TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 I422 2233937-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z1
NAG §51 Abs1 Z2
NAG §53a Abs1
NAG §55 Abs3
StGB §83 Abs1
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I422 2233937-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Leopold ZECHNER, Friedrichallee 3, 8600 Bruck an der Mur gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.04.2020, Zl. 1182203110-190525733, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2020 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird vollumfänglich stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Schreiben vom 20.05.2019 befasste die Niederlassungsbehörde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge belangte Behörde) im Sinne des § 55 Abs. 3 NAG zur Überprüfung, ob der rechtmäßige Aufenthalt einer rumänischen Staatsangehörigen (in Folge Beschwerdeführerin) noch vorliegt und allenfalls um Einleitung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 14.04.2020, Zl.1182203110-190525733 wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes aus dem Bundesgebiet aus (Spruchpunkt I.) und erteilte ihr einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung (Spruchpunkt II.).

Gegen diese Entscheidung erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 13.10.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit am 13. Oktober 2020 mündlich verkündeten und mit 30. Oktober 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis I422 2233937-1/21E als unbegründet ab und stellte im Wesentlichen fest, dass von aufgrund einer nicht nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit von keiner Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen ist.

Einer dagegen erhobenen Revision gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18.03. 2021, Ra 2020/21/0532-8 statt und behob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes. In seiner Entscheidung verwies der Verwaltungsgerichtshof darauf, dass der gegenständliche Fall lediglich unter dem Gesichtspunkt des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG (Vorliegen ausreichender Existenzmittel und eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes) beurteilt habe und dem jedoch eine Prüfung des Erwerbs eines allfälligen Daueraufenthaltsrechtes nach § 53a NAG voranzugehen hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Rumänien. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin leidet an verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Aus ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen resultierte eine bloß vorübergehende Arbeitsunfähigkeit.

Die Beschwerdeführerin wurde in XXXX in Rumänien geboren, wo sie auch aufwuchs. In ihrem Herkunftsstaat besuchte die Beschwerdeführerin zehn Jahre lang die Pflichtschule und anschließend absolvierte sie eine Ausbildung als Schneiderin.

Die Beschwerdeführerin wohnt in Österreich mit ihrem österreichischen Lebensgefährten Alfred Z(…) in einem gemeinsamen Haushalt an einer gemeinsamen Adresse. Die beiden haben auch beabsichtigt zu heiraten. Die Beschwerdeführerin verfügt über einen in Rumänien aufhältigen, volljährigen Sohn, zwei Brüder und Eltern, sodass sie in deren Form noch familiäre Anknüpfungspunkte zu ihrem Herkunftsstaat hat. Zu ihren in Rumänien aufhältigen Verwandten hat die Beschwerdeführerin weiterhin regelmäßig telefonischen Kontakt.

Die Beschwerdeführerin reiste erstmals am 08.04.2015 in das Bundesgebiet ein und hält sich seit diesem Zeitpunkt zuerst für einen kurzen Zeitraum von einem bis einigen wenigen Monaten (zunächst abwechselnd einen Monat in Österreich und einen Monat in Rumänien), später durchgehend ab dem 08.06.2018 durchgehend im Bundesgebiet auf und war zu diesen Zeitpunkten jeweils melderechtlich erfasst. Die Abwesenheiten außerhalb des Bundesgebietes umfassten im ersten Jahr des Aufenthalts ab 08.04.2015 bis 08.04.2016 gesamt 14 Wochen, im zweiten Jahr des Aufenthalts von 08.04.2016 bis 08.04.2017 hingegen neun Tage, im dritten Jahr von 08.04.2017 bis 08.04.2018 einen Monat und im fünften Jahr ihrer Anwesenheit von 08.04.2018 bis 08.04.2019 in Österreich lediglich ca. drei Wochen. Im vierten Aufenthaltsjahr vom 08.04.2017 bis 08.04.2018 war sie durchgehend in Österreich gemeldet und erwerbstätig.

Die Beschwerdeführerin war in der Zeit vom 08.04.2015 bis zum 31.12.2018 als selbstständig Versicherte in Österreich aufhältig und als Pflegekraft mit einigen unerheblichen Unterbrechungen tätig. Dem folgte in den Zeiträumen 13.02.2019 bis 12.04.2019 und 27.05.2019 bis 26.08.2019 eine unselbständige Beschäftigung bei der Stadtgemeinde B(...) als Reinigungskraft. In den Zeiträumen 22.05.2019 bis 26.05.2019, 17.09.2019 bis 24.11.2019 und 23.11.2020 bis 05.12.2020 bezog die Beschwerdeführerin Arbeitslosengeld. Im Zeitraum von 04.09.2019 bis 16.09.2019 bezog die Beschwerdeführerin Krankengeld. Seit dem 30.12.2020 befindet sie sich bis dato im Arbeitslosengeldbezug. Es ergaben sich keine maßgeblichen Zeiträume, in denen die Beschwerdeführerin zwar gemeldet war, jedoch nicht krankenversichert war.

Am 28.01.2019 beantragte sie die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer). Über diesen Antrag wurde am 15.04.2019 entschieden und eine bis zum 14.04.2024 befristete Anmeldebescheinigung ausgestellt.

Die Beschwerdeführerin ist bei dem AMS als arbeitssuchend gemeldet und steht mit der für sie zuständigen regionalen Geschäftsstelle in regelmäßigem Kontakt. Sie ist um die berufliche Reintegration bemüht und arbeitswillig.

Die Beschwerdeführerin spricht einfaches und rudimentäres Deutsch und weist über keine maßgeblichen und integrativen Anbindungen an das Bundesgebiet auf.

Am 18.12.2017 wurde die Beschwerdeführerin rechtskräftig mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX wegen des Verbrechens der einfachen Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von Gesamt EUR 320,00, im Fall der Nichteinbringung zu 40 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 14.04.2020 wurde die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und ihr ein einmonatiger Durchsetzungsaufschub erteilt.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides und der Angaben im Beschwerdeschriftsatz sowie den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 13.10.2020. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Sozialversicherungsträgers und des Strafregisters eingeholt.

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, insbesondere ihrer Identität, ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und den Angaben in der mündlichen Verhandlung. Bei dieser wies sich die Beschwerdeführerin mit einem rumänischen Personalausweis aus, weshalb ihre Identität feststeht.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin an verschiedenen Erkrankung leidet, beruht auf ihrem gesamten Vorbringen im Verfahren sowie auf den zahlreichen vorgelegten ärztlichen Befunden. Aus diesen geht hervor, dass die Beschwerdeführerin unter anderem an einer Beckenbodenverrenkung, einer chronischen Lungenerkrankung (COPD), einer Nasenscheidewandverkrümmung, einer Trommelfellperforation, an Diabetes, an Fettleibigkeit sowie an einer schizoaffektiven Störung leidet.

Dass darüber hinaus davon auszugehen ist, dass ihre Arbeitsunfähigkeit bloß vorübergehender Natur ist, ergibt sich aufgrund des erhobenen Gesamtsachverhaltes: So befand sich die Beschwerdeführerin laut Auszug des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger seit 25.11.2019 als „Sonderfall“ durchgehend im Krankenstand. Auch wenn ein derzeitiges Ende der Arbeitsunfähigkeit nicht absehbar ist, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei der Beschwerdeführerin eine dauernde Arbeitsunfähigkeit gegeben ist und wurde ihr derartiges bislang nicht attestiert. Auch liegt auch keine Zuerkennung der Invaliditätspension vor, aus der sich eine Arbeitsunfähigkeit begründet. Diese Ausführungen zusammen mit dem Umstand, dass weiterhin ein Arbeitslosengeld seitens der Sozialversicherung bezogen wird, sprechen dafür, dass hinreichend Anhaltspunkte dafür gegeben sind, um keine dauernde Arbeitsunfähigkeit ab diesem Zeitpunkt anzunehmen. Schließlich ist es für die Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz AlVG notwendig, dass sich der Antragsteller der AMS-Hilfe beim Arbeitsmarktservice als arbeitssuchend meldet. Auch muss der Begünstigte aus dem AlVG gemäß § 7 Abs. 2 AlVG eine Beschäftigung aufnehmen können, arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos sein. Ohne einen solchen Sachverhalt zu verwirklichen kann kein Arbeitslosengeld bezogen werden. Die Beschwerdeführerin gab in der mündlichen Verhandlung am 13.10.2020 explizit und glaubhaft an, gerne arbeiten zu wollen, aber aufgrund ihrer derzeitigen gesundheitlichen Situation sei sie dazu nicht in der Lage. Sofern sie in der mündlichen Verhandlung vorbrachte, über eine mündliche Einstellungszusage zu verfügen, ist dies zunächst aufgrund ihrer nicht zu beanstandenden Meldungs- und Beschäftigungshistorie im Inland glaubhaft. Auch steht sie mit AMS in regelmäßigem Kontakt, was aufgrund ihrer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung plausibel erscheint. Schließlich ist die Beschwerdeführerin seit ihrer Einreise im April 2014 regelmäßig einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgekommen und hat nur seit der Diagnose ihrer bestehender Krankheiten Probleme bei der Ausübung von Arbeit. Die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte gaben außerdem übereinstimmend an, dass die Beschwerdeführerin keinen Antrag auf Invaliditätspension gestellt hat.

Aus den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung resultieren die Feststellungen zur Herkunft der Beschwerdeführerin, ihrer Schul- und Berufsausbildung und ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit in Rumänien.

Aus ihren Angaben vor dem erkennenden Gericht und der zeugenschaftlichen Einvernahme ihres Lebensgefährten, gründen die Feststellung zur ihrer familiären Situation und den in Rumänien aufhältigen Verwandten.

Der Aufenthalt und die melderechtliche Erfassung der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ergeben sich aus der Einsichtnahme in das ZMR. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung tätigte die Beschwerdeführerin und deren Lebensgefährte die entsprechenden Ausführungen hinsichtlich ihrer Unterkunft und die daraus entspringenden Kosten.

Die Feststellungen zu den Erwerbstätigkeiten und zum Bezug von Sozialleistungen beruhen auf dem eingeholten Auszug des Sozialversicherungsträgers sowie auf dem damit übereinstimmenden Vorbringen der Beschwerdeführerin im Beschwerdeschriftsatz und den Angaben in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin beim Arbeitsmarktservice zur Arbeitssuche gemeldet ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass ohne eine solche Bereitschaft kein Arbeitslosengeld hätte bezogen werden können. Darüber hinaus gab die Beschwerdeführerin dahingehend glaubhafte Angaben, in dem sie anführte, dass sie jedenfalls arbeiten gehen wolle. Der Antrag auf Anmeldung und die Anmeldebescheinigung liegen dem Akt an.

Aus den Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Lebensgefährten aus dem Inhalt der vorgelegten Unterlagen und einer Einsichtnahme in einen Auszug des Sozialversicherungsträgers ergeben sich Anhaltspunkte zur Tätigkeit und deren monatliches Einkommen, den Barmitteln und nicht vorhandenen Vermögensständen in Österreich und Rumänien sowie dem Nichtvorliegen von Verbindlichkeiten oder Schulden. Die Höhe des Krankengeldes ist durch die im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kontoauszüge der Beschwerdeführerin belegt. Neben ihrem monatlichen Krankengeldbezug weise ihr Girokonto ein Guthaben in Höhe von rund EUR 11,- auf. Das Vorhandensein allfälliger Vermögensgegenstände bestätigte sich nicht. So verneinte sie in der mündlichen Verhandlung das Vorhandensein von Spar- oder sonstigen Veranlagungsguthaben und verwies sie darauf, dass ihre gesamten Ersparnisse in die Ausbildung des Sohnes geflossen seien.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte sich der erkennende Richter von den rudimentär vorhandenen Deutschkenntnissen der Beschwerdeführerin persönlich überzeugen und bestätigte die Beschwerdeführerin, dass sie im Bundesgebiet keine maßgeblichen, sozialen und integrativen Anbindungen aufweist. Sie habe lediglich Kontakt zu einigen Kolleginnen mit denen sie sich ab und zu trifft. Sie ist in keinem Verein oder sozial tätig.

Die strafgerichtliche Verurteilung ist aus dem eingeholten Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich ersichtlich.

Der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 14.04.2020, Zl. 1182203110-190525733 liegt im Verwaltungsakt ein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Rechtslage:

Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet auszugsweise:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.“

Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ überschriebene § 55 NAG lautet:

„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

3.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall:

Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehörige von Rumänien EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Ein EWR-Bürger erwirkt ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht, wenn er gemäß § 53a Abs. 1 NAG fünf Jahre hindurch rechtmäßig iSd § 51 NAG und ununterbrochen im Bundesgebiet aufhältig ist.

Wie umseits festgestellt, ist die Beschwerdeführerin seit ihrem ersten Aufenthalt am 08.04.2015 im Bundesgebiet ohne Unterbrechung im Sinne des § 53a Abs 2 NAG aufhältig. Während dieser Zeit war sie in Österreich aufrecht gemeldet und ging einer Erwerbstätigkeit oder einer Erwerbstätigkeit gleichzustellenden Beschäftigung nach. Während des gemeldeten Aufenthaltes war die Beschwerdeführerin in diesem Sinne zunächst als selbstständig Erwerbstätige und anschließend als unselbständig beschäftigte Arbeitnehmerin tätig und bezog sie zuletzt Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.

Der Umstand, dass sie seit dem 17.09.2019 Arbeitslosengeld aus der Sozialversicherung bezog, kann ihr bei der Beurteilung ihres Aufenthaltsrechtes nicht angelastet werde, zumal gemäß höchstgerichtlicher Judikatur der Bezug von Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung und nicht als Sozialhilfeleistung zu werten ist (vgl. VwGH am 22.03.2011, 2009/18/0402; 28.10.2009, 2007/01/0295) und war sie zu diesem Zeitpunkt jedenfalls zum Aufenthalt gemäß § 51 Abs. 1 NAG berechtigt.

Die Erwerbstätigeneigenschaft iSd § 51 Abs. 1 Z 1 NAG 2005 bleibt gemäß § 51 Abs. 2 Z 2 und 3 NAG 2005 unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen aufrecht, wenn sich der arbeitslos gewordene EWR-Bürger der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, unabhängig davon, ob er Arbeitslosengeld oder nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nur mehr Notstandshilfe bezieht (vgl. VwGH am 16.07.2020, Ra 2019/21/0247).

Die Erwerbstätigeneigenschaft gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 leg. cit. bleibt also gemäß § 51 Abs. 2 Z 1 leg. cit. bei bloß vorübergehender Arbeitsunfähigkeit erhalten (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0177).

Die Beschwerdeführerin erfüllte all diese Voraussetzungen für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechtes nach § 53a Abs. 1 NAG, nachdem ein durchgehender und rechtmäßiger Aufenthalt vorliegen. Da sie sich seit dem 08.04.2015 mit - wie zuvor dargelegt – wenigen, unmaßgeblichen und geringfügigen Unterbrechungen im Bundesgebiet aufhielt, sie während dieser Zeit einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachging und ihre Erwerbstätigeneigenschaft durch ihre vorübergehende Arbeitsunfähigkeit nicht beendet wird. Somit kommt ihr ein Daueraufenthaltsrecht nach § 53a Abs. 1 NAG zu.

Ist das Recht eines Unionsbürgers auf Daueraufenthalt im Inland gegeben, bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob auch die sonstigen, für einen mehr als drei Monate währenden Inlandsaufenthalt notwendigen Voraussetzungen (wie ausreichende Existenzmittel und umfassender Krankenversicherungsschutz) noch vorliegen (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132; OGH 21.07.2011, 10 Ob S 20/11f).

Für Unionsbürger, die – gemäß § 53a Abs. 1 NAG 2005 nach einem fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet – das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) entspricht, heranzuziehen (vgl. VwGH 22.12.2020, Ra 2020/21/0452).

Eine Ausweisung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 letzter Satz FPG ist aufgrund ihrer einmaligen geringfügigen strafrechtlichen Verurteilung keinesfalls gerechtfertigt. Es handelt sich bei dem verübten Vergehen der einfachen Körperverletzung um keine hinreichend gravierende Tatverwirklichung, die den fortgeschrittenen Maßstab einer schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfüllen kann. Darüber hinaus handelte es sich bei der Tat um die erste Tat der Beschwerdeführerin. Bis dahin führte die Beschwerdeführerin ein tadelloses Leben ohne jeglichen Hang zur Kriminalität. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin rückfällig wird. Auch das Strafgericht erkannte diesen Umstand und passte die Strafe in der Strafbemessung in der Art an, dass es sich bei einem Strafausmaß von einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen an der unteren Grenze des Strafausmaßes aufhielt. Es begnügte sich mit einer Geldstrafe von lediglich EUR 320,00. Eine von der Judikatur geforderte „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ (vgl. VwGH 05.02.2021, Ra 2020/21/0439) kann nicht erkannt werden.

Die Ausweisung der Beschwerdeführerin mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erfolgte daher zu Unrecht und war in Stattgabe der Beschwerde der angefochtene Bescheid daher ersatzlos zu beheben. Dies bedingte in weiterer Folge auch die Gegenstandslosigkeit des der Beschwerdeführerin mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gewährten Durchsetzungsaufschubes.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung über die Aufenthaltsberechtigung von EWR-Bürgern von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Ersatzentscheidung ersatzlose Behebung Erwerbstätigkeit EU-Bürger EWR-Bürger finanzielle Mittel Integration Interessenabwägung Kassation Körperverletzung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Sozialleistungen Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I422.2233937.1.00

Im RIS seit

13.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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