TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/2 W283 2243054-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2021
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Entscheidungsdatum

02.07.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §80

Spruch


W283 2243054-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Stefanie OMENITSCH über die Beschwerde von XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , StA. MAROKKO, im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zl. 1273103609-210203033 zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG iVm § 76 iVm § 80 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung nicht verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger von Marokko, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 08.01.2021 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 11.01.2021 wurde der Antrag betreffend eine Statusgewährung abgewiesen, die Abschiebung nach Marokko für zulässig erkannt, einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und ein Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 11.02.2021 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen einer Polizeikontrolle festgenommen, nachdem er sich dem Verfahren auf internationalen Schutz entzogen hatte und ohne behördliche Meldung im Bundesgebiet aufhältig war.

Am 12.02.2021 wurde der BF vom Bundesamt zur Prüfung der Verhängung einer Sicherungsmaßnahme einvernommen und am selben Tag mit Mandatsbescheid die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung gemäße § 76 Abs. 2 Z 2 FPG verhängt.

Der BF befindet sich seit 12.02.2021 zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung in Schubhaft. Am 21.02.2021 wurde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF bei der Vertretungsbehörde beantragt. Die Zustimmung für die Ausstellung eines Heimreisezertifikates liegt vor, jedoch sind im Entscheidungszeitpunkt Abschiebungen nach Marokko nicht möglich, sondern wird nur eine freiwillige Rückkehr nach Marokko akzeptiert.

Am 10.06.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Rahmen der amtswegigen Haftprüfung durch. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom selben Tag wurde gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

Am 28.06.2021 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft dem Bundesverwaltungsgericht fristgerecht vor. Dabei führte das Bundesamt aus, dass derzeit Abschiebungen nach Marokko nicht möglich seien und nur freiwillige Rückkehrer akzeptiert würden, wobei der BF diese Möglichkeit verweigere. Am 08.08.2021 sei mit den marokkanischen Behörden die erste zwangsweise Außerlandesbringung vereinbart worden. Sofern diese Überstellung im Hinblick auf die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stattfinden könne, so könne in weiterer Folge zeitnah für den BF eine begleitete Abschiebung organisiert werden.

Nach gerichtlichen Auftrag im Hinblick auf die gesetzliche Höchstdauer der Schubhaft und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des VwGH gab das Bundesamt fristgerecht am 01.07.2021 eine ergänzende Stellungnahme ab. Darin führte es aus, dass der BF nach Rechtskraft des Verfahrens internationaler Schutz untergetaucht sei und sich einem drohenden Abschiebeverfahren nach Marokko entzogen habe. Der BF habe die Unterkunft der Grundversorgung verlassen und sich unstet im Bundesgebiet aufgehalten. Der BF habe im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates falsche Angaben zu seiner Person beibehalten und habe er aufgrund der Fingerabdruckblätter identifiziert werden können. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht vom 10.06.2021 gab der BF zudem an, dass er eine Entlassung zur Ausreise nach Frankreich benützt würde, um sich dadurch der drohenden Abschiebung zu entziehen. Es sei somit eine Fluchtgefahr als erwiesen anzusehen. Der BF sei bei einer Personenkontrolle der Polizei kontrolliert und aufgrund der bestehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme festgenommen worden. Im Hinblick auf § 80 Abs. 4 Ziffer 4 FPG scheine dieser Sachverhalt als geeignet, dass der BF die Abschiebung dadurch gefährdet habe, da er sich bereits in der Vergangenheit dem Verfahren zur Sicherung der Abschiebung entzogen habe. Überdies setzte die Partei im Stande der Schubhaft ein psychisch auffälliges Verhalten, welches ohne medizinische Versorgung zu einer Enthaftung und in weiterer Folge zu einem Untertauchen geführt hätte. Der BF habe bis zu der Festnahme am 11.02.2021 alles unternommen, um für die Behörde nicht greifbar zu sein und dadurch verhindert, dass entsprechende Schritte im Verfahren zur Sicherung der Abschiebung hätten gesetzt werden können. Eine Rückführung könne auch nur in Begleitung von besonders geschulten Organen der öffentlichen Sicherheit erfolgen und sei es dem BF bewusst, dass eine solche Organisation in Pandemiezeiten mit Schwierigkeiten verbunden ist. Die Möglichkeit die Schubhaft wesentlich zu verkürzen sei der BF nicht bereit gewesen, da er eine freiwillige Rückkehr ablehne. Die Weigerung nach Marokko zurückkehren zu wollen, stelle ebenfalls ein Abschiebehindernis dar, da das Bundesamt gezwungen sei Begleitpersonen bereitzustellen und aufgrund der herrschenden Pandemie eine entsprechende Zustimmung durch die marokkanischen Behörden eingeholt werden müsste. Zusammenfassend liege die Voraussetzung gem. § 80 Abs. 4 Ziffer 4 FPG vor und werde die beabsichtigte Maßnahme dem BF gem. § 80 Abs. 7 FPG zeitgerecht mitgeteilt werden. Am 08.08.2021 solle die erste Abschiebung nach Marokko unter der bestehenden Pandemie durchgeführt werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 12.02.2021 in Schubhaft. Die Schubhaft wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG mit Mandatsbescheid des Bundesamtes vom 12.02.2021 verhängt. Zu prüfen ist, wie lange die noch zur Verfügung stehende Schubhaftdauer im gegenständlichen Fall ist und ob eine Abschiebung des BF noch innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft

1.1.1. Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet ein. Dokumente zum Nachweis seiner Identität hat er bisher nicht vorgelegt. Er wurde als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.1.2. Der BF wird seit 12.02.2021 in Schubhaft angehalten. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis von Donnerstag, dem 10.06.2021 die Anhaltung in Schubhaft überprüft. Die gesetzliche Frist zur (neuerlichen) Überprüfung der Schubhaft endet daher am Donnerstag, dem 08.07.2021.

Am 12.08.2021 wird der BF sechs Monate in Schubhaft angehalten werden.

1.1.3. Der BF ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

1.2. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf

1.2.1. Der BF stellte am 08.01.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, dem diesbezüglichen Verfahren hat er sich insofern entzogen, als der BF sich ohne behördliche Meldung im Bundesgebiet aufhielt und dem Bundesamt seinen Aufenthaltsort nicht bekanntgab.

1.2.2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.01.2021 wurde der Asylantrag negativ entschieden, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist. Gleichzeitig wurde gegen den BF ein Einreiseverbot in der Dauer von 2 Jahren erlassen und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Der BF entzog sich seiner Abschiebung aus Österreich, da er nach seiner Asylantragstellung für das Bundesamt nicht mehr greifbar war.

Mit Bescheid vom 12.02.2021 ordnete das Bundesamt gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an.

1.2.3. Der BF verfügt in Österreich weder über Familienangehörige noch relevante soziale Bindungen. Er ging in Österreich bisher keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, verfügt über kein Vermögen und keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.

1.2.4. Der BF ist nicht bereit freiwillig nach Marokko auszureisen. Der BF wird nach seiner Entlassung aus der Schubhaft untertauchen und unrechtmäßig nach Frankreich weiterreisen, um sich seiner drohenden Abschiebung zu entziehen.

1.3. Zur Verhältnismäßigkeit und Dauer

1.3.1. Der BF ist in Österreich unbescholten.

1.3.2. Der BF von den marokkanischen Behörden als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert. Die marokkanische Vertretungsbehörde hat der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF zugestimmt. Die Abschiebung des BF war seit 12.02.2021 wegen der derzeit bestehenden (Flug-)Reisebeschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht möglich. Derzeit sind nur freiwillige Ausreisen nach Marokko möglich. Zum Entscheidungszeitpunkt ist die Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Marokko für 08.08.2021 geplant. Der BF ist nicht für die Abschiebung am 08.08.2021 vorgesehen.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Abschiebung des BF bis 12.08.2021 durchführbar ist.

Es konnte für den Beschwerdeführer bisher kein Flug nach Marokko gebucht werden. Es ist derzeit auch kein möglicher Abschiebetermin für den Beschwerdeführer bis 12.08.2021 bekannt.

1.3.3. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der Beschwerdeführer erneut untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten, um sich einer Abschiebung zu entziehen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, dem vorliegenden Gerichtsakt sowie den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das Schubhaftverfahren des BF betreffend. Er ergibt sich ebenfalls aus den Stellungnahmen des Bundesamtes vom 28.06.2021 und vom 01.07.2021, sowie dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.06.2021, G306 2243054-1/8Z, und wurde bis dato nicht bestritten.

2.1. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft

2.1.1. Aus dem Verwaltungsakt sowie den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt sich, dass der BF illegal in das Bundesgebiet eingereist ist und bisher keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität vorgelegt hat. Von der marokkanischen Vertretungsbehörde wurde er entsprechend der vom Bundesamt am 01.07.2021 abgegebenen Stellungnahme als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des BF. Da sein Asylantrag in Österreich abgewiesen wurde, ist der BF weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2.1.2. Dass der BF seit 12.02.2021 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes sowie aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres. Da die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft zuletzt am Donnerstag, dem 10.06.2021 gerichtlich überprüft wurde, endet die Frist zur neuerlichen Überprüfung am Donnerstag, dem 08.07.2021.

2.1.3. Aus dem Akt ergeben sich keine Indizien für eine Haftunfähigkeit des BF. Dem Polizeianhaltezentrum obliegt der Vollzug der Anhalteordnung. Bereits aufgrund der gesetzlichen Bestimmung, wonach Personen, deren Haftunfähigkeit festgestellt oder offensichtlich ist, nicht angehalten werden dürfen, war festzustellen, dass der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt haftfähig ist und keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vorliegen. Dass der Beschwerdeführer Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung hat, ist unzweifelhaft.

2.2. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf

2.2.1. Die Feststellungen zur Asylantragstellung und zum Untertauchen des BF während des Verfahrens ergeben sich aus dem Akt des Bundesamtes und der Einsicht in das Zentrale Melderegister, wonach der keine behördliche Meldung außerhalb des Polizeianhaltezentrums aufweist, sowie aufgrund der Eintragungen in der Grundversorgungsdatei, wonach der BF zuletzt am 03.02.2021 Leistungen aus der Grundversorgung bezogen hat.

2.2.2. Die Feststellungen zu der mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.01.20211 erlassenen Rückkehrentscheidung sowie dem damit verbundenen Einreiseverbot beruhen auf dem im Schubhaftbescheid dargestellten Verfahrensgang. Die Feststellungen zur Erlassung des Schubhaftbescheides fußen auf dem im Akt aufliegenden Bescheid und der Übernahmebestätigung durch den BF.

2.2.3. Die Feststellungen zu den mangelnden familiären, sozialen und beruflichen Anknüpfungspunkten des BF in Österreich ergeben sich ebenso aus den bisher durchgeführten Einvernahmen bzw. der Beschwerdeverhandlung im Rahmen der ersten Haftprüfung, wie die Feststellung, dass der BF über kein Vermögen verfügt. Anhaltspunkte dafür, dass der BF über einen eigenen gesicherten Wohnsitz verfügt, liegen nicht vor, insbesondere verfügte er im Bundesgebiet über keine Meldeadresse außerhalb eines Polizeianhaltezentrums.

2.2.4. Die Feststellung, dass der BF nicht bereit ist freiwillig auszureisen, fußt auf seinen eigenen Angaben in der Beschwerdeverhandlung am 10.06.2021, ebenso wie die Feststellung, dass er beabsichtige nach Frankreich zu reisen.

