TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/23 W158 1434292-2

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Veröffentlicht am 23.06.2021
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Entscheidungsdatum

23.06.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W158 1434292-2/39E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL über die Beschwerde von R XXXX M XXXX H XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, gegen die Spruchpunkte IV. bis VII. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.03.2020, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Dem BF wird gemäß § 58 Abs. 2 iVm §§ 54 Abs. 1 Z 1, 55 Abs. 1 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

II. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben und die Spruchpunkte V. bis VII. ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), einem Staatsangehörigen Afghanistans, wurde infolge seines Antrags auf internationalen Schutz vom 19.09.2012 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.10.2014, W151 1434292-1/12E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF als subsidiär Schutzberechtigter wurde nach entsprechenden Anträgen jeweils bescheidmäßig verlängert, zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 08.09.2017 bis zum 10.10.2019.

I.2. Nach Information des BFA über strafrechtliches Fehlverhalten des BF und Durchführung des Ermittlungsverfahren wurde dem BF mit Bescheid vom 20.12.2018, dem BF am 21.12.2018 durch Hinterlegung zugestellt, der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Zudem wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

I.3. Dagegen erhob der BF Beschwerde, die mit Erkenntnis vom 17.04.2019 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht mit Maßgaben abgewiesen wurde.

I.4. Nachdem der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis infolge Verletzung der Verhandlungspflicht aufgehoben und das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt und weitere Ermittlungsschritte gesetzt hatte, wurde die Beschwerde mit Erkenntnis vom 15.09.2020 neuerlich mit Maßgaben abgewiesen.

I.5. Der Verfassungsgerichtshof lehnte eine Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 09.12.2020, E 3747/2020-5 ab und führte unter anderem aus, das Bundesverwaltungsgericht habe sich mit der Frage der Gefährdung des BF in seinem von Art. 8 EMRK geschützten Rechten auseinandergesetzt und es könne ihm „unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiegt“.

I.6. Mit Entscheidung vom 14.04.2021, Ra 2021/18/0048-9 wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheids richtete, zurück. Im Übrigen hob er das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Soweit verfahrenswesentlich führte er zur Aufhebung aus, dass die Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK nicht den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofs entspreche. Insbesondere sei unberücksichtigt gelassen worden, dass der BF zum Zeitpunkt der strafrechtlichen Tathandlungen ein junger Erwachsener war. Außerdem habe sich das Erkenntnis nicht damit auseinandergesetzt, dass der BF nach seiner vorzeitigen Haftentlassung durch einen vollzogenen Orts- und Freundeswechsel sowie den beruflichen Neubeginn besondere Anstrengungen unternommen habe.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle und die vom BF vorgelegten Unterlagen;

-        Einsicht in die in das Verfahren eingeführte Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;

-        Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.03.2020;

-        Einsicht in das Strafregister, das Melderegister und das Grundversorgungssystem.

II. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu. Außerdem spricht er Dari. Er kann Paschtu und Dari nicht schreiben oder lesen. Seine Identität kann nicht festgestellt werden.

Der BF stammt aus P XXXX C XXXX , einem Randbezirk der Stadt Kabul. Seine Eltern, zwei jüngere Schwestern und zwei jüngere Brüder wohnen nach wie vor in Kabul in einem Mietshaus. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie. Sein Vater verkauft mithilfe der Brüder des BF zuvor gesammeltes Holz. Seine Schwestern sind beide noch nicht verheiratet und helfen der Mutter, den Haushalt zu führen. Seiner Familie geht es finanziell insoweit gut, als sie ihren Lebensunterhalt durch die Arbeit des Vaters des BF bestreiten kann. Während seine Familie zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zur letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung in einem Zelt wohnte, lebt sie nunmehr in einem Haus in B XXXX .

