TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/26 I404 2241408-1

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Veröffentlicht am 26.05.2021
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Entscheidungsdatum

26.05.2021

Norm

ASVG §67 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch


I404 2241408-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle XXXX vom 08.03.2021, Zl. XXXX , betreffend Beitragshaftung in der Höhe von € 11.646,40 gemäß § 67 Abs. 10 ASVG zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben der Österreichischen Gesundheitskasse (in der Folge: belangte Behörde) vom 04.02.2021 wurde Frau XXXX (in der Folge: Beschwerdeführerin) ersucht, die auf dem Beitragskonto der Firma XXXX (in der Folge: Primärschuldnerin) aushaftenden Beiträge samt Nebengebühren in der Höhe von € 11.646,40 zzgl. der gesetzlichen Verzugszinsen zu begleichen oder allenfalls alle Tatsachen vorzubringen, die ihrer Ansicht nach gegen eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sprechen. Diesem Schreiben war eine Aufstellung über den Haftungsbetrag beigegeben.

2. In mehreren Emails vom 14.02.2021 bis 22.02.2021 teilte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde zusammengefasst mit, dass sie nie in die Finanzierung des Unternehmens eingebunden gewesen wäre und unmittelbar nach Bekanntwerden der fehlenden finanziellen Mittel aus dem Unternehmen ausgetreten sei. Nach neuerlicher Aufforderung der belangten Behörde, entsprechende Nachweise zu erbringen und der Übermittlung der dazu zu verwendenden Formulare am 16.02.2021, teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie Dokumente zum Nachweis einer Gläubigergleichbehandlung im haftungsbegründenden Zeitraum nicht vorlegen könne, da ihr der ehemalige Steuerberater der Primärschuldnerin die Herausgabe der entsprechenden Unterlagen verweigern würde. Sie könne Angaben zur Gläubigergleichbehandlung nur aus ihrer Erinnerung machen.

3. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 08.03.2021 stellte die belangte Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin der belangten Behörde gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG die Dienstnehmerbeiträge für die Zeiträume März 2019 bis Juli 2019 in der Höhe von € 11.646,40 schuldet und verpflichtet ist, der belangten Behörde diesen Betrag binnen 14 Tagen ab Zustellung des Bescheides zuzüglich Verzugszinsen in Höhe 3,38 % p.a. aus € 10.917,63 ab 01.03.2021 zu bezahlen. Die Dienstnehmerbeiträge der oben bezeichneten Beitragsmonate seien aus der vom Dienstgeber bzw. dessen Steuerberater selbst erstellten Beitragsnachweisung ermittelt worden. Die Einbringlichmachung bei der Primärschuldnerin sei nicht möglich gewesen. Die eingeleitete Fahrnisexekution sei erfolglos geblieben. Am 26.02.2020 sei über das Vermögen der Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und am 07.12.2020 mangels kostendeckenden Vermögens wieder aufgehoben worden. Die Beschwerdeführerin sei im fraglichen Zeitraum (22.06.2018 bis 28.08.2019) im Firmenbuch des Landesgerichtes XXXX als Geschäftsführerin eingetragen und daher zur Vertretung des Beitragsschuldners und auch zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Obliegenheiten des Dienstgebers der belangten Behörde gegenüber berufen gewesen. Mit Schreiben vom 04.02.2020 sei die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Haftungsbestimmungen des § 67 Abs. 10 ASVG ersucht worden, die aushaftende Beitragsschuld zu bezahlen bzw. Schuldausschließungsgründe darzulegen. Zudem sei der Nachweis gefordert worden, dass die offenen Sozialversicherungsbeiträge im Zeitraum 01.04.2019 bis 28.08.2019 nicht in geringerem Ausmaß bezahlt worden seien wie die sonstigen Verbindlichkeiten. Dieser Aufforderung zur Zahlung bzw. Stellungnahme sei sie nicht nachgekommen, da der ehemalige Steuerberater ihr keine Unterlagen zur Verfügung stellen konnte. Der Vorschlag der Beschwerdeführerin, die Aufstellung aus ihrer Erinnerung zu liefern, habe die belangte Behörde abgelehnt, da die Daten zur Prüfung der Gleichbehandlung nachvollziehbar sein müssen.

4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig Beschwerde und führte aus, dass das Insolvenzverfahren gegen die Primärschuldnerin im Januar 2020 abgeschlossen worden sei und daher die Verantwortlichen von jeder Verantwortung abgeschrieben worden wären. Die Beschwerdeführerin sei außerdem bereits im August 2019 als Geschäftsführerin entlassen worden und somit von der Haftung befreit. Zudem habe die Primärschuldnerin kein Bargeld zu Verfügung gehabt. Zum Nachweis legte die Beschwerdeführerin der Beschwerde einen Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 18.01.2021 betreffend die Löschung der Primärschuldnerin aus dem Firmenbuch sowie den Antrag der Beschwerdeführerin auf Löschung aus dem Firmenbuch, datiert vom 22.08.2019 und eine Bestätigung eines schwedischen Notars vor.

5. Am 14.04.2021 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Stellungnahme der belangten Behörde zur Entscheidung vorgelegt. In der Stellungnahme, datiert mit 09.04.2020 (gemeint wohl 2021), führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin ihrer Verpflichtung, die Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge entsprechend den Bestimmungen des ASVG vorzunehmen, nicht nachgekommen sei und damit ihre Sorgfaltspflicht fahrlässig verletzt habe. Zu den Ausführungen in der Beschwerde zum Haftungszeitraum wies die belangte Behörde daraufhin, dass diese richtigerweise ohnehin nur bis zum 28.08.2019 zur Haftung herangezogen worden sei. Die Beschwerdeführerin würde als Geschäftsführerin Überwachungs- und Kontrollpflichten treffen und sie habe all jene Pflichten zu erfüllen, die den Dienstgeber nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften gemäß den §§ 33 und 58 ASVG obliegen würden. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genüge bereits leichte Fahrlässigkeit hinsichtlich des Verschuldens bei der Nichtabfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen. Leichte Fahrlässigkeit sei schon dann anzunehmen, wenn der Geschäftsführer keine Gründe anzugeben vermöge, wonach ihm die Erfüllung von der Verpflichtung für die Beitragsentrichtung zu sorgen, unmöglich gewesen sei. Die Beschwerdeführerin sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum im Firmenbuch des Landesgerichtes XXXX als handelsrechtliche Geschäftsführerin eingetragen und hätte sie auch im verfahrensgegenständlichen Zeitraum jene Pflichten zu erfüllen, welche dem Dienstgeber nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften obliegen würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin war von 22.06.2018 bis 21.08.2019 Geschäftsführerin der zu FN XXXX im Firmenbuch eingetragenen Gesellschaft XXXX (seit 19.01.2021 XXXX in Liqu.). Sie vertrat diese Gesellschaft selbständig.

1.2. Mit 21.08.2019 erklärte die Beschwerdeführerin gegenüber den Gesellschaftern ihren sofortigen Rücktritt legte ihr Funktion als Geschäftsführerin zurück. Die Löschung ihrer Funktion aus dem Firmenbuch erfolgte erst am 11.10.2019, wobei der Antrag auf Löschung am 28.08.2019 einlangte.

1.3. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 26.02.2020 zu XXXX wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und mit Beschluss vom 07.12.2020 mangels Kostendeckung aufgehoben. Die Primärschuldnerin ist zahlungsunfähig.

1.4. Die Primärschuldnerin schuldet der belangten Behörde die im Zeitraum März 2019 bis einschließlich Juli 2019 nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 11.646,40. Die von der Primärschuldnerin geschuldeten Beiträge wurden von dieser nicht fristgerecht bezahlt. Die zwangsweise Eintreibung der Forderung der belangten Behörde blieb erfolglos. Die von der Primärschuldnerin geschuldeten Beiträge sind bei ihr nicht mehr einbringlich.

1.5. Die Beschwerdeführerin hat der belangten Behörde trotz Aufforderung keine Unterlagen vorgelegt, aus denen ersichtlich ist, dass im Zeitraum März 2019 bis Juli 2019 überhaupt keine liquiden Mittel mehr vorhanden waren, oder die Forderungen der belangten Behörde und anderer Gläubiger gleich behandelt wurden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass schon vor dem 31.07.2019 eine allgemeine Zahlungseinstellung stattgefunden hat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellung, in welchem Zeitraum die Beschwerdeführerin Geschäftsführerin der Primärschuldnerin war, ergibt sich ebenso wie die Feststellung zur Löschung der Funktion aus dem eingeholten Firmenbuchauszug. Dass die Beschwerdeführerin den Gesellschaftern ihren Rücktritt bereits am 21.08.2019 erklärt hat, folgt ihrem Vorbringen und ist durch das vorgelegte Rücktrittsschreiben nachvollziehbar belegt.

2.2. Die Feststellungen zum Konkursverfahren der Primärschuldnerin ergeben sich ebenfalls aus dem eingeholten Firmenbuchauszug.

2.3. Die Höhe der aushaftenden Sozialversicherungsbeiträge der Primärschuldnerin basieren auf dem im Akt einliegenden Rückstandsausweis vom 08.03.2021 und blieb unbestritten. Dass die von der Primärschuldnerin geschuldeten Beiträge von dieser nicht fristgerecht bezahlt wurden, ergibt sich ebenso wie die Feststellung, dass die zwangsweise Eintreibung der Forderung erfolglos blieb, aus den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, welche nicht bestritten wurden. Dass die von der Primärschuldnerin geschuldeten Beiträge bei ihr nicht mehr einbringlich sind, ergibt sich schon aus der Aufhebung des Konkursverfahrens mangels Kostendeckung.

2.4. Die Beschwerdeführerin hat trotz nachweislicher Aufforderung durch die belangte Behörde keinerlei Unterlagen vorgelegt, welche eine Gläubigerungleichbehandlung ausschließen können. Insbesondere wurde ihr im Laufe der E-Mail Korrespondenz im Februar 2021 am 16.02.2021 die Rechtslage im Zusammenhang mit der von ihr nachzuweisenden Gläubigergleichbehandlung dargelegt und die entsprechenden Formulare übermittelt. Die Beschwerdeführerin gab jedoch selbst ausdrücklich an, dass sie dem nicht nachkommen könne. Auch in der Beschwerde wurden keine Unterlagen oder Nachweise vorgelegt. Dass es schon vor der Konkurseröffnung zu einer allgemeinen Zahlungseinstellung gekommen ist, wurde von der Beschwerdeführerin nicht substantiiert behauptet.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1.1. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 62/2010, haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

3.1.2. Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht vertritt, dass ein Tatbestandsmerkmal des § 67 Abs. 10 ASVG und primäre Haftungsvoraussetzung die Uneinbringlichkeit der Forderung beim Primärschuldner ist bzw. der Haftungspflichtige jedenfalls so lange nicht in Anspruch genommen werden kann, als ein Ausfall beim Beitragsschuldner als Primärschuldner noch nicht angenommen werden kann. Wesentliche und primäre sachliche Voraussetzung der subsidiären Haftung eines Vertreters ist die objektive gänzliche oder zumindest teilweise Uneinbringlichkeit der Forderung beim Primärschuldner. Erst wenn diese feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen (vgl. etwa VwGH vom 19.12.2007, 2005/08/0068).

Im konkreten Fall steht fest, dass mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 26.02.2020 zu XXXX das Konkursverfahren mangels Kostendeckung geschlossen wurde. Damit steht die Uneinbringlichkeit der offenen Sozialversicherungsbeiträge bei der Primärschuldnerin zweifelsfrei fest.

3.1.3. Mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2010, BGBl I 2010/62 (in Kraft getreten am 01.08.2010), wurde eine dem § 80 BAO entsprechende Bestimmung in § 58 Abs. 5 ASVG normiert. Für Zeiträume ab 01.08.2010 gilt daher für Vertreter juristischer und natürlicher Personen der Sorgfaltsmaßstab des § 58 Abs. 5 ASVG. In den Erläuternden Bemerkungen zum Sozialrechts-Änderungsgesetz 2010 ist Folgendes ausgeführt:

„Mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2000, Zl. 98/08/0191, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem nach § 13 Abs. 1 Z 1 und 2 VwGG gebildeten versta?rkten Senat die Zula?ssigkeit der Geltendmachung der Haftungsbestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG auf nicht abgefu?hrte, einbehaltene DienstnehmerInnenanteile und auf Beitragsausfa?lle auf Grund schuldhafter Meldepflichtverletzungen eingeschra?nkt. Begru?ndend fu?hrte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass weder § 67 Abs. 10 ASVG noch eine andere Bestimmung dieses Gesetzes weitere spezifische sozialversicherungsrechtliche, gegenu?ber der Gebietskrankenkasse bestehende Verpflichtungen der VertreterInnen einer juristischen Person, wie dies etwa in § 80 Abs.1 BAO fu?r das Abgabenrecht angeordnet ist, normiert. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich nicht in der Lage gesehen, die vom Gesetzgeber (wenn auch mo?glicherweise versehentlich) unterlassene Bestimmung u?ber die die VertreterInnen juristischer Personen (gegenu?ber der Gebietskrankenkasse) treffenden sozialversicherungsrechtlichen Pflichten im Wege der Auslegung der Gesetze zu substituieren.

Bereits der Begru?ndung zur Regierungsvorlage betreffend die A?nderung des § 67 Abs. 10 ASVG im Rahmen der 48. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 642/1989, kann entnommen werden, dass es Absicht war, diese Haftungsbestimmung an jene der BAO anzugleichen. Auszugsweise heißt es dazu wie folgt: „Es wird vorgeschlagen, die bereits bewa?hrten Bestimmungen im Bereich des Abgabewesens als Vorbild fu?r die Lo?sung zu u?bernehmen (§ 9 Abs. 1 BAO). Neben den zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen sollen weiters jene Personen im § 67 Abs. 10 ASVG angefu?hrt werden, die zur Vertretung von Personenhandelsgesellschaften berufen sind (vgl. § 81 Abs. 1 BAO). In Anlehnung an § 80 Abs. 2 BAO sollen ferner Vermo?gensverwalter zu den haftenden Vertretern von Beitragsschuldnern geza?hlt werden.“

Mit der vorgeschlagenen A?nderung wird nunmehr eine weitestgehende Angleichung der einschla?gigen ASVG-Bestimmung an die BAO vorgenommen, indem in § 58 Abs. 5 ASVG die sozialversicherungsrechtlichen, gegenu?ber der Gebietskrankenkasse bestehenden Verpflichtungen der VertreterInnen juristischer Personen, der gesetzlichen VertreterInnen natu?rlicher Personen und der Vermo?gensverwalterInnen normiert werden (Angleichung an § 80 BAO).“

Für das gegenständliche Verfahren bedeutet dies, dass aufgrund des Umstandes, dass verfahrensgegenständlich Beiträge mit Fälligkeit nach dem 1. August 2010 sind – und somit nach Inkrafttreten des Sozialrechts-Änderungsgesetz 2010 – die Rechtsprechung wie sie vor dem Erkenntnis des verstärkten Senats vom 12. Dezember 2000, Zl. 98/08/0191, sowie wie sie zur Bestimmung des § 80 BAO ergangen ist, anzuwenden ist.

3.1.4. Nach dieser Rechtsprechung ist die Haftung des Geschäftsführers gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zur rechtzeitigen Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung, für deren Beurteilung die von Lehre und Rechtsprechung zu § 9 und § 80 BAO entwickelten Grundsätze herangezogen werden können (vgl. hiezu u.a. das Erkenntnis des VwGH vom 14. April 1988, Zl. 88/08/0025), kann z.B. darin liegen, dass der Geschäftsführer die Beitragsschulden insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt (vgl. etwa Erkenntnis des VwGH vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0198, vom 20. Februar 1996, Zl. 95/08/0251 und jenes vom 19. November 1996, Zl. 96/08/0180).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht für die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG leichte Fahrlässigkeit (bei der Verletzung der den Geschäftsführer treffenden Verpflichtungen) aus (vgl. hiezu das Erkenntnis des VwGH vom 20. Februar 1996, Zl. 95/08/0251).

Ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt, - über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus - die besondere Verpflichtung, darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist. Diese besondere Behauptungs- und Beweislast darf aber nicht überspannt und nicht so aufgefasst werden, dass die Behörde jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre. Hat der Geschäftsführer nicht nur ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete, sachbezogene Behauptungen aufgestellt, die nicht schon von vornherein aus rechtlichen Gründen unmaßgeblich sind, so hat ihn die Behörde vorerst zu einer solchen Präzisierung und Konkretisierung seines Vorbringens und zu entsprechenden Beweisanboten aufzufordern, die ihr - nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens - die Beurteilung ermöglichen, ob der Geschäftsführer gegen die ihm obliegende Gleichbehandlungspflicht verstoßen hat und ob und in welchem Ausmaß ihn deshalb eine Haftung trifft. Kommt der haftungspflichtige Geschäftsführer dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zur Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist (vgl. nochmals das Erkenntnis vom 26. Jänner 2005, Zl. 2002/08/0213, VwSlg. 16.532 A).

Zum Nachweis der Gläubigergleichbehandlung im Hinblick auf die am Ende des Beurteilungszeitraumes unberichtigt gebliebenen Verbindlichkeiten hat der Vertreter jedenfalls die insgesamt fälligen Verbindlichkeiten im Beurteilungszeitraum sowie die im Beurteilungszeitraum darauf geleisteten Zahlungen nachvollziehbar darzustellen und zu belegen (vgl. die Rechtsprechung des VwGH zur vergleichbaren Bestimmung § 25a BUAG vom 29. Jänner 2014, 2012/08/0227).

Dieser Verpflichtung ist die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht nachgekommen. So hat sie trotz mehrfacher nachweislicher Aufforderung durch die belangte Behörde zu keinem Zeitpunkt eine solche Aufstellung der insgesamt fälligen Verbindlichkeiten und der Zahlungen vorgelegt.

3.1.5. Was den im Hinblick auf die Gläubigergleichbehandlung zu beurteilenden Zeitraum betrifft ist anzuführen, dass dieser spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet; er endet bereits früher mit der Beendigung der Vertreterstellung oder auch mit einer früheren allgemeinen Zahlungseinstellung. Er beginnt mit der Fälligkeit der ältesten zum Ende des Beurteilungszeitraumes noch offenen Zuschlagsverbindlichkeit, wobei für die Ermittlung dieses Zeitraums alle Zuschlagszahlungen ungeachtet allfälliger Widmungen auf die jeweils älteste Forderung zu beziehen sind (vgl. etwa VwGH vom 07.10.2015, Ra 2015/08/0040).

Die belangte Behörde hat ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin für Beiträge für März 2019 bis Juli 2019 haftet. Die Beschwerdeführerin war in diesem Zeitpunkt als Geschäftsführerin im Firmenbuch eingetragen und wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 26.02.2020 eröffnet. Dass es schon zuvor zu einer allgemeinen Zahlungseinstellung gekommen ist, wurde von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht. Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, ihre Funktion am 21.08.2019 zurückgelegt zu haben, schadet vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin für Beiträge von März 2019 bis Juli 2019 zur Haftung herangezogen wurde, nicht, da sie nur hinsichtlich jener Abgaben, die nach dem Tag der wirksamen Zurücklegung der Geschäftsführerbefugnis fällig geworden wären, nicht zur Haftung herangezogen hätte werden können (vgl. Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG [Stand 1.12.2020, rdb.at] Rz 127).

3.1.6. Insoweit die Beschwerdeführerin in ihrem E-Mail vom 14.02.2021 unsubstantiiert behauptet, dass sie keinen Einblick in die Unternehmensfinanzierung gehabt hätte und dies im Aufgabenbereich des zweiten Geschäftsführers gelegen wäre, ist darauf zu verweisen, dass bloße Varianten der Zeichnungsbefugnis (einzel oder kollektiv) keine Ressortverteilung (vgl. VwGH 93/08/0096, ZfVB 1995/212: Ausschluss von der Zeichnungsbefugnis im Innenverhältnis) sind, ebenso wenig bloß faktische ad hoc Abmachungen oder Arbeitsteilungen zwischen grundsätzlich kollegial zuständigen Vertretern: formlose, eher einer Delegation entsprechende Vereinbarungen entbinden nicht von der gemeinsamen Wahrnehmung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten bzw. von der regelmäßigen wechselseitigen Überwachung trotz Arbeitsteilung (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG [Stand 1.12.2020, rdb.at] Rz 102). Das bloß unsubstantiierte Vorbringen, der zweite Geschäftsführer sei für alle finanziellen Angelegenheiten zuständig gewesen, entbindet die Beschwerdeführerin somit nicht von der Wahrnehmung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten bzw. von der regelmäßigen Überwachung, zumal dieses Vorbringen auch in der Beschwerde nicht mehr erwähnt, geschweige denn bescheinigt wurde.

Wenn die Beschwerdeführerin weiter vorbringt, dass ihr der ehemalige Steuerberater der Primärschuldnerin die Herausgabe der entsprechenden Unterlagen verweigern würde, so ist auf die Judiaktur des VwGH hinzuweisen, wonach sich der Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht (oder nicht zur Gänze) entrichten kann, schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger, - spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige Abgabenschulden unberichtigt aushaften - jene Informationen zu sichern hat, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht ermöglichen. Diese Darlegungspflicht trifft nämlich auch solche Haftungspflichtige, die im Zeitpunkt der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Gesellschaft nicht mehr deren Vertreter sind (vgl. VwGH 28.10.1998, 97/14/0160). Dem Vertreter obliegt es auch, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken - zu treffen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 30. Oktober 2001, 98/14/0082).

Bereits bei erster Kenntnis einer drohenden Zahlungsunfähigkeit hätte die Beschwerdeführerin daher sämtliche Unterlagen sichern müssen, die geeignet sind, eine Gleichbehandlung der Gläubiger bei Mittelverwendung darzulegen. Das hat sie jedoch unterlassen und beruft sich nun darauf, nunmehr keinen Zugang zu den Unterlagen mehr zu haben.

3.1.7. Die Beschwerdeführerin hat den Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte - an die belangte Behörde zu entrichten gewesen wäre, nicht angetreten, weshalb der Beschwerdeführerin die uneinbringlichen Beiträge zur Gänze vorgeschrieben werden konnten (vgl. beispielsweise die Erkenntnisse des VwGH vom 24. Februar 2004, 99/14/0278, vom 3. September 2008, 2003/13/0094, vom 23. Juni 2009, 2007/13/0014, und vom 2. September 2009, 2007/15/0039). Der Höhe nach ist die Haftung unbestritten, weshalb die Beschwerde als unbegründet abzuweisen war.

4. Absehen von der mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Von der mündlichen Verhandlung kann im gegenständlichen Beschwerdefall gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der beteiligten Parteien, der unstrittig feststehende Sachverhalt und der dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegte Akt der belangten Behörde erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem auch Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht (vgl. die Entscheidung des EGMR vom 02.09.2004, Zl. 68087/01 (Hofbauer/Österreich), wo der Gerichtshof unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt hat, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung (im Originaltext „any hearing at all“) erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder „technische“ Fragen betrifft, und in diesem Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise verwiesen hat.

Von einer mündlichen Verhandlung - welche im Übrigen auch nicht beantragt wurde - konnte daher in Anwendung von § 24 Abs. 1 und 4 VwGVG abgesehen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Geschäftsführer Gläubiger Gleichbehandlung Haftung Nachweismangel Pflichtverletzung Uneinbringlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I404.2241408.1.00

Im RIS seit

21.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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