TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/16 W222 2245235-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.08.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

16.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §33
AsylG 2005 §33 Abs1 Z2
AsylG 2005 §33 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W222 2245235-1/4E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Indien, vertreten durch BBU GmbH – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm. § 33 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2, sowie § 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, ist auf dem Luftweg von Belgrad kommend in XXXX gelandet und hat am 19.07.2021 im Zuge einer vorgelagerten Kontrolle gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dabei gab dieser an: „Wenn ich in Indien bleibe, werde ich umgebracht.“

Die ärztliche Untersuchung vom 20.07.2021 ergab, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Untersuchung als haftfähig anzusehen ist.

Bei der Einvernahme am 20.07.2021 gab der Beschwerdeführer an, dass er zwölf Jahre die Grundschule besucht und zuletzt als Landwirt gearbeitet habe. Er sei verheiratet und habe einen Sohn. Im Heimatland würden seine Mutter, seine zwei Schwestern und seine Ehefrau sowie sein Sohn leben. Er habe ca. 3 Monate in Serbien gelebt und habe dann den Direktflug von Belgrad nach Wien am 19.07.2021 genommen. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer folgendes an:

„Im Dezember 2020 machte ich mich gemeinsam mit einigen Dorfbewohnern auf dem Weg nach New Delhi um bei den Bauernprotesten mitzuwirken. Am XXXX erreichten wir mit einem Traktor von XXXX – New Delhi. Am XXXX wurde die „ XXXX “ beim XXXX gehisst. Daraufhin kam es zu zahlreichen Ausschreitungen. Bereits im Februar wurden Familien samt meiner eigenen Familie in meinem Dorf von der Polizei belästigt. Als ich gemeinsam mit mehreren Dorfbewohnern mit einem Traktor in New Delhi bei den Protesten unterwegs war, wurde das Kennzeichnen von der Polizei notiert. Seitdem habe ich Probleme und die Polizei sucht nach mir. Da ich mich nicht mehr sicher fühlte, habe ich beschlossen das Land zu verlassen. Hiermit suche ich in Österreich um Asyl an.“

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 27.07.2021 vor der Erstaufnahmestelle XXXX , gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht in ärztlicher Behandlung stehe, keine Medikamente nehme und körperlich und geistig gesund sei. Weiters gab der Beschwerdeführer Folgendes an:

LA: Wie heißen Sie und wann und wo wurden Sie geboren?

VP: Mein Name ist XXXX und ich wurde am XXXX , in XXXX in meinem Heimatdorf geboren.

LA: Sind Sie verheiratet? Wenn ja, wie lauten die Daten (Name, Geburtsdatum) Ihrer Gattin?

VP: Ich bin verheiratet. Zuerst haben wir traditionell geheiratet und dann haben wir die Ehe registrieren lassen. Auf Nachfrage, am XXXX haben wir traditionell geheiratet, die Registrierung erfolgte ca. 1 ½ Jahre nach der traditionellen Heirat. XXXX , ca. 32 Jahre alt. Auf Nachfrage, ich habe eine Heiratsurkunde zu Hause. Auf Nachfrage, wir haben in XXXX im Haus der Schwiegereltern geheiratet.

LA: Haben Sie Kinder? Wenn ja, wie viele? Nennen Sie den Namen und Geburtsdaten der Kinder.

VP: Ich habe nur einen Sohn XXXX , ca. 11 Jahre alt.

LA: Haben Sie noch Angehörige in Ihrer Heimat Indien?

VP: Mein Vater XXXX vor 20 Jahren verstorben, meine Mutter XXXX , ca. 58 Jahre und 2 Schwestern XXXX , ca. 33 Jahre und XXXX , ca. 30 Jahre leben in Indien.

Meine Ehefrau und meinen Sohn.

LA: Wo genau halten sich Ihre Angehörigen aktuell auf?

VP: Sie leben alle in Indien, Punjab (Provinz), Bezirk XXXX , Dorf XXXX .

LA: Wovon bestreiten Ihre Angehörigen in Indien den Lebensunterhalt?

VP: Ich war, ein Landwirt und ich habe meine Familie ernährt. Auf Nachfrage, als ich noch in Indien war habe ich meine Felder bebaut, jetzt habe ich alles verpachtet. Auf Nachfrage, meine Familie lebt von der Pacht. Auf Nachfrage, meine Schwestern sind verheiratet.

LA: Bitte geben Sie so genau wie möglich die Adresse im Heimatland an, an der Sie zuletzt gelebt haben?

VP: Indien, Punjab (Provinz), Bezirk XXXX , Dorf XXXX .

LA: Wie lange haben Sie an dieser Adresse gelebt?

VP: Ich habe dort mein ganzes Leben bis zur Ausreise gelebt. Ich habe mich nie von meiner Familie weit weg begeben.

