TE Vwgh Beschluss 2021/8/31 Ra 2019/21/0339

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Veröffentlicht am 31.08.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
VwGG §63 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des N M, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2019, W161 2185528-1/19E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste Anfang November 2015 nach Österreich ein und stellte am 4. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 2. Jänner 2018 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VI.).

3        Mit dem nach mündlicher Verhandlung ergangenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 22. Jänner 2019 wurde die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkte A.I. und A.II.). Allerdings wurde festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei, und dem Revisionswerber amtswegig gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt (Spruchpunkt A.III.).

4        Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber verfüge in Österreich über zahlreiche soziale Kontakte, viele österreichische Freunde, sei sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert; er engagiere sich beim Roten Kreuz, in einem Männergesangsverein und in einem Gemeinschaftsgarten. Der Revisionswerber befinde sich seit April 2018 in einer dreijährigen Lehrausbildung zum Koch in einem näher bezeichneten Unternehmen, wobei er von seinen Vorgesetzten, Arbeitskollegen und Gästen sehr geschätzt und in einem Zwischenzeugnis in höchstem Maße gelobt worden sei. Der Revisionswerber beziehe aus dieser Tätigkeit ein regelmäßiges Einkommen sowie zusätzlich noch Grundversorgung. Er habe trotz seines verhältnismäßig kurzen Aufenthaltes in Österreich keinen persönlichen Bezug mehr zu Afghanistan und keinen Kontakt zu seiner engeren Familie. Davon ausgehend kam das BVwG dann rechtlich zusammengefasst zum Ergebnis, die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich würden die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen, sodass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig und ihm daher ein Aufenthaltstitel zu erteilen sei.

5        Über Amtsrevision des BFA gegen Spruchpunkt A.III. dieses Erkenntnisses hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Spruchpunkt mit dem Erkenntnis VwGH 19.6.2019, Ra 2019/01/0051, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf. Begründend verwies der Verwaltungsgerichtshof vor allem auf die Ausführungen im Erkenntnis VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003. Insbesondere sei die Berücksichtigung einer Lehre beziehungsweise einer Berufsausübung als öffentliches Interesse zugunsten des Fremden unzulässig und es sei maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Der in dieser Rechtsprechung angeführte Aspekt, es müsse unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden, dass der Fremde mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen, treffe auch auf den vorliegenden Revisionsfall zu. Die Amtsrevision zeige im Zusammenhang mit dem erst etwa dreijährigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet zutreffend auf, dass gegenständlich nicht von einer solchen Verdichtung seiner persönlichen Interessen auszugehen sei, dass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden könne und ihm deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Aufenthalt in Österreich ermöglicht werden müsste.

6        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des BVwG vom 21. August 2019 wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des Bescheides des BFA vom 2. Jänner 2018 als unbegründet abgewiesen. Zudem sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (VfGH 23.9.2019, E 3277/2019-8).

8        Die in der Folge ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig.

9        Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11       Der Revisionswerber bringt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision zunächst vor, das BVwG habe es unterlassen, nach der durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgten Aufhebung der im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung eine weitere Verhandlung durchzuführen. Der Revisionswerber hätte im Fall seiner Anhörung im Rahmen einer Verhandlung auf seine verbesserten Deutschkenntnisse, die Beendigung des Grundversorgungsbezuges, die Absolvierung des zweiten Lehrjahres und darauf, dass er inzwischen (seit Mai 2019) eine „feste Liebesbeziehung mit einer Österreichin“ mit Heiratsabsicht habe, hinweisen können.

12       Dazu ist vorauszuschicken, dass das BVwG bei seiner Entscheidung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 19. Juni 2019 gebunden war, wonach bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 22. Jänner 2019 keine für die Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Integration erforderliche „außergewöhnliche Konstellation“ vorlag. Davon hätte das BVwG nur dann abgehen können, wenn in dem mittlerweile verstrichenen Zeitraum bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vom 21. August 2019 eine derart maßgebliche Änderung der diesbezüglichen Verhältnisse eingetreten wäre, dass es zu einer anderen Entscheidung hätte kommen dürfen.

13       Mit dem in Rn. 11 zusammengefasst wiedergegebenen Revisionsvorbringen werden jedoch keine Umstände ins Treffen geführt, die im Sinn der vorstehenden Ausführungen maßgebliche Änderungen im Zeitraum zwischen der Erlassung des BVwG-Erkenntnisse vom 22. Jänner 2019 und vom 21. August 2019 - die jeweils von derselben Richterin, die sich somit vom Revisionswerber schon in der Verhandlung am 10. Jänner 2019 einen persönlichen Eindruck verschafft hatte, erlassen wurden - darstellen könnten. Eine generelle Intensivierung der schon bisher gegebenen integrationsbegründenden Merkmale (hier: betreffend Deutschkenntnisse und Lehre) während eines weiteren Zeitraums von sieben Monaten, der die Gesamtaufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich auf etwas mehr als dreieinhalb Jahre erhöhte, reicht dafür jedenfalls nicht aus (vgl. zu einem Fall mit ähnlicher Aufenthaltsdauer VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0165, mwN). Von der Beendigung der Grundversorgung ist das BVwG im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aber ohnehin ausgegangen.

14       Soweit sich der Revisionswerber der Sache nach auch noch gegen die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG wendet, ist ihm entgegenzuhalten, dass eine derartige, unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Beurteilung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 28.5.2020, Ra 2020/21/0139 bis 0143, Rn. 12, mwN).

15       Unter Berücksichtigung des angeführten, erst etwas mehr als dreieinhalbjährigen Inlandsaufenthaltes kann das vom BVwG - nach (im ersten Rechtsgang) durchgeführter mündlichen Verhandlung - erzielte Ergebnis vor dem Hintergrund der in Rn. 12 dargelegten Bindungswirkung nicht als unvertretbar angesehen werden. Daran ändert selbst eine allenfalls zwischenzeitig eingegangene und jedenfalls erste seit Kurzem bestehende Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin nichts (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2020/19/0043, Rn. 9). Es ist - wie erwähnt - auch nach dem Revisionsvorbringen insgesamt keine ins Gewicht fallende Änderung seit der dem Erkenntnis VwGH 19.6.2019, Ra 2019/01/0051, zu Grunde liegenden, auf den Zeitpunkt 22. Jänner 2019 bezogenen Beurteilung eingetreten, zumal auch die seither erlangte weitere Integration im Hinblick auf den (seit dem Vorerkenntnis vom 19. Juni 2019 wieder) unsicheren Aufenthalt iSd § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativiert ist.

16       Vom Revisionswerber werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 31. August 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019210339.L00

Im RIS seit

27.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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