TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/18 W169 2245238-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.08.2021
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Entscheidungsdatum

18.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §33 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W169 2245238-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. INDIEN, vertreten durch: BBU - Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2021, Zl. 1281007002-210987395, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer hat am 19.07.2021 am Flughafen Wien Schwechat im Zuge einer Identitätsfeststellung gemäß § 12a des Grenzkontrollgesetzes (GrekoG) durch Organe der Bundespolizei einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z13 AsylG 2005 gestellt.

Am 20.07.2021 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Schwechat die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei führte dieser aus, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme, ledig sei und im Heimatland zwölf Jahre die Grundschule besucht habe. Zuletzt habe er als Landwirt gearbeitet. Er gehöre der Volksgruppe der Jat und der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Im Heimatland würden seine Eltern und sein Bruder leben. Zu seinen Fluchtgründen brachte er vor, dass er in Neu-Delhi an den Bauernprotesten teilgenommen habe. Die Polizei habe versucht, die Demonstranten zu vertreiben; sie arbeite gemeinsam mit der Regierung. Als von der Polizei Anschläge gegen den Beschwerdeführer ausgeübt worden seien und er von dieser sogar mit dem Tod bedroht worden sei, hätten seine Eltern entschieden, ihn ins Ausland zu bringen. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, getötet zu werden.

2. Nachdem die Einreise des Beschwerdeführers nicht gestattet worden war, wurde dieser am 27.07.2021 im Rahmen eines Flughafenverfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Flughafen, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund und ledig sei, und aus dem Bundesstaat Punjab, Bezirk Gurdashpur, stamme. Dort habe er von seiner Geburt bis zu seiner Ausreise Ende Juni 2021 mit seinen Eltern und seinem Bruder im Elternhaus gelebt. Sie hätten eine familieneigene Landwirtschaft gehabt, wo der Beschwerdeführer gearbeitet habe. Von dieser Landwirtschaft hätten seine Familie und er den Lebensunterhalt bestritten. In Indien, im Heimatort, würden nach wie vor die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers leben. Er habe Indien legal verlassen; er sei am Flughafen von den Behörden kontrolliert worden und habe es bei der Ausreise keine Probleme gegeben. Auf die Frage, ob er in Indien wegen seiner Volksgruppe oder Religionszugehörigkeit Probleme gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er wegen seiner Religion – er gehöre der Religionsgemeinschaft der Sikhs an – Probleme gehabt habe. Auf die Frage, welche Probleme er gehabt habe, führte der Beschwerdeführer an: „Sikhs werden verfolgt.“ Auf nochmalige Nachfrage, ob er diesbezüglich persönliche Probleme gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er in Indien Probleme gehabt habe. Seine Probleme hätten im Jänner 2021 begonnen, nachdem er an Protesten teilgenommen habe. Davor habe er keine Probleme gehabt. Ob es einen Haftbefehl gegen ihn gebe, wisse er nicht.

Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor:
(VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiter der Amtshandlung):

„ (…)

LA: Kommen wir bitte jetzt nochmals zu allen Ihren Fluchtgründen. Sie haben schon etwas dazu angegeben. Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Nennen Sie nun bitte detailliert und in Ihren eigenen Worten alle Ihre Fluchtgründe, sodass ich mir ein Bild davonmachen kann? Sie haben hierzu ausreichend Zeit.

VP: Am 26.01.2021 habe ich am Bauernprotest in Delhi teilgenommen. Wir hatten vorgehabt unsere Flagge auf der roten Burg zu hissen. An dem Tag wurden wir von der Polizei angehalten und geschlagen. Nachdem kehrten wir zurück nach Punjab. In Punjab wurden wir von Delhi und Punjab Police gesucht. Ich weiß nicht woher sie die Informationen hatten, ich vermute, es wurden Kameras installiert, die alles aufgenommen haben. Ich musste mich verstecken. Ich habe mich an verschiedenen Orten und Sikh Tempeln versteckt. Dann hat mein Vater die Ausreise organisiert und ich habe das Land verlassen. Dort ist mein Leben in Gefahr, ich kann auch meine Religion nicht in Freiheit praktizieren. Wenn ich in Indien lebe, muss ich aufhören mein Schwert zu tragen und ich kann meinen Turban nicht so traditionell binden und tragen wie es sich gehört. Auf Nachfrage, jetzt trage ich ein einfaches Tuch. Auf Nachfrage, ich trage jetzt nicht den Nihag Turban. Das ist alles.

LA: Wo entstand das Foto, welches Sie vorgelegt haben?

VP: In der Gurdashpur.

LA: Nicht in Delhi?

VP: Nein, als wir auf dem Weg nach Delhi waren, wurde das Bild aufgenommen.

LA: Waren Sie nur in Gurdashpur aufhältig?

VP: Wir sind von Gurdashpur mit Traktoren weggefahren und sind bis nach Delhi gefahren.

LA: Wie lange waren Sie in Delhi?

VP: Ca. 1 Woche war ich dort. Auf Nachfrage, ich lebte an der Singhu Border, Pitri Border und Ghazipur Border. Dort gibt es mehrere Lager von Bauern und dort war ich.

LA: Sie fuhren von der Grenze nach Delhi und zurück - täglich?

VP: Entweder haben wir uns auf der Grenze den ganzen Tag gehalten. Oder man hat uns gesagt, wir sollen in eine Richtung gehen, dann sind wir dorthin und am Abend zurück.

LA: Wie viele Leute nahmen an dem Protest teil?

VP: Es waren hunderttausende Leute.

LA: Wo hielten Sie sich in der Menge auf?

VP: Ganz vorne. Auf Nachfrage, von allen Grenzen sind Traktoren und Leute in die Richtung rote Burg gefahren, von der Grenze wo wir weggefahren sind waren 15 Traktoren ich bin vor diesen Traktoren gegangen.

LA: Gab es persönliche/körperliche Übergriffe gegen Sie?

VP: Nein. Ich bin von dort weggelaufen, aber andere wurden schon geschlagen. Auf Nachfrage, ich lief zurück zur Grenze und dann nach Punjab. Auf Nachfrage, die Entfernung von der Grenze nach Punjab ist ca. 400-500 km.

LA: Das sind Sie zu Fuß gelaufen?

VP: Nein mit dem Traktor. Auf Nachfrage, es ist nicht mein Traktor.

LA: Warum hat Ihr Vater entschieden, dass Sie das Land verlassen sollen?

VP: Weil sie Angst hatten, dass die Polizei nach dem Gesetz UAPA festnimmt.

LA: Sonst gab es keinen weiteren Grund – weshalb Sie das Land verlassen sollen?

VP: Nein, weil die Angst wegen der Polizei haben sie mich ins Ausland geschickt.

LA: Gab es sonst körperliche Übergriffe oder persönliche Drohungen gegen Sie?

VP: Nein, ich wurde nicht geschlagen. RSS und BJB Partei arbeiten gemeinsam. Die Polizei sucht mich, sie waren bei mir zu Hause. Auf Nachfrage, die waren im März bei mir.

LA: Was war da?

VP: Ich war nicht zu Hause. Meine Eltern waren zu Hause. Ich war zwar im Dorf aber nicht zu Hause. Meine Eltern wurden befragt, wo ich bin.

LA: Das sind Ihre Fluchtgründe, weshalb Sie nun einen Asylantrag gestellt haben?

VP: Ja.

LA: Gibt es sonst noch ein Vorbringen oder Vorfälle zu Ihrem Fluchtgrund?

VP: Nein.

LA: Sie befinden sich im Sondertransitbereich. Es besteht für Sie jederzeit die Möglichkeit freiwillig auszureisen.

VP: Okay.

LA an Rechtsberatung: Gibt es von Ihrer Seite noch offene Fragen oder Anträge?

RB: Danke, nein.

LA: Als Ergebnis der heutigen Einvernahme wird Ihnen mitgeteilt, dass Ihnen die Einreise in das Bundesgebiet NICHT gestattet wird.

Anmerkung: In einem allgemeinen Rechtsgespräch wird für die VP der weitere mögliche Ablauf eines Flughafenverfahrens erörtert, d.h. Einbindung von UNHCR – Zustimmung von UNHCR - Abweisung des Antrages mit Bescheid des BFA im Flughafenverfahren – Beschwerdemöglichkeit an Bundesverwaltungsgericht – abweisendes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes – Zurückweisung der VP durch LPD - aber auch die jeweiligen Chancen für die VP im Flughafenverfahren - keine Zustimmung von UNHCR – Einreisegestattung – Weiterführung des Verfahrens im Inland – oder Stattgebung der Beschwerde durch Bundesverwaltungsgericht - Einreisegestattung - Weiterführung des Verfahrens im Inland.

VP wird in allgemeinem Rechtsgespräch auch über die Dauer der einzelnen Verfahrensschritte, die Umstände der Konfinierung, Möglichkeit der Unterstützung durch BBU, SWB des Wachzimmers, ärztliche Betreuungsmöglichkeiten, Telefonkontakte usw. – abermals in Kenntnis gesetzt.

LA: Haben Sie dies verstanden?

VP: Ja.

LA: Wollen Sie am Ende dieser Einvernahme irgendetwas ergänzen?

VP: Nein.

LA: Wie haben Sie die Dolmetscherin verstanden?

VP: Ich habe die Dolmetscherin gut verstanden.

LA: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

VP: Ja.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Es hat alles gepasst.

(…)“

3. Am 29.07.2021 wurde das Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge in Österreich (in der Folge: UNHCR) gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 um Erteilung der Zustimmung zur Abweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz ersucht.

4. Mit Schreiben des UNHCR vom 02.08.2021 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass eine Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt werde, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe offensichtlich nicht den Tatsachen entsprochen hätten. Diese Ansicht der Behörde sei letztlich auch vom UNHCR geteilt worden, was sich aus dem im Akt befindlichen Schreiben vom 02.08.2021 ergebe. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass eine Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG an dem Umstand scheitere, dass sich der Beschwerdeführer nicht im Bundesgebiet aufhalte.

6. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und auf seine bisher im Verfahren getätigten Angaben verwiesen. Zudem wurde der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Angehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Punjab, gehört der Religionsgemeinschaft der Sikhs und der Volksgruppe der Jat an. Er reiste am 19.07.2021 via Flug aus Dubai kommend am Flughafen Wien-Schwechat an und stellte den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer besuchte im Heimatland zwölf Jahre die Grundschule und arbeitete bis zu seiner Ausreise Ende Juni 2021 auf der familieneigenen Landwirtschaft. Er lebte mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem Eigentumshaus im Heimatort im Bundesstaat Punjab. In Indien (im Heimatort) leben die Eltern des Beschwerdeführers und sein Bruder ; diese leben von der familieneigenen Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer ist ledig, gesund und im erwerbsfähigen Alter.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind nicht glaubwürdig und werden dem Verfahren nicht zugrunde gelegt.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

COVID-19

?        Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021

?        FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

?        GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

?        HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

?        HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021

?        TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021

Allgemeine Menschenrechtslage

?        Letzte Änderung: 31.05.2021

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 1.2021). Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Während die Bürger-und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatisti-sche Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsver-letzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entfüh-rungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hin-richtungen vorgeworfen. Es gibt Befürchtungen, dass die neue, drakonische Anti-Terror-Gesetzgebung die Menschenrechtslage verschlimmern wird und dass diese Gesetze gegen politische Gegner missbraucht werden. Frauen, Mitglieder ethnischer undreligiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert. Den Sicherheitskräften wird Parteilichkeit vorgeworfen, besonders hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 1.2021 vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, ÖB 9.2020).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 30.3.2021). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 11.5.2021

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 11.5.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020: Asylländerbericht Indien

?        USDOS – US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 22.7.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 11.5.2021

Religionsfreiheit

?        Letzte Änderung: 31.05.2021

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 23.9.2020), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht gewähren die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.6.2020).

Neben den vier Religionen indischen Ursprungs - dem Hinduismus, dem Buddhismus, dem Jainismus und dem Sikhismus - gibt es in Indien den Islam und das Christentum sowie noch wenige andere Religionen. Die Inder sind laut dem indischen Zensus von 2011 zu 79,8 Prozent Hindus, 14,2 Prozent Muslime, 2,3 Prozent Christen und zu 1,7 Prozent Sikhs. Die restlichen 2 Prozent verteilen sich auf die anderen Religionsgemeinschaften (GIZ 1.2021d). Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 9.2020). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020).

Trotz des insgesamt friedlichen Zusammenlebens existieren zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften Spannungen, die in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen („riots“, Pogrome) führten (AA 23.9.2020). Im Jahr 2019 verschlechterten sich die Bedingungen für Religionsfreiheit weiter drastisch und religiöse Minderheiten werden zunehmend bedroht. Nach der Wiederwahl der Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai nutzte die nationale Regierung ihre gestärkte parlamentarische Mehrheit, um auf nationaler Ebene die Religionsfreiheit einzuschränken. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Angehörige der Muslime (USCIRF 4.2020). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Diskriminierungen, Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonversionen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner religiösen Überzeugung einschränken sollen sowie zu Diskriminierung und Vandalismus (USDOS 10.6.2020). In den letzten Jahren häufen sich Berichte, wonach die Religionszugehörigkeit noch mehr als zuvor zu einem bestimmenden Identitätsmerkmal für den Einzelnen in der indischen Gesellschaft wird, wodurch Angehörige religiöser Minderheiten ein Gefühl des Ausgeschlossen-Werdens entwickeln (AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wurde 2017 in Indien zu einer zunehmenden Bedrohung (HRW 18.1.2018), doch hat es die Regierung verabsäumt, Richtlinien des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung, wie auch der Untersuchung von Angriffen auf religiöse Minderheiten und andere gefährdete Gemeinschaften, welche häufig von BJP-Anhängern angeführt werden, umzusetzen (HRW 14.1.2020). 2019 hat es die Regierung verabsäumt, die Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung und Aufklärung von Übergriffen des in vielen Fällen von Bharatiya Janata Party (BJP)-Anhängern angeführten Mobs auf religiöse Minderheiten und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen umzusetzen (HRW 14.1.2020).

Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit hinduistischer Mehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder "Verlockung" erfolgt, was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen, manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 3.3.2021). Neun der 28 Bundesstaaten haben Gesetze, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan und Uttarakhand. Ein solches Gesetz in Rajasthan, das 2008 verabschiedet wurde, wurde 2017 von der Zentralregierung zurückgewiesen und ist nach wie vor nicht implementiert. Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh "Nötigung" der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch "Betrug", "Gewalt" und "Anstiftung" umfassen. Die Definition von "Verführung" wurde erweitert und umfasst nun auch „das Angebot einer Versuchung“ (USDOS 10.6.2020).

Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.6.2020).

Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamische Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.6.2020).

Der Wahlsieg der Hindu-nationalistischen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; und ging auch mit der Zunahme eines strammen (Hindu-) Nationalismus einher. Den erneuten deutlichen Wahlsieg der BJP 2019 sehen einzelne Gruppen daher mit Sorge (AA 23.9.2020).

Nach Angaben des Innenministeriums (MHA) fanden zwischen 2008 und 2017 7.484 Vorfälle gemeinschaftlicher Gewalt statt, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet wurden. Daten des Innenministeriums für 2018 bis 2019 liegen nicht vor, doch halten Vorfälle kommunaler Gewalt an (USDOS 10.6.2020). Hassverbrechen, gegen religiöse Minderheiten werden zumeist ungestraft begangen (AI 7.4.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        AI – Amnesty International (7.4.2021): India 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048696.html, Zugriff 5.5.2021

?        CIA – Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook - India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 5.5.2021

?        FH – Freedom House: Freedom in the World 2021 - India, 3. März 2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 5.5.2021

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021d): Indien, Gesellschaft, https://www.liportal.de/indien/gesellschaft/, Zugriff 5.5.2021

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 13.3.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422455.html, Zugriff 17.1.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028963/India.pdf, Zugriff 5.5.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 22.7.2020

Ethnische Minderheiten

?        Letzte Änderung: 31.05.2021

Minderheiten sind nach indischem Recht als religiöse und sprachliche Minderheiten definiert (ÖB 9.2020).

Obwohl laut Verfassung die Kastendiskriminierung verboten ist, bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen, und die Regierung betreibt weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken (USDOS 30.3.2021). Besonders auf dem Land bleiben Diskriminierungen aufgrund der Kastenzugehörigkeit jedoch weit verbreitet (BAMF 30.9.2019). Kritiker behaupten, dass viele der Unterstützungsprogramme zur Förderung Angehöriger der unteren Kasten an den Folgen einer mangelhafter Umsetzung und Korruption leiden (USDOS 30.3.2021).

Noch immer werden in Indien – trotz umfangreicher Förderprogramme und verfassungsmäßigem Verbot der Benachteiligung aufgrund von Kastenzugehörigkeit – Angehörige von niederen Kasten und Kastenlose (sogenannte Dalits, offiziell: „Scheduled Castes“, rund 16,6 Prozent der Gesamtbevölkerung) diskriminiert. Diese Benachteiligung ist in der Struktur der indischen Gesellschaft angelegt, fußt auf sozialen und religiösen Traditionen und verläuft vielfach implizit (AA 23.9.2020).

Mob-geleitete Gewaltakte gegenüber Angehörige von Minderheiten durch extremistische Hindu-Gruppen, die der regierenden BJP (Bharatiya Janata Party) angehören, setzten sich das ganze Jahr 2019 über fort (HRW 14.1.2020). Die Lage für Minderheiten und benachteiligte Gruppen hat sich im letzten Jahr verschlechtert, was auch - aber nicht nur - Konsequenz der Politik der im Frühjahr 2019 mit großer Mehrheit wiedergewählten Regierung von Premierminister Modi ist. Dennoch gilt: Trotz vieler, teils durchaus gravierender Defizite im Menschenrechtsbereich ist die Stabilität Indiens als rechtsstaatliche Demokratie mit weitgehenden individuellen Freiheitsrechten – besonders im regionalen Vergleich – nicht gefährdet (AA 23.9.2020).

Zum Schutz der benachteiligten Gruppen und zur Gewährleistung ihrer Repräsentation im Unterhaus des Parlaments, muss jeder Bundesstaat Sitze für die geschützten Kasten und Stämme in Proportion zur Bevölkerung des Staates reservieren. Nur Kandidaten, die diesen Gruppen angehören dürfen an den Wahlen in den reservierten Wahlkreisen teilnehmen. Mitglieder der Minderheitenbevölkerung dienten als Premierminister, Vizepräsidenten, Richter des Obersten Gerichts und Mitglieder des Parlaments (USDOS 30.3.2021).

Im Nordosten des Landes, sind die Auseinandersetzungen um den Zugang zu Land und die Verteilung der Erträge vor allem ethno-politischer Natur. Die Hauptursachen, die auf die britische Kolonialzeit zurückgehen, liegen zum einen in der wirtschaftlichen Abhängigkeit, Rückständigkeit und politischen Marginalisierung der Region und zum anderen in den Konflikten zwischen den kulturell und ethnisch sehr unterschiedlichen Stammes- und Bevölkerungsgruppen. Die Nordostregion unterscheidet sich kulturell und ethnisch erheblich vom restlichen Indien. Bis heute fühlt sich die lokale Bevölkerung um ihre wirtschaftliche und politische Macht betrogen. Dies erklärt auch den Widerstand gegen (illegale) Einwanderung aus Bangladesch und das neue Staatsbürgerschaftsgesetz. Auch bei der Schaffung der indischen Bundesstaaten wurden die Interessen der lokalen Bevölkerung sowie die Siedlungsgebiete der unterschiedlichen Stämme und Ethnien nur unzureichend berücksichtigt. Die indische Regierung reagierte auf die Aufstände zunächst mit massiver Militärpräsenz. Vor diesem Hintergrund hat sich der Nordosten zum Nährboden für separatistische Bestrebungen und Konflikte entwickelt (BPB 28.9.2020). Die Situation von Kindern aus sozial und wirtschaftlich marginalisierten Gemeinschaften bleiben weiterhin in ganz Indien ein ernsthaftes Problem (HRW 17.1.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.9.2019): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018350/briefingnotes-kw40-2019.pdf, Zugriff 11.2.2020

?        BPB – Bundeszentrale für politische Bildung [Deutchland] (28.89.2020): Indien, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 21.5.2021

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 13.3.2020

?        HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002249.html, Zugriff 17.1.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 4.5.2021

Bewegungsfreiheit

?        Letzte Änderung: 31.05.2021

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020), allerdings verlangen Zentralregierung und die Bundesstaatenregierungen vor Reiseantritt von indischen Staatsbürgern spezielle Genehmigungen, um bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen betreten zu dürfen (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus wird von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Angehörige der Dalits berichtet. Auch sind die Regierungen der Bundesstaaten angewiesen, die Bewegungsfreiheit der Rohingya auf bestimmte Orte zu beschränken (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung kann jedem Antragsteller per Gesetz die Ausstellung eines Reisepasses verweigern, wenn der Antragsteller an Aktivitäten außerhalb des Landes teilnimmt, "die der Souveränität und Integrität der Nation abträglich sind". Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller, einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren, zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 30.3.2021).

Angesichts massiv gestiegener COVID-19-Infektionszahlen können nächtliche Ausgangssperren oder Lockdowns in allen Städten/Bundesstaaten ohne lange Vorankündigung verhängt werden (BMEIA 10.5.2021). Zunehmend werden Ausgangssperren orts- und lageabhängig verhängt. Viele Bundesstaaten führen zudem oft kurzfristig Einreisebeschränkungen und Kontrollmaßnahmen sowie sonstige einschränkende Maßnahmen ein. Das Verbindungsangebot des nationalen Eisenbahn- und Flugverkehrs ist gegenwärtig stark reduziert, die Einreise auf dem Landweg ist weiterhin nicht möglich (AA 30.4.2021).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem (DFAT 10.12.2020), sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020). In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.4.2021): Indien: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung) (gültig seit 27.4.2021), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/indiensicherheit/205998, Zugriff 30.4.2021

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (10.5.2021): Indien (Republik Indien) Aktuelle Hinweise (Unverändert gültig seit: 3.5.2021), https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/indien/, Zugriff 10.5.2021

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 22.3.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 30.4.2021

Meldewesen

?        Letzte Änderung: 31.05.2021

Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020, DFAT 10.12.2021). Allerdings besteht für alle Einwohner (auch ausländische StaatsbürgerInnen) die freiwillige Möglichkeit, sich umfassend mittels Aadhaar (12-stellige, individuelle Nummer) registrieren zu lassen (ÖB 9.2020). Flüchtlinge sind von dieser Möglichkeit jedoch ausgeschlossen (USDOS 30.3.2021). Als Sicherheitsmaßnahme für die Registrierung dienen ein digitales Foto, Fingerabdrücke aller 10 Finger sowie ein Irisscan. Mittels Aadhaar ist es dann möglich, Sozialleistungen von der öffentlichen Hand zu erhalten. Auf Grund der umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen (Irisscan, Fingerabrücke) ist das System relativ fälschungssicher. Mittlerweile wurden über 1,2 Mrd. Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 22.3.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 28.4.2021

Grundversorgung und Wirtschaft

?        Letzte Änderung: 31.05.2021

Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Millionen Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).

Im Geschäftsjahr 2020/21 (1.April 2020 – 31.März 2021) brach Indiens BIP Wachstum mit einem Minus von sieben bis neun Prozent deutlich ein. Der massivste Wachstumsrückgang seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947, verdeutlicht die Auswirkungen der strengen Lockdown Maßnahmen in der ersten sechs Monaten des Vorjahres (WKO 4.2021; vgl. TIE 26.1.2021). 80 Prozent der Arbeiterschaft im informellen Sektor während des Lockdown ihre Arbeit verloren (AAAI 8.2020). Hundertausende Wanderarbeiter flohen in den Wochen danach aus den Städten. Weil auch der Zug- und Bahnverkehr von der Regierung ausgesetzt wurde, müssten viele Arbeiter zum Teil auf den Autobahnen und Gleisen Hunderte Kilometer zu Fuß in ihre Dörfer zurücklegen. Hunderte starben dabei (HO 28.4.2021). Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind für die Armen besonders gravierend (SZ 25.1.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Ab Oktober 2020 konnte wieder ein starker Wachstumsanstieg verzeichnet werden. Die Investitionsförderungsprogramm der Regierung und die Erleichterung der Vergabebedingungen für Investitionskredite haben sehr wesentlich zum Wiederanspringen der Konjunktur beigetragen (WKO 4.2021). Für 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von mehr als sieben Prozent erwartet (TIE 26.1.2021).

Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019; vgl. AAAI 8.2020).

Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2020; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2020).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 2020).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 rund 1,2 Milliarden indischer Bürger eine Aadhaar-ID ausgestellt (ORF 27.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wodurch sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere zugänglich ist. Die Verwendung biometrischer Daten, einschließlich Gesichtsauthentifizierung, Iris und Fingerabdruck, soll die doppelte Vergabe von UIDs an ein und dieselbe Person reduzieren oder verhindern. Während es möglich sein kann, eine Aadhaar-Karte unter falschem Namen zu erhalten, ist es weniger wahrscheinlich, dass eine Person mit denselben biometrischen Daten eine zweite Aadhaar-Karte unter einem anderen Namen erhalten kann (DFAT 10.12.2020). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Die Aadhaar-Karte selbst ist kein sicheres Dokument, da sie auf Papier gedruckt wird, und obwohl sie nicht wie ein Personalausweis behandelt werden sollte, ist sie es in der Praxis doch (DFAT 10.12.2020).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        AAAI – Action Aid Association (India) (8.2020): Workers in the Time of Covid-19, https://www.actionaidindia.org/wp-content/uploads/2020/08/Workers-in-the-time-of-Covid-19_ebook1.pdf, Zugriff 7.5.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2020): Länderinformationsblatt Indien, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_India_DE.pdf, Zugriff 7.5.2021

?        BBC - British Broadcasting Corporation (26.9.2018): Aadhaar: India top court upholds world's largest biometric scheme, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-44777787, Zugriff 17.1.2019

?        BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 20.10.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 7.5.2021

?        FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (9.2019): Feminist perspectives on the future of work in India, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/indien/15719.pdf, (Zugriff 18.3.2020

?        HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 17.1.2020

?        HRW - Human Rights Watch (13.1.2018): India: Identification Project Threatens Rights, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422175.html, Zugriff 17.1.2019

?        ORF - Österreichischer Rundfunk [Österreich] (27.9.2018): I

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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