TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/11 W235 2193507-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.2021
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Entscheidungsdatum

11.06.2021

Norm

AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W235 2193510-1/25E

W235 2193499-1/28E

W235 2193507-1/38E

W235 2193505-1/25E

W235 2193516-1/25E

W235 2193515-1/25E

W235 2223606-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1097372607-151897591, zu Recht erkannt:

A)

I.       Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II.      Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 2. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl. 1097373506-151897630, zu Recht erkannt:

A)

I.       Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II.      Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 3. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl. 1097374710-151897664, zu Recht erkannt:

A)

I.       Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II.      Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 4. mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch: XXXX und XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2018, Zl. 1097373800-151897715, zu Recht erkannt:

A)

I.       Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird mj. XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II.      Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 5. mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch: XXXX und XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2018, Zl. 1097374100-151897729, zu Recht erkannt:

A)

I.       Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird mj. XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II.      Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 6. mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch: XXXX und XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2018, Zl. 1097374307-151897737, zu Recht erkannt:

A)

I.       Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird mj. XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II.      Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 7. mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch: XXXX und XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2019, Zl. 1231643501-190536182, zu Recht erkannt:

A)

I.       Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird mj. XXXX der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II.      Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind nach islamischer Tradition verheiratet und die Eltern des im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen, im nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt volljährigen Drittbeschwerdeführers sowie der minderjährigen Viert-, Fünft-, sowie Sechstbeschwerdeführer und der minderjährigen Siebtbeschwerdeführerin. Alle sieben Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Afghanistans. Nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich sowie als gesetzliche Vertreter für die Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer gemeinsam mit ihrem mitgereisten Sohn XXXX am 22.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 01.12.2015 wurden der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin führten im Wesentlichen aus, miteinander verheiratet zu sein und fünf gemeinsame Söhne zu haben. Sie würden sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennen und der Volksgruppe der Tadschiken angehören. Zu ihren Wohnorten im Herkunftsstaat gaben sie zu Protokoll, sie hätten bis vor ca. zwei Jahren in XXXX gelebt und seien dann nach Kabul umgesiedelt. Vor ca. einem Jahr hätten sie den Herkunftsstaat verlassen und hätten rund ein Jahr in XXXX im Iran gelebt, bevor sie ihre Flucht nach Österreich fortgesetzt hätten.

Betreffend seine Angehörigen gab der Erstbeschwerdeführer an, dass seine drei Schwestern in Kabul leben würden, während seine Mutter und sein Bruder in Pakistan aufhältig seien. Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Familienangehörigen im Herkunftsstaat an, ihre Eltern, ihre zwei Brüder sowie ihre zwei Schwestern würden in Kabul leben.

1.3. Am 13.12.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Dari vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

1.3.1. Der Erstbeschwerdeführer gab zu seiner Person an, in einem Dorf im Distrikt XXXX in der Provinz Kabul geboren zu sein. Er sei gesund und leide an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen. Der Vater des Erstbeschwerdeführers sei bereits verstorben. Seine Mutter, sein Bruder sowie zwei seiner Schwestern würden in Pakistan leben. Eine seiner Schwester sei demgegenüber in Kabul aufhältig. Zu seinen Familienangehörigen habe er zweimal im Jahr Kontakt. Zu seiner in Kabul wohnhaften Schwester habe er ein gutes Verhältnis. Nach Aufforderung, die Wohnverhältnisse dieser Schwester zu beschreiben, führte der Erstbeschwerdeführer an, der Mann seiner Schwester habe das Haus verkauft und seine Schwester lebe nicht mehr in Kabul, sondern in XXXX in Pakistan. Auf weitere Nachfrage erklärte er, sein Bruder lebe seit 20 Jahren in Pakistan und führe dort ein Schuhgeschäft als Familienbetrieb. Seine Schwestern seien alle verheiratet. Ihre Ehemänner würden einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Seine Mutter und sein Bruder würden finanzielle Unterstützung aus den Erlösen des Schuhgeschäfts erhalten.

Der Erstbeschwerdeführer sei nach islamischem Recht mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Sie hätten fünf gemeinsame Söhne. Seine Erstsprachen seien eigentlich Paschtu und Dari; Paschtu hätten sie aber fast nie gesprochen. In Afghanistan habe der Erstbeschwerdeführer die Grund- und Mittelschule besucht. Bisher habe er in der Landwirtschaft gearbeitet. Sie hätten auch ein Lebensmittelgeschäft gehabt. In der Stadt Kabul habe er nicht gearbeitet. Zu seiner Beschäftigung führte er auf Nachfrage näher aus, sie hätten 9000 Weinstöcke gehabt. Ihre zwei Gärtner hätten dort gearbeitet. Der Erstbeschwerdeführer selbst habe sein ganzes Leben als Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet. Ungefähr ab seinem 22. Lebensjahr habe er dieses Geschäft gehabt.