LA: Unter welchen Umständen und mit wem lebten Sie in Indien? (Haus, Wohnung, Miete, Eigentum …?)

VP: Es ist mein Eigentumshaus im Dorf, ich lebte dort mit meiner Mutter, meiner Ehefrau und mit meinem Sohn. Auf Nachfrage, das Haus gibt es noch und meine Familie lebt darin.

LA: Wann, wie und mit wem hatten Sie zuletzt Kontakt in Ihrem Heimatland?

VP: Vorgestern habe ich mit meinem Schwager, dem Ehemann meiner Schwester telefoniert. Auf Nachfrage, ich habe ihm gesagt, er soll meine Familie informieren, dass ich jetzt hier angekommen bin. Auf Nachfrage, es geht meiner Familie, meine Mutter ist zwar ständig krank, aber es geht.

LA: Haben Sie in Österreich irgendwelche verwandtschaftlichen oder privaten Bezugspunkte?

VP: Nein.

LA: Welche Schul- und Ausbildung haben Sie?

VP: 12 Jahre Grundschule. Keine Berufsausbildung.

LA: Wovon haben Sie gelebt? Wo waren Sie beschäftigt? Waren Sie bis zu Ihrer Ausreise beruflich tätig?

VP: Ich war als Landwirt in meiner eigenen Landwirtschaft tätig. Mein Vater war Bauer und ich auch.

LA: Möchten Sie irgendwelche Beweismittel/Dokumente/ärztliche Befunde etc. vorlegen? Haben Sie Dokumente bei sich?

VP: Was für Dokumente?

LA: Wenn Sie Fotos, Beweismittel, Pass, Personalausweis etc. haben?

VP: Nein. Ich habe alles in Indien. Personalausweis, Wählerkarte, Heiratsurkunde.

LA: Haben Sie einen Reisepass?

VP: Ich hatte einen indischen Reisepass, ausgestellt vom Passamt XXXX . Den Pass habe ich auf dem Weg nach Österreich im Flugzeug auf der Toilette vernichtet.

LA: Warum vernichten Sie einen Pass?

VP: Der Schlepper hat es mir gesagt, ich habe nur seinen Anweisungen gefolgt. Auf Nachfrage, der Schlepper ist nicht mitgeflogen.

LA: Wann haben Sie Ihren Entschluss zur Ausreise gefasst?

VP: Im Februar 2021, als die Polizei bei mir zu Hause war.

LA: Nennen Sie mir den Weg Ihrer Ausreise. Wer hat das Ticket besorgt und wie?

VP: Ich bin von Indien nach Dubai dort war ich 1 Monat, ca. 3 Monate in Serbien, dann direkt nach Österreich. Der Schlepper hat ein Visum für mich für Dubai besorgt, ich flog von XXXX nach Dubai. Auf Nachfrage, ich glaube ich hätte weiterfliegen nach Kiew sollen.

LA: War die Flucht schlepperunterstützt? (Wie viel hast es gekostet woher kam das Geld)

VP: Ja, ich habe € 6.000,- bezahlt. Auf Nachfrage, ich hatte Ersparnisse, ich bin ja Landwirt und hatte meine eigene Landwirtschaft.

LA: Wie erfolgte Ihre Ausreise legal oder illegal?

VP: Legal.

LA: Wie verlief die Ausreisekontrolle in Indien?

VP: Alles okay, ohne Probleme.

LA: Sie waren in Dubai einen Monat aufhältig und in Serbien 3 Monate. Weshalb stellten Sie dort keinen Asylantrag?

VP. Es gibt dort kein Asyl.

LA: Waren Sie sonst jemals im Ausland?

VP: In Thailand nach meiner Heirat, Flitterwochen.

LA: Haben Sie bereits woanders um Asyl angesucht? (wenn ja, wann? – wo? Ausgang d. Verfahrens?)

VP: Nein.

LA: War Österreich jetzt Ihr Zielland?

VP: Nein. Ich wollte nur das Land verlassen. Das war mein Ziel.

LA: Bitte nennen Sie Ihre Staatsangehörigkeit, Volksgruppe und Religionszugehörigkeit?

VP: Ich bin indischer Staatsbürger, gehöre der Volksgruppe der JAT an und bekenne mich dem Sikhismus.

LA: Hatten Sie wegen Ihrer Volksgruppe oder Religionszugehörigkeit Probleme im Heimatland?

VP: Wegen der Religion ja, aber wegen der Volksgruppe nicht.

LA: Welche Probleme?

VP: Wir haben immer wieder Probleme mit der Regierung. Ab und zu machen wir Proteste, wir haben dann keinen Strom. Das machen die absichtlich, damit wir unsere Felder nicht bebauen können. Das war´s.

LA: Werden Sie gesucht im Heimatland oder gibt es einen Haftbefehl?

VP: Nein. Es sind mehrere Burschen aus meinem Dorf auf der Flucht.

