TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/27 W189 2180309-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.04.2021
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Entscheidungsdatum

27.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs7
AsylG 2005 §8
AVG §13 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
IntG §9
NAG §81 Abs36
VwGVG §17
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §7 Abs2

Spruch


W189 2180309-1/8E
W189 2180313-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

I. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Ukraine, vertreten durch Embacher Neugschwendtner Rechtsanwälte, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX :

A)

Das Verfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Ukraine, vertreten durch Embacher Neugschwendtner Rechtsanwälte, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

Gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, und gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX und XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: der BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: die BF2), Staatsangehörige der Ukraine, stellten nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurden am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Die ukrainischen Inlandspässe der Beschwerdeführer (in der Folge: die BF) wurden polizeilich sichergestellt (AS 21 des BF1 bzw. AS 13 der BF2).

2. Am XXXX legte der BF1 seinen ukrainischen Führerschein und seine ukrainische Geburtsurkunde mitsamt beglaubigten Übersetzungen vor (AS 59 ff des BF1).

3. Am XXXX bzw. am XXXX wurden die BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) niederschriftlich einvernommen.

Dabei legte der BF1 sein ukrainisches Wehrdienstbuch (AS 81 ff des BF1), eine Bestätigung vom XXXX über den erfolgreichen Abschluss des Kurses „Deutsch für Anfänger mit geringen Vorkenntnissen“ im Rahmen des Vorstudienlehrganges der Wiener Universitäten (AS 103 des BF1), ein Zertifikat des ÖSD vom XXXX über eine bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau A2 (AS 105 des BF1) und eine Vereinbarung zur ehrenamtlichen Mitarbeit im Pensionistenwohnhaus XXXX vom XXXX (AS 109 ff des BF1) vor.

Die BF2 legte ihre ukrainische Geburtsurkunde und ihre ukrainische Heiratsurkunde mitsamt beglaubigten Übersetzungen vor (AS 61 ff der BF2).

4. Mit Schreiben vom XXXX gaben die BF eine Stellungnahme zur Lage in der Ukraine ab.

Für den BF1 wurden (neu) folgende Integrationsunterlagen vorgelegt: Ein Zertifikat des „Internationalen Kulturinstituts“ vom XXXX über eine bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau A2 (AS 143 des BF1), ein Bescheid der Universität Wien vom XXXX über die bedingte Zulassung zum Bachelorstudium Statistik (AS 178 des BF1), eine Anmeldebestätigung des Vorstudienlehrgangs der Wiener Universitäten vom XXXX (AS 182 des BF1), ein Studentenausweis der Universität Wien vom XXXX (AS 184 des BF1), eine Bestätigung der „DeutschAkademie“ vom XXXX über die Teilnahme an einem Deutschkurs auf dem Niveau A1 (AS 186 des BF1) und ein E-Mail vom XXXX über die Ablehnung einer Bewerbung für das Mentoringprogramm bei XXXX (AS 188 des BF1).

Für die BF2 wurden (neu) folgende Integrationsunterlagen vorgelegt: Ein Zertifikat des ÖSD vom XXXX über eine bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau B1 (AS 100 der BF2), ein Bescheid der Universität Wien vom XXXX über die bedingte Zulassung zum Bachelorstudium Statistik (AS 223 der BF2), eine Anmeldebestätigung des Vorstudienlehrgangs der Wiener Universitäten vom XXXX (AS 221 der BF2), ein Studentenausweis der Universität Wien vom XXXX (AS 219 der BF2), ein E-Mail vom XXXX über eine Bewerbung für die „ XXXX -Talentesuche“ (AS 217 der BF2), ein Unterstützungsschreiben der in Österreich wohnhaften Schwester der BF2 vom XXXX (AS 189 ff des BF1), drei weitere Empfehlungsschreiben vom XXXX , XXXX und XXXX (AS 87, 88 und 213 der BF2), eine Arbeitsplatzzusage der Firma „ XXXX “ vom XXXX (AS 89 der BF2), eine im XXXX ausgestellte Mitgliedskarte des Roten Kreuzes (AS 109 der BF2), eine Vereinbarung zur ehrenamtlichen Mitarbeit im Pensionistenwohnhaus XXXX vom XXXX (AS 95 ff der BF2), ein Zeugnis des Vorstudienlehrgangs der Wiener Universitäten vom XXXX über eine bestandene Deutsch-Ergänzungsprüfung (AS 108 der BF2) und ein Zertifikat des „Internationalen Kulturinstituts“ vom XXXX über eine bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau B1 (AS 227 der BF2).

5. Am XXXX legten die BF die ukrainischen Arbeitsbücher des BF1 und der BF2 sowie ein ukrainisches Sammelzeugnis des BF1 über das Studium „Wärmeenergetik“ und ein ukrainisches Sammelzeugnis der BF2 über das Studium „Finanzen und Kredit“ an der Staatlichen Akademie für Ingenieurswesen XXXX samt beglaubigter Übersetzungen, sowie außerdem medizinische Befunde der Schwester der BF2 vom XXXX wonach jene an einer akuten Belastungsreaktion und einer Panikstörung leide, vor (AS 207 ff des BF1).

6. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde ihnen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung gegen die BF erlassen (Spruchpunkt IV.) und die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine festgestellt (Spruchpunkt V.), sowie eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

7. Am XXXX erhoben die BF durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde, in welcher Nachweise über eingelöste Dienstleistungsschecks der BF2 im Zeitraum XXXX (AS 410 ff des BF1), Bestätigungen vom XXXX über die ehrenamtliche Tätigkeit der BF im Pensionistenwohnhaus XXXX im Zeitraum XXXX (AS 415 f des BF1), ein Nachweis über die Erwerbstätigkeit der Schwester der BF2 und ein medizinischer Befund der Schwester der BF2, wonach dieser atyp. Thoraxschmerz und Intercotaleuralgie diagnostiziert wurde, (AS 415 ff des BF1) und ein undatiertes, aktuelles Empfehlungsschreiben (AS 418 des BF1) vorgelegt wurden. Neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wurde die zeugenschaftliche Einvernahme der Schwester der BF2 beantragt.

8. Mit Stellungnahme vom XXXX machten die BF Ausführungen zu ihrem Privatleben und legten eine Bestätigung der Universität Wien über die positiv absolvierten Prüfungen des BF1 im Bachelorstudium Wirtschaftsinformatik vom XXXX und der BF2 im Bachelorstudium Soziologie vom XXXX , einen Nachweis der BVAEB über eingelöste Dienstleistungsschecks der BF2 im Zeitraum XXXX im Gesamtwert von EUR 5.268,-, eine Einstellungszusage des BF1 für die Stelle „Administrator/Kundenbetreuung“ durch die Firma „ XXXX “ vom XXXX und vom XXXX , einen Versicherungsdatenauszug der BF2 vom XXXX drei Empfehlungsschreiben vom XXXX , eine Bestätigung über die ehrenamtliche Arbeit der BF im Pensionistenwohnhaus XXXX vom XXXX für den Zeitraum XXXX sowie zwei gleichgeartete Bestätigungen für die BF2 vom XXXX für den Zeitraum XXXX und vom XXXX für den Zeitraum XXXX , Bestätigungen des Roten Kreuzes über Blutspenden der BF am XXXX und XXXX , sowie eine Bestätigung des Vorstudienlehrgangs der Wiener Universitäten vom XXXX über die Teilnahme des BF1 am „Transkulturellen Praktikum: Lehren und Lernen im interkulturellen Kontext“ vor (OZ 5).

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher die BF, ihre Rechtsvertretung, sowie die Schwester der BF2 als Zeugin teilnahmen. Das BFA ist der Verhandlung entschuldigt ferngeblieben. Die BF wurden ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu ihren Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern.

Die BF zogen im Rahmen der Verhandlung nach Besprechung mit ihrer Rechtsvertretung die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide ausdrücklich zurück.

Die BF legten im Zuge der Verhandlung ein Unterstützungsschreiben der Nichten der BF2 vom XXXX , eine Bestätigung der positiv absolvierten Prüfungen und ein Sammelzeugnis der BF2 im Bachelorstudium Soziologie vom XXXX und einen Nachweis der BVAEB über eingelöste Dienstleistungsschecks der BF2 im XXXX im Wert von EUR 36,- vor (Beilage ./1).

10. Am XXXX legten die BF eine Einstellungszusage des BF1 für die Stelle „Administrator/Kundenbetreuung“ zu einem Bruttomonatslohn von EUR 1.657,- durch die Firma „ XXXX “ vom XXXX , eine Einstellungszusage der BF2 als Rezeptionsmitarbeiterin zu einem Bruttomonatslohn von EUR 950,- durch die Firma „ XXXX “ vom XXXX und einen Mietvertrag vor (OZ 7).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des BF1

Die Identität des BF1 steht fest. Er ist ukrainischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Ukrainer an. Er ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Er spricht Ukrainisch, Russisch und etwas Englisch. Er hat XXXX Jahre die Grundschule und vom XXXX bis zum XXXX die Staatliche Akademie für Ingenieurswesen XXXX besucht, wo er den Studiengang „Wärmeenergetik“ belegt hat. Er hat in der Ukraine als Schlosser und Chauffeur, sowie zuletzt als selbständiger Tee- und Kaffeeverkäufer gearbeitet.

Der BF1 ist in XXXX , Oblast XXXX , geboren und war bis zu seiner Ausreise dort wohnhaft. Die Mutter, der Stiefvater und der Bruder des BF1 leben weiterhin dort. Der BF1 hat Kontakt zu seinen Angehörigen

Der BF1 und die BF2 sind seit XXXX standesamtlich miteinander verheiratet.

Der BF1 ist gesund, kinderlos und strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Person der BF2

Die Identität der BF2 steht fest. Sie ist ukrainische Staatsangehörige und gehört der Volksgruppe der Ukrainer an. Sie ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Sie spricht Ukrainisch, Russisch, mittelmäßig Englisch und etwas Polnisch. Sie hat XXXX Jahre die Grundschule und vom XXXX bis zum XXXX die Staatliche Akademie für Ingenieurswesen XXXX besucht, wo sie den Studiengang „Finanzen und Kredit“ belegt hat. Sie hat in der Ukraine zuletzt als Bankangestellte gearbeitet.

Die BF2 ist in XXXX , Oblast XXXX , geboren und aufgewachsen. Sie hat von XXXX bis zu ihrer Ausreise in XXXX gelebt. Der Vater der BF2 ist verstorben. Die Mutter und der Bruder der BF2 leben im Oblast XXXX . Die BF2 hat zu ihrer Mutter Kontakt. Die Schwester und die drei Nichten der BF2 sind seit XXXX in Österreich wohnhaft und verfügen über Aufenthaltstitel.

Die BF2 ist gesund, kinderlos und strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zur Situation der BF in Österreich

Die BF sind seit ihrer Einreise im XXXX im Bundesgebiet aufhältig.

Der BF1 hat zuletzt am XXXX und am XXXX Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 bestanden. Die BF2 hat zuletzt am XXXX und am XXXX Deutschprüfungen auf dem Niveau B1 bestanden sowie am XXXX eine Deutsch-Ergänzungsprüfung des Vorstudienlehrgangs der Wiener Universitäten abgelegt. Die BF sind der deutschen Sprache auf ausgesprochen gutem Niveau mächtig.

Die BF beziehen Leistungen aus der Grundversorgung. Der BF1 ist nicht erwerbstätig. Die BF2 arbeitet seit XXXX auf Basis von Dienstleistungsschecks und hat dadurch bis einschließlich XXXX EUR 5.304,- verdient.

Der BF1 verfügt über eine Einstellungszusage vom XXXX für die Stelle „Administrator/Kundenbetreuung“ zu einem Bruttomonatslohn von EUR 1.657,- durch die Firma „ XXXX “ in XXXX . Die BF2 hat eine Einstellungszusage vom XXXX als Rezeptionsmitarbeiterin zu einem Bruttomonatslohn von EUR 950,- durch die Firma „ XXXX “ in XXXX , wobei sie die Option hat, ihre Arbeitszeit zu erhöhen.

Die BF wohnen seit XXXX privat in einer 47m² großen Mietwohnung zu einem monatlichen Mietzins von EUR 570,-.

Der BF1 betreibt seit XXXX an der Universität Wien das Bachelorstudium Wirtschaftsinformatik und hat bis zum XXXX zwei Prüfungen im Wert von 4 ECTS positiv absolviert. Die BF2 studiert seit XXXX an der Universität Wien das Bachelorstudium Soziologie und hat bis zum XXXX 30 Prüfungen im Wert von 132 ECTS bestanden. Die BF2 plant, binnen zwei Semestern das Studium, welches gesamt 180 ECTS umfasst, abzuschließen.

Die BF haben in den Jahren XXXX und XXXX von XXXX bis XXXX im Pensionistenwohnhaus XXXX ehrenamtlich gearbeitet. Die BF2 hat zudem vom XXXX bis XXXX und vom XXXX bis XXXX dort mitgeholfen. Die BF2 war zumindest von XXXX bis XXXX Mitglied des Roten Kreuzes. Die BF haben am XXXX und am XXXX Blut gespendet.

Die BF haben im Bundesgebiet Freunde und Bekannte gefunden. Die Schwester und die drei Nichten der BF2 leben seit XXXX in Österreich und verfügen über Aufenthaltstitel. Sie telefonieren regelmäßig, sehen sich einmal pro Woche persönlich und helfen einander. Die BF2 hat eine enge Beziehung zu ihren Nichten. Darüber hinaus bestehen keine weiteren, familiären oder sonstig verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen im Bundesgebiet.

Es bestehen auch keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens in Österreich.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person der BF

Die Identität der BF steht aufgrund der sichergestellten ukrainischen Inlandspässe fest. Ein Abruf des Zentralen Fremdenregisters ergab, dass diese Dokumente echt sind.

Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit der BF, ihren Sprachkenntnissen, ihrer Bildung und ihrer Berufserfahrung, den Geburts- und Aufenthaltsorten, ihren Angehörigen und deren Aufenthaltsorten sowie zum bestehenden Kontakt, sowie schließlich dazu, dass die BF standesamtlich verheiratet, kinderlos und gesund sind, ergeben sich aus den unstrittigen und glaubhaften Angaben der BF im Zuge ihrer Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX , ihrer Einvernahme durch das BFA am XXXX bzw. am XXXX , der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX sowie aufgrund ihrer im Zuge des Verfahrens vorgelegten ukrainischen Geburtsurkunden, Arbeitsbücher, Sammelzeugnisse und der vorgelegten Heiratsurkunde.

Dass die BF strafgerichtlich unbescholten sind, beruht auf einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

2.2. Zur Situation der BF in Österreich

Die Feststellung über die Einreise und den Aufenthalt der BF ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

Die Feststellungen über die zuletzt absolvierten Deutschprüfungen der BF folgen aus den im Laufe des Administrativverfahrens vorgelegten Zertifikaten und Zeugnissen des ÖSD, des „Internationalen Kulturinstituts“, bei welchem es sich um eine vom ÖSD zertifizierte Einrichtung handelt, und des Vorstudienlehrgangs der Wiener Universitäten (AS 105 und 143 des BF1; AS 100, 108 und 227 der BF2). Im Übrigen konnte sich das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst davon überzeugen, dass die BF der deutschen Sprache auf ausgesprochen gutem Niveau mächtig sind (Verhandlungsprotokoll S. 18).

Dass die BF Leistungen aus der Grundversorgung beziehen, stützt sich auf einen Auszug aus dem Grundversorgungssystem. Dass der BF1 nicht erwerbstätig ist, hat er zuletzt in der mündlichen Verhandlung angegeben (Verhandlungsprotokoll S. 19). Die Feststellungen über die Erwerbstätigkeit der BF2 auf Basis von Dienstleistungsschecks folgen den im Zuge des Verfahrens vorgelegten Nachweisen der BVAEB und ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung (OZ 5; Beilage ./1; Verhandlungsprotokoll S. 19 f).

Die Feststellungen über die Einstellungszusagen und den Mietvertrag folgen aus den zuletzt vorgelegten Unterlagen der BF (OZ 7).

Die Feststellungen über die Studien bzw. Studienleistungen der BF ergeben sich aus den vorgelegten Zeugnissen (OZ 5; Beilage ./1) und ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsprotokoll S. 18 f). Dass das Bachelorstudium Soziologie gesamt 180 ECTS umfasst, ist eine notorische Tatsache.

Dass die BF zu den festgestellten Zeiträumen in einem Pensionistenwohnhaus ehrenamtlich tätig waren, stützt sich auf die entsprechenden vorgelegten Bestätigungen (AS 415 f des BF1; OZ 5). Dass die BF2 zumindest zum festgestellten Zeitraum Mitglied des Roten Kreuzes war und die BF zweimal Blutspenden waren, haben sie ebenso durch Bestätigungen belegt (AS 109 der BF2; OZ 5).

Die Feststellung, dass die BF im Bundesgebiet Freunde und Bekannte gefunden haben, beruht auf ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung sowie den vorgelegten Empfehlungsschreiben (Verhandlungsprotokoll S. 21; AS 87, 88 und 213 der BF2; AS 418 des BF1; OZ 5). Die Feststellungen über die Schwester und die Nichten der BF2 und den Kontakt mit den BF folgen aus den Angaben der BF sowie der als Zeugin befragten Schwester der BF2 in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsprotokoll S. 20 ff) sowie den vorgelegten Unterstützungsschreiben (189 ff des BF1; Beilage ./1).

Sonstige familiäre oder private Anknüpfungspunkte haben die BF nicht dargetan.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. A)

3.1. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide

§ 7 Abs. 2 VwGVG normiert, dass eine Beschwerde nicht mehr zulässig ist, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat. Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 7 VwGVG, K 6). Dasselbe folgt sinngemäß aus § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 7 AVG.

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Beschwerde zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offenlässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl. zB VwGH 22.11.2005, 2005/05/0320 uvm. zur insofern auf die Rechtslage nach dem VwGVG übertragbaren Judikatur zum AVG).

Eine solche Erklärung lag im gegenständlichen Fall zweifelsfrei vor; die BF haben die Zurückziehung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom XXXX eindeutig zum Ausdruck gebracht („[Rechtsvertreter]: Nach Besprechung mit den BF und Darstellung der Folgen dieser Verfahrenshandlung haben sich die BF entschlossen, die Beschwerde zu Spruchpunkt I. und II. zurückzuziehen“, Verhandlungsprotokoll S. 17).

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Da die BF die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. zurückgezogen haben, war das Beschwerdeverfahren insoweit gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG einzustellen.

Zu Spruchpunkt II. A)

3.2. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis IV. der angefochtenen Bescheide

3.2.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).

Der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet ist nicht im Sinne der soeben dargelegten Bestimmung geduldet bzw. zur Gewährleistung einer Strafverfolgung erforderlich. Sie sind nicht Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch keine Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor und wurden weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet.

3.2.2. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die BF sind als Staatsangehörige der Ukraine keine begünstigten Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da durch die Einstellung des Verfahrens über die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet. Gegenteiliges wurde von den BF auch nicht vorgebracht.

3.2.3. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9).

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa wenn ein gemeinsamer Haushalt vorliegt.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Durch die gemeinsame Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung betreffend eine Familie wird nicht in das Familienleben der Fremden eingegriffen (VwGH 18.03.2010, 2010/22/0013; 19.09.2012, 2012/220143; 19.12.2012, 2012/22/0221; vgl. EGMR 09.10.2003, Fall Slivenko, NL 2003, 263).

Die Schwester der BF2 und die drei Nichten der BF2 sind in Österreich wohnhaft und es besteht eine starke Beziehung, allerdings kein gemeinsamer Haushalt oder ein sonstiges intensives Abhängigkeitsverhältnis zu den BF, sodass dieses Verhältnis nicht unter das Familien- sondern das Privatleben der BF zu subsumieren ist. Die BF haben keine weiteren Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen in Österreich. Ein schützenswertes Familienleben der BF untereinander liegt aufgrund der gegenüber beiden erlassenen Rückkehrentscheidungen nicht vor. Die Rückkehrentscheidung bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht der BF auf Schutz des Familienlebens.

Unter dem Privatleben sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.6.2005, Fall Sisojeva ua, Appl 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Hervorgehoben wird hierbei, dass im Falle eines bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert wurde. Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378). Im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, argumentierte er, „dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [..] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031). In solchen Fällen einer relativ kurzen, d.h. weniger als fünf Jahre betragenden, Aufenthaltsdauer muss die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich sein, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären (etwa VwGH 15.04.2020, Ra 2019/14/0420; 24.01.2019, Ra 2018/21/0191).

Wie der Verwaltungsgerichtshof zuletzt etwa im Erkenntnis vom 17.11.2020, Ra 2020/10/0139-6, aussprach, entspricht es seiner ständigen Rechtsprechung, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Allerdings entspricht es umgekehrt ebenso der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass der Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG nicht in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt werden darf. Dieser Aspekt hat schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann (zuletzt etwa VwGH 05.08.2020, Ra 2020/14/0199; 06.04.2020, Ra 2020/20/0055; 23.01.2020, Ra 2019/21/0378; 30.04.2019, Ra 2018/14/0375; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003).

Die persönlichen Interessen nehmen zwar mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu, die bloße Aufenthaltsdauer allein ist jedoch nicht maßgeblich, sondern ist vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (VwGH 28.09.2020, Ra 2020/20/0348).

Die BF leben seit bald XXXX Jahren in Österreich. In dieser Zeit haben die BF – insbesondere die BF2 – erfolgreiche und nachhaltige Bemühungen unternommen, sich sozial, sprachlich und beruflich zu integrieren. Gleichsam als Voraussetzung zielführender Integrationsbestrebungen haben die BF bereits im Administrativverfahren rasch damit begonnen, die deutsche Sprache zu erlernen und konnten bereits vor der Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz durch die belangte Behörde Deutschzertifikate auf dem Niveau A2 bzw. B1 vorweisen. Die BF2 legte zudem eine universitäre Deutsch-Ergänzungsprüfung ab, die zwar nicht in einen Referenzrahmen eingebettet ist, aber jedenfalls sehr gute Deutschkenntnisse beweist. Entsprechend konnte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht festgestellt werden, dass die BF der deutschen Sprache auf ausgesprochen gutem Niveau mächtig sind und eine Unterhaltung mühelos möglich ist. Insbesondere die herausragenden Deutschkenntnisse der BF2 werden durch ihren sehr guten Studienerfolg in ihrem Studium der Soziologie offensichtlich. Durch ihre Deutschkenntnisse war es den BF möglich, sich einerseits einen Freundes- und Bekanntenkreis aufzubauen, andererseits ehrenamtliche Tätigkeiten im sozialen Bereich zu übernehmen, indem sie insbesondere in einem Seniorenheim regelmäßig unentgeltlich mitarbeiteten, zumal aus den vorgelegten Empfehlungsschreiben hervorgeht, dass die BF bei den Bewohnern dieses Heims durchaus beliebt sind. Auch besteht eine starke Beziehung zur in Österreich wohnhaften Schwester der BF2 und den drei Nichten der BF2 und ging im Verfahren hervor, dass die BF diesen in ihrem Alltag zur Seite stehen. Die BF sind bereits früh in ihrem Verfahren in eine private Wohnung gezogen. Die BF sind dadurch sprachlich und sozial bereits bestens integriert. Zwar lebten die BF bislang von Leistungen aus der Grundversorgung, sodass sie noch nicht nachhaltig beruflich integriert sind. Allerdings wird dies dadurch relativiert, dass einerseits die BF2 seit rund XXXX Jahren durchgehend auf Basis von Dienstleistungsschecks einen Zuverdienst im Rahmen dieser Grundversorgung lukriert, andererseits beide BF über aktuelle Einstellungszusagen verfügen. Es ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es den BF möglich sein wird, binnen kurzer Zeit durch eigene Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, zumal das zusammengerechnete jährliche Nettogehalt beider Stellenzusagen – nämlich rund EUR 30.000,- – auch unter Abzug der Wohnungsmietkosten dafür jedenfalls ausreichen wird. Auch besteht insoweit ein Steigerungspotential, da die BF2 gemäß ihrer Einstellungszusage ihre Arbeitsstunden und damit ihr Gehalt noch erhöhen kann. Darüber hinaus verfügen die BF über ein soziales Netz, dass ihnen auch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt von Nutzen sein kann und wird es der BF2 angesichts ihres bisherigen Studienerfolgs möglich sein, binnen Kurzem ihr Studium erfolgreich abzuschließen und durch den dann erlangten akademischen Titel ihre Qualifikationen zu verbessern. Insgesamt haben die BF ihren Aufenthalt in Österreich erfolgreich genutzt, um sich sprachlich, sozial und auch hinreichend beruflich zu integrieren und war nicht zuletzt in Bezug auf die eigenständige Finanzierung des Lebensunterhaltes ein realistisches und erhebliches Steigerungspotential festzustellen, welches binnen Kurzem umgesetzt werden kann. Dies, zumal auch die durch die COVID-19-Pandemie verursachten Beschränkungen und Einschränkungen den Integrationsbemühungen der BF keinen Abbruch getan haben.

Auch erreicht die bald XXXX Aufenthaltsdauer bereits jenen Zeitraum, dem Maßgeblichkeit bei der Interessenabwägung beizumessen ist. Folglich tritt in den Hintergrund, dass sich der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet bisher nur auf einen Antrag auf internationalen Schutz gestützt hat, der Aufenthaltsstatus also insoweit unsicher war. Aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist zu folgern, dass dieser unsichere Aufenthalt zwar die Integrationsbemühungen relativiert, dem jedoch nicht maßgebliche Bedeutung in dem Sinn zugemessen werden könnte, dass damit jegliche Integration zu verneinen wäre, zumal die BF einen erheblichen Teil ihrer Bemühungen bereits vor Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz durch die belangte Behörde verwirklichen konnten. Auch beruhten ihre Integrationsbemühungen auf einem einzigen Verfahren und waren somit weder Folge eines nur durch Folgeanträge begründeten Aufenthaltsstatus (vgl. dazu etwa VfGH 18.06.2012, U713/11) noch eines überhaupt illegalen Aufenthalts, sodass der Aufenthaltsstatus der BF nie völlig prekär war. Das Bewusstsein des unsicheren Aufenthalts konnte daher in der notwendigen Gesamtbetrachtung nicht maßgeblich zulasten der BF gewertet werden.

Festzuhalten ist zudem, dass die Verfahrensdauer den BF nicht angelastet werden kann, zumal sie keine verfahrensverzögernden Handlungen setzten, sondern stets am Verfahren mitwirkten (vgl. VfGH 03.10.2013, U 477/2013; VfGH vom 21.02.2014, U 2552/2013; VfGH 06.06.2014, U 145/2014).

Schließlich ist auszuführen, dass die BF strafgerichtlich unbescholten sind und sich keiner „groben“ Verstöße gegen die Verwaltungsvorschriften schuldig gemacht haben.

Zwar verfügen die BF weiterhin durch ihre dort lebenden Eltern über Bindungen zu ihrem Heimatland, doch treten diese angesichts der bereits starken Beziehung der BF zum Bundesgebiet in den Hintergrund, zumal die BF seit ihrer Einreise in Österreich nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern des BF1 gelebt haben bzw. die BF2 schon im Jahr XXXX ihr elterliches Haus verlassen hat.

Gesamt betrachtet überwiegt somit das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der BF im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen, weshalb in Erledigung der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide die Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären war.

Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in diesem vorliegenden Fall die familiären und privaten Interessen der BF angesichts der erwähnten Umstände in ihrer Gesamtheit die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens. Eine Rückkehrentscheidung gegen die BF würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der genannten besonderen Umstände dieses Beschwerdefalles zu dem Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die BF unzulässig ist. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privat- Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind und es ist daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung gegen die BF auf Dauer unzulässig ist.

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß der Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

Gemäß § 14a Abs. 4 Z 2 NAG in der Fassung vom BGBl. I Nr. 38/2011, gültig bis 30.9.2017, ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 vorlegt. Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 14b) beinhaltet das Modul 1.

Gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 NAG in jener Fassung dient das Modul 1 dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung. Gemäß Z 2 leg. cit. dient das Modul 2 dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG im Fall der BF in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer sie betreffenden Rückkehrentscheidung gegeben sind, war ihnen eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG sind aufgrund der Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG gegeben, da der BF1 ein Zeugnis über die erfolgreiche Absolvierung einer Deutschprüfung auf dem Niveau A2 vom XXXX und die BF2 ein Zeugnis über die erfolgreiche Absolvierung einer Deutschprüfung auf dem Niveau B1 vom XXXX vorlegten und somit beide das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt haben bzw. erfüllen.

Das BFA hat den BF die Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG auszufolgen, die BF haben hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG mitzuwirken. Die Aufenthaltstitel gelten gemäß § 54 Abs. 2 AsylG zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Zu Spruchpunkt I. und II. B) wegen Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich daher das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung Beschwerdeverzicht Beschwerdezurückziehung Einstellung Einstellung des (Beschwerde) Verfahrens Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung mündliche Verhandlung mündliche Verkündung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig schriftliche Ausfertigung subsidiärer Schutz Verfahrenseinstellung Zurückziehung Zurückziehung der Beschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W189.2180309.1.00

Im RIS seit

31.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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