TE Vwgh Beschluss 2021/9/1 Ra 2021/19/0266

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Veröffentlicht am 01.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des M H, vertreten durch Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Blütenstraße 15/5/5.13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Mai 2021, W279 2177076-2/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein - im Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriger - afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 4. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei im Iran, wo er geboren und aufgewachsen sei, schlecht behandelt worden, habe keine offizielle Schule besuchen können und Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben zu werden.

2        Mit Bescheid vom 6. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3        Mit Bescheid vom 18. Juni 2020 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ab, entzog ihm die Aufenthaltsberechtigung, erteilte ihm keine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Revisionswerber ein befristetes Einreiseverbot.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit einer hier nicht relevanten Maßgabe - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Mit Beschluss vom 8. Juni 2021, E 2133/2021-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf die Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, eine maßgebliche Änderung der Lage, die eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erlaube, liege nicht vor. Das BVwG habe nicht dargelegt, inwiefern die hinzugewonnene Berufserfahrung und Bildung dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ein zumutbares Leben ermöglichen würden, und habe zu Unrecht angenommen, dass die im Iran lebende Familie des Revisionswerbers ihn finanziell unterstützen könne.

11       Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus (§ 8 Abs. 1 leg. cit.) nicht oder nicht mehr vorliegen. Die Anwendung des - vom BVwG im Revisionsfall herangezogenen - zweiten Tatbestandes des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/20/0154, mwN).

12       Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 iVm Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (vgl. VwGH 30.4.2020, Ra 2019/19/0309, mwN).

13       In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Herkunftsland gegebenen Situation liegen können, darstellen. In diesem Sinn kann bei einem Fremden, dem als Minderjähriger subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, das Erreichen der Volljährigkeit eine Rolle spielen, etwa dadurch, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden (vgl. VwGH 1.2.2021, Ra 2021/20/0010, mwN).

14       Bei der Prüfung, ob dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen ist, handelt es sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung anhand der jeweiligen Umstände des konkreten Falles (vgl. dazu VwGH 21.6.2021, Ra 2021/20/0024, mwN).

15       Das BVwG begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dem Revisionswerber sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, weil er minderjährig gewesen sei, über kein soziales Netz im Herkunftsstaat verfügt habe und ihm eine Rückkehr im Hinblick auf die volatile Sicherheitslage und fehlende Berufserfahrung nicht zumutbar gewesen sei. Inzwischen sei der Revisionswerber volljährig geworden, habe in Österreich die Schule besucht und Berufserfahrung im Rahmen einer Lehre als Friseur und in der Gastronomie gesammelt. Der Revisionswerber sei erfahrener und selbständiger geworden. Er spreche fließend Dari, verfüge über Sprachkenntnisse in Farsi, Englisch und Deutsch, könne Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und sei selbsterhaltungsfähig, weswegen er sich auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat durch Gelegenheitstätigkeiten seine Existenzgrundlage sichern könne. Der Revisionswerber könne zwar aus Sicherheitsgründen nicht in seine „Heimatprovinz“ Maidan-Wardak zurückkehren, ihm stehe jedoch - was das BVwG näher begründete - eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative u.a. in der Stadt Mazar-e Sharif offen.

16       Die Revision zeigt nicht auf, dass das BVwG fallbezogen von den Leitlinien der dargestellten Rechtsprechung abgewichen wäre. Es kann daher auch das Revisionsvorbringen, das BVwG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die im Iran lebende Familie des Revisionswerbers diesen im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan finanziell unterstützen könne, dahinstehen.

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190266.L00

Im RIS seit

20.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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