LA: Haben Sie im Heimatland strafbare Handlungen begangen, sind Sie vorbestraft / verurteilt oder waren Sie schon einmal in Haft oder Gefangenschaft?

VP: Nein.

LA: Kommen wir bitte jetzt nochmals zu allen Ihren Fluchtgründen. Sie haben schon etwas dazu angegeben. Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Nennen Sie nun bitte detailliert und in Ihren eigenen Worten alle Ihre Fluchtgründe, sodass ich mir ein Bild davonmachen kann? Sie haben hierzu ausreichend Zeit.

VP: Seit XXXX habe ich Probleme, an diesem Tag haben die Bauernproteste angefangen. Ich war mit anderen an der XXXX an der Grenze zu Delhi. In meiner Gruppe, wir sind aus unserem Dorf nach Delhi gefahren. Ich habe abwechselnd seit August an den Bauernprotesten teilgenommen. Seit Dezember 2020 habe ich mich an der Grenze zu Delhi aufgehalten. Unsere Dorfbewohner haben dort eine kleine Hütte aufgestellt. Sie haben darauf geschrieben, „ XXXX “.

Es waren viele Protestanten dort. Alle Bauernunionen haben dann beschlossen, dass sie am XXXX zum XXXX gehen sollen. Es waren sehr viele Leute, es waren viele mit ihren Traktoren dort. Es sollte ein Protest mit Traktoren sein. Wir haben das Ziel nicht erreicht. Wir wurden auf dem Weg zum XXXX gestoppt. Statt dem sind wir zur XXXX gegangen. Wir haben laut Parolen ausgesprochen und dort hat ein Sikh Bursche eine Flagge der Sikhs am XXXX angebracht. In den Medien wurde es gesagt, dass die Sikhs eine XXXX gehisst haben. Am XXXX . kamen wir zurück zur XXXX . Anfang Februar war ich wieder zu Hause. Ich war wieder auf dem Weg nach Delhi, als ich erfahren habe, dass die Polizei gemeinsam mit dem Dorfrat bei mir zu Hause war. Sie haben nach mir gefragt. Ich erhielt den Anruf von meinem Dorfrat. Er sagte zu mir, die Polizei sucht nach mir, ich soll nicht nach Hause kommen. Die Polizei hat Bilder von mir und auch von den anderen Protestanten. Die Bilder sind von mir und anderen Dorfbewohnern auf dem Traktor. Auf Nachfrage, es war ein Anhänger. Auf dem Traktor waren wir zu XXXX und am Anhänger waren ca. XXXX Personen - Jugendliche aus unserem Dorf. Danach habe ich mich einige Zeit in Delhi aufgehalten und bin dann weiter in die Provinz Himachal Pradesh. Dort habe ich mich ca. 8 Tage aufgehalten in dieser Zeit hat die Polizei mehr Druck auf die XXXX ausgeübt und die Militärs waren auch dort. Von dort kehrte ich für einen Tag zurück nach Hause in mein Dorf. Nach 3-4 Tagen war die Polizei wieder bei mir zu Hause. Sie haben zu meiner Familie gesagt, ich soll mich bei der Polizei melden. Danach bin ich nicht mehr nach Hause gegangen und habe nach 10-12 Tagen Indien verlassen und flog nach Dubai.

LA: Wie lange hielten Sie sich zu Hause auf im Februar –das erste Mal als Sie zu Hause waren?

VP: 2-3 Tage.

LA: Waren Sie mit Ihrem eigenen Traktor in Delhi?

VP: Nein. Mein Freund XXXX war mit seinem Traktor dort.

LA: Wie wäre die Polizei auf Ihre Person aufmerksam geworden?

VP. Das weiß ich nicht. Die Personen, die in der Nähe der XXXX waren sind entweder auf der Flucht weil sie von der Polizei gesucht werden. Die Medien haben uns alle als XXXX dargestellt.

LA: Wie fand die Polizei gerade Sie?

VP: Die haben das Kennzeichen vom Traktor.

LA: Der ist nicht auf Sie angemeldet bzw. der gehört Ihrem Freund.

VP: Ja. Ich habe den Traktor gelenkt.

LA: Haben Sie Fotos?

VP: Nein, ich hatte alles, aber vor meiner Ausreise habe ich alles gelöscht.

LA: Waren dort viele Leute bei den Protesten?

VP: Ja. Auf Nachfrage, es waren tausende Leute. Auf Nachfrage, ich stand direkt vor der XXXX .

LA: Was haben Sie für einen Traktor gelenkt?

VP: Einen XXXX , er ist XXXX .

LA: Wie konnte man gerade Sie unter den tausenden von Leuten identifizieren?

VP: Es war sehr viel Polizei dort und viele Kameras waren dort. Die haben uns überwacht.

LA: Wo waren die Kameras?

