Jahr 2019 sind ca. 640 Zivilisten bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Boko Haram getötet worden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 16 Menschen (HRW 14.1.2020). Laut einer anderen Quelle wurden bei mindestens 31 bewaffneten Angriffen der Boko Haram im Jahr 2019 mindestens 378 Zivilpersonen getötet (AI 8.4.2020). Im Jahr 2018 kamen beim Konflikt im Nordosten zumindest 1.200 Personen ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

IOM zählt derweil etwa 1,6 Millionen IDPs, ca. 200.000 nigerianische Flüchtlinge befinden sich in den Nachbarländern (AA 24.5.2019a). Andere Quellen berichten von circa zwei Millionen IDPs und mehr als 240.000 nigerianischen Flüchtlingen in den angrenzenden Staaten (USDOS 11.3.2020).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 30.9.2020

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

•        AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty Report, Nigeria, 2019, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669032, Zugriff 16.4.2020

•        AP - The Associated Press (26.6.2020): In Nigeria, an Islamic State-linked group steps up attacks, https://apnews.com/article/d72560593efce0a51e15190c95ac3705, Zugriff 9.10.2020

•        AU-EU - African Union-EU Partnership (o.D.): Multinational Joint Task Force (MNJTF) against Boko Haram, https://www.africa-eu-partnership.org/en/projects/multinational-joint-task-force-mnjtf-against-boko-haram, Zugriff 9.10.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/nigeria/geschichte-staat/, Zugriff 30.9.2020

•        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022679.html, Zugriff 17.4.2020

•        HRW - Human Rigths Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2002184.html, Zugriff 11.4.2019

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032436.html, Zugriff 9.10.2020

4        Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 17.11.2020

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020; ÖB 10.2019). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 16.1.2020). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2019). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 16.1.2020). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 11.3.2020).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 16.1.2020). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem („Common Law" oder „Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte" neben „Common Law"- und „Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2019).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; ÖB 10.2019; USDOS 11.3.2020). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Vor allem auf Bundesstaatsund Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020) sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; USDOS 11.3.2020; ÖB 10.2019; BS 2020). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 4.3.2020).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 16.1.2020). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 11.3.2020). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 16.1.2020).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 16.1.2020). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 16.1.2020).

Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und -fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt (UKHO 3.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/upload s/system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.fi nal_v.1.G.PDF, Zugriff 29.4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

5        Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 15.06.2020

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 16.1.2020). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl unter der von der UN empfohlenen Zahl (UKHO 3.2019). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 11.3.2020). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 16.1.2020). Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 16.1.2020). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig (ÖB 10.2019).

Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2019). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 16.1.2020). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 11.3.2020).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Es gab allerdings kleinere Erfolge im Bereich der Reorganisation von Teilen des Militärs und der Polizei (BS 2020). Der Regierung fehlen wirksame Mechanismen und ausreichender politischer Wille, um die meisten Fälle von Missbrauch durch Sicherheitskräfte sowie Korruption in den Sicherheitskräften zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

6        Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 23.11.2020

Durch Verfassung und Gesetze sind Folter und andere unmenschliche Behandlungen verboten. Seit Dezember 2017 sind gemäß Anti-Folter-Gesetz Strafen vorgesehen. Gesetzlich ist die Verwendung von unter Folter erlangten Geständnissen in Prozessen nicht erlaubt. Die Behörden respektieren diese Regelung jedoch nicht immer. Der Administration of Criminal Justice Act (ACJA) aus dem Jahr 2015 verbietet Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Häftlingen; er schreibt jedoch keine Strafen für Verstöße vor. Zudem muss jeder Bundesstaat ACJA-konforme Gesetze auch einzeln verabschieden, was bis Mitte 2019 erst in Akwa Ibom, Anambra, Cross River, Delta, Ekiti, Enugu, Kaduna, Lagos, Ogun, Ondo, Oyo und Rivers geschehen ist (USDOS 11.3.2020).

Die nigerianischen Sicherheitskräfte sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu begehen: Allen glaubwürdigen Hinweisen zufolge gehören Folter, willkürliche Verhaftungen und extralegale Tötungen nach wie vor zum Handlungsrepertoire staatlicher Sicherheitsorgane (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; BS 2020). Darunter haben insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten zu leiden (AA 16.1.2020). Neben der Polizei wird auch dem Militär vorgeworfen, extralegale Tötungen, Folter und andere Misshandlungen anzuwenden (FH 4.3.2020). Stockschläge werden als Strafe eingesetzt. Im Kampf gegen Boko Haram und ISIS-WA im Nordosten des Landes kommt es im Rahmen von Anti-Terror-Operationen durch Sicherheitskräfte zu Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter, außergerichtliche Tötungen, willkürliche Verhaftungen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 16.1.2020) und Verschwindenlassen. Betroffen sind davon zum Teil auch Untersuchungshäftlinge, Schiiten, Biafra-Aktivisten und mutmaßliche Bandenkriminelle. Berichten zufolge begehen Angehörige des Militärs außerdem schwere Menschenrechtsverletzungen in IDP-Camps. Die Regierung bestreitet dies (AA 16.1.2020).

Im März 2016 wurde eine Menschenrechtsstelle in der Abteilung für Zivil-Militärische Angelegenheiten beim Stab des Heeres eingerichtet. Regierung und Militär haben im Jahr 2019 mehrere Versuche unternommen, einige Vorfälle zu untersuchen. Die Menschenrechtskommission wurde außerdem beauftragt, Spezialeinheiten der Polizei zu untersuchen, die sich weitreichender Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben sollen. Bisher blieben aber alle Untersuchungen ohne rechtliche Konsequenzen (AA 16.1.2020).

Die Sicherheitskräfte bleiben bei Vergehen weitgehend ungestraft (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 16.1.2020). Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat ist durch immer wieder gemeldete Fälle von widerrechtlichen Tötungen, Folter und unmenschlicher Behandlung in Polizeihaft unterentwickelt (ÖB 10.2019). Selbst die staatliche Menschenrechtskommission schätzt die Zahl extra-legaler Tötungen auf jährlich ca. 5.000 (AA 16.1.2020).

Das Militär wird wiederholt von Menschenrechtsorganisationen wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter und anderer Missbräuche kritisiert, unter anderem im Rahmen der Aufstandsbekämpfung im Nordosten und bei Operationen gegen separatistische Bewegungen im Südosten des Landes (FH 4.3.2020).

Die Special Anti-Robbery Squad (SARS) geht brutal gegen Verdächtige vor. Häufig kommt es zu Folter oder erzwungenen Geständnissen (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 9.2020a), oder auch Tötungen unter dem Vorwand, dass die Häftlinge haben fliehen wollen. Die nationale Menschenrechtskommission untersucht derzeit diese Polizeieinheit. Sie wurde bereits einer Umstrukturierung unterzogen, deren Auswirkungen noch nicht eingeschätzt werden können. Dabei handeln die Täter in der Gewissheit weitgehender Straflosigkeit, da es nur in den seltensten Fällen zu unabhängigen Untersuchungen, geschweige denn zu disziplinar- oder gar strafrechtlichen Konsequenzen kommt. Wenn Polizisten beschuldigt werden, an extralegalen Tötungen beteiligt zu sein, werden sie durch ihre Vorgesetzten gedeckt und oft bewusst in andere Regionen versetzt, um eine Klärung der Vorwürfe zu verhindern. Hauptbetroffene sind in der Regel Personen, die eines Gewaltverbrechens verdächtig sind; diese werden nach dem Ablegen eines (häufig durch Folter erlangten) Geständnisses oft noch im Polizeigewahrsam „exekutiert". Immer wieder kommt es auch vor, dass Sicherheitskräfte an von ihnen errichteten Straßensperren unvermittelt das Feuer eröffnen, etwa wenn sich jemand weigert, ein gefordertes Schmiergeld zu zahlen (AA 16.1.2020). Am 11.10.2020 wurde die berüchtigte Spezialeinheit SARS nach einer Welle des Protests, die das ganze Land erfasste, aufgelöst (Guardian 11.10.2020). SARS soll nach internationalem Vorbild in Swat (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle ging jedoch weiter, der von den Demonstranten verwendete Hashtag ENDSARS wurde lediglich in END

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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