TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/19 W228 2153940-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.05.2021
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Entscheidungsdatum

19.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §56
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AVG §38
AVG §52 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W228 2153940-3/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 1980, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.01.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A.1)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

A.2)

Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens der länderkundigen Sachverständigen XXXX wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 15.07.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dieses Verfahren wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.02.2019 (W168 2153940-1/11E) in zweiter Instanz rechtskräftig beendet. Am 17.06.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. In diesem Verfahren erging am 29.07.2019 ebenfalls ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (W113 2153940-2/4E). Mit Beschluss des Verfassungsgerichthofes vom 18.12.2019 (E 4521/2019-4) wurde der Beschwerde gegen dieses Erkenntnis aufschiebende Wirkung zuerkannt. Mit Beschluss vom 26.02.2020 (E 4521/2019-10) lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof ab.

Am 27.12.2019 hat der Beschwerdeführern gegenständlichen bzw. dritten Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

In der, am 27.12.2019 durchgeführten, Erstbefragung führte der Beschwerdeführer aus, er sei, während er sich in Schubhaft befand, von einem Vertreter der afghanischen Botschaft indirekt bedroht worden. Dies dadurch, dass ihn dieser gefragt habe, weshalb er seine Religion gewechselt habe. Auch habe der Vertreter ihm gesagt, dass er kein Recht auf Hilfe habe und bei den Christen Hilfe suchen solle. Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass er, wenn er bereits hier so behandelt werde, in Afghanistan in Gefahr sei. Er würde sich vor der Regierung und seiner Familie fürchten, auch seine alten Fluchtgründe seien noch aufrecht.

Der Beschwerdeführer wurde am 30.07.2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass die von ihm beim ersten Antrag auf internationalen Schutz angegebenen Fluchtgründe sowie seine Konversion zum Christentum weiterhin gegeben seien. Des Weiteren sei er, während er sich in Schubhaft im PAZ Hernalser Gürtel befand, von Vertretern der afghanischen Botschaft wegen seiner Konversion zum Christentum bedroht worden. Auf Grund dessen sei er auch in Afghanistan gefährdet, da die afghanische Regierung nun von seiner Konversion wisse. Auch sei er getauft und lebe in einer Kirche.

Die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers legte am 27.08.2020 eine Stellungnahme vor. In dieser wurde ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 AVG bis zur Entscheidung über den vorherigen Asylantrag durch den VfGH gestellt. Des Weiteren wird auf die nunmehrige Kenntnis der afghanischen Behörden von der Konversion des BF hingewiesen. Auch wird ausgeführt, dass eine Rückkehr für den BF unzumutbar wäre und die Rückkehrentscheidung unzulässig sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14.01.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV.). Der Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 AVG wurde abgewiesen (Spruchpunkt V.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zum Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr, zum Privat- und Familienleben, zu seinen Vorverfahren, zur bereits bestehenden, mit einem Einreiseverbot verbundenen, Rückkehrentscheidung, zum Antrag auf Aussetzung des Verfahrens und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers habe nicht festgestellt werden können. Auch sei nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine Notlage gemäß Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK geraten würde. Des Weiteren halte sich der Beschwerdeführer erst relativ kurz im Bundesgebiet auf, seine Deutschkenntnisse würden lediglich dem A2 Niveau entsprechen, er sei weder Mitglied in einem Verein noch in einer Organisation und habe auch keine privaten oder integrativen Anknüpfungspunkte in Österreich. Das Vorbringen der Bedrohung im Herkunftsstaat auf Grund der Konversion des Beschwerdeführers stelle keine neue Tatsache dar, die eine Rechtskraftdurchbrechung im Rahmen der Zulässigkeit des dritten Antrages auf internationalen Schutz zu lassen würde. Auch sei die Konversion bereits im Zuge des ersten sowie zweiten Antrages auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht als nicht glaubhaft beurteilt worden.

Gegen den verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 22.02.2021 fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde auf den Antrag einer zeugenschaftlichen Befragung hingewiesen, über den im nun angefochtenen Bescheid nicht abgesprochen worden sei. Daher werde dieser Antrag vollinhaltlich aufrechterhalten. Auch habe die Behörde die amtswegige Ermittlungspflicht gemäß § 18 AsylG verletzt, da sie es unterlassen habe Erhebungen bezüglich des Vorfalles im PAZ Hernalser Gürtel anzustellen. Weiters sei nicht nachvollziehbar aus welchem Grund bezüglich der COVID-19-Pandemie nicht die aktualisierte Version des LIB herangezogen worden sei. Deswegen werde die Einholung eins SV-Gutachten beantragt. Die bereits bisher prekäre Situation habe sich durch die Pandemie verschärft und bei der Arbeitssuche seien persönliche Kontakte und Beziehungen wichtiger als Qualifikationen. Auch wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer getauft sei, aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten sei und die evangelische Kirche in Wien besuche. Er stehe auch im engen Kontakt mit Mitgliedern seiner Pfarrgemeinde. Es sei ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, da davon auszugehen sei, dass den afghanischen Behörden seine Konversion bekannt sei und er daher in Afghanistan von Verfolgung bedroht sei. Begleitend legte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Anfragebeantwortung zu Afghanistan vor, die sich unter anderem auf die Situation von Apostaten und Konvertiten in Afghanistan bezieht sowie ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, eine Stellungnahme zur Wohnsituation des Beschwerdeführers der amtsführenden Pfarrerin seiner Pfarrgemeinde und ein Schreiben des Diözesanjugendreferenten.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 26.02.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem BF am 05.03.2021 einen Mängelbehebungsauftrag bezüglich der beantragen Zeugeneinvernahme.