VP: Delhi ist eine Hauptstadt, auf den Straßen auf der XXXX , die haben viele Kameras.

LA: Weshalb wurden Sie nicht vor Ort festgenommen?

VP: Die Regierung war unter Druck, die haben uns nicht festnehmen können. Hätten die uns dort festgenommen, wären wir nicht in diesen großen Schwierigkeiten.

LA: Wie meinen Sie das?

VP: Dann hätten sie uns freilassen müssen, da dies von den Medien aufgenommen wurde. Jetzt tun sie uns einzeln festnehmen.

LA: Wenn jetzt alle Personen festgenommen werden würden, welche unter den tausenden Menschen gewesen wäre, wer macht/führt die Landwirtschaft in Indien weiter?

VP: Derzeit arbeiten wir alle gemeinsam. Also wenn einer zu den Protesten geht, übernimmt der andere die Felder. Als ich in Indien war, hatte ich Weizen angebaut und jetzt haben meine Nachbarn für mich geerntet.

LA: Weshalb besteht ein so ein Interesse an Ihrer Person?

VP: Ich bin nicht der einzige. Ich habe XXXX und bin ein Großgrundbesitzer.

LA: Sie sagten, dass Sie seit August 2020 an den Protesten teilgenommen haben. Von August bis Anfang Jänner, gab es da Probleme?

VP: Nein, nur seit dem XXXX haben wir das Problem, dass die Polizei uns festnimmt. Auf Nachfrage, an dem Tag ist der XXXX und ein sehr wichtiger Tag für die Regierung. Die Regierung wollte nicht, dass wir an dem Tag in der Hauptstadt Delhi eintreten. Es wurde verboten.

LA: Was passierte mit der Person, der die Fahne gehisst hätte?

VP: Er war auf der Flucht, dann wurde er erwischt und festgenommen. Er ist in Delhi im Gefängnis. Auf Nachfrage, derzeit fällt mir sein Name nicht ein. Jeder hat den Namen gewusst. Wegen dieser Fahne, ist das Ganze Problem entstanden.

LA: Das sind Ihre Fluchtgründe, weshalb Sie nun einen Asylantrag gestellt haben?

VP: Ja.

LA: Gibt es sonst noch ein Vorbringen oder Vorfälle zu Ihrem Fluchtgrund?

VP: Nein. Ich habe ein sehr gutes Leben in Indien gehabt, ich war sehr glücklich mit meiner Familie.

Die Bauern haben gesagt, dass die nur mehr wollen, dass die Personen die festgenommen wurden, freigelassen wurden.

LA: Wurden Sie jemals persönlich bedroht? Gab es Übergriffe gegen Ihre Person?

VP: Wir sind durch die Barrikaden gegangen. Mit dem Wasserstrahl angespritzt. Seit dem Anfang war es so, sie versperren uns den Weg – von Punjab nach XXXX . Die Regierung versperrt es. Zum Glück ist die Bevölkerung von der Stadt XXXX für uns und haben uns geholfen uns unterstützt.

LA: Sie befinden sich im Sondertransitbereich. Es besteht für Sie jederzeit die Möglichkeit freiwillig auszureisen.

VP: Sobald Frieden in meinem Land ist, werde ich zurückkehren.

LA an Rechtsberatung: Gibt es von Ihrer Seite noch offene Fragen oder Anträge?

RB: Haben Sie irgendetwas von diesen Ereignissen gefilmt mit dem Handy, den Wasserwerfer Einsatz oder so?

VP: Nachdem die Polizei bei mir habe ich alles gelöscht. Sogar meine Postings auf Facebook.

LA: LA: Als Ergebnis der heutigen Einvernahme wird Ihnen mitgeteilt, dass Ihnen die Einreise in das Bundesgebiet NICHT gestattet.

Anmerkung: In einem allgemeinen Rechtsgespräch wird für die VP der weitere mögliche Ablauf eines Flughafenverfahrens erörtert, d.h. Einbindung von UNHCR – Zustimmung von UNHCR - Abweisung des Antrages mit Bescheid des BFA im Flughafenverfahren – Beschwerdemöglichkeit an Bundesverwaltungsgericht – abweisendes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes – Zurückweisung der VP durch LPD - aber auch die jeweiligen Chancen für die VP im Flughafenverfahren - keine Zustimmung von UNHCR – Einreisegestattung – Weiterführung des Verfahrens im Inland – oder Stattgebung der Beschwerde durch Bundesverwaltungsgericht - Einreisegestattung - Weiterführung des Verfahrens im Inland.

VP wird in allgemeinem Rechtsgespräch auch über die Dauer der einzelnen Verfahrensschritte, die Umstände der Konfinierung, Möglichkeit der Unterstützung durch BBU, SWB des Wachzimmers, ärztliche Betreuungsmöglichkeiten, Telefonkontakte usw. – abermals in Kenntnis gesetzt.