2.3. Zur Verhältnismäßigkeit und Dauer

2.3.1. Die Feststellungen zur Unbescholtenheit des BF beruhen auf einer Einsichtnahme in das Strafregister.

2.3.2. Die Feststellungen zum Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF beruhen auf dem Akteninhalt, insbesondere auf den Stellungnahmen des Bundesamtes vom 28.06.2021 und 01.07.2021. Dass es aufgrund der zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie zu Verzögerungen hinsichtlich der Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat kommt, ist zudem evident. Abschiebungen nach Marokko auf dem Luftweg sind bereits vor Ausbruch der COVID-19 Pandemie regelmäßig durchgeführt worden. Dass zum Entscheidungszeitpunkt nur freiwillige Ausreisen möglich sind und die Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Marokko mit 08.08.2021 geplant ist, war aufgrund der diesbezüglichen Ausführungen des Bundesamtes in den Stellungnahmen vom 28.06.2021 und 01.07.2021 zu entnehmen. Ebenso ergibt sich aus diesen Stellungnahmen, dass der BF nicht für die Abschiebung am 08.08.2021 vorgesehen ist. Die Anhaltung des BF in Schubhaft für sechs Monate würde am 12.08.2021 enden. Es liegen keine Hinweise vor, dass die Abschiebung des BF bis 12.08.2021 durchführbar sein wird. Das erkennende Gericht geht im Entscheidungszeitpunkt nicht davon aus, dass eine Abschiebung des BF bis 12.08.2021 wahrscheinlich ist.

2.3.3. Das Gericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer bei einer Entlassung aus der Schubhaft untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten wird. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer sein bisher gezeigtes Verhalten ändern wird, sondern hat er selbst zuletzt am 10.06.2021 angegeben, dass er nach Frankreich reisen wolle.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Maßgebliche Rechtslage

3.1.1. § 80 des Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet auszugsweise:

„Dauer der Schubhaft

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2.

sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.

eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3.

der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4.

die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

…“

3.1.2. Art 2 und Art 15 Rückführungsrichtlinie lauten auszugsweise:

„Anwendungsbereich (Rückführungsrichtlinie)

Art 2. (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.“

„Inhaftnahme (Rückführungsrichtlinie)

Art 15. (1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, (…)

(5) Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf. 

(6) Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:
a.         mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder,
b.         Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.

…“

3.1.2. Zur Judikatur

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Diesen Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (VwGH vom 11.06.2013, 2013/21/0024).

3.1.3. Dauer der Schubhaft

Zu prüfen ist, wie lange der Beschwerdeführer noch vor dem Hintergrund der zulässigen Dauer einer Anhaltung in Schubhaft in Schubhaft angehalten werden darf und ob eine Abschiebung des Beschwerdeführers noch innerhalb der noch zur Verfügung stehenden, zulässigen Dauer der Schubhaft bewerkstelligt werden kann.

Die Anhaltung der Dauer in Schubhaft ist in § 80 FPG geregelt. § 80 FPG sieht in Abs. 2 eine grundsätzliche Anhaltung in Schubhaft von bis zu drei oder sechs Monaten vor. Gemäß Abs. 5 kann die Dauer der Schubhaft auf 10 Monate, und gemäß Abs. 4 auf 18 Monate – bei Vorliegen aller Voraussetzungen – verlängert werden.

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG kann die Schubhaft verlängert werden, wenn zumindest eine der in den Z 1 bis 4 genannten zusätzlichen Voraussetzungen erfüllt ist.

3.1.4. Aus den erläuternden Bemerkungen zu § 80 FPG (RV 1523 BlgNR XXV. GP 2, Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) ergibt sich:

„Schließlich wird durch die Änderung des § 80 FPG einerseits die Regelung der höchstzulässigen Dauer der Schubhaft den Vorgaben des Unionsrechts auf Grund der Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. Nr. L 348 vom 24.12.2008 S. 98 (im Folgenden: „Rückführungs-RL“) angepasst.“

Mit § 80 FPG wird die Bestimmung des Art. 15 Rückführungs-RL umgesetzt. Ist eine Anhaltung des Fremden in Schubhaft über die übliche Dauer gemäß § 80 Abs. 2 FPG vorgesehen und fällt daher die Überprüfung einer Anhaltung in Schubhaft in den Anwendungsbereich der Rückführungs-RL, ist die innerstaatliche Bestimmung des § 80 FPG richtlinienkonform auszulegen.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich gemäß Art. 2 Abs. 1 Rückführungs-RL um einen Drittstaatsangehörigen handelt, der sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates aufhält. Die Rückführungs-RL ist im gegenständlichen Fall daher anwendbar und die Bestimmung des § 80 FPG daher im Sinne der Rückführungs-RL auszulegen.

3.1.5. Die Anhaltung in Schubhaft darf gemäß § 80 Abs. 2 FPG grundsätzlich die Dauer von sechs Monaten nicht übersteigen. Dies steht im Einklang mit Art. 15 Abs. 5 der Rückführungs-RL.

Im gegenständlichen Fall wird der Beschwerdeführer seit 12.02.2021 in Schubhaft angehalten, sodass eine Abschiebung des Beschwerdeführers innerhalb von sechs Monaten, sohin bis zum 12.08.2021 zu erfolgen hätte.

Derzeit sind Abschiebungen nach Marokko jedenfalls bis 08.08.2021 nicht möglich. Für die geplante Abschiebung am 08.08.2021 ist der BF nicht vorgesehen. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers bis zum 12.08.2021 ist äußerst unwahrscheinlich und hat das Bundesamt dies auch nicht bescheinigt. Es ist auch vom Bundesamt nicht vorgesehen den Beschwerdeführer bis zum 12.08.2021 mit einem Flug – allenfalls mit einem Zwischenstopp – oder auf einem anderen Weg nach Marokko abzuschieben. Es steht auch sonst kein Abschiebetermin des Beschwerdeführers fest.

Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde bereits zugesagt.

3.1.6. Zu prüfen ist daher, ob in der vorliegenden Konstellation aufgrund der Bestimmungen des § 80 Abs. 4 FPG iVm Art. 15 Rückführungs-RL von einer Schubhaftdauer von bis zu 18 Monaten auszugehen ist.

3.1.6.1. Gemäß § 80 Abs. 4 Z 1 FPG kann ein Drittstaatsangehöriger bis zu 18 Monate in Schubhaft angehalten werden, wenn er bisher deshalb nicht abgeschoben werden konnte, weil die Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist.

Der BF wurde bereits von der Vertretungsbehörde als Staatsangehöriger von Marokko identifiziert und liegt die Zustimmung zur Erteilung eines Heimreisezertifikates vor.

§ 80 Abs. 4 Z 1 FPG liegt daher gegenständlich nicht vor.

3.1.6.2. Gemäß § 80 Abs. 4 Z 2 FPG kann ein Drittstaatsangehöriger bis zu 18 Monate in Schubhaft angehalten werden, wenn er bisher deshalb nicht abgeschoben werden konnte, weil eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt. Mit dieser Bestimmung wird Art. 15 Abs. 6 lit. b der Rückführungs-RL umgesetzt. Gemäß Art. 15 Abs. 6 lit. b Rückführungs-RL kann die höchstmögliche Dauer der Anhaltung in Schubhaft um weitere 12 Monate in Fällen verlängert werden, in denen Abschiebungsmaßnahmen trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch einen Drittstaat, wahrscheinlich länger dauern werden.

Während § 80 Abs. 4 Z 2 FPG darauf abstellt, dass für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligungen eines anderen Staates nicht vorliegen, stellt Art. 15 Abs. 6 lit. b Rückführungs-RL darauf ab, dass es trotz angemessener Bemühungen zu einer Verzögerung der Übermittlung dieser Unterlagen durch den Drittstaat kommt. Der Anwendungsbereich der Rückführungs-RL ist daher enger gefasst, als in der Umsetzung des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG. Es ist daher die nationale Bestimmung im Sinne der Rückführungs-RL enger auszulegen.

Im gegenständlichen Fall wurde vom Bundesamt nicht dargelegt, dass derartige Unterlagen iSd § 80 Abs. 4 Z 2 FPG nicht vorliegen würden, sondern wurde ausgeführt, dass eine Abschiebung nur in Begleitung von besonders geschulten Organen der öffentlichen Sicherheit erfolgen könne und dem BF die Schwierigkeiten einer solchen Organisation in Pandemiezeiten bewusst seien. Trotz Aufforderung des Gerichts hat das Bundesamt nicht substantiiert dargelegt und mit Bescheinigungsmittel untermauert, dass der Tatbestand des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG erfüllt sei. Im Verfahren sind keinerlei Hinweise für das Vorliegen des Tatbestandes gemäß § 80 Abs. 4 Z 2 FPG zu Tage getreten und liegt hier daher gegenständlich kein Fall vor, in dem die Abschiebemaßnahme aufgrund einer Verzögerung bei der Übermittlung von Unterlagen eines Drittstaates nicht durchgeführt werden kann.

Die Anhaltung in Schubhaft über sechs Monate kann daher im gegenständlichen Fall nicht auf eine 18-monatige Schubhaftdauer gemäß § 80 Abs. 4 Z 2 FPG gestützt werden.

3.1.6.3. Zu § 80 Abs. 4 Z 3 FPG, wonach eine Schubhaft höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden kann, wenn der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt widersetzt, ist vollständigkeitshalber festzuhalten, dass auch dafür gegenständlich keinerlei Anhaltspunkte vorliegen.

Die Anhaltung in Schubhaft über sechs Monate kann daher im gegenständlichen Fall auch nicht auf eine 18-monatige Schubhaftdauer gemäß § 80 Abs. 4 Z 3 FPG gestützt werden.

3.1.6.4. Gemäß § 80 Abs. 4 Z 4 FPG kann ein Drittstaatsangehöriger bis zu 18 Monate in Schubhaft angehalten werden, wenn er bisher deshalb nicht abgeschoben werden konnte, weil die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint. Mit dieser Bestimmung wird Art. 15 Abs. 6 lit. a der Rückführungs-RL umgesetzt, wonach sich in den Fällen, in denen Abschiebungsmaßnahmen trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen wahrscheinlich länger dauern werden, die höchstmögliche Schubhaftdauer um weitere 12 Monate verlängert.

§ 80 Abs. 4 Z 4 FPG stellt auf eine Gefährdung der Abschiebung ab, die sich daraus ergeben kann, dass sich der Fremde bereits einmal dem Verfahren entzogen hat oder er ein Abschiebehindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat. Art. 15 Abs. 6 lit a der Rückführungs-RL stellt darauf ab, dass sich eine Abschiebung aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers verzögert. Nach der Rückführungs-RL muss die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Drittstaatsangehörigen daher kausal für die Verzögerung von Abschiebungsmaßnahmen sein, sodass auch § 80 Abs. 4 Z 4 FPG diesbezüglich im Sinn von Art 15 Rückführungs-RL auszulegen ist.

Liegt bereits ein Heimreisezertifikat vor, käme eine Aufrechterhaltung von Schubhaft über sechs Monate hinaus nur bei mangelnder Kooperationsbereitschaft des Fremden (Art. 15 Abs. 6 lit. a Rückführungs-RL) in Betracht. Mangelnde Kooperationsbereitschaft gemäß Art. 15 Abs. 6 lit. a Rückführungs-RL kann nur dann angenommen werden, wenn die Prüfung des Verhaltens des Drittstaatsangehörigen während der Haft ergibt, dass er bei der Durchführung der Abschiebung nicht kooperiert hat und dass die Abschiebung wegen dieses Verhaltens wahrscheinlich länger dauern wird als vorgesehen. Das Verhalten des Drittstaatsangehörigen muss demnach kausal für die längere - mehr als sechsmonatige (vgl. Art 15 Abs. 5 Rückführungs-RL) - Dauer seiner Anhaltung in Schubhaft sein (vgl. EuGH 5.6.2014, Mahdi, C-146/14 PPU). In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FrPolG 2005 - vor dem Hintergrund der gebotenen richtlinienkonformen Interpretation - auszulegen. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen somit die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 6 lit. a Rückführungs-RL und damit der Ausnahmetatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FrPolG 2005 für eine Anhaltung in Schubhaft über die Dauer von sechs Monaten (vgl. § 80 Abs. 2 Z 2 FrPolG 2005) hinaus nicht vor (VwGH Ra 2020/21/0404 vom 15.12.2020).

Dem Bundesamt wurde unter explizitem Hinweis auf die Rechtsprechung des VwGH zu § 80 Abs. 4 Z 4 FPG die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme im Hinblick auf das Vorliegen der Tatbestände des § 80 FPG gewährt. Dabei führte das Bundesamt aus, dass der BF seine Abschiebung dadurch gefährdet habe, da er sich bereits in der Vergangenheit dem Verfahren zur Sicherung entzogen habe. Überdies habe der BF ein psychisch auffälliges Verhalten gesetzt, welches ohne medizinisches Einschreiten im Polizeianhaltezentrum, zu einer Enthaftung und in weiterer Folge zu einem Untertauchen des geführt hätte. Weiters habe der BF zu der Festnahme im Rahmen einer polizeilichen Zufallskontrolle am 11.02.2021 alles unternommen, um für die Behörde nicht greifbar zu sein und dadurch verhindert, dass entsprechende Schritte im Verfahren zur Sicherung der Abschiebung gesetzt werden konnten. Eine Rückführung könne auch nur in Begleitung von besonders geschulten Organen der öffentlichen Sicherheit erfolgen und sei es dem BF bewusst, dass eine solche Organisation in Pandemiezeiten mit Schwierigkeiten verbunden sei. Die Möglichkeit die Schubhaft wesentlich zu verkürzen war der BF nicht bereit, da er eine freiwillige Rückkehr ablehne. Die Weigerung nach Marokko zurückkehren zu wollen, stelle ebenfalls ein Abschiebehindernis dar, da das Bundesamt gezwungen sei Begleitpersonen bereitzustellen und aufgrund der herrschenden Pandemie eine entsprechende Zustimmung durch die marokkanischen Behörden eingeholt werden müsste.

Dem Bundesamt ist hier entgegen zu halten, dass das Verhalten des BF seit 12.02.2021 im Lichte der angeführten Rechtsprechung nicht kausal für das Abschiebehindernis ist. Die Abschiebung konnte nicht stattfinden, da aufgrund der COVID-Maßnahmen die Abschiebungen nach Marokko eingestellt wurden. Die COVID-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen der Abschiebeflüge sind daher kausal für die Verzögerung der Abschiebung.

Dem Bundesamt ist zwar beizupflichten, dass gegenständlich erhebliche Fluchtgefahr vorliegt, das Untertauchen des Beschwerdeführers vor seiner Festnahme steht aber in keinem adäquaten Kausalzusammenhang mit der Dauer der Anhaltung in Schubhaft. Für das derzeitige Abschiebehindernis ist die Aussetzung der Abschiebeflüge nach Marokko bis 08.08.2021 ursächlich.

Das Gericht geht davon aus, dass der BF bereits nach Marokko abgeschoben worden wäre, wenn Abschiebeflüge nach Marokko möglich wären. Er ist bereits als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert worden und hat die marokkanische Vertretungsbehörde bereits die Ausstellung eines Heimreisezertifikats zugesagt. Im vorliegenden Fall steht daher ausschließlich die Einschränkung des internationalen Flugverkehrs in einem kausalen und diesbezüglich adäquaten Kausalzusammenhang mit der Verzögerung der Abschiebung.

Eine Einschränkung der Abschiebungen aufgrund der COVID-19-Pandemie ist jedoch nicht unter einer mangelnden Kooperationsbereitschaft von Drittstaatsangehörigen im Sinne des Art. 15 Abs. 5 lit. a der Rückführungs-RL zu subsumieren. § 80 Abs. 4 Z 4 FPG liegt daher nicht vor.

3.1.7. Es liegen daher die Voraussetzungen für eine Verlängerung der 6-monatigen Schubhaftdauer auf 18 Monate nicht vor. Im gegenständlichen Fall darf die Schubhaftdauer von sechs Monaten nicht überschritten werden.

3.1.8. Da erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (VwGH 11.06.2013, 2013/21/0024), liegen die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht mehr vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.1.9. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebungshindernis Dauer Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Heimreisezertifikat Identität Kausalzusammenhang Mittellosigkeit Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Unbescholtenheit Untertauchen Verzögerung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W283.2243054.2.00

Im RIS seit

05.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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