TE Lvwg Erkenntnis 2021/7/19 VGW-152/022/14393/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.07.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

19.07.2021

Index

41/02 Staatsbürgerschaft
41/02 Passrecht Fremdenrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

StbG 1985 §10 Abs1 Z7
StbG 1985 §10 Abs2 Z1
StbG 1985 §10 Abs3 Z1
StbG 1985 §10 Abs5
StbG 1985 §10a Abs1
StbG 1985 §11a Abs6 Z1
FPG §53 Abs2 Z3
B-VG Art 140 Abs7

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Dr. Lehner über die Beschwerde des A. B., vertreten durch Rechtsanwälte GmbH & Co KG, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 23.9.2020, Zl. …, mit welchem der Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 2 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) iVm § 53 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz (FPG), abgewiesen wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 15.6.2021

zu Recht erkannt und verkündet:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und A. B., geboren 1974 in C., Ungarn, gemäß § 11a Abs. 6 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. 311/1985 idF BGBl. I 65/2021, die österreichische Staatsbürgerschaft mit Wirkung vom 15.6.2021 verliehen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I.    Gang des Verfahrens, angefochtener Bescheid, Beschwerde und Gesetzesprüfungsverfahren

Mit Bescheid vom 23.9.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 2 Z 1 StbG iVm § 53 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz (FPG) ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass über den Beschwerdeführer wegen eine Übertretung des § 77 Abs. 1 Z 4 iVm § 53 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) rechtskräftig eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 50,— verhängt worden war und diese noch nicht getilgt sei. Eine rechtskräftige Bestrafung nach dem NAG sei eine bestimmte Tatsache iSd § 53 Abs. 2 Z 3 FPG iVm § 10 Abs. 2 Z 1 StbG, bei deren Vorliegen einem Fremden die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden dürfe.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 7.10.2020 zu Handen seines rechtsfreundlichen Vertreters zugestellt.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 27.10.2020 Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien. Begründend wird darin im Wesentlichen vorgebracht, dass § 10 Abs. 2 Z 1 StbG auf bestimmte Tatsachen iSd § 53 FPG verweist, welcher Regelungen zu einem Einreiseverbot enthalte. Daraus folge, dass eine rechtskräftige Bestrafung nach dem NAG nur dann eine „Tatsache“ iSd § 10 Abs. 2 Z 1 StbG sei, wenn auch ein Einreiseverbot verhängt werde. Dies sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Darüber hinaus sei § 53 FPG nur bei Drittstaatsangehörigen anwendbar, eine Anwendung auf EU-Bürger sei ausgeschlossen. Des Weiteren bilde nicht jede (nicht getilgte) Bestrafung wegen einer Übertretung des NAG ein absolutes Verleihungshindernis. Da § 10 Abs. 2 Z 2 StbG qualifizierte Verstöße gegen das NAG als Verleihungshindernis normiere, stelle es einen Wertungswiderspruch dar, wenn man § 10 Abs. 2 Z 1 StbG einen Inhalt zumesse, wonach jeder Verstoß gegen das NAG ein Verleihungshindernis darstelle. Eine solche Auslegung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, daher müsse § 10 Abs. 2 Z 1 StbG verfassungskonform so interpretiert werden, dass diese Bestimmung nur solche Fälle erfasse, in denen auch ein Einreiseverbot verhängt werden könne und – gemessen am Unrechtsgehalt und der Schwere sowie Häufigkeit der Übertretungen – mit § 10 Abs. 2 Z 2 StbG vergleichbar sind. Auch dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, da über den Beschwerdeführer lediglich eine Geldstrafe iHv EUR 50,— wegen nicht rechtzeitiger Beantragung eine Anmeldebescheinigung verhängt wurde. Eine Bestrafung für eine solche Übertretung könne kein absolutes Verleihungshindernis darstellen.

Mit Schreiben vom 6.11.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde unter Anschluss des bezughabenden Aktes dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor und nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand.

Beim Verwaltungsgericht Wien entstanden in der Folge Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen. Das Verwaltungsgericht Wien stellte daher mit Schreiben vom 14.2.2020 einen Antrag auf Gesetzesprüfung gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm Art. 89 Abs. 2 iVm Art 135 Abs. 4 B-VG iVm § 62 VfGG beim Verfassungsgerichtshof.

Mit diesem beantragte das Verwaltungsgericht Wien im Hauptantrag, der Verfassungsgerichtshof möge die Ziffer- und Zeichenfolge „3, “ in § 10 Abs. 2 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311/1985, in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 38/2011, als verfassungswidrig aufheben.

Mit Erkenntnis vom 9.3.2021, G 355/2020-12 ua, gab der Verfassungsgerichtshof dem Hauptantrag statt und hob die Ziffer- und Zeichenfolge „3, “ in § 10 Abs. 2 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311/1985 (WV), in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 38/2011, als verfassungswidrig auf. In seiner Begründung legte der Verfassungsgerichtshof dar, dass er die Bedenken des Verwaltungsgerichtes Wien teile. Der Verweis auf auf „bestimmte Tatsachen“ gemäß § 53 Abs. 2 Z 3 FPG in § 10 Abs. 2 Z 1 StbG könne aufgrund des Wortlauts, der Gesetzesmaterialien und einer systematischen Interpretation nur so verstanden werden, dass damit jede rechtskräftige Bestrafung wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem NAG ein Verleihungshindernis im Sinne des § 10 Abs. 2 StbG darstelle. Demgegenüber stelle § 10 Abs. 2 Z 2 StbG auf eine rechtskräftige Bestrafung wegen „einer schwerwiegenden Übertretung“ des NAG ab. Auch § 53 Abs. 2 Z 2 FPG bezieht sich nur auf Verwaltungsübertretungen, die eine im Hinblick auf die Strafhöhe qualifizierte rechtskräftige Bestrafung nach sich zogen. Dem Verleihungshindernis des § 10 Abs. 2 Z 1 StbG iVm § 53 Abs. 2 Z 3 FPG fehlt es damit aber angesichts der gravierenden Rechtsfolge für den Verleihungswerber an einer sachlichen Rechtfertigung, wenn es auch geringfügige Übertretungen des NAG erfasst. Die angefochtene Ziffern- und Zeichenfolge in § 10 Abs. 2 Z 1 StbG wurde daher vom Verfassungsgerchtshof wegen des Verstoßes gegen das – auch ein Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß Art. I Abs. 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 aufgehoben.

Dieses Erkenntnis wurde dem Verwaltungsgericht Wien am 26.3.2021 zugestellt.

Das Verwaltungsgericht Wien führte in der Folge ein Ermittlungsverfahren durch, ersuchte dabei verschiedene Dienststellen des Magistrats, die Landespolizeidirektion Wien, das Finanzamt Wien sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Amtshilfe und forderte den Beschwerdeführer zur Vorlage weiterer Unterlagen auf.

Am 15.6.2021 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt, zu der der Beschwerdeführer erschien. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

II. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer wurde 1974 in C., Ungarn, geboren. Er ist ungarischer Staatsangehöriger und verfügt über ein gültiges Reisedokument.

Der Beschwerdeführer stellte am 14.5.2019 einen Antrag auf Verleihung der
österreichischen Staatsbürgerschaft.

Der Beschwerdeführer arbeitet seit Oktober 2011 für die D. Privatbank in Wien und hält sich seit spätestens März 2012 auch durchgehend im Bundesgebiet auf.

Seit Juni 2015 hat der Beschwerdeführer das Bundesgebiet zu folgenden Zeiten verlassen:

10.06.-21.06.2015:  …, Philippines (via Thailand).

16.01.-04.02.2016:  …, Philippines (via Thailand).

29.07.-11.08.2016: …, Thailand

12.01.-29.01.2017: …, Thailand

21.04-24.04.2017:  …, Holland

04.05.-07.05.2017: …, Montenegro

20.08.-15.09.2017: …, USA

04.03.-17.03.2018: …, Thailand

04.10.-23.10.2018: …, Peru

15.12.-30.12.2018: …, Thailand

26.04.-12.05.2019: …, Thailand

27.07.-11.08.2019: …, Thailand

30.10.-10.11.2019: …, Thailand

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten und es sind auch keine Strafverfahren gegen ihn bei einem inländischen Gericht anhängig.

Der Beschwerdeführer wurde mit Strafverfügung des Magistrats der Stadt Wien vom 11.1.2019, Zl. MBA/…/2019, wegen Verletzung der gemäß § 53 Abs. 1 NAG bestehenden Verpflichtung, den Aufenthalt innerhalb von vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen, gemäß § 77 Abs. 1 Z 4 iVm § 53 Abs. 1 NAG mit einer Geldstrafe von EUR 50,— bestraft. Ansonsten liegen gegen den Beschwerdeführer keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen vor.

Von Mai 2016 bis April 2019 erhielt der Beschwerdeführer insgesamt EUR 279.420,39 aus Erwerbseinkommen.

Diesen regelmäßigen Einkünften standen regelmäßige Aufwendungen in Höhe von insgesamt nicht mehr als EUR 24.656,— gegenüber, die sich aus Miet- und Betriebsausgaben zusammensetzen.

Der Beschwerdeführer erwarb am 25.5.2021 ein Sprachzertifikat B2 des GERS.

Der Beschwerdeführer absolvierte am 17.7.2019 erfolgreich die Prüfung über die Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung sowie der Geschichte Österreichs und des Landes Wien gemäß § 10a StbG.

III. Beweiswürdigung

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Einholung von Auskünften bei verschiedenen Dienststellen des Magistrats und Behörden, Würdigung des Beschwerdevorbringens und Befragung des Beschwerdeführers als Partei in der mündlichen Verhandlung am 15.6.2021.

Die Feststellungen zu den persönlichen Daten des Beschwerdeführers und dem gültigen Reisedokument ergeben sich aus dem vorgelegten Auszug aus dem Geburtsregister (AS 50) sowie dem vorgelegten Reisepass (AS 54).

Das Datum der Antragsstellung ergibt sich aus dem im verwaltungsbehördlichen Akt befindlichen Antrag (AS 1).

Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem eingeholten Versicherungsdatenauszug, den Informationen im Melderegister und den Angaben des Beschwerdeführers.

Die Auslandsaufenthalte des Beschwerdeführers ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers, die sich mit den Ein- und Ausreisestempeln in den vorgelegten Reisepässen (ON 18, Urkundenvorlage vom 13.4.2021) decken. Der Beschwerdeführer ist zudem seit Oktober 2011 durchgehend als Angestellter beschäftigt, wie sich aus dem eingeholten Versicherungsdatenauszug ergibt, sodass eine weit über fünf Wochen im Jahr hinausgehende Abwesenheit, auch unter Berücksichtigung gelegentlicher Dienstreisen ins Ausland nicht wahrscheinlich erscheint.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und seinen verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen ergeben sich aus dem Schreiben der Landespolizeidirektion Wien vom 12.4.2021 (ON 16), dem Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.4.2021 (ON 21), dem Schreiben der MA 63 vom 6.4.2021 bezüglich Eintragungen im Verwaltungsstrafregister (ON 14), dem Schreiben der MA 67 vom 2.4.2021 bezüglich Verkehrsparkstrafen (ON 13), einem Auszug aus dem Finanzstrafregister vom 31.3.2021 (ON 20), einem ungarischen Strafregisterauszug vom 4.12.2018 (AS 91), einem Strafregisterauszug vom 1.4.2021, einem Auszug aus dem Schengener Informationssystem vom 1.4.2021, einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister vom 1.4.2021 und den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht.

Der Inhalt der Strafverfügung vom 11.1.2019 ergibt sich aus einer im vorgelegten Verwaltungsakt befindlichen Kopie dieser Strafverfügung (AS 122ff).

Die Feststellungen zum Einkommen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Einkommenssteuerbescheiden (AS 155ff) und Kontoauszügen (AS 175-185,198f). Die Ausgaben sind durch die vorgelegten Kontoauszüge (aaO), Mietverträge (AS 187ff), Betriebskostenvorschreibungen (AS 223ff), eine Selbstauskunft des KSV 1870 (AS 239ff) und durch eine Bestätigung des Bezirksgerichts hinsichtlich durchgeführter Exekutionsverfahren (AS 245f) sowie die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung belegt.

Der Inhalt des Sprachzertifikats und des Prüfungszeugnisses ergibt sich aus den diesbezüglichen vorgelegten Kopien (ON 18, Urkundenvorlage vom 13.4.2021; ON 22, Urkundenvorlage vom 28.5.2021).

IV. Erwägungen

Gemäß § 11a Abs. 6 Z 1 StbG ist einem Fremden nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8, Abs. 2 und 3 StbG die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn er, abweichend von § 10a Abs. 1 Z 1 StbG, einen Nachweis über Deutschkenntnisse gemäß dem B2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GERS) erbringt.

Wie festgestellt hat der Beschwerdeführer ein ÖSD-Zertifikat B2 erworben und damit einen Nachweis über Deutschkenntnisse gemäß dem B2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GERS) erbracht

Der Beschwerdeführer arbeitet seit Oktober 2011 für die D. Privatbank in Wien und hält sich wie festgestellt seit spätestens März 2012 auch durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hält sich folglich seit mehr als sechs Jahren rechtmäßig in Österreich auf. Der Beschwerdeführer hat das Bundesgebiet in dieser Zeit auch nur für 168 Tage verlassen. Der Anteil der im Ausland verbrachten Zeit liegt damit weit unter 20vH, sodass eine Unterbrechung des durchgehenden Aufenthaltes iSv § 15 Abs. 1 Z 3 StbG jedenfalls nicht bewirkt wurde.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich war auch durchgehend rechtmäßig, da dieser als Unionsbürger, der Arbeitnehmer ist und zudem über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, von seinem Freizügigkeitsrecht gemäß Art. 20 Abs. 2 lit. a iVm Art. 21 Abs. 1 AEUV iVm Art. 7 Abs 1 der RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) gebraucht gemacht hat.

Verleihungshindernisse gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8, Abs. 2 und 3 StbG sind im Rahmen des vom Verwaltungsgericht Wien geführten Beweisverfahrens nicht hervorgekommen.

Die belangte Behörde hatte den Antrag des Beschwerdeführers wegen Vorliegens eines Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 2 Z 1 StbG iVm § 53 Abs. 2 Z 3 FPG abgewiesen. Mit Erkenntnis vom 9.3.2021, G 355/2020 ua, hob der Verfassungsgerichtshof anlässlich des im vorliegenden Beschwerdeverfahrens gestellten Gesetzesprüfungsantrages die Zeichenfolge „3, “ in § 10 Abs. 2 Z 1 StbG idF BGBl. I 38/2011 jedoch als verfassungswidrig auf. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31.12.2021 in Kraft.

Gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden, wenn ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden ist. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gesetzt, so ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden. Dies bedeutet, dass die Aufhebung der Zeichenfolge „3, “ in § 10 Abs. 2 Z 1 StbG idF BGBl. I 38/2011 zwar aufgrund des Ausspruchs des Verfassungsgerichtshofes generell erst mit Ablauf des 31.12.2021 in Kraft tritt, dass der vorliegende Anlassfall jedoch bereits aufgrund der bereinigten Rechtslage also ohne die Zeichenfolge „3, “ in § 10 Abs. 2 Z 1 StbG entschieden werden muss.

Da § 10 Abs. 2 Z 1 StbG für den vorliegenden Fall nicht mehr auf § 53 Abs. 2 Z 3 FPG verweist, liegt das Verleihungshindernis, das zur Abweisung des Antrages durch die belangte Behörde geführt hat nicht mehr vor. Das Verhalten des Beschwerdeführers, welches zu einer Bestrafung geführt hat, lässt auch nicht den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer in Zukunft eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt, sodass auch das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht verwirklicht wurde. Die vom Beschwerdeführer gesetzte Verwaltungsübertretung stellt auch keine schwerwiegende Übertretung des NAG iSd § 10 Abs. 2 Z 2 StbG dar.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann.

Gemäß § 10 Abs. 5 StbG ist der Lebensunterhalt dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremden ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen.

Zur Berechnung des Lebensunterhaltes wurden die Monate Mai 2016 bis April 2019 geltend gemacht. In diesen Monaten erhielt der Beschwerdeführer insgesamt EUR 279.420,39 aus Erwerbseinkommen. Diesen regelmäßigen Einkünften standen regelmäßige Aufwendungen in Höhe von insgesamt nicht mehr als EUR 24.656,00 gegenüber. Unter Berücksichtigung der freien Station gemäß § 292 Abs. 3 ASVG verbleiben Aufwendungen in der Höhe von EUR 14.820,20. Bringt man die Aufwendungen von den Einkünften in Abzug, verblieben dem Beschwerdeführer im geltend gemachten Zeitraum EUR 264.600,19 zur Bestreitung des Lebensunterhaltes.

Gemäß § 10 Abs. 5 zweiter Satz ist diesem Betrag die Summe der Richtsätze gemäß § 293 ASVG jener 36 Monate gegenüberzustellen, die unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt gelegen waren. Der Beschwerdeführer war nicht verheiratet, sodass die Richtsätze des § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG heranzuziehen waren. Die Summe der maßgeblichen Richtsätze beträgt für den Zeitraum von März 2016 bis Februar 2019 EUR 32.385,60. Da die Summe der dem Beschwerdeführer in den maßgeblichen Monaten zur Verfügung stehenden Einkünfte die Summe der maßgeblichen Richtsätze übersteigt und der alleine in einem Haushalt lebende Beschwerdeführer auch keine Leistungen der Sozialhilfe bezogen hat, ist der Lebensunterhalt hinreichend gesichert.

Gemäß § 10a Abs. 1 StbG ist Voraussetzung jeglicher Verleihung der Staatsbürgerschaft der Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 Integrationsgesetz und von Grundkenntnissen der demokratischen Ordnung und die sich daraus ableitbaren Grundprinzipien sowie der Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes. Für eine Verleihung gemäß § 11a Abs. 6 Z 1 ist jedoch Voraussetzung, dass der Verleihungswerber abweichend von § 10a Abs. 1 Z 1, einen Nachweis über Deutschkenntnisse gemäß dem B2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GERS) erbringt. Einen solchen Nachweis hat der Beschwerdeführer mit Vorlage des B2-Sprachzertifikats vom 25.5.2021 erbracht.

Der Nachweis von Grundkenntnissen der demokratischen Ordnung sowie der Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes ist gemäß § 10a Abs. 5 StbG durch eine von der zuständigen Landesregierung durchzuführende Prüfung zu erbringen. Mit der erfolgreichen Absolvierung einer solchen Prüfung am 17.7.2019 hat der Beschwerdeführer auch diesen Nachweis erbracht.

Gemäß § 10 Abs. 3 Z 1 StbG darf einem Fremden, der eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden, wenn er die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen unterlässt, obwohl ihm diese möglich und zumutbar sind. Daraus folgt, dass ein Verleihungswerber grundsätzlich verpflichtet ist, die für das Ausscheiden aus seinem Staatsverband nötigen möglichen und zumutbaren Handlungen zu setzen. Diese Handlungspflicht findet ihre Grenze allerdings in der rechtlichen und faktischen Möglichkeit und Zumutbarkeit derartiger Handlungen (vgl. VwGH 24.06.2010, 2008/01/0779, mwN). Die Frage der Zumutbarkeit bezieht sich dabei auf die (Verzichts-)Handlung selbst und allenfalls deren Folgen, nicht jedoch darauf, ob der Verlust der fremden Angehörigkeit für den Verleihungswerber nachteilige Folgen haben kann (zB Probleme bei der Einreise in den fremden Staat, steuerliche Nachteile, Verlust des Wahlrechts) und daher für ihn allenfalls abträglich ist (vgl. VwGH 24.01.2013, 2010/01/0032).

Gemäß Abschnitt 8 des Ungarischen Gesetzes aus 1993 über die Ungarische Staatsbürgerschaft kann ein ungarischer Staatsangehöriger die Staatsangehörigkeit zurücklegen, wenn er eine andere Staatsangehörigkeit besitzt oder den anstehenden Erwerb einer solchen nachweisen kann. Über den Antrag hat der Präsident per Bescheid zu entscheiden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit tritt mit Ausstellung des Bescheides ein.

Im vorliegenden Fall beruht der rechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers wie oben ausgeführt darauf, dass er als Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der EU sein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen hat. Anders als in jenen Fällen, in denen der rechtmäßige Aufenthalt eines Verleihungswerbers auf einem innerstaatlichen österreichischen Rechtsakt wie zB einem Aufenthaltstitel nach dem NAG beruht, wird das Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall unmittelbar aus seiner ungarischen Staatsangehörigkeit abgeleitet. Aufgrund dieser Staatsangehörigkeit ist der Beschwerdeführer gemäß Art. 20 Abs. 1 AEUV Unionsbürger. Aufgrund der Unionsbürgerschaft hat er das Recht sich in Österreich gemäß Art. 20 Abs. 2 lit. a iVm Art. 21 Abs. 1 AEUV iVm Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) aufzuhalten.

Würde der Beschwerdeführer nun zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft gezwungen sein die ungarische Staatsbürgerschaft zurückzulegen, würde er zugleich die Grundlage für seinen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich verlieren. Der Verlust der ungarischen Staatsbürgerschaft würde für den Beschwerdeführer damit nicht bloß sonstige Nachteile mit sich bringen, sondern hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, denn der Entfall des rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich würde die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG unzulässig machen.

Aufgrund dieser Rechtsfolge ist es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar, die ungarische Staatsangehörigkeit vor dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zurückzulegen.

Es kann dem Beschwerdeführer auch nicht zugemutet werden, dass er zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft einen Antrag auf Zurücklegung der ungarischen Staatsangehörigkeit zu stellen hat. Sobald dieser Antrag gestellt ist liegt es nämlich einzig in der Hand der ungarischen Behörden, ob und allenfalls wann diesem Folge gegeben wird, sodass der Beschwerdeführer bis zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft stets der Gefahr ausgesetzt ist, nicht nur die ungarische Staatsangehörigkeit und damit die Unionsbürgerschaft zu verlieren, sondern in der Folge aufgrund der Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich auch für absehbare Zeit keinen Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft mehr zu haben.

Da dem Beschwerdeführer daher weitere Handlungen zum Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband nicht zumutbar waren, war auch von der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft abzusehen.

Der Beschwerdeführer wird darauf aufmerksam gemacht, dass ihm gemäß § 34 Abs. 1 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden kann, wenn er die ungarische Staatsangehörigkeit aus Gründen, die er zu vertreten hat, für mehr als zwei Jahre weiter beibehält.

Gemäß § 21 Abs. 2 StbG hat ein Fremder vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft ein entsprechendes Gelöbnis abzulegen, was der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien gemacht hat.

Da sämtliche Voraussetzungen für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erfüllt sind, war der Beschwerde stattzugeben und dem Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die vorliegende Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Auch die Beurteilung der Zumutbarkeit von Handlungen die erforderlich sind um aus dem bisherigen Staatsverband auszuscheiden, ist von der bestehenden (einheitlichen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes getragen (vgl. VwGH 24.06.2010, 2008/01/0779, mwN; 24.01.2013, 2010/01/0032).

Schlagworte

Verleihungsvoraussetzungen; Verleihungshindernisse; Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband; Zurücklegung; Zumutbarkeit; Gesetzesprüfungsantrag; Bindungswirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.152.022.14393.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten