TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/21 W186 2154742-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.04.2021
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Entscheidungsdatum

21.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch


W186 2154742-3/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.07.2020, Zl. 1028483200 – 200350543, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 13.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt:

Dabei gab er an, dem muslimischen Glauben und der Volksgruppe der Midgaan anzugehören, er stamme aus Aw Barre in Somalia [sic!] und habe sich im Jahr 2011 zum Verlassen seiner Heimat entschlossen. Zu seinen Fluchtgründen führte der BF aus, dass er in Somalia einer Minderheit angehöre. Er habe seine Freundin heiraten wollen, welche einem größeren Stamm angehören würde. Die Familie seiner Freundin habe ihn aus diesem Grund mit dem Umbringen bedroht und mehrfach mit einem Messer am linken Arm verletzt. Als zweiten Fluchtgrund führte der BF aus, dass es in seinem Heimatdorf eine Auseinandersetzung zwischen der Regierung und einer bewaffneten Gruppe gegeben habe. Die somalische Regierung sei der Meinung gewesen, dass auch der BF Mitglied dieser Gruppierung sei, weshalb er verhaftet oder gar getötet werden sollte.

2. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) vom 14.10.2014 wurde die Volljährigkeit des BF festgestellt.

3. Am 18.02.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei er eingangs bestätigte, bis dato wahrheitsgetreue, jedoch nicht vollständige Angaben gemacht zu haben. Seine Eltern würden ursprünglich aus Mogadischu stammen und seien, als die Mutter des BF mit ihm schwanger gewesen wäre, von Somalia nach Äthiopien geflüchtet, wo der BF und seine jüngeren Geschwister geboren worden seien. Die Familie habe immer in dieser Stadt in Äthiopien mit Ausnahme eines etwa einjährigen Aufenthaltes in einem Dorf in Somaliland gelebt. In Aw Barre hätten sie als Angehörige der Midgaan keinen Respekt genossen, weshalb der BF und seine Geschwister zu ihrer Mutter nach Mogadischu hätten fahren wollen. Ihr Vater habe ihnen jedoch erzählt, dass es in Somalia wegen der Al-Shabaab gefährlich wäre, weshalb er geflüchtet sei. Der im Zuge der Erstbefragung vorgebrachte Sachverhalt habe sich in Aw Barre bzw. einem kleinen Dorf in der Nähe von Aw Barre ereignet. Daraufhin wurde dem BF mitgeteilt, dass sich diese Probleme nicht auf seinen Herkunftsstaat beziehen würden und daher im gegenständlichen Verfahren nicht relevant seien. Nachgefragt habe der BF in Somalia niemals Probleme gehabt.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 13.04.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 13.08.2014 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig ist. Es wurde gegen den BF zudem ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen, ausgesprochen, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 06.09.2015 verloren hatte und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 26.04.2017 fristgerecht Beschwerde, mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.05.2017 wurde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an das Bundesamt zurückverwiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesamt lediglich ansatzweise Ermittlungen in Bezug auf die den BF im Falle einer Rückkehr nach Mogadischu erwartende Situation getätigt hätte und die im angefochtenen Bescheid angeführten Ermittlungsergebnisse keinesfalls als ausreichende Sachverhaltsgrundlage zur Beurteilung der aktuellen Zulässigkeit einer Abschiebung des BF im Hinblick auf Art. 3 EMRK erachtet werden könne. Die massive Straffälligkeit des BF werde dabei keineswegs verkannt, eine fundierte Sachverhaltsgrundlage sei allerdings hinsichtlich der Voraussetzungen für eine mögliche Duldung des BF im Bundesgebiet unerlässlich.

6. Am 21.08.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen:

Dabei gab der BF an, ein in Äthiopien geborener Staatsangehöriger Somalias zu sein und bis zu seiner Ausreise im Jahr 2014 in einem Flüchtlingslager in Äthiopien gelebt zu haben. Zu seinen Fluchtgründen führte der BF aus, er gehöre der Volksgruppe der Midgaan an, weshalb er benachteiligt sei. Er habe Jahre gewartet, dass er Asyl von den USA oder Kanada bekomme. Dann sei er mit einem Messer niedergestochen worden. Seine Mutter und ein Bruder seien nach Mogadischu zurückgekehrt. Der BF habe eine Liebesbeziehung mit einer Frau gehabt, die Familie der Frau habe ihn aber verletzt. Die Familie des BF habe überlegt, nach Somalia zurückzukehren, jedoch habe sein Vater gemeint, es gebe viele Probleme wegen der Al-Shabaab, weshalb der BF beschlossen habe, nach Europa zu reisen.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.10.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 13.08.2014 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig ist. Es wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen, keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkannt. Schließlich wurde ausgesprochen, dass der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 06.09.2015 verloren hatte.

8. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.05.2019 als unbegründet abgewiesen, jedoch die Frist für eine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Festgestellt wurde, dass der BF in Äthiopien geboren wurde, nachdem seine Mutter, als sie mit ihm schwanger war, Somalia verlassen hatte und ein Flüchtlingscamp in der Somali-Region Äthiopiens ausgereist war. Der BF habe den überwiegenden Teil seines Lebens in der Somali-Region Äthiopiens verbracht und sich mit Ausnahme eines rund einjährigen Aufenthaltes in Somaliland nie in Somalia aufgehalten. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass BF in Somalia asylrelevant bedroht wäre bzw. im Falle einer Rückkehr des BF nach Somalia von einer Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK ausgegangen werden könne. Demnach bestehe für den BF bei einer Niederlassung in Mogadischu als alleinstehender, gesunder, leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine Bedrohungssituation und auch keine Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können. Insbesondere konnte nicht erkannt werden, dass sich die Versorgungslage in der Großstadt Mogadischu angesichts der jüngsten Dürreperiode aktuell als derart prekär erweisen würde, als dass für jeden Rückkehrer das reale Risiko einer existenzgefährdenden Notlage zu prognostizieren wäre.

2. Gegenständliches Verfahren

1. Der BF stellte am 21.04.2020 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt:

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, er habe bei seiner ersten Aussage falsche Angaben gemacht und möchte jetzt neue Angaben machen. Es sei ihm auch bewusst, dass seine falschen Angaben strafbar gewesen seien, er habe aber Angst gehabt und möchte jetzt die ganze Wahrheit sagen. Er sei in seinem Heimatland Somalia von der Al-Shabaab und der Polizei verfolgt worden. Von der Polizei sei er auch mit Elektroschocks misshandelt worden, zudem werde er auch wegen der Zugehörigkeit zu seiner Volksgruppe verfolgt.

2. Am 15.06.2020 wurde der BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen:

Dabei gab der BF an, er habe in seinem Erstantrag auf internationalen Schutz vom 13.08.2014 seine Fluchtgründe nicht genau erklärt, weshalb er jetzt seine Probleme schildern wolle. Er habe damals Angst gehabt, alles zu erzählen, aber heute wolle er dies tun. Der BF habe im Jahr 2014 angegeben, dass er in einem Flüchtlingslager in Äthiopien gewesen sei. Er sei damals aber noch ein Schüler gewesen und sei in ein Trainingslager von Al-Shabaab gebracht worden. Der BF habe allerdings aus diesem Lager flüchten können und sei zur somalischen Behörde gegangen, wobei er erzählt habe, dass er aus diesem Trainingslager habe flüchten können. Die Polizei habe ihm aber nicht geholfen, sondern ihn sogar ins Gefängnis gesteckt.

Anschließend sei der BF von der Polizei zum Geheimdienst weitergeleitet worden, wo er für 13 Tage gewesen sei. Er sei schlecht behandelt und geschlagen worden, wenn er im Zuge einer Befragung über Al-Shabaab etwas nicht gewusst habe. Es sei dem BF anschließend gesagt worden, dass er in eine Schule gebracht werde, wo er als Soldat ausgebildet werden sollte, was der BF jedoch nicht gewollt habe. Er habe dann gegen die zwei Personen, die ihn in das Trainingslager von Al-Shabaab gebracht hätten, ausgesagt, woraufhin diese von einem Gericht zum Tode verurteilt worden seien. Er habe dann zugesagt, dass er als Soldat ausgebildet werde, damit er aus dem Gefängnis komme. Dann sei er in diese Schule gekommen, aus der er aber geflüchtet sei. Anschließend sei er nach Europa geflüchtet, weil er sowohl Angst vor der Al-Shabaab als auch Angst vor den Angehörigen der beiden Verurteilten gehabt habe.

Auf die Frage, warum der BF diese Probleme nicht schon im Erstverfahren vorgebracht habe, gab er an, er sei bei seiner Ankunft in Österreich erst 17 Jahre alt gewesen. Zuvor sei er in Italien gewesen, wo ihm die Schlepper geraten hätten, diese Probleme nicht vorzubringen. Der BF habe damals sogar Zeitungen als Beweismittel mitgehabt und hätte diese damals auch vorlegen können. Er wolle jetzt eine Kopie des Zeitungsartikels vorliegen, die Originalzeitung würde sich in Wien befinden. Der BF gab auf Nachfrage an, dass es in dem Zeitungsartikel um ihn und einen weiteren Jungen gehen würde, mit dem er aus dem Trainingslager geflüchtet sei.

Auf die Frage, wie lange er benötigen würde, um die Originalzeitung vorlegen zu können, gab der BF an, er habe die Unterlagen bei einem Freund in Wien gelassen, dessen Telefonnummer er allerdings nicht habe. Derzeit befinde er sich in Klagenfurt und wisse nicht, wie viel Zeit er benötige, um die Originalzeitung vorlegen zu können.

3. Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes vom 28.07.2020 wurde der Antrag des BF aus internationalen Schutz vom 21.04.2020 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, der BF habe im neuerlichen Asylverfahren nicht glaubwürdig weitere asylrelevante Gründe vorgebracht bzw. habe sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Diese Umstände seien ihm nämlich bereits bei seiner Ausreise aus Somalia und somit vor dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens bekannt gewesen. Zudem sei es völlig unerklärlich, warum er dieses Problem nicht schon im ersten Verfahren angegeben habe. Weiters beeinträchtige die Nichtvorlage des originalen Zeitungsartikels seine Glaubwürdigkeit erheblich. Schließlich habe sich die den BF treffende Lage im Herkunftsstaat seit der Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert. Sofern sich das Bundesamt auf Quellen älteren Datums beziehe, können diese aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse nach wie vor als aktuell bezeichnet werden.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 11.08.2020 fristgerecht Beschwerde, in welcher im Wesentlichen die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurde:

Das Fluchtvorbringen des BF weise einen glaubhaften Kern auf, zudem sei aufgrund der COVID-19-Pandemie eine wesentliche Sachverhaltsänderung hinsichtlich der Sicherheits- und Versorgungslage eingetreten. Das Bundesamt habe sich weiters mit dem vom BF vorgelegten Zeitungartikel nicht ausreichend auseinandergesetzt.

5. Am 24.08.2020 wurde die Beschwerde inklusive der mit ihr in Bezug stehenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung

Die unter Punkt I. als Verfahrensgang dargelegten Ausführungen werden als Feststellungen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt. Diese ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.

2. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 leg.cit. findet.

Da das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid den Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).

Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht entweder im Falle des Vorliegens entschiedener Sache das Rechtsmittel abzuweisen oder im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung den zurückweisenden Bescheid aufzuheben, wodurch eine neuerliche Zurückweisung des Antrages in Bindung an die Auffassung des Verwaltungsgerichtes wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG jedenfalls unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt.

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung (z. B. VwGH 25.04.2007, 2004/20/0100; 30.6.2005, 2005/18/0197; 25.4.2002, 2000/07/0235) liegen verschiedene "Sachen" im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. In Bezug auf wiederholte Asylanträge muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann.

Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinanderzusetzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. Eine neue Sachentscheidung ist aber nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes, sondern, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben, ausgeschlossen.

Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 83 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur). Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben (nochmals) zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 9. 9. 1999, 97/21/0913; und die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 90 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

Ein Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrags nach dem Asylgesetz 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

Das Bundesamt ist im konkreten Fall zu Unrecht vom Vorliegen der „Identität der Sache“ ausgegangen. Die im Zuge des gegenständlichen Verfahrens vorgebrachten Fluchtgründe des BF sind zwar von der Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.11.2018 umfasst, jedoch gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation in Bezug auf die Gewährung von subsidiären Schutz entscheidungsrelevant geändert hat, sodass eine andere rechtliche Beurteilung nicht von Anfang an ausgeschlossen erscheint, weshalb eine inhaltliche Prüfung stattfinden hätte müssen.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass dem gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes vom 28.07.2020 das immer noch aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Somalia vom 17.09.2019 zugrunde gelegt worden ist, welches jedoch keine Ausführungen zur Versorgungslage in Somalia im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beinhaltet. Aktuelle Berichte gehen davon aus, dass die Ernährungsunsicherheit in Somalia bis Mai 2021 hoch bleibe. Diese Unsicherheit werde durch die verschiedenen Auswirkungen örtlicher Überflutungen und unterdurchschnittlicher Regenfälle, einer sich verschlimmernden Wüstenheuschreckenplage in Zentral- und Teilen Südsomalias und durch den wirtschaftlichen Rückgang in Zusammenhang mit Covid-19 angetrieben. Die Stadt Mogadischu wird zudem mittlerweile in Stufe 3 (von 5) der IPC Klassifikation (IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot) geführt (vgl. https://www.ecoi.net/de/laender/somalia/themendossiers/humanitaere lage/#Toc64556822, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOMALIA_Food_Security_October%202020%20to%20May%202021_final.pdf).

Das Bundesamt hätte daher zusätzliche Nachforschungen zur Versorgungslage in Somalia zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vornehmen müssen und nicht lediglich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.09.2019 zurückgreifen dürfen. Es kann in diesem Zusammenhang nicht ausreichend sein, die verwendeten Quellen als aktuell zu bezeichnen, weil sich die Verhältnisse nicht geändert hätten.

Da bei einer zurückweisenden Entscheidung gem. § 68 Abs. 1 AVG dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz verwehrt ist und es lediglich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung überprüfen darf, war der Beschwerde gegen angefochtenen Bescheid im Ergebnis stattzugeben und dieser ersatzlos zu beheben.

Für das von der belangten Behörde in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des BF wieder unerledigt ist und über diesen von der belangten Behörde neuerlich, nämlich meritorisch - in der Sache -, abzusprechen ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

Das Bundesamt wird bei der inhaltlichen Prüfung des Antrags des BF auf internationalen Schutz die aktuellen Berichte hinsichtlich der Versorgungslage in Somalia zu berücksichtigen haben und zudem auf eine mögliche Unterstützungsfähigkeit seiner Familienmitglieder eingehen müssen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG unterbleiben.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Interessenabwägung Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W186.2154742.3.00

Im RIS seit

05.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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