TE Lvwg Erkenntnis 2021/8/24 LVwG-2021/31/2016-1

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Veröffentlicht am 24.08.2021
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Entscheidungsdatum

24.08.2021

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13 Abs5
AVG §71 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Hengl über die Rechtsmittel der AA, Adresse 1, **** Z, vertreten durch RA BB, Adresse 2, **** Z, nämlich

?    Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung der Stadt Z vom 25.1.2021, ***, betreffend die verspätete Zurückweisung einer Beschwerde, sowie

?    Beschwerde gegen den Bescheid der Stadt Z vom 22.4.2021, ***, betreffend die Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand,

zu Recht:

1.   Beide Rechtsmittel werden als unbegründet abgewiesen.

2.   Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit Bescheid der Stadt Z vom 16.11.2020, ***, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung der Baubewilligung für einen Zubau zum bestehenden Wohnhaus im Anwesen Adresse 3 (Gst **1 KG X) als „unzulässig abgewiesen.“

Begründend wurde auf einen Widerspruch zur Fortschreibung des Örtlichen Raumordnungskonzeptes der Stadt Z, insbesondere zur Zeitzone *** – zeitliche Rückstellung – welche eine unmittelbare bauliche Entwicklung nur bei Einhaltung näher angeführter (und im Gegenstandsfall noch nicht vorliegender) Sonderanforderungen erlaubt, hingewiesen.

Gegen diesen Bescheid wurde von der rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführerin mit Eingabe per E-Mail vom 16.12.2020, 18:41 Uhr, Beschwerde eingebracht.

Mit Beschwerdevorentscheidung der Stadt Z vom 25.1.2021, ***, wurde die erhobene Beschwerde als verspätet zurückgewiesen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Zustellung des bekämpften Bescheides am 18.11.2020 erfolgt und die mit E-Mail eingebrachte Beschwerde vom 16.12.2020 außerhalb der Amtsstunden eingebracht und somit erst am 17.12.2020 eingelangt und somit verspätet sei.

Mit Eingabe vom 10.2.2021 hat die Beschwerdeführerin durch ihren ausgewiesenen Rechtsvertreter einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und gleichzeitig das Rechtsmittel wiederholt und einen Vorlageantrag gestellt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin aufgrund der COVID-19-Pandemie seine Tätigkeit vom Homeoffice aus verrichte.

Die Rechtsmittelfrist für den am 18.11.2020 zugestellten Bescheid sei in der Kanzlei in einen Kalender eingetragen worden und die Beschwerde sei vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin rechtzeitig am 15.12.2020 vorbereitet worden. Am Abend des 15.12.2020 habe der Rechtsvertreter das Rechtsmittel in die Kanzlei gebracht und mit einem „Post-it-Aufkleber“ mit der Aufschrift „Post“ versehen, dies sei aufgrund der COVID-19-Pandemie ein üblicher Kommunikationsweg in der Kanzlei des Rechtsvertreters. Am 16.12.2020 habe der Rechtsvertreter mit seiner Kanzleileiterin fernmündlich Rücksprache gehalten und diese dabei darauf hingewiesen, dass die Frist für die gegenständliche Sache ablaufe.

Im Zuge der gebotenen Vervielfältigung des Rechtsmittelschriftsatzes sei der „Post-it-Aufkleber“ verloren gegangen und somit habe die Kanzleileiterin den Schriftsatz auf elektronischem Weg versendet. Aus der fraglichen Rechtsmittelbelehrung habe sich die Zulässigkeit einer derartigen Versendung zweifellos ergeben. Im Anschluss sei das Rechtsmittel als rechtzeitig expediert und „erledigt“ vermerkt sowie aus dem Kalender gestrichen worden. Das Rechtsmittel sei somit unzweifelhaft am letzten Tag der Frist eingebracht worden, jedoch per E-Mail und außerhalb der Amtsstunden der Stadt Z. Diese Verspätung gründe sich im Ergebnis auf ein den äußeren Umständen geschuldetes Vorkommnis, welches außerhalb des Erfahrungsschatzes liege. Die in der Kanzlei übliche Kommunikation sei aufgrund extern aufgezwungener Umstände unterblieben, so habe es passieren können, dass trotz besonderer Aufmerksamkeit der Beteiligten ein Fehler unterlaufen sei.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stelle auch ein Rechtsirrtum einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder nur leichtes Verschulden vorlägen. Der hier maßgebliche Rechtsirrtum einer erfahrenen Mitarbeiterin sei nicht aufgrund von auffälliger Sorglosigkeit, sondern in Unkenntnis einer Einschränkung der Partei durch eine Beschränkung bei der Entgegennahme von Eingaben durch die Behörde, welche an sich problematisch und auch wiederholt als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft worden sei und bei Gerichten und Justizbehörden nicht üblich sei. In diesem Zusammenhang sei auch nicht verständlich, warum die Information einer zeitlichen Beschränkung nicht in die Rechtsmittelbelehrung aufgenommen werde, sondern lediglich an der Amtstafel aufgeschlagen werde.

