TE Vfgh Erkenntnis 1995/3/16 G271/94, G26/95, G27/95, G34/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.03.1995
beobachten
merken

Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
AlVG §25 Abs1

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des AlVG über die Verpflichtung zur Rückzahlung von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe zur Gänze infolge Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze des Einkommens eines selbständig Erwerbstätigen ohne Vorhersehbarkeit der Ungebührlichkeit der Leistung wegen Verstoß gegen den Gleichheitssatz

Spruch

I. beschlossen:

1. Das von Amts wegen eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren wird insoweit eingestellt, als es die Wortfolgen "des Arbeitslosengeldes", "§12 Abs6 litc bzw." und "das Arbeitslosengeld" sowie die in den Text eingefügten Klammern betrifft. Im gleichen Umfang werden die zu G27/95 und G34/95 gestellten Anträge des Verwaltungsgerichtshofes zurückgewiesen.

2. Der zu G26/95 gestellte Antrag des Verwaltungsgerichtshofes wird insoweit zurückgewiesen, als er die Wortfolgen "(der Notstandshilfe)", "bzw. §36 Abs3 litA litf und litB litd" und "(die Notstandshilfe)" betrifft.

II. gemäß Art140 B-VG zu Recht erkannt:

Der dritte Satz des §25 Abs1 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. Nr. 609, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 615/1987, war verfassungswidrig.

Die verfassungswidrige Vorschrift ist auch in den beim Verwaltungsgerichtshof zu Z94/08/0164 und Z94/08/0190 anhängigen Rechtssachen nicht mehr anzuwenden.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

III. beschlossen:

Die Verfahren G27/95 und G34/95 werden im Hinblick auf diese Aussprüche eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. §25 Abs1 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) bestimmt in der Fassung der Novelle BGBl. 615/1987 (in Prüfung gezogener bzw. angefochtener Teil hervorgehoben, der nicht in Prüfung gezogene zweite Satz in der Fassung der Novelle BGBl. 364/1989):

"§25. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Die Verpflichtung zum Ersatz des empfangenen Arbeitslosengeldes besteht auch dann, wenn im Falle des §12 Abs8 das Weiterbestehen des Beschäftigungsverhältnisses festgestellt wurde, sowie in allen Fällen, in denen rückwirkend das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt oder vereinbart wird. Der Empfänger des Arbeitslosengeldes (der Notstandshilfe) ist auch zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich auf Grund seines bzw. seines Angehörigen nachträglich vorgelegten Einkommensteuerbescheides ergibt, daß gemäß §12 Abs6 litc bzw. §36 Abs3 litA litf und litB litd das Arbeitslosengeld (die Notstandshilfe) nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte."

Anläßlich der Vorschreibung von Rückforderungen können Ratenzahlungen gewährt werden, wenn aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners die Hereinbringung der Forderung in einem Betrag nicht möglich ist (§25 Abs4 Satz 2 AlVG; Absatzbezeichnung gemäß BGBl. 502/1993); in diesem Fall sind keine Stundungszinsen auszubedingen (Abs5, Bezeichnung nach BGBl. 502/1993).

1. Die beim Verfassungsgerichtshof zu B1689/93 anhängige Beschwerde rügt einen Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich, worin der für Frau und Kind im gemeinsamen Haushalt sorgepflichtige Beschwerdeführer unter Berufung auf diese Gesetzesstelle verpflichtet wird, die zwischen 8. Jänner und 7. Oktober 1991 bezogene Notstandshilfe im Gesamtbetrag von 104.479 S zurückzuzahlen. Aufgrund der inzwischen ergangenen Steuerbescheide (Einkünfte aus Gewerbebetrieb 17.110 S und Investitionsfreibetrag nach §10 EStG 44.772 S) - den Akten ist die Art der Tätigkeit des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen - wurde ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 5.157 S errechnet. Damit sei die Geringfügigkeitsgrenze von 2.772 S monatlich überstiegen; die Zuerkennung der Notstandshilfe sei daher zu widerrufen (§24 Abs2 AlVG) und der Empfänger zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten (§25 Abs1 AlVG).

2. Bei Beratung über diese Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des dritten Satzes des §25 Abs1 AlVG entstanden. Er hat bei Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens (G271/94) vorläufig angenommen, daß es in den Fällen des dritten Satzes anders als im Regelfall des Abs1 (Satz 1) auch dann zur Rückzahlungsverpflichtung kommt, wenn der Empfänger den Bezug nicht durch unwahre Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt hat und auch nicht erkennen konnte, daß die Leistung nicht (oder nicht in dieser Höhe) gebührt, und daß das die Kehrseite des Umstandes ist, daß die Leistungsverpflichtung bloß aufgrund eidesstattlicher Erklärung des Notstandshilfebeziehers über die Höhe seines Einkommens entstehe. Es schien dem Gerichtshof jedoch, daß diese Regelung in einer erheblichen Zahl von Fällen unzumutbare Folgen hat und dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot widerspricht:

"Da nämlich das Arbeitslosengeld (die Notstandshilfe) den maßgeblichen Grenzbetrag des Einkommens im Einzelfall beträchtlich übersteigen kann, muß der Empfänger unter Umständen nicht nur dieses eigene Einkommen zur Gänze, sondern wesentlich mehr zurückzahlen, als er überhaupt an Einkommen erzielt. Er kann der hieraus entstehenden Gefahr einer ihn über sein Einkommen hinaus belastenden Rückzahlung des verbrauchten Arbeitslosengeldes also auch nicht dadurch entgehen, daß er alle selbst erzielten Einkünfte (einschließlich steuerlicher Freibeträge) für diesen Fall zur Seite legt. Er müßte vielmehr jenen Teil des Arbeitslosengeldes (der Notstandshilfe), der den Grenzbetrag übersteigt, von vornherein unangetastet lassen. Das widerspräche aber der Zielsetzung der Versicherungsleistung und kann vom Arbeitslosen nicht erwartet werden.

Jedenfalls bei einer Einkommensermittlung in Jahresabschnitten dürften die Auswirkungen einer solchen Regelung über das hinzunehmende Risiko hinausgehen. Die Unsicherheit über die Entwicklung der Einkommensverhältnisse wird durch die Schwierigkeit der Vorhersage des Ergebnisses des Steuerverfahrens noch verstärkt. Die Zulässigkeit der Ratenzahlung für den Fall, daß die Hereinbringung des Verbrauchten in einem Betrag nicht möglich ist, erleichtert die Lage nur wenig. Es scheint, daß der Gesetzgeber eine den Betrag der eigenen Einkünfte übersteigende Rückzahlung solcher Größenordnung nur für Leistungen vorsehen darf, deren Ungebührlichkeit im Zeitpunkt des Empfanges (Verbrauches) - unter Berücksichtigung der genannten Umstände - zumindest erkennbar war."

3. Aus Anlaß einer beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerde gegen einen Bescheid des Landesarbeitsamtes für Wien stellt dieser den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß der dritte Satz des §25 Abs1 AlVG idF BGBl. 615/1987 verfassungswidrig war (G26/95). Er begründet diesen wie folgt:

"Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, daß gemäß §24 Abs2 AlVG die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes an den Beschwerdeführer für die Zeit vom 1. September 1991 bis 31. Dezember 1991 widerrufen und dem Beschwerdeführer die in dieser Zeit zu Unrecht empfangenen Leistungen im Gesamtbetrag von S 46.452,-- gemäß §25 Abs1 AlVG zum Rückersatz vorgeschrieben würden. Begründet wurde diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß sich nachträglich auf Grund des Einkommensteuerbescheides 1991 herausgestellt habe, daß er Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von S 14.694,-- erzielt habe. Da er somit in den vier Monaten des Jahres 1991, in welchen er nach eigenen Angaben seine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, durchschnittlich einen Betrag in der Höhe von S 3.674,-- pro Monat an Einkommen erzielt habe und dieser Betrag über der in §5 Abs2 ASVG normierten Geringfügigkeitsgrenze (S 2772,--) liege, sei Arbeitslosigkeit nicht anzunehmen, die zuerkannte Leistung zu widerrufen und das unberechtigt Empfangene zum Rückersatz vorzuschreiben gewesen.

...

Die Rechtmäßigkeit des mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Widerrufs der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes an den Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 1. September 1991 bis 31. Dezember 1991 und die Verpflichtung zum Rückersatz ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur grundsätzlichen Zeitraumbezogenheit von Ansprüchen über Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung (vgl. z.B. den Beschluß vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0254) mangels diesbezüglich anderes anordnender gesetzlicher Bestimmungen nach der im Widerrufs- und Rückforderungszeitraum geltenden Rechtslage zu prüfen, die Berechtigung der Rückforderung für den genannten Zeitraum demgemäß nach dem dritten Satz des §25 Abs1 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 615/1987. Bei der im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist der dritte Satz des §25 Abs1 AlVG in der genannten Fassung ... präjudiziell.

Der Verwaltungsgerichtshof hegt gegen die Verfassungsmäßigkeit der genannten Bestimmung die im Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1994, B1689/93, ... dargelegten Bedenken."

4. Mit zwei weiteren beim Verfassungsgerichtshof am 24. Februar 1995 bzw. am 7. März 1995 eingelangten Anträgen begehrt der Verwaltungsgerichtshof anläßlich weiterer bei ihm (zu Z94/08/0164 und Z94/08/0190) anhängiger Beschwerden, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß der dritte Satz des §25 Abs1 AlVG idF BGBl. 615/1987 verfassungswidrig war (G27/95 und G34/95). (Außerdem beantragt der Verwaltungsgerichtshof aus Anlaß dieser weiteren Beschwerden noch die Aufhebung des dritten Satzes des §25 Abs1 AlVG in der Fassung BGBl. 416/1992, doch sind die Verfahren über diese zu G29/95 und G35/95 protokollierten Anträge mit den vorliegenden nicht verbunden.)

Die dem Antrag G27/95 zugrundeliegende Beschwerde wendet sich gegen einen Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich, mit dem der Beschwerdeführerin der Rückersatz der im Zeitraum 1. Februar bis 26. Oktober 1992 zu Unrecht bezogenen Notstandshilfe vorgeschrieben wurde, weil aufgrund des gemäß §§2 und 6 NotstandshilfeV anzurechnenden Einkommens ihres Lebensgefährten keine Notlage bestanden habe.

Die dem Antrag G34/95 zugrundeliegende Beschwerde wendet sich gegen einen Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich, mit dem die Bemessung der dem Beschwerdeführer gewährten Notstandshilfe für die Zeit vom 1. Februar bis 30. Juli 1992, vom 13. August bis 31. Dezember 1992 und vom 1. bis 31. Jänner 1993 unter Anrechnung des Einkommens seiner Ehefrau aus selbständiger Erwerbstätigkeit laut nachträglich vorgelegtem Einkommensteuerbescheid berichtigt und ihm der sich aus dieser Berichtigung ergebende Übergenuß zum Rückersatz vorgeschrieben wurde.

5. Die Bundesregierung hält den vom Verfassungsgerichtshof dargelegten Bedenken entgegen, sie stellten die Möglichkeit, erst ab gewissen Grenzen oder Schwellenwerten einen Anspruch einzuräumen, grundsätzlich in Frage; damit würde über weite Bereiche eine verwaltungsökonomische Gestaltung von Verfahrensabläufen unmöglich und der Gesetzgeber wäre nicht mehr in der Lage, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu schaffen.

Den Arbeitslosen treffe eben die Pflicht, seine Einkünfte laufend zu beobachten und sich vom Bezug der Leistung abzumelden, wenn sie die Geringfügigkeitsgrenze aufgrund der laufend erreichten Einkünfte voraussichtlich übersteigen (Hinweis auf die Anzeigepflicht nach §50 Abs1 AlVG):

"Selbständige Erwerbstätigkeit ist dadurch gekennzeichnet, daß über eine längere Zeit Planungen zur wirtschaftlichen Entwicklung anzustellen sind. Wenn der Selbständige nicht in der Lage ist, zumindest so genau zu planen, daß er weiß, ob er die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, so ist es nicht unsachlich, dies seiner Risikosphäre anzulasten. Dieses Risiko wird bei weitem durch jenes aufgewogen, das die Versichertengemeinschaft zu tragen hat, weil der selbständig Erwerbstätige seine Einkünfte im nicht unerheblichen Ausmaß selbst steuern kann. Durch entsprechende Geschäftsabreden könnte beispielsweise ein Einkommen in ein anderes Geschäftsjahr verlagert werden. Dies müßte von der Versichertengemeinschaft hingenommen werden, weil einem Unternehmer nicht vorgeschrieben werden kann, wann er seine Einkünfte zu lukrieren hat.

Was dem selbständig Erwerbstätigen auf der einen Seite zum Vorteil gereicht, kann auf der anderen Seite aber nicht zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft der Arbeitslosenversicherung gehen."

Ein Unternehmer erwirtschafte in der Regel Einkünfte, welche die Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung übersteigen. Der Anschein von Härte entstehe im Anlaßfall daraus, daß der Beschwerdeführer sich nicht rechtzeitig vom Bezug abgemeldet habe. Auch die Festsetzung von Steuern sei durch die Gesetze weitgehend determiniert. Zumindest bei den hier in Betracht kommenden Unternehmensgrößen dürfte es kaum steuerliche Unwägbarkeiten geben. Jedenfalls müßten aber solche zu Lasten des Anspruchswerbers gehen. Im übrigen würden die Leistungen nicht allein aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung zuerkannt, sondern nach Möglichkeit aufgrund vorhandener Unterlagen (früherer Jahre). Eine Entscheidung auf bloßer Basis des für frühere Zeiträume festgestellten Einkommens sei angesichts der Aufgabe der in Rede stehenden Leistungen, den Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Angehörigen zu sichern, allerdings unsachgemäß. Andererseits könne der Gesetzgeber nicht verpflichtet sein, ein eigenes Verfahren zur Einkommensfeststellung für Zwecke der Arbeitslosenversicherung vorzusehen.

Gleichwohl stimmt die Bundesregierung der im letzten Satz der Bedenken des Verfassungsgerichtshofes formulierten Annahme, eine den Betrag der eigenen Einkünfte übersteigende Rückzahlungspflicht müsse voraussetzen, daß die Ungebührlichkeit im Zeitpunkt des Empfanges (Verbrauches) zumindest erkennbar war, durchaus zu,

"zumal auch der Gesetzgeber hievon ausgeht. Wie schon oben ausgeführt, hat der Arbeitslose nämlich nach §50 Abs1 AlVG unter anderem jede für das Fortbestehen seines Anspruches maßgebende Änderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse dem Arbeitsmarktservice ohne Verzögerung, spätestens binnen einer Woche, anzuzeigen. Für den Selbständigen muß es zumutbar sein, die Höhe seiner monatlichen Einkünfte abzuschätzen und festzustellen. Es ist ihm auch zumutbar - selbst bei schwankendem Einkommen - daß er, wenn er feststellt, daß sein Einkommen den Grenzbetrag überschreitet, dies dem Arbeitsamt unverzüglich meldet und seine Selbsteinschätzung berichtigt."

Auch nach bürgerlichem Recht könnten rechtsgrundlose Leistungen zurückgefordert werden. Durch eine solche Rückzahlungspflicht werde dem Mißbrauch, den die Selbsteinschätzung durch den Arbeitslosen ermögliche, ein Riegel vorgeschoben:

"Nur in Ausnahmefällen kann es dazu kommen, daß die Rückzahlungspflicht den Leistungsempfänger tatsächlich überraschend trifft. Zu denken ist an den Fall, daß ein Leistungsempfänger tatsächlich gutgläubig in den ersten Monaten des Jahres Leistungen gemäß dem Arbeitslosenversicherungsgesetz bezogen hat, seine selbständige Tätigkeit aufgenommen hat und rechtzeitig gemeldet hat, durch die am Jahresende erzielten hohen Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nun allerdings auch die zu Jahresbeginn bezogenen Leistungen zurückzahlen müßte. Diese zeitliche Auffächerung macht klar, daß auch hier nicht wirklich ein Fall überraschender Leistungspflicht vorliegt. Aber auch in diesem besonderen Ausnahmefall ist darauf hinzuweisen, daß den selbständig Erwerbstätigen Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich seines Einkommens offenstehen und darüber hinaus die Schwere der Belastung durch die anzunehmende Dauer des Finanzverfahrens - mit dem Einkommensteuerbescheid dürfte erst in der Mitte des Folgejahres zu rechnen sein - und durch die Möglichkeiten der Ratenzahlung gemildert wird."

II. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind nur insoweit zulässig, als sich die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle auf die in den jeweiligen Anlaßfällen in Rede stehende Leistung bezieht.

1. Daß der Verfassungsgerichtshof bei Behandlung der Beschwerde den dritten Satz des §25 Abs1 AlVG in der in Prüfung gezogenen Fassung anzuwenden hätte, ist im Verfahren nicht zweifelhaft geworden. Indes handelt es sich im Anlaßfall um die Verpflichtung zur Rückzahlung von ungebührlich bezogener Notstandshilfe. Die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle betrifft jedoch auch das Arbeitslosengeld und ist insoweit nicht präjudiziell. Das Verfahren G271/94 ist daher in bezug auf die Wortfolgen "des Arbeitslosengeldes", "§12 Abs6 litc bzw." und "das Arbeitslosengeld" sowie die in den Text eingefügten Klammern einzustellen.

2. Der zu G26/95 gestellte Antrag des Verwaltungsgerichtshofes hingegen ist nur insoweit zulässig, als er sich auf das Arbeitslosengeld bezieht. Der bei diesem Gerichtshof anhängige Beschwerdefall betrifft nämlich nur das Arbeitslosengeld, sodaß der den Ersatz von Notstandshilfe betreffende Teil der zur Prüfung gestellten Bestimmung offenkundig nicht anzuwenden ist (vgl. VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987).

Im übrigen ist jedoch nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit des Antrages zweifeln ließe. Im Ergebnis steht daher der in Prüfung gezogene Satz in beiden Teilen zur Prüfung.

3. Die zu G27/95 und G34/95 gestellten Anträge des Verwaltungsgerichtshofes sind wiederum angesichts der dort allein in Rede stehenden Notstandshilfe unzulässig, soweit sie das Arbeitslosengeld betreffen; ihrer teilweisen Zurückweisung steht das späte Einlangen dieser Anträge nicht im Wege.

III. Die Bedenken sind indes begründet. Der dritte Satz des §25 Abs1 AlVG idF BGBl. 615/1987 verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz.

1. Der Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß es nach dem dritten Satz des §25 Abs1 AlVG anders als im Regelfall (Satz 1) auch dann zur Rückzahlungsverpflichtung kommt, wenn der Empfänger weder den Bezug durch unwahre Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt hat noch erkennen konnte, daß die Leistung nicht (oder nicht in dieser Höhe) gebührt, ist im Verfahren niemand entgegengetreten. Auch die Bundesregierung geht davon aus, daß den selbständig tätigen Empfänger einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nach dieser Bestimmung schlechthin das Risiko trifft, daß er die Leistung zur Gänze zu Unrecht empfangen hat, weil sein Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet. Mit ihrem Hinweis auf die Vorteile, die ein selbständig Erwerbstätiger aus seiner Lage ziehen kann, bestätigt die Bundesregierung im Ergebnis auch die Vermutung des Prüfungsbeschlusses, es handle sich dabei um die Kehrseite des Umstandes, daß die Leistungsverpflichtung - möglicherweise - bloß aufgrund eidesstattlicher Erklärung des Arbeitslosen über die Höhe seines Einkommens eintrete ("guter Tropfen, schlechter Tropfen").

Eben dieses volle, den Betrag der eigenen Einkünfte übersteigende und in bezug auf die gesamte Leistung gegebene Risiko des Arbeitslosen, der die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung für seinen und seiner Angehörigen Lebensunterhalt benötigt und nach der Zielsetzung dieser Einrichtung auch dafür verwenden können soll, hat jedoch die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung ausgelöst.

Die unbedingte Rückzahlungsverpflichtung wegen objektiver Ungebührlichkeit der Leistung läuft nämlich entgegen der Behauptung der Bundesregierung gerade nicht darauf hinaus, daß nur Leistungen zurückzuzahlen wären, deren Ungebührlichkeit im Zeitpunkt des Empfanges (Verbrauches) zumindest erkennbar gewesen wäre. Vielmehr ist das Empfangene, wenn das eigene Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze im Zeitraum eines Jahres übersteigt, in jedem Fall und zur Gänze zurückzuzahlen, auch wenn es nach Lage des Falles - wie bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit erst während des Jahres - schlechthin ausgeschlossen ist, im Zeitpunkt des Empfanges (Verbrauches) der Leistung deren Ungebührlichkeit schon vorauszusehen. Die in solchen Fällen rückwirkend eintretende Risikotragung aus der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit selbst abzuleiten oder den Leistungsempfänger auf die Möglichkeit zu verweisen, durch Manipulation des Zuflußzeitpunktes das Übersteigen der Geringfügigkeitsgrenze im maßgeblichen Kalenderjahr zu steuern, hält der Verfassungsgerichtshof für unangebracht. Es besteht weder ein Interesse daran, Leistungsempfänger von der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit abzuhalten, deren Ertrag die Geringfügigkeitsgrenze möglicherweise überschreitet, noch sollte zur Rechtfertigung einer Regelung gezielten Manipulationen der Zu- und Abflüsse zwecks Erlangung oder Beibehaltung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung das Wort geredet werden.

2. Nun sieht die Bundesregierung den Empfänger einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung dem Risiko einer Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze näher stehen als die Versichertengemeinschaft, die ja nur bei Verfehlen dieser Grenze für Leistungen einstehen solle. Dieser Einschätzung ist zunächst entgegenzuhalten, daß im Recht der Arbeitslosenversicherung ein objektiv unberechtigter Empfang allgemein (§25 Abs1 Satz 1) nur dann eine Rückzahlungspflicht auslöst, wenn der Empfänger abgesehen von der Herbeiführung des Bezuges durch unwahre Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen - erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Der Versichertengemeinschaft wird also im Hinblick auf den Zweck der Leistung, den Unterhalt des Empfängers und seiner Familie zu sichern, durchaus das Risiko (nachträglich besehen) unberechtigter Leistungen auferlegt, soweit nicht besondere Gründe wie die Vorwerfbarkeit des Empfanges eine Rückzahlungspflicht annehmbar machen.

Der Verfassungsgerichtshof meint nun allerdings nicht, daß der Gleichheitssatz es gebieten würde, auch den Fall des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze durch den Ertrag einer selbständigen Tätigkeit der gleichen Regel zu unterwerfen. Gewiß kommt es hier besonders leicht zu ungerechtfertigten Bezügen, und schon der Prüfungsbeschluß hat mit ins Kalkül gezogen, daß der selbständig Tätige die Unsicherheit seiner Einkommenslage in erster Linie selbst bewältigen muß und daß dem Eintritt der Leistungsverpflichtung - gegebenenfalls - schon aufgrund eidesstattlicher Erklärung auf der einen Seite eine Verschärfung der Voraussetzung einer Rückzahlungspflicht auf der anderen Seite gegenübergestellt werden kann. Insbesondere könnte der Gesetzgeber in solchen Fällen ein äußerstes Maß an Sorgfalt bei der Beurteilung der Ertragsaussichten verlangen und durch Umkehr der Beweislast die Gewichte noch weiter verschieben. Der Verfassungsgerichtshof hält es auch nicht für geboten, dem Leistungsempfänger jedwedes Risiko abzunehmen. Ferner ist niemals in Zweifel gezogen worden, daß bei Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze jener Betrag ohne weiteres zur Gänze abgeschöpft werden kann, den der selbständig Tätige neben dem Bezug der Leistung aus der Arbeitslosenversicherung erwirtschaftet hat (und den er daher neben dem Bezug der Versicherungsleistung vorläufig zurückhalten kann).

Die in diesem Verfahren - generell, nicht etwa bezogen auf den wie immer gelagerten Anlaßfall - zu beantwortende Frage geht aber dahin, ob die mit dem erklärten Zweck der Sicherung des Unterhaltes gewährte Leistung auch nach Verbrauch des Geldes noch zur Gänze, also auch mit dem die erzielten Einkünfte übersteigenden Teil ohne jede weitere Voraussetzung und Begrenzung für Zeiträume bis zu einem Jahr zurückverlangt werden darf, wenn das Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze im Jahreseinkommen erst nachträglich erkennbar war oder überhaupt erst durch nachfolgende Ereignisse ausgelöst wurde.

3. Bei Beurteilung dieser Frage fällt besonders ins Gewicht, daß dem Empfänger von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe nicht zugemutet werden kann, jenen Teil der Leistung, der die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, für den mehr oder minder wahrscheinlichen Fall unverbraucht liegen zu lassen, daß sich später ein diese Grenze übersteigendes Einkommen ergibt. Der Arbeitslose geht davon aus und darf davon ausgehen, daß ihm das Geld zur Bestreitung seines Unterhaltes zur Verfügung steht. Entgegen der Annahme der Bundesregierung ist es auch nicht als seltener Ausnahmsfall anzusehen, daß ein Arbeitsloser eine selbständige Tätigkeit aufnimmt, deren Ertrag längere Zeit um die Geringfügigkeitsgrenze oszilliert oder sie nur unbeträchtlich übersteigt. Es ist daher auch nicht unwahrscheinlich, daß der nur mit geringem Erfolg selbständig Erwerbstätige, den eine den Betrag des geringfügigen Einkommens erheblich übersteigende volle Rückzahlungspflicht trifft, diese Rückzahlung aus einem Einkommen leisten müßte, das weiterhin nur wenig über der Geringfügigkeitsgrenze liegt. Es gibt mithin eine in Betracht zu ziehende Gruppe von Fällen, in denen die selbständig Erwerbstätigen, obwohl sie sich nach Lage der Sache mit dem die Grenze für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gerade übersteigenden Einkommen bescheiden müßten, durch die im Zeitpunkt der Leistung voll berechtigte und auch objektiv notwendige Gewährung von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) veranlaßt werden, ihre Lebenshaltung an der gewährten Leistung auszurichten und so ohne ihr Verschulden in die Lage gebracht werden, aus dem geringfügigen laufenden Einkommen, auf das sie nunmehr verwiesen sind, auch noch die den Betrag der eigenen Einkünfte übersteigenden Kosten der früheren Lebenshaltung (während des Bezuges des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe) zurückzahlen zu müssen. Der Bezug der Leistung der Arbeitslosenversicherung wird solcherart bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nachgerade zu einer Falle, deren Auswirkungen durch die - wegen der Schwierigkeit der Hereinbringung der Rückforderung ohnedies kaum vermeidbare - Möglichkeit einer Ratenzahlung zwar gestreckt, aber nicht behoben werden können.

Diese Auswirkungen sind nicht nur zufällige Folgen einer an sich sachlichen Regelung im Härtefall, sondern in der rigiden Regelung des dritten Satzes des §25 Abs1 AlVG geradezu angelegt. Eine solche Regelung ist unsachlich. Unter den vorauszusetzenden besonderen Verhältnissen ist eine Rückzahlungspflicht, die über die Pflicht zur Herausgabe des zusätzlichen eigenen Einkommens hinausgeht, nur zulässig, wenn den Bezieher der Leistung ein Vorwurf trifft oder er den naheliegenden Verdacht eines solchen nicht widerlegen kann oder aber seine nunmehrige Leistungsfähigkeit aus der neu eröffneten Erwerbsquelle oder auf andere Weise feststeht. Ohne solche Einschränkung widerspricht die Pflicht zur Rückzahlung verbrauchter Gelder aus der Arbeitslosenversicherung dem aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot.

IV. Die Verfassungswidrigkeit des in Prüfung stehenden Satzes kann indes nur mehr festgestellt werden.

Seit 1. Juli 1992 steht der dritte (damals noch letzte) Satz des §25 Abs1 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. 416/1992 in Kraft.

Mit der Novelle BGBl. 817/1993 wurde dem §25 Abs1 AlVG ein weiterer (vierter) Satz angefügt. Die in Prüfung stehende Bestimmung ist daher - ungeachtet ihrer Anwendbarkeit auf vergangene Sachverhalte - nicht mehr geltendes Recht.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher auf die Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit zu beschränken (Art140 Abs4 B-VG).

Da eine förmliche Einbeziehung der späteren Anträge des Verwaltungsgerichtshofes (G27/95 und G34/95) in die vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen nicht mehr möglich war, hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, von der ihm gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch für die beim Verwaltungsgerichtshof zu Z94/08/0164 und Z94/08/0190 anhängigen Beschwerden herbeizuführen. Eine weitere Behandlung dieser Anträge erübrigt sich folglich (VfSlg. 11918/1988).

Die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG. Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, wurde von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).

Schlagworte

Arbeitslosenversicherung, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Notstandshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:G271.1994

Dokumentnummer

JFT_10049684_94G00271_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten