TE Bvwg Beschluss 2021/8/17 W227 2245233-1

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Veröffentlicht am 17.08.2021
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Entscheidungsdatum

17.08.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
SchPflG 1985 §11
StGG Art17
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W227 2245233-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde von XXXX , gesetzliche Vertreterin von XXXX , gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Tirol vom 22. Juli 2021, Zl. 800.10/0154-allg/2021:

A)

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Tirol zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Begründung

I. Verfahrensgang

1. Am 5. Mai 2021 zeigte die Beschwerdeführerin die Teilnahme ihres am XXXX geborenen Sohnes XXXX (Kind) am häuslichen Unterricht auf der 6. Schulstufe (2. Klasse Mittelschule) für das Schuljahr 2021/2022 an.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid untersagte die Bildungsdirektion für Tirol gemäß § 11 Abs. 2 und 3 Schulpflichtgesetz (SchPflG) die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht für das Schuljahr 2021/2022 (Spruchpunkt 1.), ordnete an, dass das Kind die Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu erfüllen habe (Spruchpunkt 2.) und schloss die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aus (Spruchpunkt 3.).

Begründend führte die Bildungsdirektion für Tirol zusammengefasst aus:

Aus der Anzeige gehe nicht hervor, dass häuslicher Unterricht erteilt werde, weil laut dieser der Unterricht in einer privaten Lerngemeinschaft stattfinden solle. Die Bildungsdirektion habe Grund zur Annahme, dass es sich dabei um eine Privatschule handle, für die keine Errichtungsanzeige erfolgt sei. Aus diesem Grund sei mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Unterricht nicht mit jenem an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule gleichwertig sei.

3. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde, in der sie zusammengefasst vorbringt, dass die Bildungsdirektion für Tirol keinerlei Ermittlungen getätigt und ihre Entscheidung rechtswidrig auf haltlose Annahmen gestützt habe. Lerngemeinschaft bedeute eine lose Verbindung von Eltern, deren Kinder sich im häuslichen Unterricht befänden und nicht, dass Unterricht in einer privaten Unterrichtsanstalt geplant sei.

4. Am 11. August 2021 legte die Bildungsdirektion für Tirol die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch gemacht zu haben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Am 5. Mai 2021 zeigte die Beschwerdeführerin die Teilnahme ihres Kindes am häuslichen Unterricht auf der 6. Schulstufe (2. Klasse Mittelschule) für das Schuljahr 2021/2022 an. Dazu führte sie in der Formularanzeige der Bildungsdirektion an: „Lehrpläne nach BMBWF/ris.bka.gv.at; Unser Sohn […] wird in einer privaten Lerngemeinschaft unterrichtet. Die Lernbegleiterinnen haben herausragende Qualifikationen“.

Am 28. Juli 2021 übermittelte die Beschwerdeführerin das Jahreszeugnis des Kindes über die 1. Klasse Mittelschule und führte zum häuslichen Unterricht aus, dass dieser nun doch nicht in einer Lerngruppe stattfinden werde, sondern wie folgt: „Lehrpläne nach BMBWF/ris.bka.gv.at; inklusive Kompetenzraster, Lehrbücher der Sprengelschule. […] wird von uns (leibliche Eltern) unterrichtet, bei Bedarf werden Nachhilfepädagogen hinzugezogen“.

Die Bildungsdirektion für Tirol unterließ Ermittlungen zur Gleichwertigkeitsprüfung.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Behebung und Zurückverweisung [Spruchteil A)]

3.1.1. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefoch-tenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Mit Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung not-wendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinne einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichts-barkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73 f.; siehe auch VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123; 25.01.2017, Ra 2016/12/0109, jeweils m.w.H. sowie VwGH 08.08.2018, Ra 2017/10/0097).

3.1.2. Art. 17 Staatsgrundgesetz (StGG) garantiert die Freiheit des häuslichen Unterrichts auf jedem theoretischen Wissensgebiet ohne jede Beschränkung (siehe VfGH Slg. Nr. 4579 und 4990). Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die Erteilung häuslichen Unterrichts irgendwelchen Beschränkungen zu unterwerfen. Die Regelungen des Schulpflichtgesetzes beziehen sich daher ausschließlich auf die Frage, ob ein Kind durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht bereits seine Schulpflicht erfüllt, oder ob es dazu des Besuches einer allgemeinen Pflichtschule bedarf (siehe VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332 m.w.N.).

Gemäß § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen die Polytechnischen Schule – mindestens gleichwertig ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. haben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs. 1 oder 2 genannten Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß Abs. 2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist.

Das Gesetz räumt der Behörde die Befugnis ein, die Teilnahme am häuslichen Unterricht zu untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes im Vergleich zu dem in einer öffentlichen Volksschule nicht gegeben ist.

Mit Wahrscheinlichkeit ist eine Tatsache als gegeben anzunehmen, wenn gewichtigere Gründe für ihr Vorhandensein sprechen als dagegen. Von großer Wahrscheinlichkeit kann daher nur dann gesprochen werden, wenn die Gründe, die dafür sprechen, gegenüber den anderen, die dagegen anzuführen sind, weitaus überwiegen (siehe VwGH 25.04.1974, 0016/74).

3.1.3. Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

Wie oben ausgeführt, kann von großer Wahrscheinlichkeit i.S.d. § 11 Abs. 3 SchPflG nur dann gesprochen werden, wenn die Gründe, die dafür sprechen, gegenüber den anderen, die dagegen anzuführen sind, weitaus überwiegen. Eine solche Abwägung der Gründe, die für oder gegen eine Teilnahme am häuslichen Unterricht sprechen, nahm die Bildungsdirektion für Tirol jedoch überhaupt nicht vor.

Vielmehr ging sie auf die Erläuterungen der Beschwerdeführerin zur Durchführung des Unterrichts, wonach dieser (doch) nicht in einer Lerngruppe stattfinden werde, sondern „Lehrpläne nach BMBWF/ris.bka.gv.at; inklusive Kompetenzraster, Lehrbücher der Sprengelschule. […] wird von uns (leibliche Eltern) unterrichtet, bei Bedarf werden Nachhilfepädagogen hinzugezogen“ überhaupt nicht ein, sondern nahm bloß aktenwidrig an, dass der Unterricht an einer nicht angezeigten Privatschule stattfinden soll.

Damit hat die Bildungsdirektion für Tirol jegliche Ermittlungsschritte zur Gleichwertigkeitsprüfung unterlassen.

Folglich kann nicht nachvollzogen werden, warum die zu treffende ex-ante Prüfung negativ ausfallen könnte.

Der Sachverhalt ist somit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Somit ist das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die Bildungsdirektion für Tirol zurückzuverweisen.

3.1.4. Ein gesonderter Abspruch über die aufschiebende Wirkung erübrigt sich angesichts der erfolgten Sachentscheidung.

3.1.5. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen. Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (siehe VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127; 27.03.2019, Ra 2019/10/0017, jeweils m.w.N.).

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision [Spruchteil B)]

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Gleichwertigkeit häuslicher Unterricht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W227.2245233.1.00

Im RIS seit

13.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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