Das Übersehen des Erfordernisses der Übersendung des Rechtsmittels im postalischen Wege stelle für eine äußerst zuverlässige Mitarbeiterin mit mehrjähriger Berufserfahrung – wenn überhaupt – ein leichtes Verschulden dar. Ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden sei dem zur Überwachung seiner Mitarbeiter verpflichteten Rechtsanwalt in dem hier zugrundeliegenden Sachverhalt nicht zu unterstellen.

Der Rechtsvertreter habe erst durch die Zustellung der Beschwerdevorentscheidung von der verspäteten Zustellung Kenntnis erlangt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei sohin rechtzeitig erhoben.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid der Stadt Z vom 22.4.2021, ***, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen.

In der Begründung des Bescheides wurde zunächst der bisherige Verfahrensgang dargelegt und im Wesentlichen ausgeführt, dass zur Rechtfertigung einer Wiedereinsetzung nach § 71 Abs 1 Z 1 AVG, das verhindernde Ereignis für den Wiedereinsetzungswerber unvorhersehbar oder unabwendbar gewesen sein müsse.

Für die Einhaltung der Rechtsmittelfristen sei nach ständiger Rechtsprechung des VwGH der berufliche rechtskundige Vertreter selbst verantwortlich und sei an diesen bei der Beurteilung des Grades des Versehens ein strengerer Maßstab anzulegen als an nicht rechtsunkundige Personen. Der rechtskundige Vertreter habe seine Kanzlei so zu organisieren, dass eine fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt sei, dazu habe er auch die Angestellten in Bezug auf die Einhaltung der Fristen zu überwachen. Da die Übermittlung einer Eingabe mit einer technischen Kommunikationsform fehleranfällig sei, treffe den Absender eine besondere Verpflichtung zur Kontrolle der technischen Zusendung. Diese Kontrolle umfasse auch die Prüfung, ob die Eingabe auch fristgerecht eingelangt sei. Unterbleibe diese Kontrolle, stelle dies jedenfalls ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar.

Nach Ansicht der Behörde seien sowohl die vom Rechtsvertreter durchgeführte Kontrolltätigkeit, als auch die von diesem zu verantwortende Einschulung seiner Mitarbeiterin offenkundig mangelhaft und habe der Parteienvertreter nicht glaubhaft machen können, dass ihn an der Versäumung der Frist kein Verschulden treffe oder nur ein minderer Grad des Versehens vorliege. Ein im Parallelverfahren zu *** gleich gelagertes, ebenfalls vom Parteienvertreter zu verantwortendes, Fristversäumnis lege zweifelsfrei offen, dass der Parteienvertreter seiner diesbezüglichen Sorgfaltspflicht nicht entsprechend nachgekommen sei. Dass es innerhalb von drei Wochen aus denselben Gründen zu zwei Fristversäumnissen komme, sei eindeutig auf eine mangelnde Sorgfalt und damit auf einen mehr als nur minderen Grad des Versehens bzw. auf Verschulden zurückzuführen.

In der fristgerecht dagegen erhobenen Beschwerde brachte AA durch ihren ausgewiesenen Rechtsvertreter vor, dass der Stadt Z eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen habe.

Begründend wiederholte die Beschwerdeführerin das Vorbringen vom Antrag auf Wiedereinsetzung und erhob dieses ausdrücklich zum Beschwerdevorbringen. Indem die belangte Behörde insbesondere die Bestimmung des § 71 AVG auf den gegenständlichen Sachverhalt unrichtig angewendet habe, belaste diese den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Die Entscheidung setze sich mit den im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgebrachten Gründen nicht auseinander, sondern behaupte pauschal das Vorliegen eines über den Grad eines minderen Verschuldens hinausgehenden Sachverhalts.

