TE Vwgh Erkenntnis 1997/2/20 95/15/0091

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Veröffentlicht am 20.02.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §115 Abs1;
BAO §236 Abs1;
BAO §294 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Mizner, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des O in B, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 28. April 1995, Zl. GA 7 - 886/3/95, betreffend Widerruf einer Nachsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 4.565 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 11. Dezember 1991 beantragte der Beschwerdeführer die Nachsicht von Abgabenschulden in Höhe von 100.000 S. Zur Begründung führte er aus, im Zuge einer Betriebsprüfung (für die Jahre 1979 bis 1984) sei es zu Steuernachforderungen in Höhe von ca. 620.000 S gekommen, weil das Finanzamt die Umsätze aus dem Betrieb von Spielautomaten durch Anwendung eines Faktors auf den Kasseninhalt ermittelt habe. Im Mai 1989 sei mit dem Finanzamt vereinbart worden, daß der Rückstand mit einem einmaligen Betrag von 80.000 S und in der Folge mit monatlichen Raten in Höhe von 7.000 S getilgt werde. Der Beschwerdeführer habe bisher die vereinbarten Zahlungen pünktlich entrichtet und überdies eine Steuernachzahlung für das Jahr 1989 in Höhe von ca. 283.000 S geleistet. Er habe sich mittlerweile aus dem Geldautomatengeschäft zurückgezogen und übe nunmehr eine andere selbständige Tätigkeit (Handelsvertretung) aus; dabei müsse er "belastet aus dieser Ära, unter Entbehrungen bzw eingeschränkter Lebenshaltung, die obgenannten Abstattungen an das Finanzamt leisten". Es bestehe derzeit noch ein Abgabenrückstand im Betrag von insgesamt 387.091 S. Der Beschwerdeführer würde sich, "sofern ihm die Finanzverwaltung den Betrag von ÖS 100.000,00 nachsehen könnte, den dann noch verbleibenden Restbetrag bei einem Kreditinstitut aufnehmen und bei der Finanzverwaltung zur Abstattung bringen. Der Kredit würde ihm eingeräumt werden, da (er) sonst lediglich einer Verpflichtung gegenüber seiner Hausfinanzierung, die langfristig abgeklärt sei, nachzukommen habe. Diese finanzielle Verpflichtung würde (der Beschwerdeführer) bezüglich einem Kreditinstitut deswegen in Kauf nehmen, da ihm die jahrelange Größere Finanzschuld auch seelisch und tatsächlich belastet." Die seelische Belastung des Beschwerdeführers sei im heurigen Jahr besonders hoch. Sein Hauptaufgabengebiet betreffe Märkte in Jugoslawien und in der Tschechoslowakei, aufgrund der politischen bzw kriegerischen Auseinandersetzung in diesen Gebieten sei es zu "Einbrüchen" bei seinen Provisionseinnahmen gekommen.

Am 23. Dezember 1991 leistete der Beschwerdeführer auf sein Abgabenkonto eine Einzahlung in Höhe von 287.091 S.

Mit Bescheid vom 7. Jänner 1992 sprach das Finanzamt aus, daß Abgaben in Höhe von 100.000 S (Einkommen und Gewerbesteuer 1989 samt Zuschlägen und Stundungszinsen) "gegen jederzeitigen Widerruf" gemäß § 236 BAO nachgesehen werden.

Im Jahr 1994 stellte das Finanzamt fest, daß die erwähnte Restzahlung von 287.091 S aus den von der I-GmbH dem Beschwerdeführer ausbezahlten Provisionen geleistet worden sei und der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Nachsichtsgewährung über ein Sparbuch mit einem Einlagestand von 414.000 S verfügt habe.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 1994 widerrief das Finanzamt die in Höhe von 100.000 S gewährte Nachsicht zur Gänze. Zur Begründung führte es aus, die Nachsicht werde gemäß § 294 Abs. 1 lit. b BAO zurückgenommen, weil das Vorhandensein der zur Nachsicht führenden Verhältnisse auf Grund unrichtiger Angaben zu Unrecht angenommen worden sei. Der Beschwerdeführer habe im Nachsichtsansuchen angegeben, er werde den Betrag von 287.091 S, den er unverzüglich abstatten wolle, fremdfinanzieren, weil ihm keine anderen Mittel zur Verfügung stünden. Nunmehr sei im Zuge der Betriebsprüfung festgestellt worden, daß zum Zeitpunkt der Nachsichtsgewährung ein Sparbuch mit einem Einlagestand von 414.000 S vorhanden gewesen sei und daß die genannte Restzahlung aus den laufenden Einnahmen finanziert worden sei.

Der Beschwerdeführer berief gegen den Widerruf der Nachsicht. Im Nachsichtsansuchen vom 11. Dezember 1991 habe er dargestellt, daß sowohl wegen der kriegerischen Auseinandersetzung im ehemaligen Jugoslawien als auch wegen der Umstrukturierungen im ehemaligen Ostblock die Höhe seiner Provisionseinnahmen ungewiß gewesen sei. Bei Einbringung des Nachsichtsansuchens habe er zwar über den Sparbuchstand von 414.000 S verfügt, von diesem habe er aber noch die Steuernachzahlungen für 1990 und 1991 in Höhe von

629.279 S, die mit Bescheiden vom 19. Mai 1992 (für 1990) und vom 2. Dezember 1992 (für 1991) festgesetzt worden seien, entrichten müssen. Er habe lediglich davon abgesehen, damals das Konto zu überziehen oder einen langfristigen Kredit aufzunehmen, weil er, um kurzfristig Spesen zu sparen, sein "Steuersparbuch" aufgelöst habe. Die Zinsen auf dem Sparbuch seien nämlich geringer gewesen als allfällige Kreditzinsen. Die Spareinlage sei aber bereits im Zeitpunkt der Einbringung des Nachsichtsansuchens für die Steuernachzahlung (hinsichtlich 1990 und 1991) reserviert gewesen. Als ordentlicher Steuerzahler trage der Beschwerdeführer durch Ansparen auf dem Sparbuch für künftige Steuerzahlungen Sorge. Nach Rücksprache mit der Bank habe ihm diese geraten, das Sparbuch aufzulösen und später, zur Fälligkeit der "jeweiligen Steuerbescheide" entweder Kredite aufzunehmen oder das Firmenkonto zu überziehen. Im übrigen ergebe sich aus der Bilanz 1992, daß zu diesem Stichtag das Firmenkonto mit 96.586 S überzogen gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Gemäß § 294 Abs. 1 lit. b BAO sei eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betreffe, durch die Abgabenbehörde, die den Bescheid erlassen habe - soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten seien - nur zulässig, wenn das Vorhandensein der Verhältnisse, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen seien, auf Grund unrichtiger oder irreführender Angaben zu Unrecht angenommen worden sei. Der Beschwerdeführer wäre verpflichtet gewesen, in einem Nachsichtsansuchen die gemäß § 236 BAO bedeutsamen Umstände vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen. Die für die Abgabennachsicht wesentliche Unbilligkeit nach Lage des Falles sei aus der Vermögenslage abzuleiten gewesen, welche dem Beschwerdeführer angeblich die Abgabenentrichtung nicht erlaubt habe. Vom Beschwerdeführer sei jedoch das Vorhandensein eines Sparguthabens von 414.000 S nicht angegeben worden. Bei der Gewährung der Nachsicht sei das Finanzamt davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer - abgesehen von einer mit Belastungs- und Veräußerungsverbot beschwerten Liegenschaft - keine Vermögenswerte im Eigentum gehabt habe und die Tilgung der Abgabenschulden mittels Kreditaufnahme finanzieren müsse. Nunmehr sei aber festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer die "Restzahlung" aus dem laufenden Einkommen bezahlt habe und bei Erlassung des Nachsichtsbescheides über Sparguthaben in Höhe von 414.000 S verfügt habe. Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, er habe dieses Guthaben angespart, um die Steuernachforderungen für die Jahre 1990 und 1991 zu leisten, die mit Bescheiden vom 19. Mai 1992 und vom 2. Dezember 1992 festgesetzt worden seien und zum Zeitpunkt des Nachsichtsansuchens bereits zu erwarten gewesen seien, so sei dem entgegenzuhalten, daß die "Vorsorge" für künftig fällige Abgaben nicht zu Lasten bereits fälliger Abgaben erfolgen dürfe. Die Entrichtung der nachgesehenen Abgaben hätte keinesfalls die Existenzgrundlage des Beschwerdeführers beeinträchtigt. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe im Zeitpunkt der Antragstellung mit größeren "Einbrüchen" bei seinen Provisionen rechnen müssen, sei entgegenzuhalten, daß eine Steuernachsicht nicht zum Zweck der Sicherung gegen einen in einer künftigen wirtschaftlichen Entwicklung gelegenen Mißerfolg gewährt werden dürfe.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat in der Bescheidbegründung - wie bereits das Finanzamt - die Zurücknahme des Nachsichtsbescheides auf § 294 Abs. 1 lit. b BAO gestützt. Hiezu ist zu bemerken, daß ein behördlicher Widerrufsvorbehalt, wie er sich in § 294 Abs. 1 BAO findet, nicht an die dort in lit. a und b genannten Voraussetzungen gebunden ist. Diese würden nämlich nur gelten, "soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind". Für den Fall eines nicht besonders determinierten Widerrufsvorbehaltes ist vielmehr darauf abzustellen, daß nur zureichende sachliche Gründe zur Ausübung des Widerrufs berechtigen (vgl das hg. Erkenntnis vom 20. April 1993, 92/14/0226). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt jedoch die Auffassung, daß die in den lit. a und b des § 294 Abs. 1 BAO angeführten Fälle jedenfalls zureichende sachliche Gründe darstellen.

Es ist unzweifelhaft, daß das Finanzamt die für eine Nachsicht tatbestandsmäßige Voraussetzung der Unbilligkeit im gegenständlichen Fall bei Erlassung des Nachsichtsbescheides im Jänner 1992 nicht in einer sachlichen Unbilligkeit, sondern in der persönlichen, also in der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers begründeten Unbilligkeit erblickt hat.

Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, im Jänner 1992 habe, gehe man - abgesehen von den laufend erzielten Einnahmen - von einem Sparguthaben des Beschwerdeführers in Höhe von 414.000 S aus, eine persönliche Unbilligkeit zur Entrichtung der Abgaben von 100.000 S (im wesentlichen Einkommen- und Gewerbesteuer 1989) nicht bestanden. Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, daß dem Beschwerdeführer im Mai und im Dezember 1992 weitere Abgaben vorgeschrieben worden sind. Der Widerrufsgrund der irreführenden Angaben stellt nämlich darauf ab, ob im Zeitpunkt der Nachsichtsgewährung das Vorliegen der Voraussetzungen hiefür nur wegen der - durch die Irreführung bewirkten - unrichtigen Vorstellung der Behörde von der Wirklichkeit angenommen worden ist. Unwesentlich ist daher das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seine wirtschaftliche Lage im Zeitraum nach Erlassung des Nachsichtsbescheides. Bei Entscheidung über die Gewährung der Nachsicht ist das Finanzamt jedenfalls nicht davon ausgegangen, den Beschwerdeführer würden künftighin keine weiteren Steuerbelastungen treffen.

Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, seine wirtschaftliche Situation im Zeitpunkt der Nachsichtsgewährung wäre schlechter gewesen, wenn er bis dahin höhere Steuervorauszahlungen geleistet hätte, braucht nicht eingegangen zu werden, weil es im gegenständlichen Fall nicht darauf ankommt, ob bei nunmehr fiktiv angenommenen Sachverhalten die Voraussetzungen für die Erteilung einer Nachsicht gegeben gewesen wären.

Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers im Nachsichtsansuchen vom 11. Dezember 1992 mußte das Finanzamt von der unrichtigen Vorstellung ausgehen, der Beschwerdeführer verfüge über keine Ersparnisse und müsse, um eine nicht bloß geringfügige Zahlung zur Abtragung seiner Abgabenschulden leisten zu können, Fremdmittel bei einer Bank aufnehmen. Solcherart kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde davon ausgegangen ist, daß das Finanzamt wegen der irreführenden Angaben im Nachsichtsansuchen zu Unrecht die Unbilligkeit iSd § 236 BAO angenommmen habe.

Im Hinblick auf diese irreführende Angabe hat die belangte Behörde durch den Ausspruch über den Widerruf der Nachsicht innerhalb ihres vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraumes entschieden. Sie hat von dem ihr durch das Gesetz eingeräumten Ermessen nicht dem Sinn des Gesetzes zuwider Gebrauch gemacht (Art. 130 Abs. 2 B-VG). Wer der Abgabenbehörde gegenüber den relevanten Sachverhalt nicht vollständig offengelegt hat, kann sich nicht mit Erfolg auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen.

Zu Unrecht rügt der Beschwerdeführer als Verletzung von Verfahrensvorschriften, die belangte Behörde hätte vor Erlassung des angefochtenen Bescheides den Inhalt seiner Verhandlungen über die Nachsichtgewährung mit dem Finanzamt ermitteln müssen. Es trifft zwar zu, daß der Verwaltungsgerichthof im Erkenntnis vom 10. Dezember 1991, 91/14/0163, ausgesprochen hat, bei nicht eindeutigem Wortlaut eines Bescheides, der dem Steuerpflichtigen Begünstigungen gewähre, sei die Behörde verpflichtet, zur Auslegung des Bescheides den Inhalt vorangegangener Verhandlungen mit dem Steuerpflichtigen zu ermitteln, ehe sie die Bewilligung zurücknehme. In jenem Beschwerdefall war aber im Verwaltungsverfahren ein entsprechendes Vorbringen erstattet und ein entsprechender Beweisantrag gestellt worden. Im gegenständlichen Fall hat sich für den Beschwerdeführer aus der Begründung des erstinstanzlichen Widerrufsbescheides ergeben, daß das Finanzamt den seinerzeitigen Nachsichtsbescheid ausschließlich im Lichte des zugrundeliegenden Nachsichtsansuchens auslegt. Es wäre daher Sache des Beschwerdeführers gewesen, im Verwaltungsverfahren zumindest zu behaupten, daß sich aus den im Vorfeld der Nachsichtsgewährung geführten Gesprächen relevante Umstände für die Auslegung des Nachsichtsbescheides ergeben würden. Welche relevanten Umstände dies seien, zeigt der Beschwerdeführer im übrigen auch in der Beschwerde nicht auf.

Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994.

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Treu und Glauben erworbene Rechte VwRallg6/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995150091.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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