Zur Ausreise führte der Erstbeschwerdeführer an, seine Angehörigen und er hätten im Mai 2013 den Herkunftsstaat verlassen und hätten ca. zwei Jahre in XXXX im Iran bei einer Tante väterlicherseits gelebt. Im Oktober 2015 seien sie unrechtmäßig in Österreich eingereist. Ihre Flucht hätten sie durch den Verkauf des Autos sowie des Geschäfts des Erstbeschwerdeführers finanziert. In den letzten vier Monaten vor ihrer Ausreise hätten sie in der Stadt Kabul in einer Mietwohnung gelebt. Der Erstbeschwerdeführer habe den Aufenthalt in Kabul durch den Verkauf seines Geschäftes sowie durch den Erlös aus der Ernte finanziert.

1.3.2. Die Zweitbeschwerdeführerin führte zu ihrer Person an, sie sei in der Stadt Kabul geboren und habe dort 14 Jahre gelebt. Sie sei gesund und leide an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen. Ihre Erstsprache sei Dari. Über Schulbildung oder Arbeitserfahrung verfüge die Zweitbeschwerdeführerin nicht. Zu ihrem letzten Aufenthaltsort in Afghanistan brachte sie vor, mit ihrer Familie vier Monate in einer Mietwohnung in Kabul gelebt zu haben.

Betreffend ihre Familienangehörigen gab sie an, dass ihre Eltern sowie ihre zwei Brüder in Kabul leben würden. Der Aufenthaltsort ihrer beiden Schwestern sei ihr unbekannt. Hinsichtlich der Frage zu ihrem Verhältnis zu ihren beiden Brüdern führte sie aus, seit sie ihren Mann geheiratet habe, habe sie keinen Kontakt mehr zu ihren Familienangehörigen.

1.3.3. Der Drittbeschwerdeführer gab an, gesund zu sein und an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten zu leiden. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Seine Erstsprache sei Dari. Ferner spreche er Englisch und etwas Deutsch. Im Distrikt XXXX habe er sechs Jahre die Grundschule besucht. Ferner habe er ca. drei Jahre im Lebensmittelgeschäft seines Vaters mitgearbeitet. Er kenne die afghanische Kultur und die Bräuche. In Österreich lebe er mit seinen Geschwistern und seinen Eltern in einem gemeinsamen Haushalt. Den Herkunftsstaat hätten sie im Mai 2013 verlassen und hätten dann ca. zwei Jahre bei einer Tante im Iran gelebt. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates führte er an, sein Vater sei bedroht worden und aus diesem Grund seien sie als Familie geflohen. Eigene Fluchtgründe habe er nicht und er sei auch nie persönlich bedroht worden.

2. Mit den jeweiligen im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Erst- bis Sechstbeschwerdeführer sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkte I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkte II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihnen nicht erteilt (Spruchpunkte III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV). Unter den jeweiligen Spruchpunkten V. wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkte VI.).

In der Begründung des Bescheides betreffend den Erstbeschwerdeführer stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter anderem fest, dass der Erstbeschwerdeführer Staatsangehöriger Afghanistans sei, der Volksgruppe der Tadschiken angehöre und sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekenne. Er sei gesund, befinde sich im arbeitsfähigen Alter und leide an keinen Krankheiten. Der Erstbeschwerdeführer stamme aus der Provinz Kabul und sei mit seiner Ehefrau, der Zweitbeschwerdeführerin, sowie ihren fünf gemeinsamen Söhnen in Österreich eingereist. Er spreche Dari sowie Paschtu und habe im Herkunftsstaat die Grund- und Mittelschule besucht. Ferner habe er ein eigenes Lebensmittelgeschäft geführt und Berufserfahrung in der Landwirtschaft gesammelt. Im Herkunftsstaat drohe ihm keine asylrelevante Verfolgung. Dem Erstbeschwerdeführer sei es zumutbar, mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung und der Unterstützung von Angehörigen den Lebensunterhalt für sich sowie für seine Familie in Afghanistan zu sichern. Auf den Seiten 15 bis 86 dieses angefochtenen Bescheides wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan getroffen.

