TE Bvwg Beschluss 2021/4/26 W255 2237774-1

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Veröffentlicht am 26.04.2021
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Entscheidungsdatum

26.04.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
PG 1965 §17
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W255 2237774-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau vom 13.11.2020, Zl. XXXX , betreffend Antrag auf Waisenversorgungsgenuss gemäß § 17 Abs. 3 Pensionsgesetz 1965 (PG):

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

1.       Verfahrensgang:

1.1.    Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), stellte am 29.01.2020 bei der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (im Folgenden: BVAEB) einen Antrag auf Waisenversorgungsgenuss.

Im Verfahren vor der BVAEB wurden vom BF ua die folgenden Dokumente vorgelegt:

?        Vorläufiger Befundbericht von XXXX , Abteilung für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters und Heilpädagogik des XXXX , vom 18.05.1998 (Diagnose: „längere depressive Rektion, Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters, vorübergehende dissoziative Störung in Kindheit und Jugend, Grimassieren, Poltern, eingeschränkte Verständlichkeit der Spontansprache, kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten, Dyspraxie, unmittelbar beängstigende Erlebnisse, isolierte Familie, psychiatrische Erkrankung der Mutter und des Bruders, Disharmonie in der Familie zwischen den Erwachsenen, unzureichende elterliche Aufsicht und Steuerung, Erziehung di eine unzureichende Erfahrung vermittelt“);

?        Entwicklungsbericht des Schulheims XXXX , vom 14.05.1999;

?        Situationsbericht von XXXX , XXXX , vom 28.06.2006;

?        Sachverständigen-Gutachten von XXXX , Facharzt für Psychiatrie, vom 06.06.2019 iS BBG (50% Grad der Behinderung; Diagnose: „Schizophrene Störungen, Schizophrene Störung mittelschwere Verlaufsform“);

?        Sachverständigen-Gutachten von XXXX , Facharzt für Psychiatrie, vom 23.12.2019 iS Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld (Diagnose: „Erkrankung aus schizophrenem Formenkreis; endogene Psychose“);

?        Sachverständigen-Gutachten von XXXX , Facharzt für Psychiatrie, vom 21.01.2020 iS FLAG (50% Grad der Behinderung, Diagnose: „Schizophrene Störung“; der BF sei voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen);

1.2.    Am 03.07.2020 erstellte XXXX im Auftrag der BVAEB eine als „Oberbegutachtung“ betitelte schriftliche Stellungnahme zur Frage der Erwerbs(un)fähigkeit des BF.

1.3.    Mit Schreiben vom 07.07.2020 informierte die BVAEB den BF über den Inhalt der schriftlichen Stellungnahme von XXXX vom 03.07.2020 und teilte ihm mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf Waisenversorgungsgenuss mangels Vorliegen der Voraussetzungen abzuweisen. Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, hierzu binnen sechs Wochen Stellung zu beziehen.

1.4.    Mit Schreiben vom 28.07.2020 übermittelte der BF der BVAEB einen „klinisch-psychologischen Befund“ von XXXX , vom 27.07.2020, mit der Diagnose: „Autismus Spektrum Störung“, mit dem Ersuchen um Weiterleitung an XXXX zwecks Berücksichtigung.

1.5.    Mit Bescheid der BVAEB vom 13.11.2020, Zl. XXXX , wurde festgestellt, dass der BF keinen Anspruch auf Waisenversorgungsgenuss habe. Dabei stützte sich die BVAEB auf die schriftliche Stellungnahme von XXXX vom 03.07.2020.

1.6.    Mit Schreiben vom 08.12.2020 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den unter Punkt 1.5. genannten Bescheid der BVAEB vom 13.11.2020, Zl. XXXX . In seiner Beschwerde brachte der BF unter anderem vor, dass er leider in der Kindheit nicht richtig untersucht worden sei und es auch die BVAEB verabsäumt habe, ihn im Jahr 2013 und/oder im gegenständlichen Verfahren zu untersuchen. Die Untersuchung von XXXX habe das eindeutige Ergebnis geliefert, dass der BF an Autismus leide und dieses Leiden schon seit Kindheit bestanden habe. Der BF legte der Beschwerde eine weitere „klinisch-psychologische Stellungnahme“ von XXXX vom 02.12.2020 bei.

1.7.    Am 16.12.2020 wurde der Akt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

2.1.    Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

2.2.    Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

2.3.    Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

2.4.    Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

?        Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

?        Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

?        Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

2.5.   Im gegenständlichen Fall hat der BF einen Antrag auf Waisenversorgungsgenuss gemäß § 17 PG gestellt. § 17 PG lautet:

„Anspruch auf Waisenversorgungsgenuß

§ 17. (1) Dem Kind eines verstorbenen Beamten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, gebührt ab dem auf den Todestag des Beamten folgenden Monatsersten ein monatlicher Waisenversorgungsgenuss, wenn der Beamte an seinem Todestag Anspruch auf Ruhegenuss gehabt hat oder im Fall der mit Ablauf dieses Tages erfolgten Versetzung in den Ruhestand gehabt hätte. Ein Stiefkind hat nur dann Anspruch auf Waisenversorgungsgenuß, wenn es am Sterbetag des Beamten bei der Bemessung des Kinderzuschusses oder der früheren Kinderzulage zu berücksichtigen gewesen ist.

(2) Dem Kind eines verstorbenen Beamten, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, gebührt auf Antrag ein monatlicher Waisenversorgungsgenuß, solange es sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht.

[…]

(3) Dem Kind eines verstorbenen Beamten, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, gebührt auf Antrag ein monatlicher Waisenversorgungsgenuß, wenn es seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des im Abs. 2 genannten Zeitraumes infolge Krankheit oder Behinderung erwerbsunfähig ist. […]“

2.6. Im Beschwerdefall ist die Gebührlichkeit des Waisenversorgungsgenusses nach § 17 Abs. 3 PG strittig. Die Beurteilung des im Gesetz verwendeten Rechtsbegriff „erwerbsunfähig“ setzt die Beantwortung von Fragen voraus, die in das Gebiet ärztlichen Fachwissens fallen. Die Heranziehung ärztlicher Sachverständiger zur Lösung medizinischer Vorfragen wird sohin zwingend angeordnet.

2.7.   Der Anspruch auf Waisenversorgungsgenuss gebührt unmittelbar auf Grund des Gesetzes und hatte somit die belangte Behörde von Amts wegen festzustellen, ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Die BVAEB stützt ihre Entscheidung auf eine als „Oberbegutachtung“ betitelte schriftliche Stellungnahme von XXXX .

Dieser Stellungnahme ist nicht zu entnehmen, auf welches Fachgebiet XXXX spezialisiert ist und er aus diesem Grund (überhaupt) geeignet ist, als Sachverständiger im gegenständlichen Fall zu fungieren.

Laut Recherche handelt es sich bei XXXX um einen auf Allgemeinmedizin spezialisierten Arzt. Jene Leiden, auf die sich der BF bezieht und die aus Sicht des BF für seine Erwerbsunfähigkeit maßgeblich wären, sind Leiden, die der Psychiatrie, Neurologie und allenfalls Psychologie zuzuordnen sind. Damit übereinstimmend wurden vom BF auch Gutachten vorgelegt, die jeweils – in anderen Verfahren – von Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie erstellt wurden.

Im Unterschied zur Stellungnahme von XXXX sind den vom BF ins Verfahren eingebrachten, medizinischen Unterlagen jeweils Anamnesen, derzeitige Beschwerden, Behandlungen, Befunde, Diagnosen und Untersuchungsergebnisse zu entnehmen. XXXX hat den BF auch nicht untersucht. Er ist auf die im Verfahren vorgelegten Unterlagen nicht nachvollziehbar und substantiiert eingegangen. Er liefert in seiner Stellungnahme schließlich auch keine klare Antwort, auf die von der BVAEB gestellte Frage, ob beim BF zum Zeitpunkt der Beendigung der Schul- und Berufsausbildung auf Dauer Erwerbsunfähigkeit anzunehmen war. Abgesehen davon, dass er keine klare Antwort darauf gibt, ist auch nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage er zu seiner Antwort kommt. XXXX oder ein anderer Sachverständiger mit dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie, wäre verpflichtet gewesen, den BF eingehend zu begutachten und den Krankheitsverlauf mit zu beurteilen.

Dem BF wurde der Inhalt der Stellungnahme von XXXX zur Kenntnis gebracht. Daraufhin hat der BF einen „klinisch-psychologischen Befund“ von XXXX vom 27.07.2020, mit dem Ersuchen um Weiterleitung an XXXX vorgelegt. Laut diesem „klinisch-psychologischen Befund“ leide der BF an einer „Autismus Spektrum Störung“ in signifikanter Weise. Dieser Befund wurde XXXX seitens der BVAEB nicht übermittelt und von diesem daher auch nicht berücksichtigt.

2.8. Sofern im angefochtenen Bescheid bezüglich des Befundes von XXXX ausgeführt wird: „Der medizinische Dienst der BVAEB folgt entsprechend den nachvollziehbaren Aussagen der Fachärzte der Diagnose einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. Aus ärztlicher Sicht ergeben [gemeint: ergibt] sich aus den vorgelegten Unterlagen jedoch kein eindeutiges Profil einer Erwerbsunfähigkeit im Jahr 2013.“ ist festzuhalten, dass nicht nachvollziehbar ist, welchen konkreten Aussagen „der medizinische Dienst“ (welcher Sachverständige/Arzt?) aus welchen Gründen folgt, zumal XXXX in ihrem klinisch-psychologischen Befund gar nicht die These vertritt, dass das Verhalten des BF auf Autismus „statt“ auf eine Schizophrenie zurückzuführen sei. Sie legt schlicht begründet dar, warum sie die Diagnose „Autismus Spektrum Störung“ erstellt hat. Dieser Befund blieb de facto daher unberücksichtigt.

2.9. Die von der belangten Behörde herangezogene schriftliche Stellungnahme von XXXX lässt schließlich keine begründete und nachvollziehbare Schlussfolgerung auf die Tatsachenfrage der Erwerbsunfähigkeit des BF seit Vollendung seines 18. Lebensjahres bzw. seit Beendigung seiner Schul- oder Berufsausbildung (im Februar 2013) zu. Darin wird lediglich ausgeführt: „Die in der Biografie dokumentierten Beschäftigungen sowie Studien und Ausbildungen waren mit der bekannten Grunderkrankung offenbar zu bewältigen, mit Hinweis, dass eine signifikante Studienbehinderung nicht vorgelegen hat bzw. eine wirtschaftlich verwertbare Restarbeitsfähigkeit bestanden hat.“ Dies ist aus Sicht des erkennenden Gerichts unzureichend.

2.10. Die belangte Behörde ist daher gehalten, diese Lücken durch eigenständige Ermittlungen zu schließen. Sie hat sohin ein Gutachten aus dem Fachbereich der Psychiatrie und Neurologie zur Beantwortung der Frage, ob – und gegebenenfalls ab wann – die Erwerbsunfähigkeit des BF seit Vollendung seines 18. Lebensjahres vorlag, insbesondere auch, ob zum Zeitpunkt Februar 2013 Erwerbsunfähigkeit des BF vorlag, einzuholen.

Dies, da konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einholung jedenfalls eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Psychiatrie und Neurologie erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten.

Das eingeholte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten ist mangels Fachkenntnis nicht ausreichend zur qualifizierten Beurteilung der Frage, seit wann der BF erwerbsunfähig ist.

2.11.   Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein Gutachten der Fachrichtung Psychiatrie und Neurologie (allenfalls ergänzt durch ein Gutachter der Fachrichtung Psychologie) einzuholen.

2.12.   Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

2.13.   Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015).

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Psychiatrie und Neurologie – auf Basis einer fachärztlichen Untersuchung – einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der BF mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG – nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene erhöhte Aufwand. Auch stehen dem Bundesverwaltungsgericht keine Amtssachverständigen zur Verfügung.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

2.14.   Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B)   Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wurde auf die aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bezug genommen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Erwerbsunfähigkeit Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten Waisenrente

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W255.2237774.1.00

Im RIS seit

25.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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