LA: Haben Sie diese Vorgehensweise verstanden?

VP: Ja.

LA: Wollen Sie am Ende dieser Einvernahme irgendetwas ergänzen?

VP: Nein.

LA: Wie haben Sie die Dolmetscherin verstanden?

VP: Ich habe die Dolmetscherin gut verstanden.

LA: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

VP: Ja.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Es hat alles gepasst.

Mit Schreiben vom XXXX .07.2021 des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an das UNHCR Büro in Österreich ersuchte das Bundesamt den UNHCR um Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG zur Abweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 AsylG.

Mit email vom XXXX .08.2021 übermittelte der UNHCR ein Antwortschreiben, in dem Folgendes ausgeführt wurde: „Bezugnehmend auf Ihr Ersuchen vom XXXX .05.2021 erlauben wir uns, Ihnen mitzuteilen, dass das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR die Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nummer 30 des UNHCR – Exekutivkommitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden kann.“

Das Bundesamt hat mit dem angefochtenen Bescheid gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen, ihm den Status eines Asylberechtigten sowie gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 auch den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zuerkannt, und ihm unter einem auch kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt.

Begründend wurde im angefochtenen Bescheid, neben umfangreichen Feststellungen zur allgemeinen Lage in Indien, unter Darlegung näherer Erwägungen unter anderem Folgendes ausgeführt: „Sie waren nicht in der Lage, konkrete Angaben zu Ihrem Vorbringen darzulegen. Sie führten in den Befragungen oberflächliche Angaben zu Ihren Fluchtgründen an.

Im Rahmen Ihrer Erstbefragung am 20.07.2021 führten Sie aus, dass Sie sich im Dezember 2020 gemeinsam mit einigen Dorfbewohnern auf dem Weg nach New Delhi gemacht hätten, um an den Bauernprotesten mitzuwirken.

Am XXXX hätten Sie mit einem Traktor von XXXX – New Delhi erreicht. Am XXXX sei eine „ XXXX “ beim XXXX gehisst worden. Daraufhin sei es zu zahlreichen Ausschreitungen gekommen. Bereits im Februar wären Familien, samt Ihrer eigenen Familie in Ihrem Dorf von der Polizei belästigt worden. Als Sie gemeinsam mit den anderen Dorfbewohnern in New Delhi an den Protesten mit einem Traktor teilgenommen hätten, sei das Kennzeichen des Traktors von der Polizei notiert worden. Seitdem hätten Sie Probleme mit der Polizei, da diese nach Ihnen suchen würde. Da Sie sich nicht mehr sicher gefühlt hätten, haben Sie beschlossen das Land zu verlassen.

Weitere Gründe für Ihre Asylantragstellung brachten Sie nicht vor. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führten Sie die Teilnahme Ihrer Person an dem Bauernprotest, jedoch mit unterschiedlichen Angaben aus.

So führten Sie in der Einvernahme an, dass Sie seit dem XXXX Probleme gehabt hätten, an diesem Tag hätten die Bauernproteste begonnen.

Im Laufe der Einvernahme wurden Sie von der Einvernahme Leiterin befragt, ob Sie im Zeitraum von August bis Anfang Jänner, Probleme aufgrund Ihrer angeblichen Teilnahme an den Bauernprotesten gegeben hätte. Bemerkenswert ist Ihre Antwort, in welcher Sie erklärten: „Nein, nur seit dem XXXX haben wir Probleme.“ (vgl. Einvernahmeprotokoll, S. 7 und 10, vom 27.07.2021)

Wären Sie wirklich aufgrund Ihrer Teilnahme an den Bauernprotesten von der Polizei verfolgt worden, was die erkennende Behörde nicht glaubt, so hätten Sie sich erinnern können, wann genau Ihre Probleme begonnen hätten.

In weiterer Folge gaben Sie an, dass Ihre Familie und auch andere Familien im Dorf, von der Polizei, bereits im Februar belästigt worden wären. Sie führten dazu aus, dass Sie Anfang Februar wieder zu Hause aufhältig gewesen wären und abermals wären Sie auf dem Weg nach Delhi gewesen, als der Dorfrat Sie angerufen und Ihnen mitgeteilt hätte, dass die Polizei nach Ihnen gefragt hätte. Danach wären Sie in Delhi und in der Provinz Himachal Pradesh aufhältig gewesen, bevor Sie wieder in Ihr Dorf zurückgekehrt seien. Sie wären nur für einen Tag in Ihr Heimatdorf zurückgekehrt. Danach, 3-4 Tage später wäre die Polizei wieder bei Ihnen zu Hause gewesen und hätte zu Ihrer Familie gesagt, dass Sie sich bei der Polizei melden sollen. Sie wären nicht mehr nach Hause zurückgekehrt und hätten Indien nach 10-12 Tagen, auf legalem Weg mittels Flugzeug verlassen (vgl. Einvernahmeprotokoll, S. 8, vom 27.07.2021).

