TE Bvwg Beschluss 2021/5/31 I403 2242648-1

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Veröffentlicht am 31.05.2021
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Entscheidungsdatum

31.05.2021

Norm

AVG §38
AVG §9
BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
StGB §75
VwGVG §17
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I403 2242648-1/8Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Deutschland, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2021, Zl. XXXX :

A)

Das Verfahren wird gemäß § 17 VwGVG iVm §§ 9, 38 AVG bis zur Entscheidung über das beim Bezirksgericht XXXX zur Zahl XXXX anhängige Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsangehöriger, war ab dem 09.01.2017 bei seinem Vater in XXXX gemeldet. Er wurde am 24.07.2018 wegen des Verdachts, seinen Vater am 10.07.2018 getötet zu haben, festgenommen.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 30.07.2018 zu Zl XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Er hatte am 30.11.2017 durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung an der Ehre und mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz, nämlich durch Drohung mit einer nicht sachlich gerechtfertigten Strafanzeige sowie der Verbreitung von rufschädigender Nachrichten eine Rechtsanwaltskanzlei zu einer Handlung, nämlich zur Herausgabe des ihm als Sachwalter im Pflegschaftsverfahren seines Vaters anvertrauten Geldbetrages von EUR 75.000,00 zu nötigen versucht, indem er gegenüber einer Kanzleimitarbeiterin telefonisch äußerte, die Schikanen gegenüber ihm sollten aufhören, die Unterschlagung des Pflegegeldes sollte beendet und das Geld, EUR 75.000,00, müsse ausbezahlt werden, ansonsten werde er den Ruf der Rechtsanwaltskanzlei vernichten, alle Daten ins Internet stellen und Postwurfsendungen verteilen, sodann die Rechtsanwaltskanzlei betrat, einen Barscheck von EUR 2.400,00 (Pflegegeld) vom Rechtsanwalt forderte und äußerte, widrigenfalls werde keiner die Kanzlei mehr betreten.

Mit Schriftsatz vom 08.08.2018 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde verständigt, dass gegen ihn die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes geprüft werde. Der Beschwerdeführer erklärte mit Stellungnahme vom 31.08.2016, dass er unschuldig sei, als freischaffender Künstler tätig sei und von seinem Vater, den er bis zu seinem Tod gepflegt habe, finanziell unterstützt worden sei. Er forderte die Einstellung des Verfahrens.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 17.01.2020, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen Mordes nach § 75 StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Er wurde in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Beschwerdeführers wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 05.06.2020 zu Zl. XXXX zurückgewiesen, zur Entscheidung über die von ihm erhobene Berufung wurden die Akten dem Oberlandesgericht XXXX zugeleitet. Dieses gab der Berufung dahin Folge, dass mit Urteil vom 26.01.2021 zu Zl. XXXX über den Beschwerdeführer eine Zusatzfreiheitsstrafe von 19 Jahren verhängt wurde. Hintergrund war, dass über die vom Schuldspruch umfasste Tat (der Mord an seinem Vater) bereits im Verfahren, das zum Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 30.07.2018 zu Zl XXXX (Verurteilung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 12 Monaten wegen des Verbrechens der schweren Nötigung) führte, abgeurteilt hätte werden können. Bei gemeinsamer Aburteilung beider Verbrechen wäre nach Ansicht des OLG XXXX eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren angemessen gewesen, weswegen eine Zusatzstrafe von 19 Jahren verhängt wurde.

Mit Schriftsatz vom 19.03.2021 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde neuerlich verständigt, dass gegen ihn die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes geprüft werde. Ihm wurde die Gelegenheit eingeräumt, eine schriftliche Stellungnahme zu seinem Privat- und Familienleben einzubringen. Der Beschwerdeführer brachte am 09.04.2021 einen Schriftsatz ein, den er mit „absolutem Widerspruch“ bzw. „Beschwerde“ bezeichnete. Er verwies auf die „Nichtigkeitsbeschwerde u. Berufungsschrift vom 3.3.2020 905 Seiten + Anlagen“ und auf alle Eingaben beim OLG XXXX ; daraus gehe seine Unschuld hervor. Zudem fehle im Schreiben der belangten Behörde eine Rechtsmittelbelehrung zur „Beigabe eines kostenlosen Rechtsanwaltes“, den er beantrage. Am 28.04.2021 langte ein weiteres Schreiben ein, in welchem er auf das am 09.04.2021 bei der Behörde eingelangte Schreiben verwies und ergänzte, dass er widerrechtlich seiner Freiheit beraubt worden sei. Der Richter des LG für Strafsachen XXXX (Verurteilung vom 30.07.2018 zu Zl XXXX ) habe Beweismittel gefälscht und werde dabei von Staatsanwälten und Richtern, auch vom OLG, gedeckt. Auch die Gutachten seien gefälscht. Er habe seit seiner Inhaftierung über 60 Richter und Staatsanwälte aus der XXXX Staatsanwaltschaft einer Straftat überführt, die aber alle von den Staatsanwälten Rückendeckung erhalten würden. Das Urteil sei nie rechtskräftig geworden und er beantrage die Beiziehung seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufungsschrift vom 03.03.2020. Der OGH habe nicht seine Beschwerde vom 03.03.2020 zurückgewiesen, sondern eine von den Rechtsanwälten gefälschte Beschwerde vom 04.03.2020, welche er selbst nie unterschrieben habe. Es habe keinen Mord gegeben, da die klassischen Merkmale eines Erstickungstodes bei seinem Vater nicht gegeben gewesen seien.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 29.04.2021 wurde gemäß § 67 Absatz 1 und 3 Fremdenpolizeigesetz gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Absatz 3 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Der Bescheid wurde am 03.05.2021 vom Beschwerdeführer übernommen, ebenso eine Information über die Möglichkeit einer Rechtsberatung durch die BBU GmbH.

Mit Schriftsatz vom 05.05.2021, eingelangt bei der belangten Behörde am 11.05.2021 wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltlich wurde im Wesentlichen argumentiert, dass der Beschwerdeführer in Österreich laufende Verfahren habe, bei welchen seine Anwesenheit zwingend erforderlich sei; das Bezirksgericht weigere sich „mittels Sabotage“ sein Eigentum am Haus seines verstorbenen Vaters ins Grundbuch aufzunehmen. Er habe seine Unschuld am Tod seines Vaters nachgewiesen und gebe es kein rechtskräftiges Urteil, da seine Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung vom 03.03.2020 unterdrückt worden sei. Er sei „praktizierender Sachverständiger und Gutachter und habe die gerichtsmedizinischen Gutachten gerichtsverwertbar“ widerlegt. Er habe auch bereits dem deutschen Außenminister und dem deutschen Botschafter „zu verstehen gegeben“, dass er keinen Tag länger als nötig in einem Land wie Österreich bleiben wolle, das von derart kriminellen Strukturen geleitet werde; aufgrund seiner Gerichtsverfahren sei seine Anwesenheit in Österreich aber notwendig.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.05.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der im Punkt I. angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt wird festgestellt.

Weiters wird festgestellt, dass beim Bezirksgericht XXXX (im Folgenden: BG) zur Zahl XXXX ein Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters für den Beschwerdeführer anhängig ist. Das Verfahren wurde am 25.03.2020 angeregt und ist noch nicht rechtskräftig beendet.

Für die Vertretung vor Gericht in Verfahren einschließlich Grundbuchsangelegenheiten betreffend die Liegenschaft EZ XXXX wurde bereits mit Beschluss des BG XXXX vom 01.12.2020 zu Zl. XXXX gemäß § 120 AußStrG ein einstweiliger Erwachsenenvertreter bestellt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang und zum rechtserheblichen Sachverhalt konnten aufgrund der Aktenlage zum vorliegenden Verfahren und - betreffend das Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters – aufgrund des vom BG XXXX übermittelten Beschlusses vom 01.12.2020 zu Zl. XXXX und der von der zuständigen Richterin erteilten Informationen getroffen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gesetzliche Grundlagen

Die einschlägigen Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) lauten:

"§ 9. Insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, ist sie von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.

§ 38. Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat dazu ausgeführt:

"Die Frage der Handlungsfähigkeit und somit auch jene der Prozessfähigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von der Behörde als Vorfrage (iSd § 38 AVG) zu beurteilen. Einen Mangel der Prozessfähigkeit hat sie in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Mangelt es einem Adressaten einer Verfahrenshandlung (insbesondere auch eines Bescheides) in Bezug auf den Verfahrensgegenstand an der Prozessfähigkeit, so geht die Verfahrenshandlung insofern ins Leere, als sie diesem Adressaten gegenüber keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Die Behörde kann diesfalls Verfahrenshandlungen rechtswirksam nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter setzen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. Feber 2016, Ra 2016/19/0007, mwN sowie die in Hengstschläger/Leeb, AVG I2, unter Rz 5 f zu § 9 AVG wiedergegebene weitere Judikatur)" (VwGH 12.09.2017, Ra 2017/16/0078)."

Beurteilung des konkreten Sachverhaltes

Derzeit ist ein bezirksgerichtliches Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters für den Beschwerdeführer anhängig. Daher ist fraglich, ob der Beschwerdeführer die erforderliche Prozessfähigkeit in Bezug auf den Verfahrensgegenstand besitzt bzw. zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides besaß. Das Vorhandensein der Prozessfähigkeit ist jedoch Voraussetzung für die Wirksamkeit des verwaltungsbehördlichen Verfahrens, des Verfahrenshilfeantrags sowie der Beschwerdeerhebung durch den Beschwerdeführer bzw. die Vollmachterstattung an die BBU einerseits, aber auch jeder diese betreffende Verfahrenshandlung andererseits. Daher ist, abhängig vom Zeitpunkt des Eintritts einer allfälligen Prozessunfähigkeit, auch fraglich, ob der angefochtene Bescheid wirksam erlassen wurde.

Somit stellt die Frage der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG dar. Da diese Vorfrage schon den Gegenstand des Verfahrens zur Überprüfung der Notwendigkeit zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters bildet, ist das BVwG berechtigt, das Verfahren bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung in dem genannten Verfahren auszusetzen. Eine Beurteilung der Prozessfähigkeit unmittelbar durch das BVwG würde voraussichtlich nicht zu einer rascheren Klärung dieser Vorfrage führen, zumal dies der Beiziehung eines Sachverständigen zur Beurteilung des geistigen und psychischen Gesundheitszustands des Beschwerdeführers bedürfte.

Bis zur Entscheidung über das beim BG anhängige Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters wird das gegenständliche Beschwerdeverfahren daher gemäß § 17 VwGVG iVm §§ 9, 38 AVG ausgesetzt.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Aussetzung Bestellungsverfahren Bezirksgericht Erwachsenenvertreter gefährliche Drohung Gewalttätigkeit Handlungsfähigkeit Mord Notwendigkeit Prozessfähigkeit Verbrechen Vorfrage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2242648.1.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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