TE Vwgh Erkenntnis 1997/1/21 96/11/0166

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Veröffentlicht am 21.01.1997
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Index

E3L E15102050;
20/07 Schadenersatz Haftpflicht;
82/07 Sonstiges Gesundheitsrecht;

Norm

31990L0220 Freisetzung-RL GVO;
GTG 1994 §103;
GTG 1994 §109 Abs2 Z18;
GTG 1994 §37 Abs2;
GTG 1994 §39 Abs2;
GTG 1994 §40 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/11/0167 96/11/0168

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde der Z-Gesellschaft m.b.H., vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz 1. vom 11. Mai 1996, Zl. 305.005/12-III/SL/96, betreffend Maßnahmen nach dem Gentechnikgesetz (Beschwerdezahl 96/11/0166), 2. vom 14. Mai 1996, Zl. 305.005/15-III/9/SL/96, (idF des Bescheides vom 5. Juni 1996, Zl. 305.005/20-III/SL/96) betreffend Maßnahmen nach dem Gentechnikgesetz

(Beschwerdezahl 96/11/0167), und 3. vom 14. Mai 1996, Zl. 305.005/16-III/9/96, betreffend Genehmigung nach dem Gentechnikgesetz (Beschwerdezahl 96/11/0168), zu Recht erkannt:

Spruch

Der erst- und der zweitangefochtene Bescheid werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, der drittangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 13.220,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende Partei stellte mit Eingabe vom 19. Jänner 1996 gemäß § 37 Abs. 2 des Gentechnikgesetzes, BGBl. Nr. 510/1994 (GTG), den Antrag auf Genehmigung der Freisetzung gentechnisch veränderter Kartoffelpflanzen in der Vegetationsperiode 1996 auf näher bezeichneten Grundstücken. Die belangte Behörde führte über den Antrag das im § 39 GTG vorgesehene Verfahren ab, in welches die beschwerdeführende Partei ständig eingebunden war. Die abschließende förmliche Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme erfolgte mit Erledigung vom 8. Mai 1996. Darin wurden aufgrund des Gutachtens des wissenschaftlichen Ausschusses der Gentechnikkommission, der Stellungnahme des Umweltbundesamtes und der bisherigen Stellungnahmen der beschwerdeführenden Partei nähere Feststellungen getroffen. In der abschließenden Zusammenfassung wurde festgestellt, daß der Freisetzungsversuch unter den von der beschwerdeführenden Partei im Antrag angeführten Sicherheitsmaßnahmen sowie unter Berücksichtigung näher angeführter Bedingungen und Auflagen als sicher im Sinne des § 40 GTG anzusehen sei.

Noch vor Zustellung des in Aussicht genommenen Genehmigungsbescheides veranlaßte der Geschäftsführer der beschwerdeführenden Partei die Freisetzung der gentechnisch veränderten Kartoffelpflanzen.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid ordnete die belangte Behörde gemäß § 103 Abs. 1 GTG an, die von der beschwerdeführenden Partei freigesetzten gentechnisch veränderten Kartoffelpflanzen aus den zur Freisetzung verwendeten Feldstücken zu entfernen, sie in näher bezeichneter Weise sicher zu verwahren und bis zur Rückführung der Kartoffelpflanzen auf den Feldstücken Warnhinweise anzubringen.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid ordnete die belangte Behörde gemäß § 103 Abs. 1 GTG die Änderung einer mit dem erstangefochtenen Bescheid angeordneten Maßnahme sowie weitere Maßnahmen an (Belassung der Warnhinweise bis Ende Juni 1996, periodische Kontrollen der Feldstücke, Erstattung von schriftlichen Berichten über deren Ergebnis sowie über die getroffenen Sicherungsmaßnahmen in bezug auf die freigesetzten Kartoffelpflanzen). Mit einem weiteren (unbekämpft gebliebenen) Bescheid vom 5. Juni 1996 wurde der zweitangefochtene Bescheid geändert bzw. ergänzt.

Mit dem drittangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Genehmigungsantrag gemäß § 40 Abs. 1 GTG ab.

In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht die beschwerdeführende Partei Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes der angefochtenen Bescheide geltend; sie begehrt deren kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt. Die beschwerdeführende Partei hat mit einem Schriftsatz repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

I.

Zur Versagung der Genehmigung:

Gemäß § 40 Abs. 1 GTG hat die Behörde über Anträge gemäß § 37 Abs. 2 binnen 90 Tagen ab Eingang des Antrages zu entscheiden. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn

1.

sichergestellt ist, daß vom Betreiber die sich aus den Bestimmungen des Teiles A dieses Abschnittes und der darauf beruhenden Verordnungen ergebenden Verpflichtungen für die vorgesehene Freisetzung erfüllt (sind) und diese Freisetzung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt wird, und

2.

gewährleistet ist, daß die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendigen Vorkehrungen getroffen sind und deshalb nachteilige Folgen für die Sicherheit (§ 1 Z. 1) nicht zu erwarten sind.

Die belangte Behörde erachtete die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 40 Abs. 1 GTG für nicht gegeben. Sie begründete dies damit, daß die Freisetzung noch vor Erlassung des Genehmigungsbescheides vorgenommen worden sei. Durch dieses den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 109 Abs. 2 Z. 18 GTG verwirklichende Verhalten ihres Geschäftsführers habe die beschwerdeführende Partei eine Neigung zu rechtswidrigem Verhalten in Ansehung der Vorschriften des Gentechnikgesetzes bewiesen.

Diese Begründung vermag einer nachprüfenden Kontrolle nicht standzuhalten. Es fehlt an einer nachvollziehbaren Begründung für die Annahme einer NEIGUNG der beschwerdeführenden Partei zu strafbarem Verhalten. Die belangte Behörde begnügte sich insoweit mit der Anführung der unbestrittenen Tatsache, daß der (laut Beschwerde inzwischen suspendierte) Geschäftsführer der beschwerdeführenden Partei die Freisetzung der gentechnisch veränderten Kartoffelpflanzen noch vor Erlassung des Genehmigungsbescheides veranlaßt und damit eine Verwaltungsübertretung nach dem Gentechnikgesetz verwirklicht hat, und der in keiner Weise näher begründeten Behauptung, damit sei die angenommene Neigung zu strafbarem Verhalten bewiesen. Ein solcher Schluß kann aus dieser einmaligen Zuwiderhandlung gegen das Gesetz nicht gezogen werden. Sonstige Umstände, aus denen in Verbindung mit dem gegenständlichen Vorfall auf eine solche Neigung geschlossen werden könnte, sind nicht ersichtlich.

Von diesem Mangel abgesehen erweist sich der drittangefochtene Bescheid aus folgendem Grund als inhaltlich rechtswidrig: Wie seine Begründung zeigt, hat die belangte Behörde - auch wenn dies im Bescheid nicht explizit zum Ausdruck kommt - die begehrte Genehmigung wegen mangelnder Verläßlichkeit der beschwerdeführenden Partei verweigert. Dem liegt offensichtlich die Rechtsauffassung der belangten Behörde zugrunde, sie habe gemäß § 40 Abs. 1 GTG die Verläßlichkeit des Antragstellers zu prüfen und bei deren Fehlen eine Genehmigung zu versagen. Diese Auffassung ist durch das Gesetz nicht gedeckt. Zwar scheint sein Wortlaut auf den ersten Blick ("sichergestellt ist", "gewährleistet ist") auf das Erfordernis einer Prüfung der Verläßlichkeit des Antragstellers hinzudeuten. Tatsächlich sieht das Gesetz eine solche Prüfung aber nicht vor, worauf die Beschwerde zutreffend hinweist. Das Gentechnikgesetz verwendet den Begriff "Verläßlichkeit" (oder einen gleichbedeutenden Ausdruck) überhaupt nicht. Es nennt folglich auch keinerlei Kriterien für deren Beurteilung, schreibt weder im Zusammenhang mit der Erteilung einer Genehmigung noch mit der Regelung des Betreiberwechsels (§ 47) eine Prüfung der Verläßlichkeit vor und kennt insbesondere auch nicht die Möglichkeit des Widerrufs einer Genehmigung infolge nachträglichen Wegfalles der Verläßlichkeit. Die Ausdrücke "sichergestellt ist" und "gewährleistet ist" in § 40 Abs. 1 GTG sind demnach nicht im Sinne der Verläßlichkeit als einer in der Person des Antragstellers (Betreibers) gelegenen Genehmigungsvoraussetzung, sondern dahin zu verstehen, daß unter Bedachtnahme auf die vom Antragsteller (gemäß § 37 Abs. 2 bzw. § 39 Abs. 2) erteilten detaillierten Informationen und die von ihm für die Freisetzung getroffenen Vorkehrungen und vorgesehenen Maßnahmen hinreichend sichergestellt erscheint, daß nachteilige Folgen für die Gesundheit von Menschen und für die Umwelt aufgrund der Freisetzung nicht zu erwarten sind. Für dieses Verständnis spricht auch die Entstehungsgeschichte. In der Regierungsvorlage (1465 Blg. NR XVIII. GP) findet sich kein Hinweis, daß § 40 Abs. 1 etwa (auch) als Normierung der Verläßlichkeit des Antragstellers als Voraussetzung für eine Genehmigung zu verstehen sei. Zu keinem anderen Ergebnis führt die Bedachtnahme auf die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt (90/220/EWR), in deren Umsetzung unter anderem die hier maßgeblichen Bestimmungen des Gentechnikgesetzes ergangen sind. An keiner Stelle dieser Richtlinie ist die Rede von der Verläßlichkeit eines Antragstellers als einer eigenen Genehmigungsvoraussetzung bzw. von deren Prüfung durch die Behörde. (Nach ihrem Art. 6 Abs. 2 lit. b kommt die Ablehnung einer Anmeldung dann in Betracht, wenn die Freisetzung den Auflagen dieser Richtlinie nicht entspricht. In der Präambel heißt es in diesem Zusammenhang, daß die zuständige Behörde ihre Zustimmung nur dann erteilen soll, "wenn ihr ausreichend nachgewiesen wurde, daß die Freisetzung für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ungefährlich ist".)

Nach dem Gesagten beruht der drittangefochtene Bescheid auf einer unzutreffenden Rechtsansicht. Er war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

II.

Zu den Maßnahmen gemäß § 103 GTG:

Gemäß § 103 Abs. 1 GTG hat die Behörde, wenn sie Grund zur Annahme hat, daß zur Abwehr von unmittelbar drohenden Gefahren für die Sicherheit (§ 1 Z. 1) Sofortmaßnahmen an Ort und Stelle erforderlich sind, entsprechend dem Ausmaß der Gefährdung solche Maßnahmen einschließlich der gänzlichen oder teilweisen Stillegung von gentechnischen Anlagen oder die gänzliche oder teilweise Einstellung von Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO), oder Freisetzungen von GVO, auch ohne vorausgegangenes Verfahren und vor Erlassung eines Bescheides an Ort und Stelle zu treffen; hierüber ist jedoch binnen zwei Wochen ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die getroffene Maßnahme als aufgehoben gilt. Der Bescheid ist sofort vollstreckbar.

Die belangte Behörde begründete die mit dem erst- und dem zweitangefochtenen Bescheid angeordneten Maßnahmen wie folgt:

Bei einer ohne behördliche Genehmigung vorgenommenen Freisetzung seien unmittelbar drohende Gefahren für die Sicherheit (§ 1 Abs. 1 GTG) anzunehmen, weil dem Betreiber der Freisetzung der Inhalt - insbesondere die Bedingungen und Auflagen - des erst noch zu erlassenden Genehmigungsbescheides noch nicht bekannt sein könne. Weiters sei aufgrund des rechtswidrigen Vorgehens der beschwerdeführenden Partei nicht mehr sichergestellt, daß sie ihre Pflichten nach § 40 Abs. 1 GTG einhalten werde.

Auch diese Begründung vermag einer nachprüfenden Kontrolle nicht standzuhalten. Was das letztere Begründungselement anlangt, genügt der Hinweis auf die vorstehenden Ausführungen zu § 40 Abs. 1 GTG. Beim ersten Begründungselement handelt es sich um einen untauglichen Begründungsversuch. Bei diesem allgemein gehaltenen Hinweis auf Gefahren wegen Unkenntnis eines Betreibers von den in einem erst zu erlassenden Bewilligungsbescheid vorgesehenen Bedingungen und Auflagen läßt die belangte Behörde außer acht, daß im Beschwerdefall das Verfahren bereits bis zur Entscheidungsreife gediehen war und der beschwerdeführenden Partei aufgrund des Parteiengehörs die vorgesehenen Bedingungen und Auflagen bereits bekannt waren. Angesichts dessen hätte es näherer Ausführungen insbesondere darüber bedurft, ob allenfalls nach der Gewährung des Parteiengehörs noch weitere, der beschwerdeführenden Partei bisher nicht bekannte Bedingungen und Auflagen für notwendig erachtet wurden und ob ohne deren Beachtung eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt zu befürchten ist.

Aus diesen Gründen waren der erst- und der zweitangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

III.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich im Rahmen des gestellten Kostenantrages auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996110166.X00

Im RIS seit

07.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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