Wären Sie wirklich von der Polizei, aufgrund der Teilnahme an den Bauernprotesten gesucht worden, so wären Sie nicht nochmals in Ihr Heimatdorf zurückgekehrt, so würde sich keine verfolgte Person verhalten. Ebenso wäre Ihnen eine legale Ausreise über den Flughafen, Unterziehung der Ausreisekontrolle nicht möglich gewesen. Sie führten aus, dass es keinen Haftbefehl gegen Ihre Person gibt (vgl. Einvernahmeprotokoll, S. 7, vom 27.07.2021).

Sie gaben an, dass „tausende“ von Leuten an dem Bauernprotest teilgenommen hätten.

Erstaunlich, dass man dann gerade Sie unter diesen tausenden von Teilnehmern, identifizieren hätte können. Sie gaben lapidar als Antwort, dass vor Ort sehr viele Polizisten gewesen wären und viele Kameras (vgl. Einvernahmeprotokoll, S. 9, vom 27.07.2021).

Hätte die Polizei Sie wirklich gesucht bzw. festnehmen wollen, dann hätte die Polizei, dies vor Ort durchführen können, dies tat die Polizei nicht. Wer würde sich die Arbeit antun, anhand von Fotos, Teilnehmer an der Demonstration zu identifizieren. Die erkennende Behörde, kennt die technische Ausrüstung der indischen Polizei nicht, wie diese Personen anhand von Fotos identifizieren könnten. Dies dürfte rein technisch gar nicht möglich sein, oder wird in Indien jeder Staatsangehöriger mittels Gesichtserkennungsmerkmalen in einer Datei angelegt.

Sie führten weiters aus, dass die Polizei, das Kennzeichen des Traktors mit welchem Sie unterwegs gewesen wären, notiert hätte. (vgl. Einvernahmeprotokoll, S. 8, vom 27.07.2021).

Aufgrund der Anmeldedaten könnte man den Besitzer ausfindig machen. In Ihrem Fall wäre dies jedoch auch nicht möglich gewesen, da Sie nicht der Besitzer des Traktors sind. Dieser würde einem Freund von Ihnen gehören. Auf Sie sei der Traktor nicht angemeldet gewesen (vgl. Einvernahmeprotokoll, S. 8, vom 27.07.2021). Somit lässt sich auch hier nicht erkennen, wie man Sie identifizieren hätte können.

Es lässt sehr den Anschein, dass Sie sich einer konstruierten Geschichte im Zusammenhang mit den derzeitigen Bauernprotesten in Indien bedient haben.

Befragt, ob es Sie jemals persönlich bedroht oder ob es Übergriffe gegen Ihre Person gegeben hätte, führten Sie aus, dass Sie durch die Barrikaden gegangen wären und mit einem Wasserstrahl bespritzt worden wären. Sonst führten Sie zu der Frage nichts ins Treffen (vgl. Einvernahmeprotokoll, S. 10, vom 27.07.2021). Hätten Sie wirklich Absperrungen durchbrochen und hätte die Polizei Wasserwerfer eingesetzt. So hätte die Polizei Sie und die anderen Personen festnehmen können, dies wurde nicht gemacht.

Probleme aufgrund der Volksgruppenzughörigkeit hätten Sie keine gehabt. Lediglich aufgrund der Religion. Näher dazu befragt, führten Sie aus, dass Sie ab und zu Proteste machen würden und dann hätten Sie keinen Strom (vgl. Einvernahmeprotokoll, S. 7 vom 27.07.2021). Sie führten sonst keine weiteren Probleme aus.

Hätte es wirklich ein Interesse an Ihrer Person gegeben, was die erkennende Behörde nicht glaubt, so wären Sie bereits vor Ort festgenommen worden.

Es lässt sehr den Anschein, dass Sie die derzeitigen Bauernproteste zum Vorwand nahmen um sich eine Fluchtgeschichte zurechtzulegen. Sie waren nicht in der Lage glaubhaft darzulegen, dass Sie aufgrund der Teilnahme an den Bauernprotesten verfolgt bzw. gesucht werden würden. Beweismittel wie Videos oder Fotos u.a. von dem Wassereinsatz gegen die Demonstranten der Polizei brachten Sie keine in Vorlage.

Laut Ihren Ausführungen, würden „tausende“ von Menschen an diesen Protesten teilnehmen, wenn die gesamten Teilnehmer der Bauernproteste von der Polizei verhaftet werden würden, wer würde die Landwirtschaft in Indien aufrecht, erhalten.

Sie waren nicht in der Lage glaubhaft darzulegen, dass man Sie in Indien verfolgen bzw. bedrohen würde.