Der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid des Erstbeschwerdeführers ist zu entnehmen, dass die Feststellungen zu seiner Staatsangehörigkeit, zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit, zu seiner Schulbildung, zu seiner Berufserfahrung, zu seinen Sprachkenntnissen, zu seinem Gesundheitszustand, zu seiner Herkunftsregion sowie zu seinem Familienstand und den Familienverhältnissen auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Erstbefragung sowie in der Einvernahme vor dem Bundesamt beruhen würden. Der Erstbeschwerdeführer habe demgegenüber nicht glaubhaft gemacht, dass ihm in Afghanistan eine gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung drohe. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan sei ihm eine Ansiedlung in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zumutbar. Er könne aufgrund seiner bisherigen Berufserfahrung in Afghanistan einen Finanzkredit für Rückkehrende in Anspruch nehmen, ein Lebensmittelgeschäft gründen und aus den Erlösen den Lebensunterhalt für seine gesamte Familie sichern. Ebenso sei es ihm möglich, in einem Lebensmittelgeschäft als Verkäufer einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zudem bestehe die Möglichkeit, Rückkehrunterstützung der International Organization for Migration (IOM) in Anspruch zu nehmen. Im Bedarfsfall könne der Erstbeschwerdeführer auch von seinen in Pakistan aufhältigen Familienangehörigen finanzielle Unterstützung erhalten.

In rechtlicher Hinsicht wurde zu Spruchpunkt I. dieses angefochtenen Bescheides ausgeführt, der Erstbeschwerdeführer habe nicht glaubhaft gemacht, dass er im Fall der Rückkehr Verfolgung aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Gesinnung ausgesetzt wäre. Zu Spruchpunkt II. wurde unter Verweis auf die Beweiswürdigung festgehalten, dass die Stadt Kabul vergleichsweise sicher und über den angrenzenden Flughafen gut erreichbar sei. Der Erstbeschwerdeführer sei arbeitsfähig und habe bereits im Herkunftsstaat mehrere Jahre ein Lebensmittelgeschäft eigenständig geführt. Es sei ihm daher möglich, in Afghanistan im Verkauf zu arbeiten oder um einen Finanzkredit anzusuchen, um neuerlich einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er sei körperlich gesund, sei mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut und spreche Dari als Erstsprache. Folglich seien keine Gründe ersichtlich, weshalb er sich nicht am heimischen Arbeitsmarkt eingliedern und die Existenz für sich und seine Familie sichern könnte. Er habe keine außergewöhnlichen, exzeptionellen Umstände glaubhaft gemacht, welche seiner Rückkehr entgegenstünden. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Im Bescheid betreffend den Drittbeschwerdeführer wurde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unter anderem ausgeführt, der Drittbeschwerdeführer verfüge über Berufserfahrung im Lebensmittelhandel und könne somit den Erstbeschwerdeführer bei der Sicherung der Lebensgrundlage für die Familie wesentlich unterstützen. Er könne in Afghanistan einer Tätigkeit als Verkäufer oder Hilfskraft nachgehen. Allenfalls könne er auch bei seinen Großeltern Unterkunft beziehen. Es sei nicht davon auszugehen, dass er im Familienverbund in eine Notlage im Sinne des Art. 2 EMRK oder Art. 3 EMRK geraten werde.

3.1. Gegen die im Spruch angeführten Bescheide erhoben die Erst- bis Sechstbeschwerdeführer sowie der mitgereiste Sohn bzw. Bruder XXXX mit Schriftsatz vom 20.04.2018 im Wege ihrer Vertretung Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Begründend wurde nach Darstellung des Sachverhalts unter anderem ausgeführt, dass Kabul entgegen der Ausführungen des Bundesamtes für Fremdwesen und Asyl für Zivilisten nicht hinreichend sicher sei. Zudem habe die Behörde die humanitäre Lage in Afghanistan verkannt. Zum Nachweis der schlechten Situation von Rückkehrenden wurden verschiedene Medienberichte, der Beitrag von Friederike Stahlmann im Asylmagazin 2017 sowie die UNHCR-Richtlinien, Stand 19.04.2016, auszugsweise wiedergegeben. Hingewiesen wurde weiters darauf, dass die Familie aus sieben Personen bestehe und daher nach aller Wahrscheinlichkeit keine ausreichende Unterstützung von ihren Angehörigen in Pakistan erhalten könne. Aufgrund des fehlenden Unterstützungsnetzwerks sei ihnen – wie auch den UNHCR-Richtlinien zu entnehmen sei – eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar.

3.2. Am 23.01.2019 erstatteten die Erst- bis Sechstbeschwerdeführer im Wege ihrer Vertretung eine Stellungnahme zur Situation von Frauen sowie zur allgemeinen Lage in Afghanistan.

Der Stellungnahme wurden unter anderem folgende Unterlagen (in Kopie) beigelegt:

?        Vereinbarung zwischen dem Erstbeschwerdeführer und der XXXX für Gartenbau XXXX sowie den Österreichischen Bundesgärten von März 2018 über die Verrichtung gemeinnütziger Tätigkeiten in Form von leichter Gartenarbeit und

?        Bestätigung der Österreichischen Bundesgärten vom XXXX 03.2018, wonach der Erstbeschwerdeführer am XXXX 03.2018 eine gemeinnützige Tätigkeit für unbefristete Zeit aufgenommen hat

4.1. Am 07.02.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Dari statt, im Rahmen welcher der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin zu ihrem Leben im Herkunftsstaat, zu ihren Flucht- und Verfolgungsgründen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich einvernommen wurden.

Eingangs der Verhandlung wurde der Erstbeschwerdeführer aufgrund seines Hörgeräts bzw. seiner Schwerhörigkeit ersucht, sich an den Tisch vor der Richterin zu setzen.

Zu seinem Gesundheitszustand führte der Erstbeschwerdeführer an, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen. Die Zweitbeschwerdeführern erklärte, es gehe ihr im Moment gut, sie nehme aber Medikamente zur Beruhigung.

Im Rahmen ihrer darauffolgenden Einvernahme führte die Zweitbeschwerdeführerin zu ihren Angehörigen im Herkunftsstaat an, ihre Eltern würden in der Stadt Kabul leben; es bestehe jedoch kein Kontakt mehr. Da sie gegen ihren Willen verheiratet worden sei, habe sie den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen. Lediglich zu einem ihrer Brüder habe sie zweimal Kontakt gehabt, als sie im Iran gewesen sei. Neben ihren Eltern habe sie zwei Brüder, zwei Schwestern, fünf Onkel und zwei Tanten. Auf Nachfrage, zu welchen der aufgezählten Personen sie noch Kontakt habe, führte sie an, es bestehe kein Kontakt. Als sie im Herkunftsstaat gelebt habe und noch nicht verheiratet gewesen sei, habe sie gewusst, dass alle ihre Angehörigen in Kabul lebten. Vor ihrer Einreise in Österreich habe die Zweitbeschwerdeführerin keine Schulbildung erlangt und keine Berufserfahrung gesammelt. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates führte sie unter anderem aus, sie sei vom Cousin des Erstbeschwerdeführers vergewaltigt worden und habe aus diesem Grund versucht, sich umzubringen. Weiters gab sie an, von der Familie des Erstbeschwerdeführers schlecht behandelt worden zu sein. Sie sei geschlagen worden und habe kein Essen bekommen. Der Erstbeschwerdeführer habe nichts dagegen unternehmen können, da seine Mutter und seine Schwestern mächtig gewesen seien. Seit ca. vier Monaten besuche die Zweitbeschwerdeführerin den Verein XXXX . Zuvor habe sie lediglich Tabletten zur Beruhigung genommen. Auf Vorhalt, dass sie einen Befund vom Neurologen von November 2018, sohin nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens, vorgelegt habe, führte sie an, sie sei seit drei Jahren oder länger in Behandlung. Im Rahmen der weiteren Befragung brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, schwanger zu sein, und legte zur Bescheinigung einen Mutter-Kind-Pass vor.

Der Erstbeschwerdeführer gab im Zuge seiner Befragung zu seinen Angehörigen an, sein Vater sei vor sechs Jahren getötet worden. Nach dessen Tod seien der Bruder und die Mutter des Erstbeschwerdeführers nach Pakistan verzogen. Zwei seiner Schwestern seien schon in Pakistan gewesen und eine Schwester sei aus Kabul nachgekommen. In Bezug auf seine Person führte der Erstbeschwerdeführer an, neun Jahre die Schule besucht, in der Landwirtschaft gearbeitet und ein Geschäft geführt zu haben. Im Iran habe er nachts in einer Fabrik gearbeitet.

Abschließend wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes festgehalten, dass das Verfahren des Drittbeschwerdeführers aus Zeitgründen gesondert geführt werde.

Im Rahmen der Verhandlung wurde unter anderem ein Befundbericht eines Facharztes für Neurologie vom XXXX 11.2018 in Kopie vorgelegt, wonach bei der Zweitbeschwerdeführerin eine depressive Anpassungsstörung, susp. PTSD, Spannungskopfschmerzen, Migräne und ein Cervicalsyndrom diagnostiziert wurden.

4.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2019 wurden die Beschwerden des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie der minderjährigen Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei den Beschwerdeführern nicht gelungen, eine wohlbegründete, aktuelle und damit asylrelevante Verfolgungsgefahr innerhalb ihres Herkunftsstaates den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK entsprechend glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, eine Rückkehr nach Kabul sei zwar nicht möglich, den Beschwerdeführern stehe jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat offen. Beide Städte könnten über den jeweiligen Flughafen gut erreicht werden und seien hinreichend sicher. Der Erstbeschwerdeführer verfüge über eine in einem von islamischen Werten geprägten Land erworbene Schulausbildung und Arbeitserfahrung. Er sei ein arbeitsfähiger gesunder Mann mit langjähriger Erfahrung als Geschäftsmann. Folglich sei er in der Lage, in Afghanistan Fuß zu fassen und seine Familie zu versorgen. Zudem bestehe für ihn die Möglichkeit, Unterstützung aus Rückkehrprogrammen, von Angehörigen derselben Volksgruppe und/oder von seiner Familie in Afghanistan in Anspruch zu nehmen. In einer Gesamtschau der Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen der Staatendokumentation sowie des UNHCR hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass den Beschwerdeführern unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohende Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass für die Beschwerdeführer die reale Gefahr einer Verletzung ihrer nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe.

5. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 23.09.2019, E 1545-1549/2019-16, abgelehnt. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 05.11.2019, Zl. E 1545-1549/2019-18, wurde die Beschwerde über nachträglichen Antrag an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

6. Mit Schriftsatz vom 03.12.2019 erhoben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sowie die minderjährigen Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer gegen das sie betreffende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes außerordentliche Revision.

Dem Schriftsatz wurden unter anderem folgende Unterlagen (in Kopie) beigelegt:

?        Klinisch-psychologischer Befundbericht einer Psychotherapeutin vom XXXX 04.2019, wonach bei der Zweitbeschwerdeführerin eine ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10: F43.1) und eine schwere depressive Störung (ICD 10: F32.2.) vorliegen und

?        psychotherapeutische Stellungnahme des Vereins XXXX vom XXXX 11.2019, mit welcher die oben genannte Diagnose bestätigt und weiter ausgeführt wird, dass die Zweitbeschwerdeführerin am XXXX 10.2018 an einem Abklärungsgespräch teilgenommen habe und sich seither ununterbrochen in Psychotherapie befinde sowie, dass zwar bereits eine Normalisierungsphase eingetreten sei, diese sei jedoch durch eine mögliche Abschiebung massiv beeinträchtigt worden sowie, dass auf eine Medikation wegen der Schwangerschaft und Stillzeit verzichtet werden habe müssen

7.1. Zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts betreffend das Beschwerdeverfahren des Drittbeschwerdeführers fand am 28.05.2019 eine Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, im Rahmen welcher er zu seinem Leben in Afghanistan, zu seiner Rückkehrsituation sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich einvernommen wurde.

Zu seinem Gesundheitszustand gab der Drittbeschwerdeführer an, es gehe ihm gut und er nehme keine Medikamente. In Afghanistan habe er bis zur 6. Klasse die Schule besucht. Ein paar Jahre habe er mit seinem Vater im „Einzelhandel Textil“ gearbeitet. Ein eigenes Gehalt habe er nicht bezogen, sondern habe sein Vater das Geld erhalten. Im Herkunftsstaat habe er keine Angehörigen mehr. Als er selbst noch in Afghanistan gewesen sei, hätten dort auch seine Tante sowie seine Großmutter gelebt. Männliche Verwandte habe es auch gegeben, es habe aber kein Kontakt bestanden. Zu seinem Leben in Österreich führte er unter anderem an, er unterrichte Mathematik für die Unterstufe sowie für die Oberstufe.

7.2. Mit Schriftsatz vom 06.06.2019, ergänzt durch eine Eingabe vom 07.06.2019, erstattete der Drittbeschwerdeführer im Wege seiner Vertretung eine Stellungnahme zur allgemeinen Situation in Afghanistan.

7.3. Im Akt des Drittbeschwerdeführers liegen überdies folgende verfahrensrelevante Unterlagen (in Kopie) auf:

?        Teilnahmebestätigung vom XXXX 06.2018, wonach der Drittbeschwerdeführer seit XXXX 09.2016 bei „ XXXX – Das Jugendcollege“ an den Unterrichtsfächern „Deutsch als Zweitsprache“ (erreichtes Niveau B1), Mathematik (erreichtes Niveau M8; Pflichtschulabschluss), Englisch, Globalität und Transkulturalität (Erreichtes Niveau A1) sowie Informations- und Kommunikationstechnologie/Medienkompetenz (erreichtes Niveau 2; geringe Kenntnisse) teilgenommen hat und

?        Bestätigung von „ XXXX – Das Jugendcollege“, ausgestellt am XXXX 05.2019, wonach der Drittbeschwerdeführer von XXXX 01.2019 bis XXXX 05.2019 als eigenständiger Nachhilfelehrer im Unterrichtsfach Mathematik tätig gewesen ist

7.4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.07.2019, Zl. W264 2193507-1/15E, wurde die Beschwerde des Drittbeschwerdeführers als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde hinsichtlich der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zusammengefasst ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte. Sein Herkunftsort sei Kabul. Vor dem Hintergrund der UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sei zu prüfen, ob ihm eine Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat offenstehe. Beide Städte seien als hinreichend sicher zu qualifizieren und könnten über den jeweiligen Flughafen gut erreicht werden. Der Drittbeschwerdeführer sei ein arbeitsfähiger, gesunder Mann mit einigen Jahren Berufserfahrung im Textilgewerbe sowie im Einzelhandel. Bei ihm sei die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorauszusetzen. Ferner könne er Unterstützung von seiner Familie in Afghanistan sowie von Angehörigen derselben Volksgruppe erhalten. Ebenso bestehe für ihn die Möglichkeit, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass er in der Lage sein werde, in Afghanistan Fuß zu fassen und für sein persönliches Fortkommen zu sorgen.

7.5. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26.02.2020, E 4566/2019-7, abgelehnt. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18.03.2020, E 4566/2019-9, wurde die Beschwerde über nachträglichen Antrag des Drittbeschwerdeführers an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

8.1. Am XXXX wurde die Siebtbeschwerdeführerin in Österreich geboren und stellte im Wege ihrer gesetzlichen Vertreter (= Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin) einen Antrag auf internationalen Schutz, der nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihr nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Unter Spruchpunkt V. wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

8.2. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.01.2020, Zl. W118 2223606-1/4E, als unbegründet abgewiesen. Gegen dieses Erkenntnis erhob die Siebtbeschwerdeführerin im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung außerordentliche Revision.

9.1. Die außerordentliche Revision des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sowie der minderjährigen Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer gegen das sie betreffende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2019 wurde mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 08.03.2021, Ra 2019/14/0581 bis 0585-9, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richtete, zurückgewiesen. In seinem übrigen Umfang wurde das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Letzteres wurde zusammengefasst damit begründet, dass nach den Empfehlungen des UNHCR, welchen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung zukomme, die Inanspruchnahme einer internen Schutzalternative in Afghanistan nur zumutbar sei, wenn Zugang zu Unterkünften, grundlegenden Dienstleistungen wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung sowie Bildung und Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder bewährte und nachhaltige Unterstützung bestehe, um Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Überdies müsse die betroffene Person im Gebiet der Neuansiedlung Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft haben, hinsichtlich derer festgestellt worden sei, dass sie bereit und in der Lage seien, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in der rechtlichen Beurteilung die Möglichkeit und die Zumutbarkeit der Wiederansiedelung der Beschwerdeführer – und damit auch der minderjährigen Kinder – im Rahmen einer innerstaatlichen Fluchtalternative damit begründe, dem Erstbeschwerdeführer, der über ein vermindertes Hörvermögen verfügen dürfte, sei es möglich, unter anderem mit „Hilfe eines sozialen Netzwerks seiner Familie in Afghanistan“ eine berufliche Existenz aufzubauen, finde dies in seinen Feststellungen, aus denen sich lediglich die Existenz einer Mutter und von Schwestern des Erstbeschwerdeführers in Pakistan ergebe, keine Deckung. Auch inwieweit Netzwerke in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif, in die der Erstbeschwerdeführer nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes aufgrund jeweils einmaliger geschäftlicher Besuche eingebunden sein solle, der Familie tatsächlich die erforderliche Unterstützung leisten könnten und würden, sei dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Dies betreffe schließlich auch die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Möglichkeit, auf die Mitglieder der eigenen Volksgruppe zurückzugreifen. Auch diesbezüglich würden jegliche Erwägungen dazu, ob von diesen eine relevante und ausreichende Unterstützung zu erwarten wäre, fehlen.

9.2. Die außerordentliche Revision des Drittbeschwerdeführers gegen das ihn betreffende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.07.2019 wurde mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 08.03.2021, Ra 2019/14/0572-14, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richtete, zurückgewiesen. In seinem übrigen Umfang wurde das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

„Der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen ist im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen. Aus dem Blickwinkel des Kindes, das die Eigenschaft als Familienangehöriger von seinen Eltern ableiten möchte, ist dabei auf den Zeitpunkt der Antragstellung – bezogen auf den von ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz – abzustellen. Es muss, um als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu gelten, in diesem Zeitpunkt minderjährig und ledig sein. Dem Eintritt der Volljährigkeit vor dem Entscheidungszeitpunkt kommt in diesem Fall keine Bedeutung zu. Für die Anwendung des § 34 AsylG 2005 ist es hinreichend, dass (und solange) zumindest ein Fall des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 gegeben ist (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, mwN).

Der Revisionswerber ist daher aufgrund seiner Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung als Familienangehöriger seines Vaters und seiner Mutter anzusehen. Zwar waren deren Anträge zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG über die Beschwerde des Revisionswerbers rechtskräftig abgewiesen, jedoch wurden die betreffenden Erkenntnisse in Bezug auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten mittlerweile vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2019/14/0581 bis 0585, aufgehoben.

Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen durch den Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (VwGH 23.04.2020, Ra 2019/01/0368 bis 0371, mwN).“

10. Ebenso entschied der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über die außerordentliche Revision der Siebtbeschwerdeführerin (vgl. VwGH vom 30.03.2021, Ra 2020/19/0443-9) sowie im Fall des mitgereisten Familienangehörigen XXXX .

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

1.1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben eine Ehe nach islamischem Ritus geschlossen. Sie sind die Eltern des im Zeitpunkt der Antragsstellung minderjährigen, im Entscheidungszeitpunkt volljährigen Drittbeschwerdeführers sowie der minderjährigen Viert-, Fünft- sowie Sechstbeschwerdeführer und der minderjährigen Siebtbeschwerdeführerin. Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Afghanistans. Sie bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und gehören der Volksgruppe der Tadschiken an. Ihre Erstsprache ist Dari. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin sowie die Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten.

1.1.2. Im Jahr 2013 oder 2014 reisten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam mit den Dritt- bis Sechstbeschwerdeführern sowie mit ihrem weiteren Sohn XXXX endgültig aus dem Herkunftsstaat aus und lebten mindestens ein Jahr in XXXX im Iran bei einer Tante des Erstbeschwerdeführers. Im Jahr 2015 reisten sie gemeinsam vom Iran nach Österreich.

Nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich sowie als gesetzliche Vertreter für die Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer gemeinsam mit ihrem mitgereisten Sohn XXXX am 22.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither halten sie sich durchgehend im Bundesgebiet auf.

Die Siebtbeschwerdeführerin wurde am XXXX in Österreich geboren. Im Wege ihrer gesetzlichen Vertreter, dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin, stellte sie am 27.05.2019 ebenso einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer sowie des XXXX wurden hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten rechtskräftig abgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren von XXXX betreffend die Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist am Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W265 2193503-1 anhängig.

1.1.3. Der 60-jährige Erstbeschwerdeführer wurde in einem Dorf im Distrikt XXXX in der afghanischen Provinz Kabul geboren. Ab seinem 22. Lebensjahr betrieb er ein eigenes Lebensmittelgeschäft in seinem Heimatdistrikt. Ferner verfügte seine Familie über eine Landwirtschaft, bestehend aus rund 9000 Weinstöcken, welche von zwei Gärtnern bewirtschaftet wurde. Im Herkunftsstaat bestritt der Erstbeschwerdeführer den Lebensunterhalt für sich und seine Familie aus dem Betrieb seines Lebensmittelgeschäftes sowie aus dem Erlös aus der Landwirtschaft. Zur Finanzierung der Flucht für sich und seine Familie verkaufte der Erstbeschwerdeführer sein Lebensmittelgeschäft sowie sein Auto. Vor der endgültigen Ausreise aus dem Herkunftsstaat lebte der Erstbeschwerdeführer rund vier Monate mit der Zweitbeschwerdeführerin sowie den Dritt- bis Sechstbeschwerdeführern und seinem Sohn XXXX in einer Mietwohnung in Kabul. Einer Erwerbstätigkeit ging er in diesem Zeitraum nicht nach.

Der Erstbeschwerdeführer leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Aufgrund seiner Schwerhörigkeit trägt der Erstbeschwerdeführer zwar ein Hörgerät, ist jedoch grundsätzlich arbeitsfähig. In Österreich verrichtet er seit März 2018 auf gemeinnütziger Basis leichte Gartenarbeiten im Ausmaß von 50 Stunden pro Monat.

Der Vater des Erstbeschwerdeführers ist bereits verstorben. Seine Mutter, sein Bruder sowie seine drei Schwestern leben in Pakistan. Die Familie des Erstbeschwerdeführers führt in Pakistan ein Schuhgeschäft, aus dessen Erlösen seine Mutter und sein Bruder finanzielle Unterstützung erhalten. Aktuell besteht kein Kontakt zwischen dem Erstbeschwerdeführer und seinen Angehörigen.

Die 40-jährige Zweitbeschwerdeführerin wurde in der Stadt Kabul geboren und verbrachte dort die ersten 14 Jahre ihres Lebens. In der Folge wurde sie mit dem Erstbeschwerdeführer nach islamischer Tradition verheiratet und lebte gemeinsam mit ihm und seiner Familie im Distrikt XXXX in der Provinz Kabul. Über Schulbildung oder Berufserfahrung verfügt die Zweitbeschwerdeführerin nicht.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin liegt eine ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Störung vor.

Die Eltern, die zwei Brüder, die zwei Schwestern, die fünf Onkel und zwei Tanten der Zweitbeschwerdeführerin leben in Kabul. Zu ihren Eltern pflegt sie bereits seit ihrer Eheschließung keinen Kontakt (mehr). Zuletzt führte sie ein Telefongespräch mit einem ihrer Brüder, als sie sich im Iran aufhielt. Seither hatte sie keinen Kontakt mehr zu Angehörigen im Herkunftsstaat.

Der 23-jährige Drittbeschwerdeführer, der 16-jährige Viertbeschwerdeführer, der 14-jährige Fünftbeschwerdeführer sowie der 9-jährige Sechstbeschwerdeführer wurden im Distrikt XXXX in der afghanischen Provinz Kabul geboren und wurden dort mindestens bis zum Jahr 2013 im afghanischen Familienverband sozialisiert. Sie leiden an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung.

Der Drittbeschwerdeführer besuchte im Herkunftsstaat sechs Jahre die Schule und arbeitete als Minderjähriger für rund drei Jahre im Lebensmittelgeschäft des Erstbeschwerdeführers. In Österreich besuchte er von XXXX 09.2016 bis XXXX 09.2018 ein Jugendcollege. Im Rahmen dieser Ausbildung eignete er sich Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau B1, Englischkenntnisse auf dem Sprachniveau A1, Kenntnisse in Mathematik auf Pflichtschulabschlussniveau sowie einfache Kenntnisse im Unterrichtsfach „Informations- und Kommunikationstechnologie/ Medienkompetenz“ an. Seit XXXX 01.2019 erteilt er eigenständig Nachhilfeunterricht in Mathematik.

1.1.4. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sowie die minderjährigen Viert-, Fünft- sowie Sechstbeschwerdeführer und die minderjährige Siebtbeschwerdeführerin verfügen in Afghanistan über keine gesicherte Existenzgrundlage. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind nicht in der Lage, im Herkunftsstaat den Lebensunterhalt für sich sowie für ihre vier minderjährigen Kinder durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften.

Der ledige, gesunde und arbeitsfähige Drittbeschwerdeführer, welcher über Schulbildung verfügt und mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut ist, ist im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage, seine Existenz eigenständig zu sichern. Als Rückkehrer ist es ihm jedoch nicht möglich, einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt der übrigen Beschwerdeführer zu leisten.

Die Beschwerdeführer verfügen weder in der Stadt Kabul noch in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat über ein soziales oder familiäres Netzwerk, welches willens und in der Lage ist, ihnen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan echte Unterstützung zu leisten. Es steht überdies nicht fest, dass die Angehörigen des Erstbeschwerdeführers und/oder der Zweitbeschwerdeführerin willens und in der Lage sind, die Beschwerdeführer durch finanzielle Zuwendungen nachhaltig zu unterstützen. Die Beschwerdeführer verfügen über kein ausreichendes Vermögen, welches ihre Existenz im Fall der Ansiedlung in einem urbanen Gebiet in Afghanistan sichern würde.

Festgestellt wird, dass dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin sowie den minderjährigen Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführern sowie der minderjährigen Siebtbeschwerdeführerin aufgrund der allgemeinen problematischen Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten Staatsgebiet Afghanistans sowie aufgrund des Fehlens ausreichender finanzieller Mittel sowie eines familiären oder sozialen Netzwerkes in Afghanistan, welches sie im Fall ihrer Rückkehr unterstützen könnte, bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr unmenschlicher und erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht bzw. sie eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes treffen würde.

1.2. Zur verfahrensrelevanten Situation in Afghanistan:

1.2.1. COVID-19:

[…]

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan:

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).

Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban:

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern". Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung:

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt:

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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