Der in Rede stehende Rechtsirrtum einer Kanzleikraft sei der Rechtsprechung zufolge nicht dem Rechtsvertreter der Partei zuzuordnen, da die Regelung zur elektronischen Einbringung von Schriftstücken bei der Stadt Z eine Ausnahme darstelle, da nur bei dieser die Amtsstunden zu berücksichtigen seien und das Dokument bei Zusendung außerhalb der Amtsstunden als am Folgetag eingebracht gilt.

Die von der belangten Behörde angeführte Rechtsprechung belege die Berechtigung des Antrages auf Wiedereinsetzung und nicht wie von der Behörde ausgeführt die Abweisung des Antrages.

Die gesamte Fristenverwaltung sei korrekt geführt worden und vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin kontrolliert und überwacht worden. Das Rechtsmittel sei fristgerecht ausgeführt und zur Versendung bereitgehalten worden, eine Vorgabe, in welcher Form fristwahrend einzubringen sei, sei dezidiert vorgegeben gewesen. Der in diesem Zusammenhang eingetretene Rechtsirrtum einer erfahrenen und verlässlichen Kanzleikraft sei weder grob sorgfaltswidrig, noch beruhe dieser auf einer an den Tag gelegten auffälligen Sorglosigkeit.

Der Verweis der Behörde auf das Parallelverfahren Zl *** sei bereits im Hinblick auf den chronologischen Ablauf hier ohne Relevanz.

Die Beschwerdeführerin beantragte abschließend, den bekämpften Bescheid nach einer mündlichen Verhandlung dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben werde und in eventu die Aufhebung des bekämpften Bescheides und der Erstinstanz eine neuerliche Entscheidung aufzutragen. Der Ersatz der Kosten des Verfahrens solle dem Rechtsträger der Stadt Z auferlegt werden.

II.      Sachverhalt:

Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens steht nachfolgender Sachverhalt als erwiesen fest:

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Bauansuchen vom 17.2.2020, eingelangt am 20.2.2020 und modifiziert mit Schreiben vom 25.5.2020, die Baubewilligung für einen Zubau zum bestehenden Wohnhaus auf Gst **1 KG X.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Stadt Z vom 16.11.2020, ***, als „unzulässig abgewiesen“. Dieser Bescheid wurde der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin laut dem im Akt einliegenden Rückschein am Mittwoch, den 18.11.2020, zugestellt.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin am letzten Tag der vierwöchigen Beschwerdefrist am Mittwoch, den 16.12.2020 um 18:41 Uhr, auf elektronischem Wege Beschwerde eingebracht.

III.     Beweiswürdigung:

Beweiswürdigend ist im Gegenstandsfall festzuhalten, dass sich der zuvor festgestellte Sachverhalt in unbedenklicher Weise aus den Aktenunterlagen und insbesondere auch aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin und den eidesstattlichen Erklärungen des Rechtsvertreters sowie der Kanzleikraft ergibt. Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Angaben sind beim erkennenden Verwaltungsgericht nicht entstanden.

Die Klärung der gegenständlichen Angelegenheit vor dem Hintergrund eines evidenten Sachverhaltes und keinerlei ungeklärten Fragen zur Beweiswürdigung reduziert sich sohin auf die Lösung der dahinterstehenden Rechtsfragen, etwa, ob die kanzleiinternen Kommunikationsschwierigkeiten, aufgrund derer die Eingabe am letzten Tag der Beschwerdefrist nicht mit der Post, sondern auf elektronischem Wege, versendet wurde, ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen.

Hierzu bedurfte es nicht der Aufnahme weiterer Beweismittel. Die vorliegende Entscheidung konnte daher im Sinn des § 24 Abs 4 VwGVG ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden.

IV.      Rechtliche Grundlagen:

Die verfahrensgegenständlich relevanten Bestimmungen lauten wie folgt:

1.   Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG, BGBl Nr 51/1991 (WV) idF BGBl I Nr 58/2018:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.

(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen.

§ 72. (1) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(2) Durch den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der mündlichen Verhandlung wird die Frist zur Anfechtung des infolge der Versäumung erlassenen Bescheides nicht verlängert.

(3) Hat eine Partei Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der mündlichen Verhandlung beantragt und gegen den Bescheid Berufung eingelegt, so ist auf die Erledigung der Berufung erst einzugehen, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen worden ist.“

V.       Rechtliche Erwägungen:

Nach § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG gegen einen Bescheid einer Behörde vier Wochen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung des Bescheides.

Gemäß § 13 Abs 2 AVG können schriftliche Anbringen der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.

Gemäß § 71 Abs 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Voraussetzung für die positive Erledigung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist sohin, dass die Partei glaubhaft machen kann, dass sie zum einen durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war die Frist einzuhalten und sie zudem kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft und müssen diese Kriterien kumulativ vorliegen.

Um grundsätzlich die Wiedereinsetzung nach § 71 Abs 1 Z 1 AVG zu rechtfertigen, muss daher das Ereignis für den Wiedereinsetzungswerber entweder unvorhergesehen oder unabwendbar gewesen sein.

Als „Ereignis“ ist nicht nur tatsächliches, in der Außenwelt stattfindendes, sondern prinzipiell jedes, auch inneres, psychisches Geschehen, ein psychologischer Vorgang – einschließlich der „menschlichen Unzulänglichkeit“ – anzusehen. Unabwendbar im Sinn des § 71 Abs 1 Z 1 AVG ist ein Ereignis, wenn sein Eintritt objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden kann. Unvorhergesehen ist ein Ereignis, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist allerdings auch bei Vorliegen entsprechender Gründe nur dann zu bewilligen, wenn der Antragsteller das ihm zumutbare Maß an Aufmerksamkeit und Mühe aufgewendet hat, um ein dem entsprechendes Ereignis vorherzusehen und abzuwenden. Die Einhaltung dieses Sorgfaltsmaßstabes ist vom Wiedereinsetzungswerber in seinem Antrag glaubhaft zu machen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Einhaltung der Rechtsmittelfristen grundsätzlich stets der berufliche rechtskundige Parteienvertreter selbst verantwortlich und ist bei der Beurteilung, ob ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden vorliegt, an diesen auch ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl etwa VwGH 20.5.2003, 2003/02/0028; VwGH 3.9.2008, 2008/04/0127; VwGH 28.5. 2008, 2008/21/0320; ua).

Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat daher seine Kanzlei so zu organisieren, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt und nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist (vgl VwGH 4.9.2003, 2003/09/0108; VwGH 23.2.2006, 2006/07/0028; VwGH 14.11.2006, 2006/03/0149; VwGH 17.7.2008, 2008/20/0305; uva).

Dabei ist zum einen durch den richtigen Einsatz entsprechend qualifizierter Mitarbeiter und zum anderen aber auch durch hinreichende, wirksame Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten infolge menschlichen Versagens so weit wie möglich ausgeschaltet werden (vgl VwGH 14.11.2002, 2001/09/0177; VwGH 24.9.2003, 97/13/0224; ua).

Da die Übermittlung einer Eingabe in einer (modernen) technischen Kommunikationsform (Telefax, elektronische Form) fehleranfällig ist (etwa wegen der Gefahr des Verwählens, der falschen Adressierung, der fehlerhaften Absendung oder sonstigen unrichtigen Bedienung der Geräte), trifft den Absender eine besondere Verpflichtung zur Kontrolle der technischen Zusendung. Er hat sich – zB durch Prüfung des Sendeberichts, des Ordners der versendeten Nachrichten etc – zu vergewissern, ob die Eingabe tatsächlich und richtig abgesendet wurde und ob sie auch wirklich bei der Behörde eingelangt ist (VwGH 15.9.2005, 2005/07/0104; VwGH 22.2.2006, 2002/09/0015). Diese Kontrolle umfasst auch die Prüfung, ob die Eingabe fristgerecht eingelangt ist.

Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stellt dies jedenfalls ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (15.9.2005, 2005/07/0104).

Nach § 13 Abs 5 AVG ist die Behörde nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, und – außer bei Gefahr im Verzug – nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit verpflichtet, mündliche oder telefonische Anbringen entgegenzunehmen. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind im Internet und an der Amtstafel bekanntzumachen.

Aufgrund der Verfügung der Stadt Z vom 21.6.2018 über die Bekanntmachung gemäß §§ 13 und 42 Abs 1a AVG und § 86b BAO wird in dieser Bekanntmachung ua auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Empfangsgeräte für Telefax und E-Mail der Stadt Z zwar auch außerhalb der Amtsstunden empfangsbereit sind, allerdings nur während der Amtsstunden betreut werden und dies die Wirkung hat, dass Anbringen auch dann, wenn sie bereits in den Verfügungsbereich des Amtes gelangt sind, erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden als eingebracht (und eingelangt) gelten und erst ab diesem Zeitpunkt behandelt werden.

Die Amtsstunden der Stadt Z wurden mit Montag bis Donnerstag von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr und von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr und Freitag 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr festgesetzt.

Diese Bekanntmachung samt vorstehendem Hinweis und der festgelegten der Amtsstunden ist unter www.*** und über die Startseite der Homepage der Stadt Z über den Link „Amt/Verwaltung“ und sodann unter der weiteren Verlinkung „Amtsstunden/Parteienverkehr“ bzw. „Amtstafel“, unter „Bekanntmachungen“ unter dem Link „Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 und Bundesabgabenordnung“ für jedermann im Internet zugänglich gemacht (vgl LVwG Tirol 7.3.2017, LVwG-2016/42/1165-1; LVwG Tirol 27.1.2015, LVwG-2015/27/0191-1; ua).

Soweit in der gegenständlichen Beschwerde im Wesentlichen zusammengefasst vorgebracht wird, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin seine Mitarbeiter dahingehend angewiesen habe, die Eingabe mit der Post zu versenden und die rechtzeitige Zustellung auch kontrolliert habe, ist dazu Folgendes auszuführen:

Die verfahrensgegenständliche Beschwerde wurde am 16.12.2020 per Email übermittelt und ist erst um 18:41 Uhr, sohin mehr als zweieinhalb Stunden nach dem Ende der Amtszeit um 16.00 Uhr, bei der belangten Behörde eingegangen.

Aus der eidesstattlichen Erklärung der Mitarbeiterin ergibt sich, dass diese, um Zeit zu sparen, auf eigene Initiative geprüft hat, ob es möglich sei, das Rechtsmittel elektronisch einzubringen. Ihr sei nicht bekannt gewesen, dass es bei manchen Behörden üblich sei, dass Eingaben nur innerhalb der Amtsstunden entgegengenommen werden.

Diese Regelung basiert auf § 13 Abs 5 AVG und ist somit nicht aus der Luft gegriffen oder an sich problematisch. Auch trifft es in keiner Weise zu, dass eine solche Regelung ein Spezifikum der Stadt Z darstellt, so hat etwa auch das Landesverwaltungsgericht Tirol eine nahezu idente Regelung getroffen, die auf der digitalen Amtstafel unter https://www.lvwg-tirol.gv.at/fileadmin/downloads/Rechtswirksame_Einbringung_LVWG_-__-1.pdf abrufbar ist.

Der Rechtsvertreter hat diese überaus relevanten Informationen offenbar seiner Mitarbeiterin nicht mitgeteilt. Der Rechtsvertreter hat es somit verabsäumt, seine Mitarbeiterin dahingehend ausreichend zu schulen.

Darüber hinaus hat der Rechtsvertreter auch nicht ausreichend und ordnungsgemäß kontrolliert, ob das Rechtsmittel von seiner Kanzleikraft auch tatsächlich korrekt versendet wurde. Dies ergibt sich daraus, dass der Rechtsvertreter erst mit Zustellung der Beschwerdevorentscheidung vom 25.1.2021 von der verspäteten Zustellung erfahren hat. Aus dem Fristenbuch des Anwalts müsste sich jedoch zwingend ergeben, auf welche technische Art und Weise das Rechtsmittel versandt wurde und hätte bei einer zeitnahen Kontrolle dieses Fristenbuches dem Rechtsvertreter dieser Mangel bereits viel früher auffallen müssen.

Zusammengefasst ergibt sich daher, dass – wie auch von der belangten Behörde in der Begründung der bekämpften Entscheidung mit umfassenden Ausführungen unter Verweis auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zutreffend ausgeführt – gegenständlich die Voraussetzungen für die Bewilligung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist nicht vorgelegen haben und wurde dementsprechend die am 17.12.2020 eingelangte Beschwerde mit der bekämpften Beschwerdevorentscheidung vom 25.1.2021 zurecht als verspätet zurückgewiesen.

Es kommt daher den gegenständlichen Rechtsmitteln keine Berechtigung zu und waren diese spruchgemäß abzuweisen.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision war unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen und eingehend zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag. Hengl

(Richter)

Schlagworte

Wiedereinsetzung
Einbringung als E-Mail
Amtsstunden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.31.2016.1

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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