Ihre Ausreise aus Indien erfolgte auf legalem Wege, ohne Probleme bei der Ausreisekontrolle. Wären Sie wirklich gesucht worden, so hätten Sie Indien nicht auf legalem Weg über den Flughafen und der Ausreisekontrolle verlassen können.

In der Gesamtschau waren Sie nicht in der Lage ein glaubhaftes Vorbringen zu Ihren zentralen Asylvorbringens darzulegen. Hätten die von Ihnen behaupteten Bedrohungen gegen Ihre Person tatsächlich stattgefunden, wären von Ihnen detaillierte und nachvollziehbare Angaben zu erwarten gewesen. Es kann nicht Aufgabe der Einvernahme Leiterin sein, jede Ihrer unzähligen vagen und pauschalen Angaben bzw. Andeutungen durch mehrmaliges Nachfragen zu konkretisieren, sondern liegt es an Ihnen ein detailliertes und stimmiges Vorbringen zu erstatten, um die nötige Glaubwürdigkeit zu erlangen.

In einer Gesamtwürdigung Ihres Vorbringens gelangt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Anbracht der aufgetretenen Widersprüche sowie der mangelnden Plausibilität der in Rede stehenden Angaben zur Ansicht, dass nicht glaubwürdig ist, dass Sie in Indien, bedroht worden wären. Diesbezüglich haben Sie eine individuelle Bedrohung oder Verfolgung nicht glaubhaft machen können.

Die Behörde kommt darüber hinaus zu dem Schluss, dass es Ihnen nicht gelungen ist, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen, der auch Asylrelevanz zukommt.

Da Ihren Fluchtgründen kein Glauben geschenkt wird und Sie problemlos mit Ihrem Reisepass das Land verlassen haben, ist bei einer Einreise nach Indien nicht mit Schwierigkeiten zu rechnen. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass Sie aufgrund einer Asylantragstellung bei einer Rückkehr mit Schwierigkeiten zu rechnen haben.

Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in Indien derzeit eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrschte, dass das Überleben sämtlicher dort lebender Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre.

In Anlehnung an die vorstehenden Ausführungen ist in Ihrem Fall hervorzuheben, dass Sie in Ihren Heimatländern keine aktuell drohende Verfolgung zu erwarten haben, wie bereits im gegenständlichen Bescheid ausgeführt wurde. Somit ist eine essentielle Voraussetzung für das oben angeführte wirtschaftliche Existenzminimum –ein verfolgungssicherer Ort- erfüllt.

Was nun die zweite Voraussetzung –die Erwerbsfähigkeit- betrifft, ist anzumerken, dass es sich in Ihrem Fall um einen arbeitsfähigen jungen Mann, mit 12 Jahren Schulbildung handelt. Sie verfügen über Berufserfahrung und waren in Indien bis kurz vor der Ausreise in der eigenen Landwirtschaft tätig.

Daher ist zusammenfassend jedenfalls davon auszugehen, dass Sie im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat in der Lage sein werden, die dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen und nicht über anfängliche Schwierigkeiten hinaus in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten.

Aufgrund der vorstehenden Überlegungen geht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zweifelsfrei davon aus, dass Sie in Ihrem Heimatland keiner existenziellen Notlage ausgesetzt sind, nachdem Sie dort keine Verfolgung zu befürchten haben, Erwerbsfähigkeit gegeben ist und sich auch aus der allgemeinen Lage in Ihrem Heimatland nicht ergibt, dass praktisch jede dorthin zurückkehrende Person in eine Existenzgefährdende Lage gerät.

Es besteht kein Behandlungsbedarf wegen einer lebensbedrohenden Erkrankung. Sie sind gesund und benötigen keinerlei Behandlungsmethoden oder sonstige medizinische Betreuung, welche in Österreich und nicht in Indien vorhanden wären.

Aus diesen Gründen waren die entsprechenden Feststellungen bezüglich der Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr zu treffen.“

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien, stammt aus dem Bundesstaat Punjab und hat am 19.07.2021 am Flughafen XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. In Indien leben seine Mutter, seine Ehefrau und sein Sohn sowie 2 Schwestern.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland aus den von ihm genannten Gründen verlassen hat.

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Indien wird Folgendes festgestellt:

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:

COVID-19

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten. Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen in Kleinstädten und ländlichen Gebieten, wo der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden ist (WKO 10.2020). Durch die COVID-Krise können Schätzungen zu Folge bis zu 200 Mio. in die absolute Armut gedrängt werden. Ein Programm, demzufolge 800

Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten, wurde bis November 2020 verlängert. Die

Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Pandemie und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Quellen:

•        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (12.10.2020): https://www.bamf.de/Sh aredDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnoteskw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blo b=publicationFile&v=4 , Zugriff 12.10.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

•        WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirts chaft/indien-wirtschaftsbericht.pdfhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wir tschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.10.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 23.10.2020

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 5.10.2020; vgl. AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 11.3.2020). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 2.2020a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 2.2020a; vgl. AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 8.2020a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA9.2020a). Indien hat eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2020a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 11.3.2020). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 8.2020a).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic

Alliance (NDA)“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-

Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die

United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore

(East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des

Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS, fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 8.2020a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW

27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion Neu Delhi musste die Partei des

Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi

(AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Großmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (BICC 7.2020). Ein ständiger Sitz im UNSicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 8.2020a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (BICC 7.2020).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ec oi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abs chiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_2 3.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

•        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi .net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_a syl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_201

9%29%2C_19.07.2019.pdf , Zugriff 15.10.2020

•        AA – Auswärtiges Amt (9.2020a): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertig es-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff

15.10.2020

•        BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_I ndien.pdf , Zugriff 20.10.2020

•        CIA - Central Intelligence Agency (5.10.2020): The World Factbook – India, https://www. cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 15.10.2020

•        DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020

•        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in

Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindusund-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2020a): Indien,

Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 15.10.2020

•        KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

•        Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschefmodi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020

•        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020

•        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020

•        TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-pro-

ject-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020

•        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 06.11.2020

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung

(GIZ 8.2020a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 7.2020). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 7.2020).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020) und der und im von separatistischen Gruppen bedrohten Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (SATP 8.10.2020). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die

Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 4.3.2020). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es

weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. 2020 wurden bis zum 1.11. insgesamt 511 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP

1.11.2020).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Indien und Pakistan

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 12.2019; vgl. BBC 23.1.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 12.2019). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 12.2019). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14.2.2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ

26.2.2019, WP 26.2.2019).

Indien und China

Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Zusammenstöße entlang der „Line of Actual Control (LAC)“, der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin forderten am 15.6.2020 in den ersten Vorfällen seit 45 Jahren mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in den letzten Monaten gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr als 3.400 Kilometer langen Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 7.2020).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan,

Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020). Bestimmender Faktor des indischen Verhältnisses zu China ist das immer wieder auch in Rivalität mündende Neben- und Miteinander zweier alter Kulturen, die heute die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt sind. Das bilaterale Verhältnis ist von einem signifikanten Ungleichgewicht zu Gunsten Chinas gekennzeichnet (BICC 7.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines

Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 8.2020a). Darüber hinaus bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 7.2020).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis, das durch den mittlerweile beendeten Bürgerkrieg auf Sri Lanka zwischen der tamilischen Minderheit und singhalesischen Mehrheit stark beeinflusst wurde. Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ

8.2020a).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ec oi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abs chiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_2

3.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

•        BBC - British Broadcasting Corporation (3.7.2020): Locals remain anxious amid India-

China border stand-off, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-53020382 , Zugriff

22.7.2020

•        BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile – Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384 , Zugriff 29.1.2019

•        BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_I ndien.pdf, Zugriff 20.10.2020

•        BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (12.12.2017): Konfliktporträt:

Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien , Zugriff 18.3.2020

•        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2019): Pakistan: Wir behalten uns vor, auf Indiens Angriffe zu reagieren, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indische-luftwaf fe-verletzt-den-pakistanischen-luftraum-16061769.html, Zugriff 6.8.2019

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.n et/de/dokument/2025925.html , Zugriff 10.3.2020

•        FIDH – International Federation for Human Rights (23.6.2020): China/India/Pakistan: Deescalate tensions along border lines and seek peaceful resolution of disputes, 23.6.2020 https://www.fidh.org/en/region/asia/india/china-india-pakistan-de-escalate-tensions-alon g-border-lines-and-seek , Zugriff 22.7.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2020a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/ , Zugriff 15.10.2020

•        KO – Kaschmir Observer (25.6.2020): Indian, Pakistani Troops Trade Fire In North Kashmir, https://kashmirobserver.net/2020/06/25/indian-pakistani-troops-trade-fire-in-north-k ashmir/ , Zugriff 22.7.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

•        Piazolo, Michael (2008): Macht und Mächte in einer multipolaren Welt. Springer Verlag. Seite 201

•        SATP - South Asia Terrorism Portal (8.10.2020): Data Sheet -. Punjab, Yearly Fatalities, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india-punjab, Zugriff 12.10.2020

•        SATP - South Asia Terrorism Portal (1.11.2020): Data Sheet - India Yearly Fatalities: 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india, Zugriff 3.11.2020

•        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, Juli 2020

https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf , Zugriff 22.7.2020

•        SZ- Süddeutsche Zeitung (26.2.2019): Indien bombardiert pakistanischen Teil Kaschmirs, https://www.sueddeutsche.de/politik/indien-pakistan-luftangriff-1.4345509 , Zugriff 6.8.2019

•        Wagner, C. (2020). The Indian-Chinese confrontation in the Himalayas: a stress test for India’s strategic autonomy.

(SWP Comment, 39/2020). Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik -SWP- Deutsches

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten