TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/30 I403 2242693-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.06.2021
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Entscheidungsdatum

30.06.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2242693-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Deutschland und Ungarn, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2021 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der Bescheid wie folgt abgeändert:

„I. Gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz wird gegen Sie ein für die Dauer von zwei (2) Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz wird Ihnen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist seit Dezember 2017 in Österreich; er wurde wegen des Anbaus von Cannabispflanzen mit Urteil des LG XXXX vom 17.02.2021 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 12 Monate bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.04.2021 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) 2005 ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Überdies wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Gegen den Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 24.05.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und auf familiäre, soziale und berufliche Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet verwiesen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.06.2021 vorgelegt. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.06.2021 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Am 29.06.2021 wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der auch die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin befragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Deutschlands und Ungarns und somit EU-Bürger. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer besuchte zunächst in Deutschland die Schule, ehe er in Ungarn das Gymnasium abschloss. Er begann 2003 ein Studium in München, bekam aber finanzielle Probleme und schloss dieses nicht ab. 2006 kehrte er nach Ungarn zurück, wo auch sein Vater lebt. Der Beschwerdeführer ging verschiedenen Gelegenheitsjobs nach, unter anderem bei Gärtnereien und im Bereich der Hausverwaltung. Seine Schwester zog 2007 nach Wien; der Beschwerdeführer kam in den folgenden Jahren immer wieder nach Wien, entschloss sich aber erst im Dezember 2017, endgültig nach Wien zu übersiedeln, da er in Ungarn Schwierigkeiten hatte, angemessene Stellen zu finden. Nachdem seine Schwester im Februar 2018 ihre Wohnung in Wien aufgab und nach Ungarn zurückkehrte, suchte der Beschwerdeführer eine günstige Wohngelegenheit und mietete ab dem 07.03.2018 ein Zimmer bei XXXX . Seither ist er auch in Österreich gemeldet. Wenige Monate später entwickelte sich eine Beziehung mit XXXX , die auch aktuell noch von Bestand ist. Er war vom 05.02.2018 bis 31.01.2019 bei der XXXX GmbH in der Produktion von Cannabidiol (CBD) beschäftigt. Nachdem das Unternehmen in Schwierigkeiten geriet, kündigte der Beschwerdeführer und unterstützte etwa zehn Monate lang einen Bekannten bei dessen Versuch, eine Hanfstecklinge-Produktion aufzubauen, in der Hoffnung, dort eine geregelte Anstellung zu bekommen, was sich aber nicht erfüllte. Aufgrund einer durch die Jobprobleme des Beschwerdeführers bedingten Beziehungskrise und der Covid-19-Pandemie verbrachte der Beschwerdeführer die Zeit von März 2020 bis August 2020 bei seinem Vater und seiner Schwester in XXXX , einem Dorf in der Nähe des Plattensees. Nach seiner Rückkehr bot ihm ein Freund an, dass der Beschwerdeführer bei ihm wohnen könne und dass er einen Bekannten habe, der den Beschwerdeführer in der CBD-Produktion in seinem Unternehmen XXXX GmBH anstellen werde. Zugleich bat er den Beschwerdeführer aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes, die illegal in seiner Wohnung gezogenen Cannabisplanzen zu beaufsichtigen und zu pflegen. Der Beschwerdeführer sagte dies zu, wohnte ab September 2020 zwar wieder größtenteils bei XXXX , kümmerte sich aber um die Pflanzen. Zugleich begann er für die XXXX GmBH zu arbeiten; allerdings wurde ihm kommuniziert, dass eine dreimonatige Probezeit notwendig sei und er in dieser Zeit noch nicht angemeldet werden könne.

Der Beschwerdeführer wurde bei der Aufzucht der Cannabispflanzen betreten und in der Folge festgenommen und rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt, weil er durch den Anbau und die Ernte von etwa 360 Cannabispflanzen zwischen März und Juni 2020 6 Kilogramm Cannabiskraut erzeugt hat und zudem versucht hat, im Oktober 2020 nochmals zu ernten, was durch eine polizeiliche Sicherstellung verhindert wurde. Er wurde wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs. 1 erster Fall, Abs. 2 Z 2, Abs. 4 Z 3 SMG, 15 StGB mit Urteil des LG XXXX vom 17.02.2021 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 12 Monate bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Mildernd wurden das Geständnis, die Sicherstellung des Suchtgiftes und die untergeordnete Tatbeteiligung im Rahmen der kriminellen Vereinigung, erschwerend dagegen die einschlägige Vorstrafe in Ungarn berücksichtigt. Der Beschwerdeführer erzielte durch seine Tat keinen bezifferbaren Gewinn, sondern bekam lediglich Cannabis zum Eigenkonsum und die Möglichkeit, in der Wohnung des Freundes zu übernachten.

Die einschlägige Vorstrafe in Ungarn bezieht sich auf eine Verurteilung im Jahr 2012 zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe wegen der Aufzucht von 12 Cannabispflanzen.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 28.10.2020 bis 17.02.2021 in Haft. Nach seiner Entlassung aus der Haft begann er wieder bei der XXXX GmBH als Gärtner für die Produktion von Hanfstecklingen zu arbeiten, doch wurde ihm wiederum mitgeteilt, dass er nochmals eine dreimonatige Probezeit absolvieren müsse und in dieser Zeit nicht angestellt werde. Erst seit 18.05.2021 befindet er sich in einem angemeldeten Beschäftigungsverhältnis; aktuell ist er für 25 Wochenstunden beschäftigt, eine Aufstockung ist geplant.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Anmeldebescheinigung.

Der Beschwerdeführer konsumiert seit seiner Verurteilung kein Cannabis mehr und strebt therapeutische Unterstützung an.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister (aus welchem sich ergibt, dass der Beschwerdeführer über keine Anmeldebescheinigung verfügt), dem zentralen Melderegister (woraus sich die Hauptwohnsitzmeldung ergibt) und dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger (aus welchem sich die angemeldeten Erwerbstätigkeiten des Beschwerdeführers ergeben) eingeholt.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum) und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf dem Akteninhalt der belangten Behörde.

Die Wohnsitzmeldungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister der Republik.

Die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich und dem im Akt einliegenden Urteil. Soweit der Beschwerdeführer in der Verhandlung am 29.06.2021 erklärte, er sei für die Aufzucht der Pflanzen bis Juni nicht verantwortlich gewesen, weil er sich zu dieser Zeit in Ungarn befunden habe (was auch von seiner Lebensgefährtin bestätigt wurde), ist darauf zu verweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Falle einer verurteilenden Entscheidung durch ein Strafgericht in der Frage gebunden ist, soweit dadurch (vorbehaltlich einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens) mit absoluter Wirkung, somit gegenüber jedermann, bindend festgestellt ist, dass die schuldig gesprochene Person die strafbare Handlung entsprechend den konkreten Tatsachenfeststellungen des Strafurteils rechtswidrig und schuldhaft begangen hat (vgl. etwa VwGH 10.12.2014, Ro 2014/09/0056).

Die sonstigen Feststellungen ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin in der Verhandlung am 29.06.2021, etwa auch die Feststellungen zur Verurteilung in Ungarn und zur Beendigung seines Suchtgiftkonsums.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage:

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I. Nr. 87/2012).“

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG idgF BGBl. I Nr. 146/2020 lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse (vgl. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall:

Ein Aufenthaltsverbot kann nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG gegen einen Unionsbürger, der sich unter potentieller Inanspruchnahme seines unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechtes in Österreich aufhält oder aufgehalten hat (vgl. dazu VwGH 19.9.2019, Ro 2019/21/0011, Rn. 9), erlassen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Die belangte Behörde stützte das gegenständlich angefochtene Aufenthaltsverbot auf das strafrechtswidrige Fehlverhalten des Beschwerdeführers, welches seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde lag. Er hatte durch den Anbau und die Ernte von etwa 360 Cannabispflanzen zwischen März und Juni 2020 6 Kilogramm Cannabiskraut erzeugt und zudem versucht, im Oktober 2020 nochmals zu ernten, was durch eine polizeiliche Sicherstellung verhindert wurde. Der Beschwerdeführer wurde wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs. 1 erster Fall, Abs. 2 Z 2, Abs. 4 Z 3 SMG, 15 StGB mit Urteil des LG XXXX vom 17.02.2021 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 12 Monate bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Mildernd wurden das Geständnis, die Sicherstellung des Suchtgiftes und die untergeordnete Tatbeteiligung im Rahmen der kriminellen Vereinigung, erschwerend dagegen die einschlägige Vorstrafe in Ungarn berücksichtigt. Der Beschwerdeführer erzielte durch seine Tat keinen bezifferbaren Gewinn, sondern bekam lediglich Cannabis zum Eigenkonsum und die Möglichkeit dort zu wohnen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 08.07.2020, Ra 2019/14/0272, mwN; vgl. auch die Rechtsprechung des EGMR, der Drogenhandel als Plage [„scourge“] bezeichnet und daher hartes Vorgehen nationaler Behörden dagegen billigt, jüngst EGMR 15.10.2020, Akbay u.a./Deutschland, 40495/15, Z 110). Suchtgifthandel wurde vom VwGH als typischerweise „schweres Verbrechen“ bezeichnet, so etwa VwGH 22.10.2020, Ra 2020/14/0456, mwN.

Zugleich ist zu berücksichtigen, dass die erkennende Richterin in der Verhandlung einen durchaus positiven Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen konnte und er sich tatsächlich um eine Stabilisierung seines Lebens und um eine nachhaltige Abwendung vom früheren Suchtgiftkonsum zu bemühen scheint. Außerdem hat der Beschwerdeführer nicht aus Gewinnstreben gehandelt, sondern scheint es sich um einen falsch verstandenen „Freundschaftsdienst“ gehandelt zu haben und den natürlich zu verurteilenden Versuch, auf diesem Weg zu einer legalen Anstellung in der Produktion von Hanfstecklingen, die dem Beschwerdeführer aus seiner Sicht einen Ausweg aus prekären Arbeitsverhältnissen eröffnete, zu kommen.

Andererseits ist unbestritten, dass bei Suchtgiftdelikten bekanntermaßen eine hohe Rückfallsquote besteht und dass ein großes öffentliches Interesse an einer Bekämpfung dieser gefährlichen Kriminalitätsform, sowohl unter dem Blickwinkel der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als auch unter dem Gesichtspunkt anderer in Artikel 8 Absatz 2 MRK genannter öffentlichen Interessen, gegeben ist (VwGH 07.03.2009, 2007/21/0545; 30.04.2009, 2008/21/0132). Erschwerend kommt beim Beschwerdeführer hinzu, dass er bereits 2012 wegen der Aufzucht von Cannabispflanzen in Ungarn verurteilt worden war. Trotz der (auch in Relation zur Aufzucht von 12 Cannabispflanzen) langen Freiheitsstrafe unterstützte der Beschwerdeführer seinen Freund acht Jahre später in Wien ebenfalls bei der verbotenen Aufzucht von Cannabispflanzen; der Lerneffekt aus der ersten Verurteilung war daher gering. Wie bereits erwähnt war der persönliche Eindruck in der Verhandlung durchaus positiv und scheint der Beschwerdeführer ein geregeltes Leben mit einer Anstellung durchaus schätzen gelernt zu haben; zugleich liegt es nahe, dass er – wie dies bereits der Fall seines Freundes gezeigt hat, für den er die verbotenen Pflanzen aufgezogenen und der ihm die Anstellung in der Produktion der erlaubten Stecklinge vermittelt hat - durch seine Tätigkeit in der CBD-Branche offenbar immer wieder in Berührung mit der Suchtmittelszene (rund um Cannabis) kommt.

Der Verwaltungsgerichtshof fordert in ständiger Rechtsprechung, dass es eines maßgeblichen Beobachtungszeitraumes bedarf, innerhalb dessen sich ein nach dem SMG straffällig gewordener Fremder - in Freiheit - bewährt haben muss, um von einem Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können (VwGH 22.01.2014, 2013/21/0099). Daher muss davon ausgegangen werden, dass der Zeitraum seit dem 17.02.2021, als der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen wurde, noch nicht ausreichend ist, um im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen Gesinnungswandel und damit einen Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung annehmen zu können. Erschwerend kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer in Ungarn bereits einmal einschlägig vorbestraft ist und sich aus dieser ersten Verurteilung offenbar kein Gesinnungswandel ergab.

Aufgrund des erhobenen Sachverhaltes und der dargelegten Erwägungen muss daher davon ausgegangen werden, dass zum Entscheidungszeitpunkt die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich durch einen weiteren Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG ist daher erfüllt.

Bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes kann jedoch ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eines Fremden iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss anhand der Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG überprüft werden, ob im vorliegenden Fall ein Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Beschwerdeführers gegeben ist. Unabhängig von der (letztlich nicht entscheidenden) Frage, ob seine Beziehung zu seiner Lebensgefährtin, mit der er zusammenlebt, unter dem Begriff des Privat- oder des Familienlebens zu subsumieren ist, steht fest, dass dies sein Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet stärkt. Zudem hatte der Beschwerdeführer in der Vergangenheit Schwierigkeiten, in Ungarn eine adäquate Anstellung zu finden und verstärkt seine berufliche Tätigkeit sein Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Zugleich kann er in Ungarn wieder im Haus seines Vaters wohnen und verfügt er durch seinen Vater und seine Schwester dort über ein familiäres Netzwerk. Der Beschwerdeführer lebt auch erst seit dreieinhalb Jahren im Bundesgebiet und verbrachte er 2020 einige Monate in Ungarn. Der Verlust seiner Arbeitsstelle ist von ihm angesichts seines Fehlverhaltens in der Vergangenheit hinzunehmen bzw. reicht das Interesse an der Anstellung bzw. an der Fortführung seiner Beziehung im Bundesgebiet nicht aus, um das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Verstöße gegen das SMG aufzuwiegen. Die Beziehung kann, so wie auch schon während seines Aufenthaltes in Ungarn im Jahr 2020, über moderne Kommunikationsmedien und durch Besuche seiner Lebensgefährtin in Ungarn fortgesetzt werden. Es steht dem Beschwerdeführer auch frei, sich in Grenznähe niederzulassen, was die Fortführung der Beziehung erleichtern würde.

Der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verbundene Eingriff in sein Privat- und Familienleben erweist sich daher grundsätzlich als verhältnismäßig. Allfällig mit einem Umzug nach Ungarn verbundene Schwierigkeiten bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse sind im öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen.

Zugleich verkennt das Gericht nicht, dass dem Beschwerdeführer, wie im Strafurteil angeführt wurde, nur eine untergeordnete Tatbeteiligung zukam und er nicht aus Gewinnstreben gehandelt hat, weswegen die Freiheitsstrafe auch zu einem Großteil bedingt nachgesehen wurde. Aufgrund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks geht das Gericht davon aus, dass es dem Beschwerdeführer bereits innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren gelingen wird, sich weiter zu stabilisieren und sich gegebenenfalls auch beruflich neu zu orientieren, so dass dann von einem Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung auszugehen ist.

Die seitens der belangten Behörde gewählte Dauer des Aufenthaltsverbotes von fünf Jahren erweist sich daher als unverhältnismäßig und war diese auf zwei Jahre abzusenken.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher dahingehend Folge zu leisten, dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf zwei Jahre reduziert wurde.

3.2. Zur Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Die belangte Behörde gewährte dem Beschwerdeführer keinen Durchsetzungsaufschub und begründete dies damit, dass im Interesse der Öffentlichkeit eine sofortige Ausreise des Beschwerdeführers notwendig sei. Dies wurde aber nicht näher begründet. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes entsteht durch einen Aufenthalt des Beschwerdeführers von einem weiteren Monat im Bundesgebiet keine besondere Gefährdung, unter anderem da seine strafrechtlichen Verfehlungen sich bislang immer auf die Aufzucht von Cannabispflanzen, was viele Monate in Anspruch nimmt, beschränkten.

Dem Beschwerdeführer ist daher ein Durchsetzungsaufschub in der Dauer von einem Monat zu gewähren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2242693.1.00

Im RIS seit

25.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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