TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/25 G313 2223623-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.05.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

25.05.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch


G313 2223623-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch RA Mag. Constantin-Adrian NITU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2019, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.03.2021 zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Sprucheinleitungssatz angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm. § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 20.09.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) mit Beschwerdevorlage-Schreiben vom 19.09.2020 die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

4. Am 30.03.2021 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, mit der BF und ihrem Rechtsvertreter im Beisein einer Dolmetscherin für die rumänische Sprache eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

5. Am 07.04.2021 langte beim BVwG die von der verhandelnden Richterin in der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2021 angeforderte und vom Rechtsvertreter der BF übermittelte Wiedereinstellungszusage des ehemaligen Dienstgebers der BF vom 31.03.2021 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die BF ist rumänische Staatsangehörige.

1.2. Sie hält sich seit dem Jahr 2003 mit mehr als sechsmonatigen Unterbrechungen pro Jahr und seit Anfang 2015 ununterbrochen im österreichischen Bundesgebiet auf.

1.3. Die BF verfügt seit 20.01.2014 über eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer).

1.4. Sie ist ab März 2003 im Bundesgebiet mehreren Beschäftigungen nachgegangen, bis einschließlich März 2016.

Die BF, die in Rumänien 22 Jahre lang als Buchhalterin beschäftigt war, bezieht nunmehr eine Pension aus Rumänien – in Höhe von EUR 260,- - und seit April 2016 eine Pension in Österreich – in Höhe von rund EUR 165,-. Nachdem der BF im April 2016 eine Ausgleichszulage zuerkannt worden war, bezog sie diese ein Jahr lang, bevor ihr diese wieder gestrichen wurde.

Die BF hat vor, sich nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen etwas zu ihrer Pension dazuzuverdienen. Im Hinblick darauf wurde ihr von ihrer ehemaligen Dienstgeberin mit Schreiben vom 31.03.2021 eine Wiedereinstellungszusage für die Zeit nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen erteilt.

1.5. Die BF wohnt seit Dezember 2015 in einer Wohnung bei ihrer ehemaligen Dienstgeberin, mit welcher sie sich sehr gut versteht, und bezahlt dafür monatlich EUR 150,- Miete inklusive Betriebskosten. Diesbezüglich liegt eine Sondervereinbarung vor. Bei einem finanziellen Engpass muss die BF zudem keine Miete bezahlen.

1.6. Die BF lebt seit ihrem Pensionsantritt in Österreich mit ihrem Ehegatten in gemeinsamem Haushalt zusammen. Der Ehegatte der BF ging bei derselben Dienstgeberin, bei welcher die BF ehemals beschäftigt war, vom 01.01.2020 bis 10.03.2020 einer geringfügigen Beschäftigung nach, und bezieht eine Pension in Höhe von EUR 320,-.

1.7. Die BF hat in Rumänien ihre Mutter, die im Februar 2021 einen Schlaganfall erlitten hat, einen Bruder, der gemeinsam mit ihrer Mutter in gemeinsamem Haushalt zusammenlebt, und einen rund 40 Jahre alten Sohn samt Familie als familiäre Anknüpfungspunkte.

1.8. Die BF hat sich in Österreich Deutschkenntnisse angeeignet. Die verhandelnde Richterin stellte im Zuge der mündlichen Verhandlung fest, dass die BF über Deutschkenntnisse verfügt und die Fragen teilweise – ohne Inanspruchnahme einer Übersetzung – auf Deutsch beantwortet hat.

1.9. Sie pflegt in Österreich zudem soziale Kontakte, ist mit ihrer ehemaligen Arbeitgeberin in Telefonkontakt und versteht sich auch gut mit ihren Nachbarn.

1.10. Die BF ist strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Zur Person der BF und ihren individuellen Verhältnissen

Die im Sprucheinleitungssatz angeführte Identität und rumänische Staatsangehörigkeit der BF beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

Dass sich die BF ab 2003 – mit jährlichen längerfristigen, sechs Monate überschreitenden Unterbrechungen – und seit dem Jahr 2015 ununterbrochen im österreichischen Bundesgebiet aufhält, beruht auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt samt Zentralmelderegisterauszug.

Dass die BF für ihre Wohnung bei ihrer ehemaligen Dienstgeberin Miete in Höhe von EUR 150,- monatlich bezahlt, beruht auf ihrer diesbezüglich glaubhaften Angabe in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (VH-Niederschrift, S. 5).

In dem, dem Verwaltungsakt einliegenden Mietvertrag vom 01.04.2016 (AS 79) wurde (unter anderem) festgehalten, dass das Mietverhältnis am 1. April 2016 beginnt und auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wird, und der monatliche Mietzins für die vermietete, 40m² große Wohnung € 150,00,- inklusive Betriebskosten beträgt.

Ebenso glaubhaft war das Vorbringen der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, dass die BF mit ihrer ehemaligen Dienstgeberin eine Sondervereinbarung betreffend die Mietzahlung geschlossen hat und bei einem finanziellen Engpass keine Miete bezahlen muss (VH-Niederschrift, S. 6).

Dass der BF am 20.01.2014 eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) erteilt worden ist, beruht auf einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister.

Dass die BF ab März 2003 bis einschließlich März 2016 im Bundesgebiet mehreren Beschäftigungen nachgegangen ist, beruht auf einem AJ-WEB Auskunftsverfahrensauszug.

Aufgrund des diesbezüglich glaubhaften Vorbringens der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in Zusammenschau mit dem übrigen Akteninhalt bzw. einem AJ-WEB Auskunftsverfahrensauszug wurden die Feststellungen getroffen, dass die BF in Rumänien 22 Jahre lang als Buchhalterin beschäftigt war (VH-Niederschrift, S. 8), und nunmehr eine Pension aus Rumänien – in Höhe von EUR 260,- - und seit April 2016 eine Pension in Österreich – in Höhe von rund EUR 165,-. bezieht, und, nachdem ihr im April 2016 eine Ausgleichszulage zuerkannt worden war, diese ein Jahr lang bezogen hat, bevor ihr diese wieder gestrichen worden ist.

Dass der Ehegatte der BF, welcher seit dem Pensionsantritt der BF mit ihr in gemeinsamem Haushalt zusammenlebt, eine Pension in Höhe von EUR 320,- bezieht, konnte ebenso von der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG glaubhaft gemacht werden (VH-Niederschrift, S. 5). Die Feststellung, dass der Ehegatte der BF vom 01.01.2020 bis 10.03.2020 bei derselben Dienstgeberin, bei welcher die BF ehemals beschäftigt war, einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen ist, konnte in Zusammenschau der die BF und ihren Ehegatten betreffenden AJ-WEB Auskunftsverfahrensauszügen getroffen werden.

Dass der BF von ihrer ehemaligen Dienstgeberin mit Schreiben vom 31.03.2021 eine Wiedereinstellungszusage für die Zeit nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen erteilt wurde, ergab sich aus der nachgereichten dies bescheinigenden „Wiedereinstellungs-Zusage nach „Corona“-Pandemie“ vom 31.03.2021, welche am 07.04.2021 beim BVwG einlangte.

Aufgrund der glaubwürdigen Angabe der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 30.03.2021 befragt danach, ob sie vorhabe, nach der Pandemie wieder zu arbeiten, „ja, allein deswegen, weil ich mich wohler fühle, möchte ich wieder arbeiten“ (VH-Niederschrift, S. 7), und der nachgereichten Wiedereinstellungszusage ihrer ehemaligen Dienstgeberin wurde die Feststellung getroffen, dass die BF vorhat, nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen etwas zu ihrer Pension dazuzuverdienen.

Mit Schreiben einer Bezirkshauptmannschaft (BH) vom 25.01.2017 wurde der BF mitgeteilt, dass sie nicht mehr Arbeitnehmerin ist, laut einem Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 13.07.2016 eine Alterspension in Höhe von monatlich EUR 155,66 bezieht, ihr laut einem weiteren Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 13.07.2016 eine Ausgleichszulage in Höhe von monatlich EUR 870,- zuerkannt wurde und daraus auf nicht ausreichende Existenzmittel gemäß § 51 Abs. 1 Z. 2 NAG und ein ihr nicht mehr zukommendes (unionsrechtliches) Aufenthaltsrecht geschlossen werde, weshalb das BFA hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst worden ist.

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen der BF beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (VH-Niederschrift, S. 5ff)

Die festgestellten sozialen Integrationsschritte der BF im österreichischen Bundesgebiet ergaben sich aus dem in der VH-Niederschrift vom 30.03.2021 festgehaltenen diesbezüglichen Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

Die verhandelnde Richterin stellte in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zudem fest, dass die BF Deutschkenntnisse hat und die Fragen teilweise – ohne Inanspruchnahme einer Übersetzung – auf Deutsch beantwortet hat (VH-Niederschrift, S. 9).

Dass die BF im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten geblieben ist, konnte nach Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich festgestellt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Aufhebung des Bescheides:

3.1.1. Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG idgF lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:

„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(…).“

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergab sich Folgendes:

Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a und b der Freizügigkeitsrichtlinie hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist, oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen.

Nach Art. 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern müssen sie die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Dieser Betrag darf in keinem Fall über dem Schwellenbetrag liegen, unter dem der Aufnahmemitgliedstaat seinen Staatsangehörigen Sozialhilfe gewährt, oder, wenn dieses Kriterium nicht anwendbar ist, über der Mindestrente der Sozialversicherung des Aufnahmemitgliedstaats.

Der EuGH führte diesbezüglich Folgendes aus:

Bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie – in Österreich umgesetzt durch § 51 Abs. 1 Z. 2 NAG – in Anspruch nehmen zu können, ist eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen, was notwendig impliziert, dass die Beantragung von Sozialleistungen und allenfalls ein Bezug derselben nicht schon per se bedeutet, dass keine ausreichenden Existenzmittel vorliegen (vgl. EuGH 11.11.2014, Dano, C-333(13; EuGH 19.09.2013, Brey, C-140/12; VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0047).

Im gegenständlichen Fall wurde der BF mit Schreiben des BFA vom 03.07.2019 folgendes „Ergebnis der Beweisaufnahme“ vorgehalten:

„Sie verfügen über eine Anmeldebescheinigung „Arbeitnehmer“. Nach Überprüfung wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme Ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nicht mehr vorliegen. Ihr maßgeblicher durchgehender gemeldeter Aufenthalt ohne Unterbrechungen über 6 Monate besteht seit 07.01.2015. Seit dem 21.08.2015 gehen Sie keiner Beschäftigung mehr nach und erhalten eine Ausgleichszulage seit dem 01.04.2016, womit mit diesem Datum auch das Freizügigkeitsrecht erloschen ist. Sie erfüllen die Voraussetzungen gem. § 51 NAG nicht mehr:

§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

(…)

1.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen Umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthaltes weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

(…).“

Die belangte Behörde nahm demnach an, dass das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht der BF mit ihrer Inanspruchnahme der Ausgleichszulage ab 01.04.2016 erloschen ist. Die BF hat nach Pensionsantritt neben ihrem Pensionsbezug ein Jahr lang eine Ausgleichszulage erhalten und bezieht diese nun nicht mehr. Sie bezieht keine staatlichen Sozialleistungen oder sonstigen finanziellen Zuwendungen.

Abgesehen davon, dass die BF nunmehr nicht mehr die ihr von der belangten Behörde vorgehaltene Ausgleichszulage bezieht, hat der VwGH im Erkenntnis vom 04.10.2018, Zl. Ra 2017/22/0218, zur Ausgleichszulage Folgendes ausgeführt:

Die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38/EG betreffend das Erfordernis ausreichender Existenzmittel sollen verhindern, dass Unionsbürger die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates unangemessen in Anspruch nehmen (vgl. EuGH, 21.12.2011, Zilekowski C-424/10 und C-25/10). Art. 7 Abs. 1lit. b der Richtlinie 2004/38/EG soll nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaates zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13).

Die österreichische Ausgleichszulage hat Sozialhilfecharakter, soweit sie dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten soll (vgl. EuGH 29.4.2004, Sklaka, C-160&02). Die Ausgleichszulage kann als „Sozialhilfeleistung“ (iSd Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG) angesehen werden. Der Umstand, dass ein EWR-Bürger zum Bezug dieser Leistung berechtigt ist, kann einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (vgl. EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12).

Da der Bezug der Ausgleichszulage nur einen Anhaltspunkt und keinen Beweis für nicht ausreichende Existenzmittel darstellen kann, ist, um beurteilen zu können, ob der BF ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, die gesamte individuelle wirtschaftliche Situation der BF zu prüfen.

Die BF war in Österreich ab März 2003 bei verschiedenen Dienstgebern beschäftigt und ging zuletzt bis März 2016 einer Beschäftigung bei einer Dienstgeberin nach, die ihr mit Schreiben vom 31.03.2021 eine Wiedereinstellungszusage für die Zeit nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen erteilt hat, möchte sich die BF doch etwas zu ihrer Pension dazuverdienen.

Die BF bezieht seit 01.04.2016 eine Alterspension in Österreich in Höhe von rund EUR 165,-, und eine Pension aus Rumänien in Höhe von EUR 260,-.

Der Ehegatte der BF, welcher seit dem Pensionsantritt der BF mit ihr in gemeinsamem Haushalt zusammenlebt, bezieht eine Pension in Höhe von EUR 320,-. Das Haushaltseinkommen beläuft sich somit auf insgesamt rund EUR 745,-.

Die BF wohnt mit ihrem Ehegatten bei ihrer ehemaligen Dienstgeberin in einer Wohnung zusammen. Für die Miete bezahlt die BF monatlich EUR 150,- inklusive Betriebskosten. Bezüglich der Miete wurde zwischen der BF und ihrer ehemaligen Dienstgeberin, mit welcher sie sich sehr gut versteht, eine Sondervereinbarung geschlossen. Bei einem finanziellen Engpass muss die BF keine Monatsmiete bezahlen.

Die BF konnte in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG glaubhaft machen, ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten zu können. Auf die Frage, wie es sich monatlich mit dem niedrigen Einkommen ausgehe, alle Zahlungen zu tätigen, gab sie Folgendes glaubhaft an:

„Wir brauchen nicht viel für 2 Personen. Ich koche. Ich habe kleine Geldreserven. Ich habe auf dem Konto noch Ersparnisse. Ich verbrauche hier in Österreich nicht viel Geld, auch nicht für das Essen. (…).“ (VH-Niederschrift, S. 7)

Dass sich die BF im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Situation in keiner psychischen Drucksituation befindet, ergab sich auch daraus, dass sie auf die Frage in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, wo ihr Ehegatte lebe, Folgendes glaubhaft in deutscher Sprache geantwortet hat:

„Jetzt, seit ich in Pension bin, lebt er bei mir. Zusammen können wir in Ruhe in Österreich unsere Pension genießen.“ (VH-Niederschrift, S. 7)

Die BF konnte insgesamt glaubhaft machen, insgesamt über ausreichende Existenzmittel iSv § 51 Abs. 1 Z. 2 NAG zu verfügen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Da der BF daher das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt, wird sie nicht aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

Auch im Falle von nicht ausreichenden Existenzmitteln iSv § 51 Abs. 1 Z. 2 NAG bzw. eines der BF nicht mehr zukommenden unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts wäre unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Gesichtspunkte bzw. der seit Anfang 2015 ununterbrochenen Aufenthaltsdauer, der familiären und wirtschaftlichen Lage der BF, die mit ihrem Ehegattin in gemeinsamem Haushalt zusammenlebt und mit ihm zusammen die Pension genießt, der in der mündlichen Verhandlung vor dem BvwG glaubhaft gemachten sozialen Integrationsschritte der BF rund um das zu ihrer ehemaligen Dienstgeberin aufrecht gehaltene Verhältnis und verschiedene Sozialkontakte sowie unter Berücksichtigung ihrer in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG festgestellten deutschen Sprachkenntnisse die Ausweisung der BF nicht für gerechtfertigt zu halten gewesen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Zu B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Ausgleichszulage Behebung der Entscheidung EU-Bürger Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt Privat- und Familienleben Rente Unbescholtenheit Unionsrecht Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G313.2223623.1.00

Im RIS seit

05.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten