TE Vwgh Beschluss 2021/8/27 Ra 2021/19/0173

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Veröffentlicht am 27.08.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/19/0174
Ra 2021/19/0175
Ra 2021/19/0176
Ra 2021/19/0177
Ra 2021/19/0178

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache 1. des H N, 2. der M N, 3. des A N, 4. des W N, 5. der M N, und 6. des M N, alle vertreten durch Mag. Ali Polat, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Andreasgasse 4/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. März 2021, 1. W192 2212507-1/32E, 2. W192 2212508-1/26E, 3. W192 2212505-1/21E, 4. W192 2212516-1/13E, 5. W192 2212513-1/13E, und 6. W192 2212509-1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Fünftrevisionswerberin und des minderjährigen Sechstrevisionswerbers. Der mittlerweile volljährige Dritt- und der weiterhin minderjährige Viertrevisionswerber sind Brüder des Erstrevisionswerbers, welchem mit Beschluss des zuständigen Bezirksgerichtes vom 11. Juni 2018 die Obsorge über die - im damaligen Zeitpunkt noch beide minderjährigen - Revisionswerber übertragen wurde. Die Revisionswerber sind alle afghanische Staatsangehörige und stellten gemeinsam mit einer weiteren minderjährigen Tochter des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin am 15. Februar 2016 - sowie für den Sechstrevisionswerber nach dessen Geburt am 19. Mai 2017 - Anträge auf internationalen Schutz. Im Wesentlichen wurden die Anträge damit begründet, dass der Erstrevisionswerber von einer Gruppe von Männern bedroht worden sei, weil er der Polizei einen zufälligen Waffenfund gemeldet habe. Die Revisionswerber würden überdies von einem den Taliban nahestehenden Cousin der Zweitrevisionswerberin wegen eines religiös motivierten Streits bedroht. Die Zweitrevisionswerberin sei zudem westlich orientiert.

2        Mit Bescheiden vom 12. Dezember 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Gegen diese Bescheide erhoben sowohl die Revisionswerber als auch die weitere minderjährige Tochter jeweils Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Dort wurden die Beschwerden der Revisionswerber der Gerichtsabteilung W192 zugewiesen, wogegen jene der weiteren minderjährigen Tochter unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 20 Abs. 2 AsylG 2005 der Gerichtsabteilung W175 zugewiesen wurde.

4        Mit dem unangefochten gebliebenen Erkenntnis vom 19. März 2021 wies das BVwG die Beschwerde der weiteren minderjährigen Tochter als unbegründet ab.

5        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom gleichen Tag wies das BVwG die Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6        Begründend ging das BVwG - insbesondere aufgrund abweichender Angaben im Laufe des Verfahrens - von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus. Bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat drohe den Revisionswerbern keine reale Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK. Den Revisionswerbern sei im Hinblick auf ihren Voraufenthalt in Herat und in Helmand sowie in Anbetracht der Erwerbsfähigkeit und Berufserfahrung des Erst- und des Drittrevisionswerbers als Autospengler - wodurch auch der Lebensunterhalt der übrigen Revisionswerber gesichert sei - jedenfalls die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Nach Durchführung einer Interessenabwägung gelangte das BVwG zum Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts der Revisionswerber im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und die Rückkehrentscheidung somit keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Revisionswerber darstelle.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision (gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert) vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0599, mwN).

11       Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision, die sich nicht gegen die vom BVwG angenommene Zumutbarkeit des Aufbaues einer Existenzgrundlage trotz besonderer Vulnerabilität der minderjährigen Revisionswerber und ohne Unterstützungsnetzwerk vor Ort wendet, unter Hinweis auf näher genannte Länderberichte zunächst vor, das BVwG habe es unterlassen, die aktuellen Entwicklungen zur Sicherheitslage in Afghanistan - insbesondere im Hinblick auf den Rückzug ausländischer Truppen und das Erstarken der Taliban, was dazu führen würde, dass Menschen unter unwürdigen Verhältnissen leben müssten - zu ermitteln. Überdies habe es keine Feststellungen zur Covid-19-Pandemie getroffen und sich mit deren Auswirkungen auf die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht auseinandergesetzt.

12       Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2021/19/0162, mwN). Diesen Anforderungen wird die diesbezüglich allgemein gehaltene Revision nicht gerecht.

13       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.

14       Ferner bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe - im Hinblick auf das Verfahren der weiteren minderjährigen Tochter - entgegen der gesetzlichen Regelung gemäß § 34 Abs. 4 und 5 AsylG 2005 davon abgesehen, die Verfahren sämtlicher Familienangehöriger als Familienverfahren „unter einem“ zu führen. Die im Verfahren der weiteren minderjährigen Tochter angegebenen Asylgründe bzw. dessen Ausgang hätten sich jedoch zu Gunsten der Revisionswerber auswirken können.

15       Mit diesem Vorbringen machen die Revisionswerber erneut einen Verfahrensmangel geltend. Über die Beschwerden der Revisionswerber sowie der weiteren minderjährigen Tochter wurde - wenngleich von unterschiedlichen Richtern - vom BVwG gleichförmig entschieden, indem in der Sache weder den Revisionswerbern noch der weiteren minderjährigen Tochter ein Schutzstatus zugesprochen und damit dem Ziel der Vorschrift des § 34 Abs. 4 und 5 AsylG 2005, allen Familienangehörigen den gleichen Schutzstatus zu gewähren, entsprochen wurde. Durch die gleichförmigen Entscheidungen in sämtlichen Beschwerdeverfahren ist auch die Aufrechterhaltung des Familienverbandes nicht gefährdet. Dem behaupteten Verfahrensmangel fehlt somit die für die Zulässigkeit der Revision notwendige Relevanz (vgl. VwGH 19.6.2019, Ra 2018/01/0204).

16       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 27. August 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190173.L00

Im RIS seit

15.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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