TE OGH 2021/6/30 7Ob104/21a

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Veröffentlicht am 30.06.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** L*****, vertreten durch Dr. Rudolf Höpflinger, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei H***** AG *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 19. März 2021, GZ 22 R 267/20y-15, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 5. November 2020, GZ 34 C 410/20m-11, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.480,36 EUR (darin enthalten 341,56 EUR an USt und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin ist Bilanzbuchhalterin und im Berufshaftpflichtversicherungsvertrag, den der Bundesver-
band der Österreichischen Bilanzbuchhalter (BÖB) mit der Beklagten abgeschlossen hat, mitversichert. Dieser lautet auszugsweise:

3. Versichertes Risiko

3.1 Versicherte Tätigkeiten

Der Versicherungsschutz bezieht sich auf die beruflichen Tätigkeiten der versicherten BÖB-Mitglieder als Personalverrechner, Buchhalter und Bilanzbuchhalter i.S.d. BiBuG.

[...]“

[2]       Dem Versicherungsvertrag liegen weiters (ua) die Allgemeinen Bedingungen für die Berufshaftpflicht-
versicherung (ABHV 1997 GK 04) zugrunde.

[3]       Sie lauten auszugsweise:

„Artikel 1

Wer ist versichert? Was ist das versicherte Risiko? Was gilt bei Vergrößerung des versicherten Risikos?

1. Inhalt und Umfang

Das versicherte Risiko ergibt sich aus der in der Polizze festgelegten Risikobeschreibung und umfasst alle Eigenschaften, Rechtsverhältnisse und Tätigkeiten, zu denen der Versicherungsnehmer aufgrund der für seinen Beruf oder Betrieb geltenden Rechtsnormen berechtigt ist.

[...]

Artikel 3

Wie lautet das Leistungsversprechen des
Versicherers?

1. Leistungsversprechen

Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer

1.1 die Erfüllung von Schadenersatzpflichten, die dem Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines reinen Vermögensschadens aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen.

[...]“

[4]       Am 14. 1. 2016 erteilte J***** H***** (in Hinkunft Klient) der Klägerin „Auftrag und Vollmacht“ „... im Sinn des § 2 BiBuG …“ unter weiterer Anführung der im Wesentlichen in dieser Bestimmung genannten Befugnisse eines Bilanzbuchhalters.

[5]       Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte schuldig sei, aufgrund und im Umfang des „zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen“ Versicherungsvertrags für den Schadenfall vom 6. 6. 2019 Deckungsschutz zu gewähren. Sie habe eine Aufforderung des Finanzamts zur Erstattung der Einkommensteuer 2016 ihres damaligen Klienten versehentlich nicht an diesen weitergeleitet, sodass es zu einer Schätzung gekommen sei. Der Klient habe die Klägerin aufgrund des hieraus vermeintlich entstandenen Schadens auf Zahlung eines Betrags von 4.400 EUR sA und Feststellung ihrer Haftung klageweise in Anspruch genommen. Eine Zustellbevollmächtigung (Empfangnahme und Weiterleitung der Aufforderung zur Erstattung der Einkommensteuer eines Klienten) sei keine – unzulässige – Vertretungshandlung vor den Abgabenbehörden des Bundes iSd § 2 Abs 1 Z 4 BiBuG 2014. Sie sei daher jedenfalls als zulässige, versicherte Tätigkeit der Klägerin zu qualifizieren, zumal selbst die Akteneinsicht auf elektronischem Weg gegenüber den Abgabenbehörden des Bundes und das Stellen von Rückzahlungsanträgen von § 2 BiBuG 2014 gedeckte Tätigkeiten seien.

[6]       Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Versicherungsschutz beziehe sich auf die berufliche Tätigkeit der Versicherten als Bilanzbuchhalterin iSd BiBuG. In § 2 BiBuG 2014 seien die einem Bilanzbuchhalter vorbehaltenen Tätigkeiten taxativ aufgezählt. Zur Vertretung vor den Abgabenbehörden des Bundes in Einkommensteuerangelegenheiten, wozu auch die Tätigkeit als Zustellbevollmächtigte gehöre, sei die Klägerin gemäß § 2 Abs 1 Z 4 BiBuG 2014 nicht berechtigt gewesen. Der gegenüber der Klägerin geltend gemachte Schaden resultiere daher aus keiner von der Beklagten versicherten Tätigkeit. Da die Klägerin nicht nur die schriftliche Aufforderung des Finanzamts zur Erstattung der Einkommensteuer 2016 ihres Klienten, sondern auch alle sonstigen Schriftstücke der Behörde (mittels RSb-Brief angedrohte Schätzung, Bescheid über den nach Verstreichen der Zahlungsfrist verhängten Säumniszuschlag, Rückstandsausweis) unbeantwortet gelassen bzw verlegt habe, sei von einem grob fahrlässigen Verhalten auszugehen, wofür gemäß Art 8.2.1 ABHV keine Versicherungsdeckung bestehe.

[7]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe als Zustellbevollmächtigte fungiert, weil sie die Empfangnahme und Weiterleitung von behördlichen Schriftstücken des Finanzamts für ihren Klienten vorgenommen habe. § 2 BiBuG 2014 enthalte eine taxative Aufzählung der den Bilanzbuchhaltern vorbehaltenen Tätigkeiten. Die Wortinterpretation des Begriffs „Zustellbevollmächtigter“ ergebe eindeutig und unmissverständlich den Wortsinn einer „Vertretungshandlung“, die gegenüber dem Finanzamt, also gegenüber einer Bundesabgabenbehörde, eine von § 2 BiBuG 2014 nicht umfasste Tätigkeit sei. Von der Klägerin sei auch nicht dargelegt worden, unter welche sonstige der in § 2 BiBuG 2014 taxativ genannten Befugnisse ihre Tätigkeit sonst subsumiert werden könnte.

[8]       Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Ein Bilanzbuchhalter, wie auch schon der frühere selbständige Buchhalter nach § 2 WTBG und der gewerbliche Buchhalter nach § 134a GewO, könne als Zustellbevollmächtigter iSd § 9 ZustG – auch in Einkommensteuerverfahren – gegenüber den Finanzbehörden auftreten. Die Umschreibung in § 2 Abs 1 Z 3 BiBuG 2014, wonach zu den erlaubten Tätigkeiten auch die Beratung in Angelegenheiten der Arbeitnehmerveranlagung und die Abfassung und Übermittlung der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung an die Abgabenbehörden des Bundes als Bote auch auf elektronischem Weg unter Ausschluss jeglicher Vertretung gehöre, bedeute insoweit keine Einschränkung. Bei der Zusammenschau der gesamten Befugnisse nach § 2 Abs 1 und 2 BiBuG 2014, wobei in Abs 2 Z 6 sämtliche Tätigkeiten gemäß § 32 GewO 1994 ausdrücklich genannt würden, gehöre zum Berechtigungsumfang des Bilanzbuchhalters auch das Auftreten als Zustellbevollmächtigter in Einkommensteuerverfahren. Die Anzeige einer Zustellbevollmächtigung gegenüber dem Finanzamt und eine danach erfolgte Zustellung sei vom versicherten Risiko umfasst. Damit komme es aber wesentlich darauf an, ob der Einwand der Beklagten betreffend ein grob fahrlässiges Verhalten der Klägerin berechtigt sei, wozu vom Erstgericht keine Tatsachenfeststellungen getroffen worden seien. Mit der Klägerin werde überdies die Formulierung des Klagebegehrens zu erörtern sein.

[9]       Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil keine Rechtsprechung zu der Frage bestehe, ob das Einschreiten einer Bilanzbuchhalterin als Zustellbevollmächtigte auch in Einkommensteuersachen gegen § 2 BiBuG 2014 verstoße und einschließlich der Nichtweiterleitung einer Behördensendung vom versicherten Risiko in der Berufshaftpflichtversicherung umfasst sei.

[10]     Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit einem Abänderungsantrag.

[11]     Die Klägerin begehrt, den Rekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12]     Der Rekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

[13]     1. Der Einwand der mangelnden Aktivlegitimation der Klägerin wurde von der Beklagten zurückgezogen.

[14]     2. Die Streitteile gehen im Rekursverfahren übereinstimmend davon aus, dass der Klägerin von ihrem Klienten Zustellvollmacht im Einkommensteuerverfahren zur Entgegennahme von behördlichen Schriftstücken erteilt worden war.

[15]     3.1 Bei der Haftpflichtversicherung ist der Versicherer gemäß § 149 VersVG verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Leistungen zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretenden Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat (7 Ob 139/18v).

[16]     3.2 Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[17]     3.3 Nach Art 3.1 des hier zu beurteilenden Pflichthaftpflichtversicherungsvertrags (vgl § 10 BiBuG) bezieht sich der Versicherungsschutz auf die berufliche Tätigkeit der versicherten BÖB-Mitglieder als Personalverrechner, Buchhalter und Bilanzbuchhalter iSd BiBuG. Gemäß Art 1.1 ABHV ergibt sich das versicherte Risiko aus der in der Polizze festgelegten Risikoumschreibung und umfasst die Eigenschaften, Rechtsverhältnisse und Tätigkeiten, zu denen der Versicherungsnehmer aufgrund der in seinem Beruf oder Betrieb geltenden Rechtsnormen berechtigt ist. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer versteht die hier vorgenommene Risikoumschreibung dahin, dass der Umfang der versicherten Tätigkeit aus dem – jeweils für den konkreten Beruf (hier Bilanzbuchhalter) – im BiBuG geregelten Berechtigungsumfang folgt.

[18]     4.1 Das BiBuG 2014 (idF BGBl I Nr 2017/135) regelt den Berechtigungsumfang des Bilanzbuchhalters wie folgt:

„Berechtigungsumfang – Bilanzbuchhalter

§ 2 (1) Den zur selbständigen Ausübung des Berufes Bilanzbuchhalter Berechtigten ist es vorbehalten, folgende Tätigkeiten auszuüben:

1. die pagatorische Buchhaltung (Geschäftsbuchhaltung) einschließlich der Lohnverrechnung und der Erstellung der Saldenlisten für Betriebe und der Einnahmen- und Ausgabenrechnung iSd § 4 Abs 3 des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl Nr 400/1988,

2. den Abschluss von Büchern (Erstellung von Bilanzen) nach Handelsrecht oder anderen gesetzlichen Vorschriften im Rahmen der durch § 221 Abs 1 iVm § 221 Abs 4, 6 und 7 des Unternehmensgesetzbuches, dRGBl. S 219/1897 festgesetzten Merkmale,

3. die Beratung in Angelegenheiten der Arbeitnehmerveranlagung und die Abfassung und Übermittlung der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung an die Abgabenbehörden des Bundes als Bote auch auf elektronischem Weg unter Ausschluss jeglicher Vertretung,

4. die Vertretung in Abgaben- und Abgabenstrafverfahren für Bundes-, Landes- und Gemeindeabgaben, ausgenommen die Vertretung vor den Abgabenbehörden des Bundes, den Verwaltungsgerichten und dem Verwaltungsgerichtshof,

5. die Akteneinsicht auf elektronischem Weg gegenüber den Abgabenbehörden des Bundes, sowie das Stellen von Rückzahlungsanträgen,

6. die Vertretung einschließlich der Abgabe von Erklärungen in Angelegenheiten der Umsatzsteuer-
voranmeldung und der Zusammenfassenden Meldungen, sowie die Erklärung zur Verwendung von Gutschriften (§ 214 der Bundesabgabenordnung, BGBl Nr 194/1961),

7. die Vertretung einschließlich der Abgabe von Erklärungen in Angelegenheiten der Lohnverrechnung und der lohnabhängigen Abgaben, sowie die Vertretung im Rahmen der gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben, jedoch nicht die Vertretung im Rechtsmittelverfahren und

8. die kalkulatorische Buchhaltung (Kalkulation).

(2) Die zur selbständigen Ausübung des Berufes Bilanzbuchhalter Berechtigten sind weiters berechtigt, folgende Tätigkeiten auszuüben:

1. sämtliche Beratungsleistungen im Zusammenhang ihres Berechtigungsumfanges gemäß Abs 1,

2. die Beratung in Beitrags-, Versicherungs- und Leistungsangelegenheiten der Sozialversicherungen,

3. die Beratung und Vertretung vor gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften in Beitragsangelegenheiten,

4. die Vertretung bei den Einrichtungen des Arbeitsmarktservice, der Berufsorganisationen, der Landesfremdenverkehrsverbände und bei anderen in Wirtschaftsangelegenheiten zuständigen Behörden und Ämtern, soweit diese mit den für den gleichen Auftraggeber durchzuführenden Tätigkeiten gemäß Abs 1 unmittelbar zusammenhängen,

5. die Vertretung in Angelegenheiten der Kammerumlagen gegenüber den gesetzlichen Interessenvertretungen,

6. sämtliche Tätigkeiten gemäß § 32 der Gewerbeordnung 1994, BGBl Nr 194,

7. die Vertretung in allen Angelegenheiten der An- und Abmeldung von Registrierkassen,

8. die Beratung und Vertretung in Angelegenheiten des Registers der wirtschaftlichen Eigentümer einschließlich der Meldung des wirtschaftlichen Eigentümers auf der Basis der Angaben ihrer Mandanten und der Feststellung und Überprüfung des wirtschaftlichen Eigentümers im Auftrag ihrer Mandanten und

9. die Tätigkeit als Mediator, wenn sie in die Liste der Mediatoren nach dem Zivilrechts-Mediations-Gesetz (ZivMediatG), BGBl I Nr 29/2003, eingetragen sind.“

[19]           4.2 Wer zur geschäftsmäßigen Vertretung befugt ist, richtet sich nach dem Berufsrecht (Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I3 § 84 BAO [Stand 1. 2. 2021, rdb.at] Rz 3; VwGH 15. 1. 2008  2007/15/0232). Nach § 2 Abs 1 Z 4 BiBuG sind Bilanzbuchhalter in Abgabenverfahren vor dem Bund (hier Einkommensteuerverfahren vor einem Finanzamt) nicht vertretungsbefugt, was von den Parteien auch nicht bezweifelt wird.

[20]     4.2.1 Die Parteien gehen – wie ausgeführt – im Rekursverfahren übereinstimmend davon aus, dass die Klägerin in dem Einkommensteuerverfahren ihres Klienten Zustellvollmacht zu Entgegennahmen von Schriftstücken hatte. Zu klären ist daher, ob es sich bei dieser Tätigkeit der Klägerin um eine vom Versicherungsschutz umfasste berufliche Tätigkeit eines Bilanzbuchhalters handelt.

[21]     4.2.2 Zustellbevollmächtigte iSd § 9 ZustG müssen nicht zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt sein (vgl Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 83 [Stand 1. 9. 2020, rdb.at] Rz 37 f; Ritz, BAO6 § 84 IV Bilanzbuchhalter [§ 2 BiBuG 2014] Rz 22; UFS Wien 10. 3. 2009, RV/0501-W/09). Das heißt, Zustellbevollmächtigungen an Bilanzbuchhalter sind unabhängig davon wirksam, ob sie zur geschäftsmäßigen Vertretung befugt sind (Ritz aaO).

[22]     5.1 Allein, dass einem Bilanzbuchhalter in einem Verfahren, in dem er nicht vertretungsbefugt ist – wie jeder in § 9 ZustellG angeführten Person unter den dortigen Voraussetzungen – Zustellvollmacht wirksam erteilt werden kann, genügt aber nicht, um diese Tätigkeit als eine berufliche Tätigkeit iSd § 2 BiBuG zu qualifizieren. Maßgebend ist vielmehr, ob die Tätigkeit in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit den einem Bilanzbuchhalter nach § 2 BiBuG eingeräumten Berufsbefugnissen steht. Das bedeutet: Ob die Tätigkeit der Klägerin als Zustellbevollmächtigte in einem Einkommensteuerverfahren vor einer Abgabenbehörde des Bundes Versicherungsschutz genießt, hängt davon ab, ob diese Tätigkeit im inneren ursächlichen Zusammenhang mit einer der Klägerin nach § 2 BiBuG eingeräumten Befugnisse stand.

[23]     5.2 Die Befugnisse eines Bilanzbuchhalters sind in § 2 BiBuG taxativ umschrieben. Sie erfassen nur einen ganz eng abgegrenzten Bereich abgabenrechtlicher Beratung und Vertretung. So wird die Beratung in Angelegenheiten der Arbeitnehmerveranlagung und die Abfassung und Übermittlung der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung an die Abgabenbehörde des Bundes als Bote auf elektronischem Weg (unter Ausschluss jeglicher Vertretung) genannt (§ 2 Abs 1 Z 3 BiBuG). Weiters wird die Vertretung einschließlich der Abgabe von Erklärungen in Angelegenheiten der Umsatzsteuervoranmeldung und der Zusammenfassenden Meldungen, sowie die Erklärung zur Verwendung von Gutschriften angeführt (§ 2 Abs 1 Z 6 BiBuG). Die Befugnis umfasst auch die Vertretung einschließlich der Abgabe von Erklärungen in Angelegenheiten der Lohnverrechnung und der lohnabhängigen Abgaben sowie die Vertretung im Rahmen der gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (§ 2 Abs 1 Z 7 BiBuG).

[24]     5.3 Nach dem insoweit klaren Gesetzeswortlaut ist aber die Berechtigung des Bilanzbuchhalters zur Erstellung von (Jahres-)Steuererklärungen von den in § 2 BiBuG genannten Befugnissen nicht umfasst (vgl Ritz aaO Rz 18; UFS Wien 10. 3. 2009, RV/0501-W/09; zum insoweit vergleichbaren selbständigen Buchhalter nach der alten Rechtslage: Daxböck, SBH – ein Beruf mit Zukunft, persaldo 2001 H 1, 3). Damit wird auch die Berechtigung zur Abfassung/Erstellung von Einkommensteuererklärungen dem Bilanzbuchhalter nach § 2 BiBuG nicht eingeräumt (vgl Hendrich, Bei Überschreitungen des Berechtigungsumfangs droht eine UWG-Klage, BÖB 2016, 61; zum selbständigen Buchhalter 4 Ob 172/05f).

[25]     5.4 § 2 Abs 2 Z 1 BiBuG überträgt dem Bilanzbuchhalter sämtliche Beratungsleistungen lediglich im Zusammenhang mit dem Berechtigungsumfang gemäß Abs 1. Zusammengefasst folgt daher, dass der Bilanzbuchhalter weder zur Beratung bzw Hilfestellung bei der Abfassung einer Einkommensteuererklärung, noch zur Abfassung/Erstellung einer solchen befugt ist. Somit steht die Tätigkeit eines Bilanzbuchhalters als Zustellbevollmächtigter in einem Einkommensteuerverfahren vor einer Bundesabgabenbehörde nicht in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit, zu deren Ausübung er berechtigt ist und stellt daher keine unter Versicherungsschutz stehende berufliche Tätigkeit dar.

[26]           5.5 Daran ändert auch der Hinweis der Klägerin auf die in § 2 Abs 1 Z 5 BiBuG eingeräumte Berechtigung des Bilanzbuchhalters zur Akteneinsicht auf elektronischem Weg gegenüber den Abgabenbehörden des Bundes sowie zum Stellen von Rückzahlungsanträgen nichts. Gerade die ausdrückliche Anführung derart spezifischer Befugnisse verdeutlicht nur den besonders eng begrenzten Berechtigungsumfang des Bilanzbuchhalters.

[27]           5.6 Auch aus dem erstmals von der Klägerin im Rekursverfahren erhobenen – und damit gegen das Neuerungsverbot verstoßenden – pauschalen Hinweis, dass in § 2 Abs 2 Z 6 BiBuG auf sämtliche Tätigkeiten gemäß § 32 GewO 1994 verwiesen werde, ist für die Klägerin nichts gewonnen: So legt die Klägerin selbst in der Rekursbeantwortung nicht im Ansatz dar, auf welches der in dieser Bestimmung genannten Nebenrechte sie sich bezieht. Sollte die Klägerin dabei die Nebenrechte nach § 32 Abs 1 Z 1 GewO (Vornahme aller Vorarbeiten und Vollendungsarbeiten auf dem Gebiet anderer Gewerbe, die dazu dienen, die Produkte, die sie erzeugen oder vertreiben sowie Dienstleistungen, die sie erbringen, absatzfähig zu machen sowie in geringem Umfang Leistungen anderer Gewerbe zu erbringen, die eigene Leistungen wirtschaftlich sinnvoll ergänzen) und § 32 Abs 1 Z 11 GewO (Ausübung einfacher Tätigkeiten von reglementierten Gewerben, deren fachgemäße Ausübung den sonst vorgeschriebenen Befähigungsnachweis nicht erfordert) vor Auge haben, so fehlt es an den für die Beurteilung der Ausübung eines solchen Nebenrechts jeweils erforderlichen Tatsachenbehauptungen. Es bleibt völlig unklar, wie die nicht von den Befugnissen des Bilanzbuchhalters nach § 2 Abs 1 BiBuG umfasste Tätigkeit als Zustellbevollmächtigter in einem Einkommensteuerverfahren als eines der genannten Nebenrechte qualifiziert werden könnte.

[28]     6. Zusammengefasst folgt, dass für die von der Klägerin im vorliegenden Fall ausgeübte Tätigkeit als Zustellbevollmächtigte in einem Einkommensteuerverfahren kein Versicherungsschutz besteht. Damit kommt es auf die Frage des Vorliegens der eingewandten Ausschlüsse entgegen der Ansicht des Berufungsgesichts nicht an. Dem Rekurs war daher Folge zu geben und das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen.

[29]     7. Die Kostenentscheidung betreffend die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E132569

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00104.21A.0630.000

Im RIS seit

03.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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