TE Vwgh Erkenntnis 1997/1/29 94/01/0744

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Veröffentlicht am 29.01.1997
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §14;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde 1. des S P,

2. der L P und 3. der R P, alle in W, die Drittbeschwerdeführerin vertreten durch den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, diese beiden vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in W, gegen die Wiener Landesregierung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht über den Antrag des Erstbeschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Anträge der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 39 StbG in Verbindung mit § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Spruch

Der Antrag des Erstbeschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft wird gemäß § 10 Abs. 3 StbG abgewiesen.

Die Anträge der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft werden gemäß § 18 StbG abgewiesen.

Das Land Wien hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer beantragte am 30. Juni 1993 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen, die Gattin und die eheliche Tochter des Erstbeschwerdeführers, beantragten gleichzeitig die Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft auf sie.

Die belangte Behörde hat am 5. Juli 1993 bei der Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Personen- und Objektschutz, angefragt, ob staatspolizeiliche Bedenken gegen die Verleihung bzw. Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Beschwerdeführer bestünden. Nachdem mit den Schreiben vom 28. Oktober 1993 und 9. März 1994 bekanntgegeben worden war, daß die Erhebungen des Bundesministers für Inneres noch nicht abgeschlossen seien, teilte die Bundespolizeidirektion Wien mit Schreiben vom 15. April 1994 mit, daß der Erstbeschwerdeführer "zumindest im Randbereich Bezug zu der sogenannten Ost-Mafia" habe. Dem Erstbeschwerdeführer möge "für eine positive Einstellung zur Republik Österreich" noch Zeit gegeben werden. Über Anfrage der belangten Behörde an die Bundespolizeidirektion Wien vom 25. November 1994 betreffend die Konkretisierung der Verdachtsmomente gegen den Erstbeschwerdeführer und mehrerer diesbezüglicher Urgenzen teilte die Bundespolizeidirektion Wien mehrmals, zuletzt am 28. Februar 1996, mit, daß die Erhebungen des Bundesministers für Inneres noch nicht abgeschlossen seien.

Bereits am 17. Oktober 1994 langte die vorliegende Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein. Mit hg. Beschluß vom 24. Oktober 1994 wurde aufgrund dieser Säumnisbeschwerde das Vorverfahren eingeleitet und der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG aufgetragen, innerhalb einer Frist von drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift davon dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt, und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen. Diese Frist wurde über Antrag der belangten Behörde mit hg. Verfügung vom 27. Februar 1995 bis 18. Mai 1995 verlängert. Mit dem am 11. Mai 1995 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Schriftsatz legte die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und äußerte sich dahin, daß eine Säumnis nicht vorliege. Da die staatspolizeilichen Erhebungen gegen die Beschwerdeführer noch nicht abgeschlossen seien, sei die belangte Behörde nicht in der Lage zu prüfen, ob ein "Einbürgerungshindernis gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2, 3, 4, 6, 8 StbG" vorliege, und bei einer allenfalls in Betracht kommenden Ermessensübung auf staatspolizeiliche Belange Rücksicht zu nehmen.

Schließlich langte am 8. Mai 1996 bei der belangten Behörde der - am 22. Mai 1996 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegte - abschließende Bericht des Bundesministers für Inneres ein, aus dem sich ergibt, daß bei den Erhebungen keine weiteren Anhaltspunkte, die Bedenken gegen die Einbürgerung der Beschwerdeführer begründen könnten, hervorgekommen sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG kann eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Da im vorliegenden Fall die gemäß § 39 StbG zur Entscheidung in erster (und letzter) Instanz berufene Wiener Landesregierung den beantragten Bescheid nicht binnen sechs Monaten nach Antragstellung erlassen hat, liegen diese Voraussetzungen vor.

An der somit gegebenen Säumnis ändert auch der Umstand nichts, daß die Anfrage an die Bundespolizeidirektion Wien betreffend staatspolizeiliche Bedenken gegen die Einbürgerung nicht rechtzeitig beantwortet wurde, denn einerseits konnte die lang dauernde Verzögerung des staatspolizeilichen Erhebungsberichtes die belangte Behörde nicht von der gesetzlich auferlegten Entscheidungspflicht entheben (vgl. dazu die hg. Judikatur, wonach selbst der Mangel einer essentiell erforderlichen Zustimmung einer anderen Zentralstelle die Behörde nicht von der Entscheidungspflicht enthebt; etwa das Erkenntnis vom 19. April 1995, Zl. 94/12/0314, mit weiteren Nachweisen) und andererseits kommt die Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Erstreckung derselben im gegenständlichen Fall (siehe dazu unten) schon mangels Vorliegens der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 3 StbG beim Erstbeschwerdeführer nicht in Betracht, sodaß es auf die Frage, ob aus staatspolizeilicher Sicht Bedenken gegen die Einbürgerung bestehen, gar nicht ankommt.

Infolge der somit gegebenen Säumnis der belangten Behörde entscheidet der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG in der Sache selbst.

Aufgrund der Vernehmungen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sowie der vorgelegten Urkunden (Lebenslauf des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin je vom 15. Juni 1993, Kopien der Fremdenpässe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, drei Bestätigungen der Botschaft der russischen Föderation je vom 7. Juli 1993 über das Nichtbestehen der Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführer je samt beglaubigter Übersetzung, Kopie des Gewerbescheins des Magistrates der Stadt Wien vom 6. April 1992, beglaubigte Fotokopie aus dem Firmenbuch vom 28. Mai 1993 betreffend die "N"-Gesellschaft m.b.H., Einkommensteuerbescheinigung der Wirtschaftstreuhänderin Mag. V vom 14. Juni 1993, Bestätigung der Wiener Gebietskrankenkasse vom 17. Juni 1993) steht folgender wesentlicher Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführer lebten bis September 1989 in der Sowjetunion und haben seither ihren (Haupt)Wohnsitz in Wien. Sie waren bis 1989 sowjetische Staatsbürger und sind nunmehr staatenlos. Der Erstbeschwerdeführer ist seit 13. August 1990 als handelsrechtlicher Geschäftsführer der N-Gesellschaft m. b.H. bei dieser Gesellschaft angestellt. Sein Bruttobezug betrug im Jahre 1993 S 35.000,--. Für die N-Ges.m.b.H. wurde am 6. April 1992 ein Gewerbeschein für die Ausübung eines Handelsgewerbes gemäß § 103 Abs. 1 lit. b Z. 25 Gewerbeordnung 1973 ausgestellt.

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich folgendes:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen "Hauptwohnsitz" im Gebiet der Republik hat. Gemäß Abs. 3 dieser Bestimmung kann von dieser Voraussetzung abgesehen werden, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt oder wenn der Fremde seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen "Hauptwohnsitz" im Gebiet der Republik hat und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt. Da der Erstbeschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz (vor dem 1. Jänner 1995 seinen "ordentlichen Wohnsitz"; siehe Art. VII Z. 2 i.V.m. Art. VIII Z. 5 des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994) erst seit September 1989 im Gebiet der Republik Österreich hat, erfüllt er die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG nicht. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an ihn käme daher nur bei Vorliegen eines "besonders berücksichtigungswürdigen Grundes" im Sinne des § 10 Abs. 3 StbG in Betracht. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. Mai 1996, Zl. 96/01/0091, mit weiteren Judikaturhinweisen) handelt es sich hiebei um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung.

Der Erstbeschwerdeführer hat im vorliegenden Verfahren nicht ausdrücklich vorgebracht, welcher "besonders berücksichtigungswürdige Grund" für die Verleihung der Staatsbürgerschaft seiner Ansicht nach vorliege. Eine behördliche Verpflichtung, ihn anzuleiten, derartige Gründe darzutun, besteht nicht (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, auf S. 227, E 11b zu § 37 AVG zitierte hg. Rechtsprechung). Da der Erstbeschwerdeführer staatenlos und seit 13. August 1990 beim selben Arbeitgeber beschäftigt ist, bleibt jedoch zu untersuchen, ob es sich bei einem dieser Umstände um einen - vom Beschwerdeführer nicht ausdrücklich geltend gemachten - "besonders berücksichtigungswürdigen Grund" für die Verleihung der Staatsbürgerschaft handelt.

Der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG, wonach für die Einbürgerung grundsätzlich eine Wohnsitzfrist von zehn Jahren erforderlich ist, liegt der Gedanke zugrunde, daß nur ein langjähriger inländischer Wohnsitz bzw. Hauptwohnsitz hinreichend Gewähr dafür bietet, daß sich der Fremde in Österreich assimiliert hat, und davon nur "aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen" abgesehen werden kann (siehe AB 875 Blg. NR 10. GP, S. 4). In diesem Sinn kommt eine Ausnahme vom Regelfall auch nicht schon dann in Betracht, wenn ein "berücksichtigungswürdiger Grund", davon abzugehen, gegeben ist, sondern es muß sich hiebei vielmehr um einen "BESONDERS berücksichtigungswürdigen Grund" handeln. Was unter einem derartigen "besonders berücksichtigungswürdigen Grund" zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt. Eine brauchbare Auslegungshilfe dafür kann - soweit nicht der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegensteht - die (aktuelle) Aufzählung in dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 betreffenden Bericht des Verfassungsausschusses (875 BlgNr 10 GP Seite 4) bieten (vgl. dazu das hg. Erkenntnise vom 23. Juni 1994, Zl. 93/01/1255). Die langjährige Beschäftigung beim selben Arbeitgeber ist darin nicht erwähnt. Hinsichtlich dieses Umstandes hat der Verwaltungsgerichtshof in dem bereits zitierten Erkenntnis zur Zl. 96/01/0091 ausgeführt, daß darin ein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund" für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht erblickt werden könne.

Die Staatenlosigkeit des Erstbeschwerdeführers erfüllt jedoch die in der erwähnten Aufzählung enthaltene Voraussetzung des "sonstigen Fehlens des Schutzes des Heimatstaates". Daß der Gesetzgeber die Staatenlosigkeit als Aspekt für eine positive Erledigung eines Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft angesehen hat, ergibt sich auch daraus, daß Staatenlose unter den Voraussetzungen des § 14 StbG - der die innerstaatliche Umsetzung der UN-Konvention vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit, BGBl. Nr. 538/1974, darstellt - einen Rechtsanspruch auf Verleihung haben.

Bei einer am ganzen Gesetz in seinem Regelungszusammenhang orientierten Auslegung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffes ist ein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund" dann gegeben, wenn ähnliche oder vergleichbare Voraussetzungen wie für das Bestehen eines Rechtsanspruches auf Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1995, G 68/95-7 u.a. Zahlen).

Ein Staatenloser hat gemäß § 14 Abs. 1 Z. 1 StbG (u.a.) nur dann einen Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft, wenn er im Gebiet der Republik Österreich geboren und seit seiner Geburt staatenlos ist. Da der Erstbeschwerdeführer nicht in Österreich geboren ist, sondern erst im Alter von 37 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist, liegen bei ihm nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes schon deshalb keine ähnlichen oder vergleichbaren Voraussetzungen, wie sie im § 14 StbG umschrieben sind, vor.

Die Staatenlosigkeit des Erstbeschwerdefühers - aus der sich im übrigen keine Rückschlüsse auf eine wesentlich über das auf Grund der bisherigen Dauer des Aufenthaltes zu erwartende Ausmaß hinausgehende Assimilierung ziehen lassen - stellt somit keinen "besonders berücksichtigungswürdigen Grund" für die Verleihung der Staatsbürgerschaft dar, der es gerechtfertigt erscheinen ließe, vom grundsätzlichen Einbürgerungserfordernis des zehnjährigen inländischen Hauptwohnsitzes abzusehen.

Der Antrag des Erstbeschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft war daher schon mangels Vorliegens der zwingenden Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 3 StbG abzuweisen.

Da die unter den Voraussetzungen des § 16 StbG (für die Ehegattin) und des § 17 StbG (für die Kinder) zu gewährende Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 18 leg. cit. nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbungszeitpunkt verfügt werden darf, waren auch die Anträge der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen auf Erstreckung der Verleihung abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1994010744.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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