TE Lvwg Beschluss 2021/8/2 VGW-031/044/8673/2020-6

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Veröffentlicht am 02.08.2021
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Entscheidungsdatum

02.08.2021

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art. 18 Abs2
B-VG Art. 139 Abs1 Z1
COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl. II 96/2020 §3

Text

Das Verwaltungsgericht Wien stellt durch seinen Richter Mag. Senft im Verfahren der Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 15.06.2020, Zl. …, betreffend Übertretung des § 1 und § 3 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 3 der Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II Nr. 96/2020, gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 iVm Art. 135 Abs. 4 iVm Art. 89 Abs. 2 B-VG iVm § 57 VfGG den

ANTRAG

der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen,

dass § 3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II 96/2020, gesetzwidrig war.

Begründung

I. Anlassfall:

1. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 15. Juni 2020, Zl. …, wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Übertretung der §§ 1 und 3 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II 96/2020, eine Geldstrafe in Höhe von € 240,-- bzw. für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von acht Stunden verhängt.

Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen er habe am 21. März 2020 um 18:55 Uhr eine Gaststätte in Wien, C.-straße, welche eine Betriebsstätte der Betriebsart des Gastgewerbes darstelle, betreten und sich länger aufgehalten, indem er im Betrieb an einem Tisch dort gekaufte Speisen und Getränke konsumiert habe, wobei dieser Bereich nicht unter die Ausnahme des § 3 Abs. 2 der Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II Nr. 96/2020, falle und bei dem es sich auch nicht um einen Beherbergungsbetrieb handle, obwohl das Betreten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe untersagt sei.

2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer anführt, er habe lediglich kurz in der Betriebsstätte eines Freundes auf diesen gewartet. Zudem macht er geltend, dass die der Bestrafung zugrunde liegende Verordnung überschießend, bzw. nicht durch das Gesetz gedeckt sei. Die Beschwerde wurde dem Verwaltungsgericht Wien von der belangten Behörde samt dem Verwaltungsakt zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Verfügung vom 20. April 2021 forderte das Verwaltungsgericht Wien den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz auf, dem Verwaltungsgericht Wien die vollständigen Verordnungsakten (bzw. vollständige Kopien aus dem elektronischen Akt) betreffend die Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II Nr. 96/2020 vorzulegen. Diesem Ersuchen wurde von Seiten der verordnungserlassenden Behörde mit Schreiben vom 25. April 2021 entsprochen.

3. Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Straferkenntnisses sind beim Verwaltungsgericht Wien die unten näher dargelegten Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der anzuwendenden Verordnungsbestimmung entstanden.

II. Rechtslage:

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl. I 12/2020, in der zum Tatzeitpunkt in Kraft stehenden Fassung lauteten:

„Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren- und Dienstleistungen

§ 1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.“

[…]

„Strafbestimmungen

§ 3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß § 1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

[…]“

2. § 3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, stand zum Tatzeitpunkt (21. März 2020) in der Stammfassung BGBl. II 96/2020 in Kraft. Die Abs. 1 bis 5 des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 waren bereits in der Stammfassung dieser Verordnung enthalten (Die Novelle BGBl. II 130/2020 fügte § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 mit Wirkung vom 3. April 2020 einen weiteren Absatz 6 über die Abholung vorbestellter Speisen an).

§ 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 in der Stammfassung BGBl. II 96/2020 lautet:

„96. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19

Auf Grund § 1 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19 Maßnahmengesetz), BGBl. I Nr. 12/2020 wird verordnet:

§ 1 […]

§ 3. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.

(2) Abs. 1 gilt nicht für Gastgewerbetriebe, welche innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:

1. Kranken-und Kuranstalten;

2. Pflegeanstalten und Seniorenheime;

3. Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten;

4. Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige genützt werden dürfen.

(3) Abs. 1 gilt nicht für Beherbergungsbetriebe, wenn in der Betriebsstätte Speisen und Getränke ausschließlich an Beherbergungsgäste verabreicht und ausgeschenkt werden.

(4) Abs. 1 gilt nicht für Campingplätze und öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn dort Speisen und Getränke ausschließlich an Gäste des Campingplatzes bzw. öffentlicher Verkehrsmitteln verabreicht und ausgeschenkt werden.

(5) Abs. 1 gilt nicht für Lieferservice.“

III. Zur Zulässigkeit des Antrages:

1. Präjudizialität:

1.1. Das im vorliegenden Fall angefochtene Straferkenntnis stützt sich ausdrücklich auf §§ 1 und 3 des COVID-19-Maßnahmengesetzes iVm § 3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II 96/2020, womit das Verwaltungsgericht Wien diese Bestimmungen in den genannten Fassungen bei der Entscheidung des Rechtsfalles anzuwenden hat (vgl. § 1 Abs. 2 VStG zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts).

1.2. In diesem Zusammenhang ist zwar zu beachten, dass gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung – COVID-19-LV), BGBl. II Nr. 197/2020, die Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II Nr. 96/2020 – somit auch deren § 3 – mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft trat. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes Wien führt dieser Umstand aber auch unter Beachtung des gemäß § 1 Abs. 2 VStG und Art. 7 EMRK gebotenen Günstigkeitsvergleiches nicht zum Entfall der Strafbarkeit und – damit einhergehend – zum Wegfall der für den gegenständlichen Antrag erforderlichen Präjudizialität (vgl. dazu VfSlg. 16.649/2002, 20.039/2016; seit der Novelle BGBl. I 33/2013 ist der Günstigkeitsvergleich auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anzustellen – vgl. dazu ua. VwGH 21.5.2019, Ra 2019/11/0017; zur Rechtslage davor hingegen VwSlg. 19.453 A/2016):

1.2.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der in § 1 Abs. 2 VStG enthaltene Grundsatz – wonach sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht richtet, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre – nur dann zur Anwendung, wenn die spätere Gesetzgebung zu erkennen gegeben hat, dass das Unwerturteil über das zur Zeit der Begehung strafbare Verhalten nachträglich milder einzuschätzen oder ganz weggefallen ist. Wollte der Gesetzgeber das strafrechtliche Unwerturteil über die Nichtbefolgung der in Betracht kommenden Verpflichtung hingegen weiterhin aufrechterhalten, besteht trotz der aus § 1 Abs. 2 VStG hervorleuchtenden Grundsätze keine Handhabe, das zum Zeitpunkt der Tat strafbar gewesene Verhalten anders zu beurteilen, als es zu beurteilen gewesen wäre, wenn die Entscheidung vor Inkrafttreten der Änderung erlassen worden wäre (VwGH 16.3.1994, 92/03/0106 hinsichtlich eines später aufgehobenen Haltegebots; siehe auch VwGH 26.1.1988, 96/17/0405; 19.10.1988, 88/03/0083; 24.4.2014, 2012/02/0299). Ändert sich etwa bei Blankettstrafnormen zwar der Inhalt des Blanketts reduzierend, bleibt das grundsätzliche strafrechtliche Verbot jedoch bestehen, hat eine nachträgliche Einschränkung des Blankettinhalts nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine Auswirkungen auf das Weiterbestehen der Strafnorm (VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107).

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass § 1 Abs. 2 VStG nur auf die Änderung der strafrechtlichen Vorschriften abstellt und die Bestimmung bei Gesetzesänderungen im außerstrafrechtlichen Bereich nicht zum Tragen kommt. So führte der Verwaltungsgerichtshof unter anderem aus, dass die Frage, ob eine Abgabepflicht überhaupt entstanden ist, nach Maßgabe der zur Tatzeit geltenden Abgabenvorschriften geprüft werden müsse, deren tataktuelle Verletzung durch eine allfällige spätere Substituierung durch andere für den Abgabenpflichtigen günstigere Bestimmungen nicht beseitigt werde, weshalb eine nachträgliche außerstrafrechtliche Gesetzesänderung an der bereits eingetretenen Strafbarkeit nichts ändere (VwGH 28.6.2016, Ra 2016/17/0057 zu einer Änderung der verordneten Kurzparkzeiten: „Die Änderung der Rechtslage zwischen dem Tatzeitpunkt und dem Ergehen des Straferkenntnisses betraf lediglich den Zeitraum, während dem die Abgabepflicht besteht, nicht aber das strafrechtliche Unwerturteil über die Abgabenverkürzung“; vgl. auch VwGH 24.1.2000, 97/17/0331 und VwGH 21.5.2007, 2004/05/0244; zu den verschiedenen Deutungen der Judikatur vgl. ua. Lewisch, § 1 VStG, in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 [2017] Rz 16; Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11 [2019] Rz 983; Wessely, § 1 VStG, in N. Raschauer/Wessely, VStG2 [2016] Rz 18).

1.2.2. Zusammenfassend kann die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wohl so verstanden werden, dass sich der Günstigkeitsvergleich in erster Linie auf eine (zwischenzeitliche) Änderung der Strafnorm bezieht und eine Änderung der Übertretungsnorm nur im Ausnahmefall zum Entfall der Strafbarkeit führen kann – nämlich dann, wenn mit der Änderung der Übertretungsnorm auch das damit vertypte Unrecht zur Gänze weggefallen ist. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes Wien davon auszugehen, dass der Gesetzgeber durch die (zwischenzeitige) Beseitigung bzw. Änderung (lediglich) der Übertretungsnorm in § 3-COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 (vgl. aber auch die "Nachfolgeregelung" in § 6 COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl. II 197/2020) sowie die nunmehrig in Kraft stehende Regelung des Gastgewerbes durch § 5 2. COVID-19-Öffnungsverordnung, BGBl. II Nr. 321/2021) – bei unveränderter Aufrechterhaltung der Sanktionsnorm im COVID-19-Maßnahmengesetz (§ 3 Abs. 3 bis zur Novelle BGBl. I 104/2020, vgl. nunmehr § 8 leg. cit. BGBl. I Nr. 105/2021) – nicht das mit der verbotenen Handlung verbundene Unwerturteil an sich beseitigen wollte. Vielmehr ging der Normsetzer offenkundig stets von der zeitlich befristeten Geltung der Verbote aus, deren Ziel mit einer bestimmten Reduktion der Infektionszahlen erreicht war. Es erschiene nicht konsequent, dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber mit der Erreichung dieses Ziels – trotz der Übertretungen – auch einen Entfall des Unwerturteils zu unterstellen.

Schließlich ist auch auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach der Gerichtshof nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. In diesem Sinn dürfe der Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Gesetzes- oder Verordnungsprüfung nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückweisen, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) sei, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und unter Beachtung der oben dargelegten Rechtsprechung zu § 1 Abs. 2 VStG erscheint es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes Wien zumindest „denkmöglich“, dass die mit dem vorliegenden Fall angefochtene Bestimmung anzuwenden ist.

Das Verwaltungsgericht Wien ist gemäß dem eben Gesagten der Auffassung, dass im vorliegenden Fall § 3 der Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 in der im Tatzeitpunkt maßgeblichen Stammfassung präjudiziell ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat zwar bereits in seinem Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V 405/2020-14, ausgesprochen, dass § 3 der Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 in der Fassung BGBl. II 130/2020 gesetzwidrig war, er hat damit jedoch nicht darüber abgesprochen, ob bzw. dass § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF vor BGBl. II 130/2020, das heißt vor dem 3. April 2020, gesetzwidrig war (VfGH 1.10.2020, V 405/2020-14, Rz 48).

2. Anfechtungsumfang:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg. 13.965/1994, 16.542/2002,16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg. 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg. 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012,19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014). Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg. 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G 211/2014; 7.10.2015, G 444/2015; VfSlg. 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg. 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg. 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

Zunächst ist festzuhalten, dass die angefochtene Verordnung mehrere unterschiedliche, voneinander trennbare Verbotstatbestände enthält (VfGH 1.10.2020, V 405/2020-14, Rz 17). Die Regelungen des § 1 und § 2 leg. cit. stehen daher nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem die Untersagung des Betretens von Betriebsstätten des Gastgewerbes regelnden § 3 leg. cit. § 4 leg. cit. regelt lediglich das In- bzw. Außerkrafttreten dieser Verordnung.

Mit der Bestimmung des § 3 Abs. 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl. II 96/2020, hat der Verordnungsgeber mit Wirkung vom 17. März 2020 (und zunächst befristet bis einschließlich 22. März 2020, s. § 4 Abs. 2 und 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl. II 96/2020) das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe untersagt. Die Absätze 2 bis 5 des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl. II 96/2020, knüpfen ausdrücklich an das Betretungsverbot des § 3 Abs. 1 der Verordnung an (diese beginnen jeweils mit der Wortfolge: "Abs. 1 gilt nicht für […]") und legen Ausnahmen von diesem fest.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 1. Oktober 2020, G 219/2020, V 417/2020, zur Bestimmung des § 3 Abs. 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl. II 130/2020 (mit der Verordnung BGBl. II 130/2020 wurde dem § 3 lediglich ein Absatz 6 angefügt; die Absätze 1 bis 5 blieben unverändert in der hier angefochtenen Stammfassung BGBl. II 96/2020 bestehen) ausgesprochen, dass die Absätze 2 bis 6 des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Verbot des Absatz 1 stehen. Auch im Hinblick auf die inhaltlich gleichlautende "Nachfolgeregelung" in § 6 COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl. II 197/2020, hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 1. Oktober 2020, V 429/2020, festgehalten, dass die übrigen Absätze des § 6 COVID-19-Lockerungsverordnung mit dem Betretungsverbot des § 6 Abs. 1 der Verordnung in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (zum Ganzen VfGH 08.06.2021, V 105/2021-5 ua. Rz 18 ff.).

Angesichts des vom Verfassungsgerichtshof angenommenen untrennbaren Zusammenhanges der Absätze 2 bis 5 des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 mit dem Betretungsverbot des § 3 Abs. 1 der Verordnung sieht sich das Verwaltungsgericht Wien veranlasst die gesamte Bestimmung des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl. II 96/2020 anzufechten (vgl. idS auch VfSlg. 20.124/2016; VfGH 11.6.2018, V 3/2018; zum Ganzen VfGH 08.06.2021, V 105/2021-5 ua. Rz 18 ff.).

3. Zum Antragsbegehren:

Da die angefochtene Bestimmung mit BGBl. II Nr. 197/2020 aufgehoben wurde, wird von Seiten des antragstellenden Gerichts beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, dass die angefochtene Bestimmung gesetzwidrig war.

IV. Bedenken:

Das Verwaltungsgericht Wien hegt gegen die angefochtene Verordnungsbestimmung folgende (vom Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V 405/2020-14, dargelegten) Bedenken:

§ 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl II 130/2020 hat sich auf § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz gestützt. § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz ermächtigt den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz beim Auftreten von COVID-19 insbesondere dazu, durch Verordnung "das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten" zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen zu untersagen, "soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen.

Diese Verordnungsermächtigung determiniert den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als verordnungserlassende Behörde in mehrfacher Hinsicht (VfGH 14.7.2020, V411/2020):

Das COVID-19-Maßnahmengesetz ist eine Reaktion des Gesetzgebers auf eine krisenhafte Situation durch das Auftreten des Coronavirus SARS-CoV-2 und die dadurch ausgelöste Coronavirus-Krankheit COVID-19. Betretungsverbote für Betriebsstätten nach § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz haben – gemeinsam mit einer Reihe weiterer staatlicher Maßnahmen in unterschiedlichen Rechtsformen und auf unterschiedlichen Ebenen – den Gesundheitsschutz durch Schutz der Funktionsfähigkeit der Gesundheitsinfrastruktur zum Ziel.

Krisenhafte Situationen wie die vorliegende sind dadurch gekennzeichnet, dass staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Ursache, Auswirkungen und Verbreitung der Krankheit unter erheblichem Zeitdruck und insofern unter Unsicherheitsbedingungen getroffen werden müssen, als Wissen darüber zu einem großen Teil erst nach und nach gewonnen werden kann und Auswirkungen wie Verbreitung von COVID-19 notwendig einer Prognose unterliegen.

Auch in solchen Situationen leitet, wie sonst, die Bundesverfassung Gesetzgebung und Verwaltung bei Maßnahmen zu ihrer Bewältigung insbesondere durch das Legalitätsprinzip des Art. 18 B-VG sowie die durch ein System verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte gebildete Grundrechtsordnung. Das Legalitätsprinzip stellt Anforderungen an die gesetzliche Bindung der Verwaltung bei ihren Maßnahmen zur Krisenbekämpfung. Die Grundrechtsordnung gewährleistet, dass in den notwendigen Abwägungsprozessen mit öffentlichen Interessen die in einer liberalen Verfassungsordnung wesentlichen Interessen des Einzelnen berücksichtigt und die beteiligten Interessen angemessen ausgeglichen werden, auch wenn, wie in der vorliegenden Situation, die öffentlichen Interessen auf grundrechtlich geschützten Interessen basieren, die den Staat auch zum Handeln verpflichten.

Nach Art. 18 Abs. 2 B-VG kann der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber Abwägungs- und Prognosespielräume einräumen und, solange die wesentlichen Zielsetzungen, die das Verwaltungshandeln leiten sollen, der Verordnungsermächtigung in ihrem Gesamtzusammenhang mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sind, die situationsbezogene Konkretisierung des Gesetzes dem Verordnungsgeber überlassen (vgl VfSlg 15.765/2000). Es kommt auf die zu regelnde Sache und den Regelungszusammenhang an, welche Determinierungsanforderungen die Verfassung an den Gesetzgeber stellt (VfSlg 19.899/2014 mwN). In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof auch mehrfach ausgesprochen, dass der Grundsatz der Vorherbestimmung verwaltungsbehördlichen Handelns nicht in Fällen überspannt werden darf, in denen ein rascher Zugriff und die Berücksichtigung vielfältiger örtlicher und zeitlicher Verschiedenheiten für eine sinnvolle und wirksame Regelung wesensnotwendig sind, womit auch eine zweckbezogene Determinierung des Verordnungsgebers durch unbestimmte Gesetzesbegriffe und generalklauselartige Regelungen zulässig ist (vgl VfSlg 17.348/2004 mwN). Dabei hat der Verfassungsgerichtshof auch darauf hingewiesen, dass in einschlägigen Konstellationen der Normzweck auch gebieten kann, dass eine zum Zeitpunkt ihrer Erlassung dringend erforderliche – unter Umständen unter erleichterten Voraussetzungen zustande gekommene – Maßnahme dann rechtswidrig wird und aufzuheben ist, wenn der Grund für die Erlassung fortfällt (siehe VfSlg 15.765/2000).

Überlässt der Gesetzgeber im Hinblick auf bestimmte tatsächliche Entwicklungen dem Verordnungsgeber die Entscheidung, welche aus einer Reihe möglicher, unterschiedlich weit gehender, aber jeweils Grundrechte auch intensiv einschränkender Maßnahmen er seiner Prognose zufolge und in Abwägung der betroffenen Interessen für erforderlich hält, hat der Verordnungsgeber seine Entscheidung auf dem in der konkreten Situation zeitlich und sachlich möglichen (vgl VfSlg 15.765/2000) und zumutbaren Informationsstand über die relevanten Umstände, auf die das Gesetz maßgeblich abstellt, und nach Durchführung der gebotenen Interessenabwägung zu treffen. Dabei muss er diese Umstände ermitteln und dies im Verordnungserlassungsverfahren entsprechend festhalten, um eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung zu gewährleisten (darauf hat der Verfassungsgerichtshof bereits in mehrfachem Zusammenhang abgestellt, vgl VfSlg 11.972/1989, 17.161/2004, 20.095/2016). Determiniert das Gesetz die Verordnung inhaltlich nicht so, dass der Verordnungsinhalt im Wesentlichen aus dem Gesetz folgt, sondern öffnet er die Spielräume für die Verwaltung so weit, dass ganz unterschiedliche Verordnungsinhalte aus dem Gesetz folgen können, muss der Verordnungsgeber die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände entsprechend ermitteln und dies im Verordnungserlassungsverfahren auch nachvollziehbar festhalten, sodass nachgeprüft werden kann, ob die konkrete Verordnungsregelung dem Gesetz in der konkreten Situation entspricht (das ist der Kern der Judikatur, derzufolge das Gesetz in einem Ausmaß bestimmt sein muss, "daß jeglicher Vollziehungsakt am Gesetz auf seine Rechtmäßigkeit hin gemessen werden kann", siehe zB VfSlg 12.133/1989). Insofern unterscheiden sich demokratische Gesetzgebung und generell abstrakte Rechtssetzung durch die Verwaltung im Wege von Verordnungen nach Art. 18 Abs. 2 B-VG. Die Determinierungswirkungen und damit die rechtsstaatliche und demokratische Bestimmung des Verordnungsgebers durch Art. 18 Abs. 2 B-VG zielen auf eine entsprechende Bindung bei der konkreten Verordnungserlassung ab.

Vor diesem Hintergrund hegte der Verfassungsgerichtshof angesichts des Anlasses und Kontextes, in dem der Gesetzgeber diese Regelung getroffen hat, keine Bedenken gegen § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz (vgl näher VfGH 14.7.2020, V411/2020).

Aus dem Regelungszusammenhang insbesondere mit § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz geht – so der Verfassungsgerichtshof weiter – die grundsätzliche Zielsetzung des Gesetzgebers hervor, durch Betretungsverbote für Betriebsstätten die persönlichen Kontakte von Menschen einzudämmen, die damit verbunden sind, wenn Menschen die Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen aufsuchen. Damit gibt das Gesetz den Zweck der Betretungsverbote konkret vor. Weiters ordnet das Gesetz an, dass der Verordnungsgeber diese Betretungsverbote im Hinblick auf den Zweck der Maßnahme nach Art und Ausmaß differenziert auszugestalten hat, je nachdem, inwieweit er es in einer Gesamtabwägung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 für erforderlich hält, das Betreten von Betriebsstätten oder nur von bestimmten Betriebsstätten zu untersagen oder deren Betreten unter bestimmte Voraussetzungen oder Auflagen zu stellen. Damit überträgt der Gesetzgeber dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz einen Einschätzungs- und Prognosespielraum, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich hält, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen zu treffen hat. Der Verordnungsgeber muss also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID-19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Betretungsverbote oder Betretungsbeschränkungen von Betriebsstätten zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 geeignete (der Zielerreichung dienliche) erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellen.

Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen von der gesetzlichen Ermächtigung des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz vorgesehen und auch gefordert ist.

Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichtet § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz vor dem Hintergrund des Art. 18 Abs. 2 B-VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie bestimmen sich maßgeblich danach, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.

All dies hat der Verfassungsgerichtshof bei seiner Prüfung, ob der Bundesminister den gesetzlichen Vorgaben bei Erlassung der angefochtenen Bestimmung des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 entsprochen hat, zu berücksichtigen. Damit ist für die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes insoweit der Zeitpunkt der Erlassung der entsprechenden Verordnungsbestimmungen und die diesen zugrunde liegende aktenmäßige Dokumentation maßgeblich, so der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 1.10.2020, V 405/2020-14, im Weiteren.

Dass es damit dafür, ob die angefochtenen Verordnungsbestimmungen mit den Zielsetzungen des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz im Einklang stehen, auch auf die Einhaltung bestimmter Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verfahren der Verordnungserlassung ankommt, ist kein Selbstzweck. Auch in Situationen, die deswegen krisenhaft sind, weil für ihre Bewältigung entsprechende Routinen fehlen, und in denen der Verwaltung zur Abwehr der Gefahr gesetzlich erhebliche Spielräume eingeräumt sind, kommt solchen Anforderungen eine wichtige, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sichernde Funktion zu (zum Ganzen VfGH 1.10.2020, V 405/2020-14).

Die Abs. 1 bis 5 des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 waren bereits in der Stammfassung dieser Verordnung enthalten und galten unverändert bis zum Außerkrafttreten der Verordnung mit 1. Mai 2020. Die Novelle BGBl II 130/2020 fügte § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 mit Wirkung vom 3. April 2020 einen weiteren Absatz 6 über die Abholung vorbestellter Speisen an; auch diese Bestimmung galt anschließend unverändert bis zum Außerkrafttreten der Verordnung mit 1. Mai 2020.

Als Grundlagen finden sich in dem – vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit Schriftsatz vom 25. April 2021 dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegten – Verordnungsakt lediglich Verordnungsentwürfe.

In dem vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz dem Verfassungsgerichtshof im dortigen Verfahren V 405/2020-14 vorgelegten – offenkundig der dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegten Aktenkopie nicht vollständig entsprechenden – Verwaltungsakt, der der Erlassung der (Stammfassung der) COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl II 96/2020 vom 15. März 2020, zugrunde liegt, wurde dem Erkenntnis des VfGH vom 1.10.2020, V 405/2020-14 zufolge unter der Rubrik "Sachverhalt" ausgeführt: "Die BReg hat auf Grund der aktuellen Situ[at]ion beschlossen, das Betreten von Geschäften ab MO 16.3. (mit Ausnahmen) zu verbieten, und den Betrieb von GastroUnternehmen mit 17.3.2020". Darüber hinaus fanden sich in dem dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakt keine weiteren, im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz relevanten Ausführungen oder Unterlagen (so VfGH 01.10.2020, V 405/2020-14, Rz 39).

Auf den Stand oder mögliche Entwicklungsszenarien von COVID-19 bezugnehmende und die (in Aussicht genommenen) Maßnahmen dazu und zu den sonstigen zu berücksichtigenden Interessen in Beziehung setzende Unterlagen oder Angaben finden sich nicht. Es ist aus den vorgelegten Verordnungsakten nicht ersichtlich, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID-19 den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung zur – von einzelnen in den Absätzen 2 bis 5 des § 3 normierten Ausnahmen abgesehen – Untersagung des Betretens von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe geleitet haben (vgl. bereits VfGH 1.10.2020 V 405/2020-14 betreffend § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl. II 130/2020 Rz 38 ff). Es dürfte daher an einer entsprechenden aktenmäßigen Dokumentation hinsichtlich der von der verordnungserlassenden Behörde gesetzten Maßnahmen mangeln. Somit wurde es unterlassen, jene Umstände, die den Verordnungsgeber bei der Verordnungserlassung bestimmt habe, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum er die mit der Regelung des § 3 Abs. 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat.

Das Verwaltungsgericht Wien ist daher der Ansicht, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung des § 3 der Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (auch) in der Stammfassung BGBl. II 96/2020 mangels entsprechender aktenmäßiger Dokumentation seiner Entscheidungsgrundlagen seiner gesetzlichen Grundlage nicht entspricht und daher – weil zwischenzeitig außer Kraft getreten – gesetzwidrig war.

V. Auswirkungen auf den Anlassfall:

Sollte der Verfassungsgerichtshof antragsgemäß aussprechen, dass der angefochtene Teil der gegenständlichen Verordnung gesetzwidrig war, hätte dies gemäß Art. 139 Abs. 6 B-VG zur Folge, dass die Verordnung im Anlassfall nicht mehr anzuwenden wäre. Der Beschwerde im Anlassfall wäre folglich stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG einzustellen. Daher ist die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung eine Vorfrage im Sinne des § 57 Abs. 2 VfGG für die Entscheidung der beim antragstellenden Gericht anhängigen Rechtssache.

Schlagworte

Normprüfungsverfahren; Betretungsverbot; Betriebstätte; Determinierung; aktenmäßigen Dokumentation

Anmerkung

VfGH v. 29.9.2021, V 188/2021; Bestimmung war gesetzwidrig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.031.044.8673.2020.6

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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