TE Vwgh Erkenntnis 2021/7/8 Ra 2021/20/0074

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Veröffentlicht am 08.07.2021
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Index

E3R E19104000
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG 2014 §21 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwRallg
32013R0604 Dublin-III

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Jänner 2021, W161 2238824-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: A M in L, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 21. Oktober 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Rumänien.

2        Am 27. November 2020 stellte der Mitbeteiligte einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) in Österreich.

3        Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Jänner 2021 wurde der in Österreich gestellte Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz die Zuständigkeit Rumäniens festgestellt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Rumänien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

4        In den Feststellungen zur Lage in Rumänien verwies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf die aktuellen Länderinformationen zu diesem Staat, die dem Mitbeteiligten zur Ansicht und Abgabe einer Stellungnahme ausgefolgt worden seien. Weiters traf die Behörde disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung des Bescheides Feststellungen zur Unterbringung, der Verpflegung und Covid-19-Situation in diesem Mitgliedstaat und ging davon aus, dass in Rumänien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verletzung der nach der EMRK gewährleisteten Rechte im gegenständlichen Zusammenhang nicht eintreten werde. Auch aus der Rechtsprechung des EGMR oder aus sonstigem Amtswissen lasse sich eine systematische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Rumänien keinesfalls erkennen.

5        Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen den Bescheid vom 3. Jänner 2021 erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) statt, behob den bekämpften Bescheid und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe es zur Gänze unterlassen, im Bescheid Feststellungen zur Lage in Rumänien zu treffen. Der Verweis darauf, dass dem Mitbeteiligten die aktuellen Länderinformationen ausgefolgt worden seien, sei nicht ausreichend. Die Möglichkeit des Verweisens auf einen Text, der der Partei zugegangen sei, entbinde die Behörde nicht von ihrer Verpflichtung, den im konkreten Fall maßgeblichen Sachverhalt als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens klar und eindeutig darzustellen. Die Feststellungen seien zudem nicht aktuell. Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und festgestellt worden sei, sei nach § 21 Abs. 3 BFA-VG vorzugehen gewesen.

7        Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Zu ihrer Zulässigkeit bringt sie zum einen vor, der Verweis des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl auf das Länderinformationsblatt im Bescheid sei zulässig gewesen. Zum anderen weiche das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG ab. Das Bundesverwaltungsgericht hätte jederzeit eine entsprechende Anfrage an die Staatendokumentation richten und den angenommenen Ermittlungsmangel der nicht hinreichend aktuellen Länderfeststellungen rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen können.

8        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurückweisung, in eventu Abweisung der Amtsrevision.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Die Revision ist aufgrund des im Zulässigkeitsvorbringen aufgezeigten Abweichens des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig; sie ist auch begründet.

11       Gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

12       Bei § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG handelt es sich um eine von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG abweichende Regelung, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG genannten Voraussetzungen geknüpft ist. Mit einer solchen Entscheidung geht die Rechtsfolge der Zulassung des Asylverfahrens einher. Diese Sonderbestimmung gelangt für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren zur Anwendung.

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgeführt, dass auf die Zielsetzung des Gesetzgebers, das Verfahren über eine im Zulassungsverfahren - im Besonderen gegen eine zurückweisende Entscheidung - erhobene Beschwerde rasch einer Erledigung zuzuführen, Bedacht zu nehmen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, ob mit der in der gebotenen Eile zu treffenden Entscheidung über die Beschwerde auch das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz insgesamt beendet werden kann (vgl. zum Ganzen VwGH 6.8.2020, Ra 2020/01/0142, mwN; dazu grundlegend vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072, mwN).

14       Der Verwaltungsgerichtshof geht - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erläuterungen zu § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG - davon aus, dass immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom Bundesverwaltungsgericht in der für die Erledigung gebotenen Eile beseitigt werden können, der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattzugeben ist. Eine Verhandlung hat diesfalls zu unterbleiben. Ist hingegen davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann, hat es von einer Beschwerdestattgebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG Abstand zu nehmen und die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens (samt der Feststellung allfällig fehlenden Sachverhaltes) selbst vorzunehmen. Dabei hat es sich bei der Beurteilung gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung, ob eine Verhandlung durchzuführen ist, auch davon leiten zu lassen, ob die vorhandenen Ermittlungsmängel zweckmäßigerweise durch im Rahmen der Verhandlung vorzunehmende Beweisaufnahmen beseitigt werden können (vgl. VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0060, mwN).

15       Einer behebenden Entscheidung im Sinn des § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG muss damit auch - unter Überbindung der Rechtsansicht - entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde unterlaufen sind. Zudem hat das Verwaltungsgericht in seiner Begründung offenzulegen, warum es nicht in der Lage ist, die Ermittlungsmängel in der - für die Erledigung des im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden Beschwerdeverfahrens - gebotenen Eile zu beseitigen (vgl. VwGH 14.1.2020, Ra 2019/18/0311, mwN).

16       Eine Auseinandersetzung damit, warum das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht in der Lage gewesen sei, die (allfälligen) Ermittlungsmängel in der für die Erledigung gebotenen Eile selbst zu beseitigen, fehlt im bekämpften Beschluss.

17       Im Übrigen ist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 2021, Ra 2020/01/0235, hinzuweisen, in dem darauf verwiesen wurde, dass dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 5 Abs. 3 BFA-VG die Möglichkeit offen steht, eine Anfrage an die Staatendokumentation zur aktuellen Lage im Mitgliedsstaat (hier Rumänien) zu richten.

18       Vor diesem Hintergrund war auf das übrige Vorbringen in der Revision nicht mehr einzugehen.

19       Die angefochtene Entscheidung war nach dem Gesagten wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

20       Bei diesem Ergebnis war dem Mitbeteiligten gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

Wien, am 8. Juli 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200074.L01

Im RIS seit

10.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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