Am 24.03.2021 langte beim Bundesverwaltungsgereich ein Antrag auf Einvernahme eines Zeugen des Beschwerdeführers ein.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 26.04.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Farsi durchgeführt. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen. Im Zuge der Verhandlung legte der Beschwerdeführer einen fachärztlichen Befund vom 20.04.2021 mit der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung und Rezidivierende depressive Störung, vor und es wurden zwei Zeugen einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer heißt XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX 1980 in der Provinz Maidan Wardak geboren. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an. Bis zum zweiten Lebensjahr lebte der Beschwerdeführer in Afghanistan und zog anschließend mit seiner Familie in den Iran. Dort war er bis zu seiner Flucht wohnhaft. Im Iran besuchte er sieben Jahre lang die Grundschule und arbeitete anschließend als Tischler und Händler. Er spricht die Sprachen Farsi und Dari sowie Deutsch auf A2 Niveau. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 15.07.2015 im Bundesgebiet und ist seitdem ausschließlich aufgrund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Er ist ein junger und arbeitsfähiger Mann, dem eine Teilnahme am Erwerbsleben in seinem Herkunftsstaat zumutbar ist. Abgesehen von einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden, depressiven Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode), die aktuell mit täglich einer halben (bei Bedarf eineinhalb) Pram – Filmtablette 20 mg sowie einer Dominal Forte 80 mg – Filmtablette behandelt werden, ist der Beschwerdeführer gesund. Er leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.

Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern, lebt in Teheran/Iran. Dort arbeitet seine Ehefrau sporadisch als Köchin. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Familie lediglich hin und wieder.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Personen zu denen ein besonders zu berücksichtigendes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis besteht. Er lebt in Österreich aus Mitteln der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. In Österreich hat der Beschwerdeführer Deutschkurse besucht und eine Prüfung auf Niveau A2 absolviert sowie ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet und mehrere Informationsmodule und Seminare besucht. Zudem war er ehrenamtlich Kundenbetreuer bei der Team Österreich Tafel des Wiener Roten Kreuzes und für die Evangelische Gemeinde tätig. Auch hat er an mehreren EJW-Projekten (Evangelische Jugend Wien) ehrenamtlich mitgearbeitet.

Das Bestehen von besonderen Gründen, die für einen Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen und auch während der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nicht zu Tage getreten. Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich ist nicht festzustellen.

1.2. Zum Fluchtgrund:

Der Beschwerdeführer bezieht sich in seinem insgesamt dritten Antrag auf internationalen Schutz vom 27.12.2019 auf Geschehnisse während einer Vorsprache bei zwei Mitarbeitern der afghanischen Botschaft, als er sich in Schubhaft befand.

Der Beschwerdeführer hat den Vertretern der afghanischen Botschaft nichts von seiner Verbindung zum Christentum erzählt. Folglich wurde er auch nicht indirekt von einem der Vertreter bedroht und verhielt sich keiner der Vertreter ihm gegenüber aggressiv oder wurde ihm gegenüber grob. Auch hat ihn kein Vertreter der Botschaft schlecht behandelt. Da der Beschwerdeführer gegenüber den Vertretern der Botschaft seine Konversion nicht erwähnt hat, wissen diese nichts davon und in der Folge ist auch der Afghanische Staat nicht in Kenntnis davon.

Eine Konversion aus innerer Überzeugung des Beschwerdeführers wurde schon in den beiden vorhergehenden, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren als unglaubwürdig beurteilt.

Auch droht dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara in Afghanistan keine Verfolgung.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung. Somit kann nicht festgestellt werden, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan Drohungen oder Gewalthandlungen von staatlicher oder privater Seite zu erwarten hätte. Auch kann nicht festgestellt werden, dass er in eine Notlage geraten würde, die seine Existenz bedrohen würde.

1.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr:

Bei einer Rückkehr in die Provinz Maidan Wardak kann eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des Beschwerdeführers aufgrund der instabilen Sicherheitslage sowie der schlechten Erreichbarkeit der Provinz nicht ausgeschlossen werden. Auch kann dort die Verfügbarkeit der vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente nicht sichergestellt werden.

Der Beschwerdeführer kann sich stattdessen im Rückkehrfall in Mazar-e Sharif oder Herat niederlassen und sich dort mittelfristig eine Existenz aufbauen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprachen vertraut und wuchs in einem afghanischen Familienverband auf. Der Beschwerdeführer lebte zwar nie in Mazar-e Sharif oder Herat und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Dennoch könnte er sich angesichts seines mehrjährigen Schulbesuchs, seiner Schrieb- und Lesekompetenz, seiner Sprachkenntnisse (Dari und Faris) sowie seiner im Iran gesammelten Berufserfahrung als Tischler und Händler sowie seiner Arbeitsfähigkeit eine Existenz aufbauen und diese zumindest anfänglich mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Ihm wäre der Aufbau eine Existenzgrundlage sowohl in Mazar-e Sharif als auch in Herat möglich. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Auch ist es ihm möglich, finanzielle Unterstützung im Wege der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit. Während seiner Zeit in Österreich wurde bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende, depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode) diagnostiziert, die Behandlung mit täglich einer Pram – Filmtablette 20 mg sowie einer halben (bei Bedarf eineinhalb) Dominal Forte 80 mg – Filmtablette schlug an und ist eine Besserung seines Zustandes erkennbar. Die vom Beschwerdeführer benötigte weitere Behandlung würde ihm auch in Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung stehen. Trotz der Diagnose ist seine Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt und ist er in der Lage, alle seine Angelegenheiten des täglichen Lebens ohne Gefahr für sich selbst zu erledigen. Auch ist es ihm möglich selbständig Arbeit, Unterkunft sowie Verpflegung zu verschaffen und sich in einer fremden Stadt zu orientieren.

Somit ist anzunehmen, dass sich der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte in Mazar-e Scharif oder Herat ein ausreichendes Einkommen, notfalls mit Hilfstätigkeiten, sichern kann.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende Pandemie aufgrund des Corona-Virus kein Rückkehrhindernis darstellt. Der Beschwerdeführer gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen (chronischer) physischer Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan, Stand 01.04.2021:

Maidan Wardak:

Letzte Änderung: 12.03.2021

Die Provinz Wardak, auch bekannt als Maidan Wardak, grenzt im Norden an Parwan und Bamyan, im Osten an Kabul und Logar und im Süden und Westen an Ghazni (UNOCHA Wardak 4.2014, NPS Wardak o.D., OPr Wardak 01.02.2017). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Chak-e-Wardak, Daimir Dad, Hissa-e-awali Behsud, Jaghatu, Jalrez, Markaz-e-Behsud, Maidan Shahr, Nerkh, Sayyid Abad (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Wardak 2019, UNOCHA Wardak 4.2014, NPS Wardak o.D., OPr Wardak 01.02.2017). Die Provinzhauptstadt Maidan Shahr befindet sich etwa 40-50 Kilometer südwestlich von Kabul (OPr Wardak 01.02.2017; vgl. ARTE 03.04.2020).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Wardak im Zeitraum 2020/21 auf 637.634 Personen (NSIA 01.06.2020). Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara (OPr Wardak 01.02.2017; vgl. NPS Wardak o.D.).

Wardak ist aufgrund seiner strategischen Position, der Nähe zu Kabul und der Lage an wichtigen Fernstraßen eine bedeutsame Provinz (ARN 23.06.2019). Der Highway Kabul-Kandahar durchquert die Distrikte Maidan Shahr, Narkh und Saydabad (UNOCHA Wardak 4.2014). Die Taliban richten gelegentlich Kontrollpunkte an Abschnitten dieser Fernstraße in der Provinz Wardak ein (AVA 01.10.2019; vgl. UNSG 07.12.2018; vgl. PAJ 27.10.2018; AP 07.10.2018). Diese Straße gilt als eine der gefährlichsten in Afghanistan. Jedoch während des dreitägigen Waffenstillstandes zu Eid-al-Firt im August 2020 kam es entlang der Straße zu keinen Zusammenstößen, und die Taliban lösten ihre Kontrollpunkte vorübergehend auf (WP 10.08.2020).

Eine weitere wichtige Straße führt von Maidan Shahr durch die Distrikte Jalrez, Hesa-e Awal-e Behsud, Markaz-e Behsud zum Hajigak-Pass und weiter nach Bamyan (UNOCHA Wardak 4.2014; vgl. AAN 16.12.2019). Der Abschnitt im Distrikt Jalrez befindet sich unter Kontrolle der Taliban (AAN 16.12.2019; vgl. Know 25.08.2019). Die Taliban betreiben entlang dieser Straße Kontrollpunkte und heben Steuern ein (AAN 16.12.2019; vgl. Know 25.08.2019, PAJ 05.11.2018), und es sind Fälle dokumentiert, dass Durchreisende entführt oder getötet wurden (Know 25.08.2019; vgl. DA 11.06.2019, RY 02.06.2019); vorwiegend Hazara (Know 25.08.2019).

Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren

Wardak ist eine der am heftigsten umkämpften Provinzen Afghanistans und wird zum größten Teil von den Taliban kontrolliert (WP 10.08.2020; vgl. PBS 31.12.2019). Das Machtgleichgewicht in der Provinz Wardak blieb über Jahre hinweg relativ stabil (WP 10.08.2020). Die Sicherheitslage hat sich im Lauf des Jahres 2019 verschlechtert (KP 19.07.2019; vgl. KP 02.07.2019; DA 11.06.2019), und seit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen den USA und den Taliban im Februar 2020 hat der Einfluss der Taliban in Wardak zugenommen (WP 10.08.2020).

Polizisten, die an den Außenposten an der Grenze zwischen Regierungskontrolle und Taliban-Einfluss stationiert sind, berichtet über häufige Angriffe der Aufständischen. In Bezirken, die außerhalb der Regierungskontrolle liegen, berichten Zivilisten von einem verstärkten Einsatz von Artillerie durch Regierungseinheiten (WP 10.08.2020). Auch im volatilen Distrikt Sayedabad gab es in den letzten Jahren fast täglich Kämpfe zwischen Regierungskräften und Taliban. Dort wurden, laut Angaben der Bewohner, durch Sicherheitskräfte im November 2019 rund 80 Wohnhäuser zerstört, da in der Vergangenheit gemäß Angaben der Behörden die Taliban immer wieder Wohnhäuser als Unterkünfte und Befestigungen nutzten (AN 03.11.2019).

Aus Sicherheitsgründen lebt die Bürgermeisterin von Maidan Shahr, Zarifa Ghafari, in Kabul und pendelt täglich 50 Kilometer zu ihrem Amtssitz (ARTE 03.04.2020).

Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Wardak im Verantwortungsbereich des 203. ANA Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. KP 04.07.2019), das der Task Force Southeast unter der Leitung von US-Truppen untersteht (USDOD 01.07.2020).

Einheiten des Nationalen Sicherheitsdirektorates (NDS), die vom US-Geheimdienst CIA unterstützt werden, führen in der Provinz Wardak nächtliche Operationen durch, wobei es Berichten zufolge zu willkürlichen Angriffen gegen Zivilisten, Hinrichtungen und anderen Menschenrechtsverletzungen, kommt. Die Täter werden nicht zur Rechenschaft gezogen (FP 06.02.2020, HRW 30.10.2019, BAMF 15.07.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung

[...] Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 145 zivile Opfer (55 Tote und 90 Verletzte) in der Provinz Wardak. Dies entspricht einem Rückgang von 21% gegenüber 2019. Die Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2021).

In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen (TN 18.02.2020, PAJ 24.10.2019, KP 09.08.2019; KP 06.08.2019; KP 19.07.2019; KP 02.07.2019) und Luftschlägen (PAJ 18.02.2020, PAJ 24.10.2019, NG 17.10.2019, AT 08.12.2019). Die Taliban greifen regelmäßig Kontrollpunkte, Einrichtungen oder Konvois der Sicherheitskräfte an, und es kommt zu Gefechten mit den Regierungstruppen, was zu Opfern unter den Sicherheitskräften und den Aufständischen führt (ATV 23.09.2020, WP 10.08.2020, AN 03.11.2019, GW 21.07.2020, AN 06.09.2020, IAR 21.09.2020, FRP 29.07.2019, TN 18.02.2020, PAJ 24.10.2019, NG 17.10.2019, KP 06.08.2019; KP 02.07.2019).

Bei einem Angriff der Taliban auf eine Basis des NDS in der Nähe der Provinzhauptstadt Maidan Shahr wurden im Jänner 2019 über 100 Sicherheitskräfte getötet (NYT 21.01.2019; vgl. Guardian 21.01.2019, ORF 21.01.2019). […]

Herat:

Letzte Änderung: 25.03.2021

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA Herat 4.2014). Herat ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Enjil, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kuhna, Obe, Pashtun Zarghun, Zendahjan und die „temporären“ Distrikte Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar, Kozeor), Zawol und Zerko (NSIA 01.06.2020; IEC Herat 2019), die aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 03.07.2015; vgl. PAJ 01.03.2015). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.08.2018). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (NSIA 01.06.2020). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ Herat o.D.).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Herat im Zeitraum 2020-21 auf 2.140.662 Personen, davon 574.276 in der Provinzhauptstadt (NSIA 01.06.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ Herat o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 03.02.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. STDOK 13.06.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 05.12.2017, LCA 04.07.2018). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Straßen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (LCA 04.07.2018), wo sich einer der größten Trockenhäfen Afghanistans befindet (KN 07.07.2020). Die Schaffung einer weiteren Zollgrenze zum Iran ist im Distrikt Ghoryan geplant (TN 11.09.2020). Eine Eisenbahnverbindung zwischen der Stadt Herat und dem Iran, die die Grenze an diesem Punkt überqueren wird, ist derzeit im Bau (1TV 28.10.2020, TN 11.09.2020). Auf der Strecke Herat-Islam-Qala wurde über Tötungen und Entführungen berichtet (UNAMA 7.2020, KN 07.07.2020; vgl. PAJ 06.02.2020) sowie über Sprengfallen am Straßenrand (KN 07.07.2020; vgl. PAJ 06.02.2020), auch auf der Ring Road in Richtung Kandahar (TN 10.10.2020). Darüber hinaus gibt es Berichte über illegale Zolleinhebungen durch Aufständische sowie Polizeibeamte entlang der Strecke Herat-Kandahar (HOA 12.01.2020, PAJ 04.01.2020; vgl. NYT 01.11.2020). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (STDOK 25.11.2020; cf. Kam Air Herat o.D.).


Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, kam es in Herat-Stadt in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte (AAN 21.04.2020; vgl. OA 20.07.2020). Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 (UNAMA 10.2020) sowie Oktober 2019 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten (AAN 21.04.2020). Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet (OA 20.07.2020, AAN 21.04.2020, AN 02.01.2020).

Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als „sehr sicher“ galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban (STDOK 13.06.2019). Pushtkoh und Zerko befanden sich im Februar 2020 einem Bericht zufolge vollständig in der Hand der Taliban (AAN 28.02.2020), während die Kontrolle der Regierung in Obe auf das Distriktzentrum beschränkt ist (AAN 08.04.2020, AAN 20.12.2019). In Shindand befindet sich angeblich das „Taliban-Hauptquartier“ von Herat (AAN 20.12.2019). Dem Long War Journal (LWJ) zufolge kontrollierten die Taliban Ende November 2020 jedoch keinen Distrikt von Herat vollständig. Mehrere Distrikte wie Adraskan, Ghoryan, Gulran, Kushk, Kushk-i-Kuhna, Obe und Shindand sind umstritten, während die Distrikte um die Stadt Herat unter der Kontrolle der Regierung stehen (LWJ o.D.; vgl. STDOK 13.06.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (SaS 02.11.2018; vgl. RUSI 16.03.2016). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab (SaS 02.11.2018). Die Rasoul-Gruppe, die mit der stillschweigenden Unterstützung der afghanischen Regierung operiert hat, kämpft mit Stand Jänner 2020 weiterhin gegen die Hauptfraktion der Taliban in Herat, auch wenn die Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen laut einer Quelle innerhalb der Rasoul-Fraktion nicht mehr so häufig und heftig sind wie in den vergangenen Jahren. Etwa 15 Kämpfer der Gruppe sind Anfang 2020 bei einem Drohnenangriff der USA gemeinsam mit ihrem regionalen Führer getötet worden (SaS 09.01.2020; vgl. UNSC 27.05.2020).

Während ein UN-Bericht einen Angriff in der Nähe einer schiitischen Moschee im Oktober 2019 dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) zuschrieb (UNGASC 10.12.2019) und ein Zeitungsartikel vom März 2020 behauptete, dass der ISKP eine Hochburg in der Provinz unterhält (VOA 20.03.2020), gab eine andere Quelle an, dass es unklar sei, ob und welche Art von Präsenz der ISKP in Herat hat. Angriffe gegen schiitische Muslime sind Teil des Modus operandi des ISKP, aber - insbesondere angesichts der Schwäche der Gruppe in Afghanistan - stellt ein Bekenntnis des ISKP zu einem bestimmten Angriff noch keinen vollständigen Beweis dafür dar, dass die Gruppe ihn wirklich begangen hat (AAN 21.04.2020). Ein Bewohner des Distrikts Obe hielt eine ISKP-Präsenz in Herat angesichts der Präsenz der Taliban z.B. im Distrikt Shindand für unwahrscheinlich (AAN 20.12.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich Herat im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) „Zafar“ Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. ST 02.10.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, die von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[...] Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 339 zivile Opfer (124 Tote und 215 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 15% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, lEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 2.2021). Im Jahr 2020 wurden auch mehrere Fälle von zivilen Opfern aufgrund von Luftangriffen gemeldet (UNAMA 10.2020, AAN 24.02.2020, RFE/RL 22.01.2020).

Es kam in mehreren Distrikten der Provinz Herat zu Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban, sowie zu Angriffen der Taliban auf Regierungseinrichtungen (KP 20.11.2020, NYTM 29.10.2020, PAJ 15.10.2020, NYTM 01.10.2020, KP 05.09.2020, NYTM 28.08.2020, NYTM 27.02.2020), NYTM 30.01.2020). Die Regierungstruppen führten in der Provinz Operationen durch (AN 05.09.2020, AJ 23.07.2020, XI 29.01.2020b, RFE/RL 22.01.2020). Darüber hinaus wurde von Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand in verschiedenen Distrikten berichtet (KP 22.11.2020, NYTM 29.10.2020, TN 10.10.2020, NYTM 01.10.2020, NYTM 28.08.2020, TN 05.07.2020), NYTM 30.01.2020).

Vorfälle mit IEDs, wie Detonationen von an Fahrzeugen befestigten IEDs (VBIED) (AJ 13.03.2021; REU 12.03.2021; KP 01.11.2020; ACCORD 27.01.2021), einer Sprengfalle am Straßenrand (NYTM 28.08.2020) und eines weiteren IEDs kommen auch in der Stadt Herat vor (GW 10.11.2020; vgl. AAN 27.10.2020). Auch werden sowohl in den Distrikten als auch der Stadt Herat gezielte Tötungen durchgeführt (AJ 13.03.2021; REU 12.03.202; NYTM 29.10.2020; NYTM 01.10.2020; NYTM 28.08.2020; NYTM 27.02.2020; NYTM 30.01.2020), und es kommt zu Angriffen auf Soldaten und Sicherheitskräfte (AJ 13.03.2021; REU 12.03.2021; ACCORD 27.01.2021; AN 16.01.2021; ANI 08.01.2021. […]

Balkh/Mazar-e Sharif:

Letzte Änderung: 25.03.2021

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA Balkh 13.04.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Balkh 2019).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1.509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif (NSIA 01.06.2020). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) (PAJ Balkh o.D.; vgl. NPS Balkh o.D.) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (AAN 08.07.2020).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.01.2017). Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul (TD 05.12.2017). Rund 30 Kilometer östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab (OSM o.D.; vgl. TD 05.12.2017). Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan (LCA 04.07.2018).

Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sondern auch auf den Regionalstraßen (STDOK 21.07.2020). In Gegenden mit Talibanpräsenz, wie zum Beispiel in den südlichen Distrikten Zari (AAN 23.05.2020), Kishindeh und Sholgara, ist das Risiko, auf Straßenkontrollen der Taliban zu stoßen, höher (STDOK 21.07.2020; vgl. TN 20.12.2019).

In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (Kam Air Balkh o.D.; STDOK 25.03.2019).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert (KP 10.02.2020, STDOK 21.07.2020), da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen (KP 10.02.2020; vgl. AA 16.07.2020). Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen (STDOK 21.07.2020). Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari umkämpft waren (LWJ o.D.). Im Jahr 2020 gehörte Balkh zu den konfliktreichsten Provinzen des Landes (UNGASC 09.12.2020, UNGASC 17.06.2020, UNGASC 17.03.2020; vgl. LWJ 10.03.2020), und in der Hauptstadt und den Distrikten kommt es weiterhin zu sicherheitsrelevanten Vorfällen (ACCORD 27.01.2021, KP 03.03.2021).

Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen (STDOK 21.07.2020). Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften (NYT 16.12.2019, REU 14.03.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps (USDOD 01.07.2020, TN 22.04.2018), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, die von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Das Hauptquartier des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.04.2018). Die meisten Soldaten der deutschen Bundeswehr sind in Camp Marmal stationiert (SP 07.04.2019). Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (USDOD 01.07.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[..] Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 712 zivile Opfer (263 Tote und 449 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 157% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (lEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2021). Ungeachtet der Friedensgespäche finden weiterhin sicherheitsrelevante Vorfälle in der Hauptstadt und den Distrikten statt (KP 03.03.2021, ACCORD 27.01.2021).

Der UN-Generalsekretär zählte Balkh in seinen quartalsweise erscheinenden Berichten über die Sicherheitslage in Afghanistan im Jahr 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes (UNGASC 09.12.2020, UNGASC 17.06.2020, UNGASC 17.03.2020; vgl. LWJ 10.03.2020), und auch im September 2020 galt Balkh als eine der Provinzen mit den schwersten Talibanangriffen im Land (BAMF 14.09.2020). Es kommt zu direkten Kämpfen (KP 03.03.2021, UNOCHA 23.09.2020, AJ 01.05.2020, DH 08.04.2020) und Angriffen der Taliban auf Distriktzentren (UNOCHA 23.07.2020, REU 01.05.2020, UNOCHA 26.02.2020) oder Sicherheitsposten (ANI 06.03.2021, NYTM 01.10.2020, NYTM 28.08.2020, AnA 18.03.2020, XI 07.01.2020). Die Regierungskräfte führen Räumungsoperationen durch (KP 03.03.2021, AN 25.06.2020, MENAFN 24.03.2020, AA 18.03.2020, XI 25.01.2020).

Ebenso wurde von IED-Explosionen, beispielsweise durch Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 28.08.2020), aber auch an Fahrzeugen befestigten Sprengkörpern (vehicle-borne IEDs, VBIEDs) (TN 25.08.2020, RFE/RL 25.08.2020; vgl. NYTM 28.08.2020) sowie Selbstmordanschlägen berichtet (TN 25.08.2020, RFE/RL 25.08.2020, RFE/RL 19.09.2020). Auch in Mazar-e Sharif kam es wiederholt zu IED-Anschlägen (ACCORD 27.01.2021, NYTM 01.10.2020, AN 19.09.2020, TN 01.07.2020, AP 14.01.2020, TN 04.01.2020) sowie Angriffen auf bzw. Tötung von Sicherheitskräften (KP 03.03.2021, ANI 06.03.2021, ACCORD 27.01.2021, BAMF 18.01.2021; vgl. PAJ 12.01.2021, AT 12.01.2021). Zudem wird von der Entführung (TN 13.03.2021, DH 08.04.2020) und Ermordung von Zivilisten in der Provinz berichtet (KP 03.03.2021, ACCORD 27.01.2021, NYTM 01.10.2020, DH 08.04.2020). […]

Medizinische Versorgung:

Letzte Änderung: 01.04.2021

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 16.07.2020). In einem Bericht aus dem Jahr 2018 kommt die Weltbank zu dem Schluss, dass sich die Gesundheitsversorgung in Afghanistan im Zeitraum 2004-2010 deutlich verbessert hat, während sich die Verbesserungen im Zeitraum 2011-2016 langsamer fortsetzten (EASO 8.2020b; vgl. UKHO 12.2020).

Im Jahr 2003 richtete das Gesundheitsministerium ein standardisiertes Basispaket an Gesundheitsdiensten (Basic Package of Healthcare Services, BPHS) ein, um die medizinische Grundversorgung und den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsdiensten für die gesamte Bevölkerung Afghanistans sicherzustellen. Die Umsetzung des BPHS wurde an Nichtregierungsorganisationen (NGO) vergeben, die in allen Provinzen Afghanistans - mit Ausnahme von drei Provinzen, in denen das MoPH das BPHS direkt umsetzte - medizinisches Personal ausbildeten und grundlegende Gesundheitsdienste anboten. Im Jahr 2005 erweiterte das MoPH das Programm durch die Einführung des Essential Package of Hospital Services (EPHS). Das EPHS ist ein standardisiertes Paket von Krankenhausleistungen für jede Ebene von Krankenhäusern im öffentlichen Sektor (MedCOI 5.2019).

Bislang werden BPHS und EPHS vom MoPH reguliert und an 40 nationale und internationale NGOs in 31 Provinzen ausgelagert. In den verbleibenden drei Provinzen Afghanistans stellt das MoPH das BPHS über eine Contracting-In-Initiative mit dem Titel „Strengthening Mechanism“ direkt bereit (MedCOI 5.2019; vgl. GaH 2016).

Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit gab es deutliche Verbesserungen (AA 16.07.2020). Trotz der im Entwicklungsländervergleich relativ hohen Ausgaben für Gesundheit ist die Gesundheitsversorgung im ganzen Land sowohl in den von den Taliban als auch in den von der Regierung beeinflussten Gebieten generell schlecht. Zum Beispiel gibt es in Afghanistan 2,3 Ärzte und fünf Krankenschwestern und Hebammen pro 10.000 Menschen, verglichen mit einem weltweiten Durchschnitt von 13 bzw. 20 (USIP 4.2020).

Der Konflikt, COVID-19 und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur treiben den Gesundheitsbedarf an und verhindern, dass die betroffenen Menschen rechtzeitig sichere, ausreichend ausgestattete Gesundheitseinrichtungen und -dienste erhalten (UNOCHA 19.12.2020; vgl. EASO 8.2020b, Schwörer 30.11.2020). Gleichzeitig haben der aktive Konflikt und gezielte Angriffe der Konfliktparteien auf Gesundheitseinrichtungen und -personal zur periodischen, verlängerten oder dauerhaften Schließung wichtiger Gesundheitseinrichtungen geführt, wovon in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 bis zu 1,2 Mio. Menschen in mindestens 17 Provinzen betroffen waren (UNOCHA 19.12.2020).

Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WB o.D.a.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan, und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 16.07.2020). Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt (RA KBL 20.10.2020)

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan wird nicht direkt vom Staat erbracht, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die unter Vertrag genommen werden (AA 16.07.2020). Durch dieses Vertragssystem wird die primäre, sekundäre und tertiäre Gesundheitsversorgung bereitgestellt, Primärversorgungsleistungen auf Gemeinde- oder Dorfebene, Sekundärversorgungsleistungen auf Distriktebene und Tertiärversorgungsleistungen auf Provinz- und nationaler Ebene (MedCOI 5.2019). Es mangelt jedoch an Investitionen in die medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während es in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken gibt, ist es für viele Afghanen schwierig, in ländlichen Gebieten eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Nach Berichten von UNOCHA haben rund zehn Mio. Menschen in Afghanistan nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung (AA 16.07.2020). Laut einer Studie aus dem Jahr 2017, die den Zustand der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen untersuchte, wiesen viele Gesundheitszentren im ganzen Land immer noch große Mängel auf, darunter bauliche und wartungsbedingte Probleme, schlechte Hygiene- und Sanitärbedingungen, wobei ein Viertel der Einrichtungen nicht über Toiletten verfügte, vier von zehn Gesundheitseinrichtungen kein Trinkwassersystem hatten und eine von fünf Einrichtungen keinen Strom hatte. Es gab nicht genügend Krankenwagen, und viele Gesundheitseinrichtungen berichteten über einen Mangel an medizinischer Ausrüstung und Material (IWA 8.2017).

Insbesondere die COVID-19-Pandemie offenbarte die Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das akute Defizite in der Prävention (Schutzausrüstung), Diagnose (Tests) und medizinischen Versorgung der Kranken aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten (insbesondere Hebammen), den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der staatlich finanzierten medizinischen Versorgung. Die Qualität der Kliniken ist sehr unterschiedlich. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 16.07.2020; vgl. WHO 8.2020).

Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem gibt es auch einen weitverbreiteten, aber teuren privaten Sektor. Trotz dieser höheren Kosten wird berichtet, dass über 60% der Afghanen private Gesundheitszentren als Hauptansprechpartner für Gesundheitsdienstleistungen nutzen. Vor allem Afghanen, die außerhalb der großen Städte leben, bevorzugen die private Gesundheitsversorgung wegen ihrer wahrgenommenen Qualität und Sicherheit, auch wenn die dort erhaltene Versorgung möglicherweise nicht von besserer Qualität ist als in öffentlichen Einrichtungen (MedCOI 5.2019). Die Kosten für Diagnose und Behandlung variieren dort sehr stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden (AA 16.07.2020), was den privaten Sektor sehr vielfältig macht mit einer uneinheitlichen Qualität der Leistungen, die oft unzureichend sind oder nicht dem Standard entsprechen (MedCOI 5.2019).

In einem MoU (Memorandum of Understanding) zwischen dem Gesundheitsministerium und drei indischen Privatunternehmen wurde am 16.06.2020 der Bau von zwei Gesundheitszentren und einer Pharmafabrik in Afghanistan im Wert von 12,5 Mio. USD vereinbart. Außerdem wurden im vergangenen Jahr Vereinbarungen über den Bau eines Gesundheitszentrums in Kabul und 53 Gesundheitszentren in den Provinzen Kandahar und Helmand unterzeichnet. Darüber hinaus hat Aga Khan Health Services (AKHS) als Teilprojekt im Rahmen des nationalen Projekts (SEHATMANDI) im Februar 2019 bis Juni 2021 das Management von Gesundheitseinrichtungen in den Provinzen Bamyan und Badakhshan auf Basis einer leistungsbezogenen Bezahlung übernommen. Im Januar 2019 erhielt das Schwedische Komitee für Afghanistan (SCA) den neuen SEHATMANDI-Vertrag zur Umsetzung der Interventionen Basic Package of Health Services (BPHS) und Essential Package of Health Services (EPHS) in der Provinz Wardak, Afghanistan bis zum 30.06.2021 (RA KBL 20.10.2020).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitsdienste (AA 16.07.2020; vgl. UNOCHA 07.03.2021, UNOCHA 19.12.2020, IKRK 17.06.2020). Trotz des erhöhten Drucks und Bedarfs an ihren Dienstleistungen werden Gesundheitseinrichtungen und -mitarbeiter weiterhin durch Angriffe sowie Einschüchterungsversuche von Konfliktparteien geschädigt, wodurch die Fähigkeit des Systems, den Bedarf zu decken, untergraben wird. Seit Beginn der Pandemie gab es direkte Angriffe auf Krankenhäuser, Entführungen von Mitarbeitern des Gesundheitswesens, Akte der Einschüchterung, Belästigung und Einmischung, Plünderungen von medizinischen Vorräten sowie indirekte Schäden durch den anhaltenden bewaffneten Konflikt (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IKRK 17.06.2020). Das direkte Anvisieren von Gesundheitseinrichtungen und Personal führt nicht nur zu unmittelbaren Todesfällen und Verletzungen, sondern zwingt viele Krankenhäuser dazu, lebenswichtige medizinische Leistungen auszusetzen oder ganz zu schließen (MSF 3.2020; vgl. UNOCHA 07.03.2021).

Im Jahr 2018 stand Afghanistan mit 91 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldeten Angriffen auf das Gesundheitswesen an dritter Stelle bei der Anzahl an Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen weltweit. Die Angriffe setzten sich 2019 fort, mit 119 gemeldeten Vorfällen in 23 Provinzen bis Ende Dezember (MSF 3.2020; vgl. Schwörer 30.11.2020). Zwischen dem 01.01.2020 und dem 21.10.2020 gab es 67 [gemeldete] Vorfälle, die von Konfliktparteien gegen medizinisches Personal oder Einrichtungen verübt wurden (UNOCHA 19.12.2020). Angriffe, bei denen Gesundheitseinrichtungen angegriffen oder aufgrund derer der Zugang zu diesen eingeschränkt wird, setzen sich im Jahr 2021 fort. In der Provinz Samangan sind seit dem 04.11.2020 22 Gesundheitseinrichtungen geschlossen geblieben, was die Bereitstellung von Gesundheits- und Ernährungsdiensten in der Provinz behindert (UNOCHA 07.03.2021).

COVID-19

Die COVID-19-Pandemie hat sich negativ auf die Bereitstellung und Nutzung grundlegender Gesundheitsdienste in Afghanistan ausgewirkt, und zwar aufgrund von COVID-19-bedingten Bewegungseinschränkungen, des Mangels an medizinischem Material und persönlicher Schutzausrüstung sowie der Abneigung der Gemeinschaft, Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Überweisungen ging von April bis Juni 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019 um fast 25% zurück, während die Zahl der chirurgischen Eingriffe laut WHO um etwa 33% sank. Darüberhinaus ging die Rate der Routineimpfungen für Frauen und Kinder unter zwei Jahren im Laufe des Jahres zurück. Infolgedessen geht die WHO davon aus, dass die Sterblichkeit durch behandelbare und durch Impfung vermeidbare Gesundheitszustände im Jahr 2021 ansteigen könnte (USAID 12.01.2021).

Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten mit Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan seit März 2020 Anzeichen und Symptome von COVID-19 (IOM 23.09.2020). Die Infektionen steigen weiter an, und bis zum 17.03.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.03.2021; WHO 17.03.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.03.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.03.2021).

Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID-19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Erkrankten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung (RA KBL 20.10.2020).[…]

Letzte Änderung: 01.04.2021

Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten

Eine begrenzte Anzahl von staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenlose medizinische Versorgung an. Voraussetzung für die kostenlose Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft durch einen Personalausweis oder eine Tazkira. Alle Bürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (STDOK 4.2018). Allerdings gibt es manchmal einen Mangel an Medikamenten. Daher werden die Patienten an private Apotheken verwiesen, um verschiedene Medikamente selbst zu kaufen (IOM 2018), oder sie werden gebeten, für medizinische Leistungen, Labortests und stationäre Behandlungen zu zahlen. Medikamente können auf jedem afghanischen Markt gekauft werden, und die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produkts. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern unterscheiden sich von den lokalen Marktpreisen. Private Krankenhäuser befinden sich meist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar (STDOK 4.2018; vgl. AA 16.07.2020), und die medizinische Ausstattung ist oft veraltet oder nicht vorhanden. Es wird von schlechten hygienischen Bedingungen in öffentlichen Krankenhäusern berichtet (MedoCOI 5.2019) und von Ärzten, die nur wenige Stunden im Krankenhaus anwesend sind, weil sie ihre eigenen privaten Praxen haben (MedCOI 5.2019). Nach Daten aus dem Jahr 2017 waren 76% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte „out-of-pocket“- Zahlungen der Patienten (WB n.d.b). Die Qualität und Kosten der Kliniken variiert stark, es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Eine Unterbringung von Patienten ist nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf (AA 16.07.2020).

In den großen Städten und auf Provinzebene ist die medizinische Versorgung gewährleistet, aber auf Distrikt- und Dorfebene sind die Einrichtungen oft weniger gut ausgestattet, und es kann schwierig sein, Spezialisten zu finden. In vielen Fällen arbeiten Krankenschwestern anstelle von Ärzten, um die Grundversorgung zu gewährleisten und komplizierte Fälle an Krankenhäuser in der Provinz zu überweisen. Operationen können in der Regel nur auf Provinzebene oder höher durchgeführt werden; auf Distriktebene sind nur Erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Dies gilt nicht für das ganze Land, allerdings können Distrikte mit guter Sicherheitslage meist mehr und bessere Leistungen anbieten als in unsicheren Gebieten (IOM 2018; vgl. BDA 18.12.2018).

Die Haupthindernisse für den Zugang zur Gesundheitsversorgung in Afghanistan sind demnach die hohen Behandlungskosten, der Mangel an Ärztinnen, die großen Entfernungen zu den Gesundheitseinrichtungen und eine unzureichende Anzahl an medizinischem Personal in den ländlichen Gebieten, Korruption und Abwesenheit des Gesundheitspersonals sowie Sicherheitsgründe (MedCOI 5.2019; vgl. EASO).

In privaten Krankenhäusern ist die Ausstattung besser, es gibt mehr medizinisches Personal, und die Ärzte sind erfahrener als in öffentlichen Einrichtungen, wobei das Hauptproblem die mangelnde Zugänglichkeit für den armen Teil der Bevölkerung ist (MedCOI 5.2019).

Viele Staatsangehörige - die es sich leisten können - gehen zur medizinischen Behandlung ins Ausland nach Pakistan oder in die Türkei - auch für kleinere Eingriffe (AJ 25.05.2019; vgl. Geo TV o.J., MedCOI 5.2019, BDA 18.12.2018). In Pakistan zum Beispiel ist dies zumindest für die Mittelschicht vergleichsweise einfach und erschwinglich (BDA 18.12.2018).

Zugang zu Medikamenten

Sowohl die Quantität als auch die Qualität von essenziellen Medikamenten sind eine große Herausforderung für das afghanische Gesundheitssystem. Da es keine nationale Regulierungsbehörde gibt, sind Medikamente, Impfstoffe, biologische Mittel, Labormittel und medizinische Geräte nicht ordnungsgemäß reguliert, was die Gesetzgebung und die Durchsetzung von Gesetzen fast unmöglich macht. Die Funktion der Regulierungsbehörde ist auf verschiedene Regierungsstellen aufgeteilt, darunter die Generaldirektion für pharmazeutische Angelegenheiten, das Labor für Qualitätskontrolle und die Abteilung für Gesundheitsgesetzgebung. Traditionelle Medizin ist weit verbreitet, da sie weniger teuer und leichter zugänglich ist (WHO 2016).

Im Jahr 2017 startete das MoPH eine zwölfwöchige Kampagne gegen gefälschte und minderwertige Medizin. Die Lizenzen von mehr als 900 lokalen und ausländischen pharmazeutischen Importunternehmen wurden ausgesetzt, während 100 Tonnen abgelaufene, gefälschte und minderwertige Medikamente in Apotheken beschlagnahmt wurden. Die Sicherheitslage beeinträchtigt die Lieferung und Verfügbarkeit von lebensrettenden Medikamenten zusätzlich durch die Unzugänglichkeit der Straßen (MedCOI 5.2019).

Die Essential Medicines List of Afghanistan (EML) (MoPH 2014) enthält Medikamente, die für den Einsatz im BPHS und EPHS empfohlen werden. Laut einem UN-Bericht aus dem Jahr 2017 kann es jedoch aufgrund der unsicheren und unzugänglichen öffentlichen Straßen zu Engpässen bei Medikamenten und medizinischen Geräten kommen. Auf allen Ebenen des Gesundheitssystems kann es zu Engpässen bei lebensrettenden Medikamenten kommen, selbst in Überweisungskrankenhäusern (MedCOI 5.2019).

Die Patienten müssen für alle Medikamente bezahlen, außer für Medikamente in der Primärversorgung, die in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos sind. Für bestimmte Arten von Medikamenten ist ein Rezept erforderlich. Obwohl es in Afghanistan viele Apotheken gibt, sind Medikamente nur in städtischen Gebieten leicht zugänglich, da es dort viele private Apotheken gibt. In ländlichen Gebieten ist dies weniger der Fall (MedCOI 5.2019). Auf den afghanischen Märkten sind mittlerweile alle Arten von Medikamenten erhältlich, aber die Kosten variieren je nach Qualität, Firmennamen und Hersteller. Die Qualität dieser Medikamente ist oft gering; die Medikamente sind abgelaufen oder wurden unter schlechten Bedingungen transportiert (BAMF 2016). […]

Psychische Erkrankungen

Letzte Änderung: 01.04.2021

Viele Menschen innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden unter verschiedenen psychischen Erkrankungen als Folge des andauernden Konflikts, Naturkatastrophen, endemischer Armut und der COVID-19-Pandemie (UNOCHA 19.12.2020). Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig (STDOK 4.2018). Gemäß der „Nationalen Strategie für psychische Gesundheit 2019-2023“ erhalten weniger als 10% der Bevölkerung die für die Behandlung ihrer psychischen Erkrankungen erforderlichen medizinischen Leistungen (MoPH o.D.; vgl. AOVA 01.10.2020, HRW 07.10.2019), und nur ein psychosozialer Berater steht für je 46.000 Menschen zur Verfügung (MoPH o.D.; vgl. HRW 07.10.2019). Da es kaum Anzeichen für eine Einstellung der Feindseligkeiten oder einen dauerhaften humanitären Waffenstillstand im Jahr 2021 gibt, wird geschätzt, dass bis zu 310.500 Traumafälle aufgrund des anhaltenden und eskalierenden Konflikts eine medizinische Notfallbehandlung benötigen (UNOCHA 19.12.2020).

Das Ziel der „Nationalen Strategie für psychische Gesundheit 2019-2023“, die vom Ministerium für öffentliche Gesundheit (MoPH) entwickelt wurde, ist es, sich der psychischen Erkrankungen in der afghanischen Gesellschaft anzunehmen und durch diese Strategie qualitativ hochwertige psychische und psychosoziale Versorgung und Dienste für alle Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen, wobei der Schwerpunkt auf den psychischen Gesundheitsbedürfnissen der armen, unterversorgten, benachteiligten und gefährdeten Bevölkerungsgruppen liegt. Diese Dienste sollen evidenzbasiert und gemeinwesenorientiert sein und auf allen Versorgungsebenen von qualifiziertem und motiviertem Personal erbracht sowie, dem Zeitplan nach, in allen Provinzen umgesetzt werden (MoPH o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020).

Der Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung oder psychosozialer Unterstützung bleibt für viele unerreichbar, insbesondere in ländlichen Gebieten. Obwohl psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützungsdienste (Mental Health and Psychosocial Support Services, MHPSS) in das nationale Basic Package of Health Services (BPHS) und Essential Package of Hospital Services (EPHS) integriert wurden, stehen landesweit nur 320 Krankenhausbetten im öffentlichen und privaten Sektor für Menschen mit psychischen Problemen zur Verfügung (UNOCHA 19.12.2020; vgl. WHO o.D.).

In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen (STDOK 4.2018; vgl. BAMF 2016). Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen (AA 16.07.2020). Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem (BDA 18.12.2018). Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert (AA 16.07.2020, vgl. BDA 18.12.2018). Die Infrastruktu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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