Der BF befindet sich seit seiner Einreise im September 2012 durchgehend im Bundesgebiet. Ihm wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.10.2014, W151 1434292-1/12E subsidiärer Schutz zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Nach bescheidmäßigen Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde dem BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.09.2020, W158 1434292-2/28E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig aberkannt und ihm die Aufenthaltsberechtigung entzogen.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er besuchte im Schuljahr 2012/13 die zweite Klasse der Neuen Mittelschule XXXX und wurde in keinem Fach beurteilt. Im Schuljahr 2013/14 besuchte der BF die dritte Klasse der Neuen Mittelschule XXXX , wobei er in mehreren Pflichtgegenständen nicht beurteilt wurde. Im Schuljahr 2014/15 besuchte der BF die vierte Klasse der Neuen Mittelschule XXXX und wurde in allen Fächern beurteilt. Im Schuljahr 2015/16 besuchte der BF die Polytechnische Schule XXXX .

Im Bundesgebiet befinden sich keine Verwandten des BF. Er ist in keinem Verein tätig und engagierte sich nicht ehrenamtlich. In seiner Freizeit spielt er Fußball in einem Hobby-Club.

Von 09.05.2016 bis 24.08.2016, von 26.08.2016 bis 29.08.2016, von 01.09.2016 bis 01.09.2016, von 08.09.2016 bis 15.09.2016, von 27.07.2017 bis 08.08.2017, von 11.08.2017 bis 13.08.2017, von 15.08.2017 bis 16.08.2017, von 18.08.2017 bis 20.08.2017, von 22.08.2017 bis 29.08.2017, von 02.09.2017 bis 23.11.2017, von 07.12.2017 bis 11.12.2017 und von 27.11.2018 bis zumindest zum 06.12.2018 bezog der BF Arbeitslosengeld. Von 12.12.2017 bis 19.12.2017 und von 02.02.2018 bis 13.06.2018 war der BF als Arbeiter bei der F XXXX C XXXX & R XXXX Ltd beschäftigt. Von 14.11.2016 bis 26.07.2017 war der BF als Kochlehrling bei der Caritas XXXX gemeinnützige Betriebe GmbH beschäftigt. Am 09.01.2019 hat der BF eine Arbeit als Küchenhilfe aufgenommen. Seit März 2019 arbeitet der BF als Küchenhilfe in einem Steakhaus. Sein Dienstverhältnis ist unbefristet. Sein Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt € XXXX . Der BF wird in seinem Betrieb sehr geschätzt.

Der BF bewohnt seit 01.11.2019 eine Dienstwohnung. Die Mietkosten dafür belaufen sich auf € XXXX . Zusätzlich hat er ein monatliches Betriebskostenakonto in Höhe von € XXXX zu leisten.

Der Freundeskreis des BF besteht aus seinen Berufskollegen und den Sportfreunden.

Der BF hat mindestens 465 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 10,77% Delta 9-THC (mehr als das Zweifache der Grenzmenge) in zahlreichen Einzelverkäufen mehreren Dritten entgeltlich und gewinnbringend überlassen, wobei er von Anfang an mit dem Vorsatz der kontinuierlichen Tatbegehung über einen längeren Zeitraum und den daran anknüpfenden Additionseffekt handelte. Er wurde dafür vom Landesgericht XXXX mit Urteil zu XXXX vom 30.10.2018, rechtskräftig seit 30.10.2018, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall SMG unter Anwendung des § 19 Abs. 1 JGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt. Die Untersuchungshaft des BF von 14.06.2018, 16:00 Uhr bis 30.10.2018, 10:00 Uhr, wurde auf die verhängte Strafe angerechnet. Als erschwerend wurde das Mehrfache der großen Menge, als mildernd das Geständnis, das Alter unter 21 Jahren, die Unbescholtenheit und der wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung gewertet. Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 19.11.2018 zu XXXX wurde der BF unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe am 20.11.2018 bedingt aus der bis dahin vollzogenen Freiheitsstrafe entlassen.

Aufgrund seiner Verurteilung wird der BF von einem Bewährungshelfer begleitet. Er hat seit Juli 2019 seine vereinbarten Termine eingehalten und steht mit dem Bewährungshelfer in wöchentlichen Kontakt. Zuvor hat der BF im November 2018 die Termine nicht eingehalten beziehungsweise keinen Kontakt zum Bewährungshelfer gehabt.

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX zu XXXX vom 15.10.2018, rechtskräftig seit 18.10.2018 wurde der BF wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je € 4,00, im Nichteinbringungsfall zu 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Diesem Urteil liegt zugrunde, dass der BF den Haupttäter insofern unterstützte, als er sich vor der Umkleidekabine zur Absicherung des Diebstahls positionierte. Der BF übernimmt die Verantwortung für diese Verurteilung nicht.

Der BF hat nach der bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe seinen Wohnort um etwa 500 Kilometer verlagert und seinen früheren Freundeskreis verlassen. Er bereut den Verkauf von Cannabiskraut, will nie mehr straffällig werden und in Österreich ein ordentliches Leben führen. Er hat im September 2020 mit der Fahrschule begonnen.

III. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen zur Nationalität, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF sowie zu seinen Sprachkenntnissen beruhen auf den glaubhaften Angaben des BF. Diese Feststellungen wurden auch bisher in den Verfahren den Entscheidungen stets zugrunde gelegt und vom BF nie bestritten. Seine Identität konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

Gleiches gilt im Wesentlichen auch für die Feststellungen zu seiner Herkunft sowie zu seiner Schulbildung. Auch diese wurden den bisherigen Entscheidungen in den Verfahren jeweils aufgrund der Angaben des BF zugrunde gelegt und vom BF nie bestritten. Es ist daher kein Grund ersichtlich, nunmehr davon abzugehen. Die weiteren Feststellungen zur jetzigen Situation der Familie des BF in Afghanistan gründen auf den glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung (S. 4f VP). Insbesondere bestätigte der BF, dass es der Familie finanziell gut gehe. Bei seiner weiteren Behauptung, es gehe „[n]icht so gut“, handelt es sich offensichtlich um eine Schutzbehauptung beziehungsweise um eine Aussage, die vor dem Hintergrund der vom Bundesverwaltungsgericht nicht verkannten gelegentlich herausfordernden Sicherheitslage in Kabul, getätigt wurde. Dass diese Aussage nicht auf die finanzielle Situation der Familie bezogen war, zeigt die weitere Aussage des BF, wonach seine Familie früher in einem Zelt in Kabul lebte, während sie mittlerweile in einem Haus lebt (S. 5 VP), was daher nur auf eine bessere finanzielle Situation der Familie des BF schließen lässt.

Dass sich der BF seit seiner Einreise durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten hat, ist unstrittig und konnte daher bedenkenlos festgestellt werden. Die Feststellungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Erteilung und Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wie auch zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

Dass der BF gesund ist, bestätigte er anlässlich der Beschwerdeverhandlung (S. 2 VP). Auch wurden keine medizinischen Dokumente vorgelegt, die einen anderen Schluss zuließen, weswegen eine entsprechende Feststellung getroffen werden konnte. Daraus folgt auch die Feststellung zu seiner Arbeitsfähigkeit, die unter anderem auch aufgrund seiner derzeitigen Arbeitstätigkeit getroffen werden konnte.

Die weiteren Feststellungen zur Lebenssituation des BF in Österreich und seinen Erwerbstätigkeiten beruhen auf seinen Angaben vor dem BFA, den eingeholten Auszügen, den vom BF (auch anlässlich der Revision) vorgelegten Dokumenten, an deren Echtheit und Richtigkeit kein vernünftiger Grund zu zweifeln besteht, und den Angaben des BF in der Beschwerde und der Beschwerdeverhandlung. Aus den anlässlich der Revision vorgelegten Dokumenten ergibt sich insbesondere, dass der BF nunmehr eine Dienstwohnung bewohnt und er in seinem Betrieb, sowohl vom Inhaber als auch von seinen Kollegen, sehr geschätzt wird.

Die Feststellungen zum strafrechtlichen Fehlverhalten des BF waren aufgrund des im Akt einliegenden Urteils, der Polizeiberichte und des aktuellen Strafregisterauszugs zu treffen. Dass der BF von einem Bewährungshelfer begleitet wird, war aufgrund des von diesem verfassten und vom BF vorgelegten Schreiben festzustellen. Aus diesem folgt auch, dass er die Termine einhält und den Kontakt zum Bewährungshelfer aufrecht hält. Das wird auch im Schreiben des Bewährungshelfers vom Jänner 2021, das der BF anlässlich der Revision vorlegte, noch einmal bestätigt. Aus dem unstrittigen Akteninhalt folgt jedoch auch, dass der BF zuvor insbesondere im November 2018 keinen Kontakt zu seinem bestellten Bewährungshelfer hatte (AS 141), wie er anlässlich seiner Einvernahme zudem auch bestätigte (AS 114). Soweit er damals noch angab, er habe nichts davon gewusst, kann dem nicht gefolgt werden, zumal es notorisch ist, dass bedingt Entlassenen ihre Pflichten mitgeteilt werden. Dass der BF die Verantwortung für seine Verurteilung aufgrund des Diebstahls nicht übernimmt, folgt aus seiner Aussage vor dem Bundesverwaltungsgericht (S. 6 VP).

Dass der BF seinen Wohnort um 500 Kilometer verlegte, gab er nicht nur mehrmals während des Verfahrens an, sondern wird auch durch einen ZMR-Auszug bestätigt. Aus dieser großen örtlichen Entfernung ergibt sich auch zwanglos, dass er dadurch seinen bisherigen Freundeskreis verlassen hat. Bis zu einem gewissen Maß kann darin auch eine Verantwortungsübernahme beziehungsweise eine Reue hinsichtlich des Verkaufs von Cannabiskraut gesehen werden, auch wenn der BF wie oben ausgeführt die Verantwortung für den Diebstahl nach wie vor nicht übernimmt, sondern einem (ehemaligen) Freund dafür die alleinige Verantwortung zuschiebt (S. 6 VP). Insgesamt kann trotzdem nicht vernachlässigt werden, dass der BF seit der bedingten Entlassung mittlerweile etwa drei Jahre vergangen sind und er die Straftaten als junger Erwachsener beging und seither nicht mehr straffällig wurde. Daraus folgt dann aber weiter, dass vom BF keine weitere Gefahr mehr ausgeht und nicht mehr von einer weiteren Straffälligkeit ausgegangen werden kann, wie auch der ihn ständig begleitende Bewährungshelfer im Schreiben vom Jänner 2021 ausführte. Aus diesem Schreiben ergibt sich auch die Feststellung zum Besuch der Fahrschule.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide BFA.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

Nachdem der Verwaltungsgerichtshof die Revision gegen die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheids zurückgewiesen hat, ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wie auch die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG rechtskräftig. Sie sind daher nicht mehr verfahrensgegenständlich. Sache des Verfahrens ist damit nur mehr die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sowie die davon abhängigen Spruchpunkte.

IV.1. Zu Spruchpunkt A)

IV.1.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG nicht erteilt wird. Ein Aufenthaltstitel wurde dem BF durch die rechtkräftige Zurückweisung der Revision nicht erteilt.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Es ist daher grundsätzlich eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben eingegriffen, ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf die in § 9 Abs. 2 BFA-VG aufgezählten Kriterien begründet abzusprechen, ob diese zulässig ist. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist somit eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien, vorzunehmen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalles unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Wie der Verwaltungsgerichtshof weiters in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die im Inland verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, werden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach einem so langen Inlandsaufenthalt noch als verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung wurde vom Verwaltungsgerichtshof wiederholt auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120).

Vorliegend hält sich der BF nunmehr seit bald neun und damit knapp unter zehn Jahre im Bundesgebiet auf. In seiner aufhebenden Entscheidung, an die das Bundesverwaltungsgericht nach § 63 Abs. 1 VwGG gebunden ist, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass den Erwägungen des Vorerkenntnisses zwar insofern nicht entgegenzutreten sei, wenn den strafgerichtlichen Verurteilungen ein hohes Gewicht zugemessen wurde. Völlig unberücksichtigt sei jedoch gelassen worden, dass es sich beim BF zum Zeitpunkt der Tathandlung um einen jungen Erwachsenen gehandelt habe. Ebenso wenig habe sich das Vorerkenntnis mit dem Vorbringen des BF auseinandergesetzt, dass er durch den Orts- und Freundeswechsel sowie den beruflichen Neubeginn besondere Anstrengungen für einen positiven Lebenswandel unternommen habe.

Im Sinne dieser Ausführungen kommt dem strafrechtlichen Fehlverhalten des BF, auch wenn er hinsichtlich des Diebstahls keine Verantwortungsübernahme zeigte, sondern die Schuld auf einen seiner Mittäter schob, kein derart großes Gewicht zu, dass bereits dieses eine Rückkehrentscheidung trotz des langen Aufenthalts im Inland zulässig machen würde. Zumindest hinsichtlich des Verkaufs von Cannabis hat der BF nämlich Verantwortung übernommen und durch den Orts- und Freundeswechsel auch Anstrengungen hinsichtlich eines positiven Lebenswandels unternommen. Diese Anstrengungen werden auch vom Arbeitgeber und dem Bewährungshelfer bestätigt. Ebenso ist im Sinne der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs zu berücksichtigten, dass der BF die Straftaten als junger Erwachsener verübte. Mittlerweile hat er aber diese Phase des Übergangs vom Jugendlichen zum Erwachsenen abgeschlossen und führt seit mehreren Jahren ein Leben ohne weitere strafrechtliche Auffälligkeiten. Der BF hat einen gefestigten Beruf und ein gefestigtes soziales Umfeld, sodass keine weiteren Straftaten mehr zu erwarten sind.

Der BF hat die Zeit im Bundesgebiet auch genutzt, um sich schulisch und beruflich zu integrieren. Er ist in seinem Betrieb unter den Kollegen und dem Arbeitgeber beliebt und wird dort für seine Arbeit aber auch für seine Persönlichkeit geschätzt. Auch wenn sich der BF während seiner Zeit im Bundesgebiet weder ehrenamtlich engagierte, er kein Mitglied eines Vereins ist und die gesamte Familie des BF, mit der er auch in ständigen Kontakt steht, in Afghanistan lebt, während im Bundesgebiet keinerlei Verwandten leben, sodass die Bindungen des BF zu seinem Herkunftsstaat auch die zum Bundesgebiet überwiegen, kann daher nicht gesagt werden, dass die öffentlichen Interessen die privaten überwiegen würden. Die Rückkehrentscheidung ist daher auf Dauer unzulässig, da die drohende Verletzung des Privatlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

Es ist daher nach § 58 Abs. 2 AsylG von Amts wegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist nach § 55 Abs. 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Die monatliche Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG beträgt nach § 2 Abs. 1 Z 1 Aufwertung und Anpassung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, dem Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz sowie dem Bundespflegegeldgesetz für das Kalenderjahr 2021, BGBl. II Nr. 576/2020, für das Jahr 2021 € 475,86. Das Einkommen des BF übersteigt diese Geringfügigkeitsgrenze bei weitem, sodass der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen ist.

IV.1.2. Da die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, verlieren die übrigen Spruchpunkte ihre rechtliche Grundlage, darunter auch das Einreiseverbot, da dieses nur gemeinsam mit einer Rückkehrentscheidung erlassen werden kann. Die übrigen Spruchpunkte waren daher ersatzlos zu beheben.

IV.2. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Vielmehr ist das Bundesverwaltungsgericht hier an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofs gebunden (§ 63 Abs. 1 VwGG). Im Übrigen handelt es sich bei Interessensabwägungen nach Art. 8 EMRK um Einzelfallentscheidungen, die im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG sind (VwGH 03.05.2021, Ra 2021/01/0141).

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Diebstahl Ersatzentscheidung Integration Interessenabwägung Privatleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig strafrechtliche Verurteilung Suchtgifthandel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W158.1434292.2.00

Im RIS seit

20.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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