TE Bvwg Beschluss 2020/12/18 W212 2155591-3

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Entscheidungsdatum

18.12.2020

Norm

AsylG 2005 §35 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W212 2155591-3/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft Damaskus vom 11.01.2018, GZ: Damaskus-ÖB/Kons/2207/2017, aufgrund des Vorlageantrages von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch XXXX über die Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Damaskus vom 23.10.2017, GZ: Damaskus-ÖB/KONS/2207/2017, beschlossen:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid wird behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I.       Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Syriens, stellte am 25.07.2017 in Begleitung ihres Onkels bei der österreichischen Botschaft Damaskus (im Folgenden „ÖB Damaskus“) unter Anschluss diverser Unterlagen einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005.

Begründend wurde ausgeführt, dass sich die Mutter der Beschwerdeführerin, XXXX geb. XXXX , StA. Syrien, als anerkannter Flüchtling in Österreich aufhalte. Dieser sei mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: „BFA“) vom 24.05.2017, Zl. 1138163109-170523302, der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden.

Von der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführerin wurde die ÖB Damaskus per E-Mail darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Beschwerdeführerin an Hypoxie leide, weshalb sie betreffend eine verspätete körperliche, als auch psychische Entwicklung vorliege. Aus diesem Grund bestehe trotz Volljährigkeit der Beschwerdeführerin ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Familie und werde ihr Antrag daher auf Grundlage des Art. 8 EMRK eingebracht.

Als Beleg hierfür wurden folgende Unterlagen (jeweils samt beglaubigter Übersetzung) dem Antrag der Beschwerdeführerin nachgereicht:

?        Attestbericht des XXXX Krankenhauses an die Ärztekammer Damaskus vom 31.10.2016,

?        Attestbericht XXXX an die Ärztekammer Damaskus vom 22.10.2016,

?        Beschluss des Gerichtes in Damaskus vom XXXX , aus dem die Vormundschaft der Mutter zu entnehmen ist,

?        Vollmacht der Mutter, wodurch sie die Antragstellung ihrer Tochter als deren Vormund genehmigt;

2. In seiner Mitteilung nach § 35 Abs. 4 AsylG 2005 vom 04.10.2017 führte das BFA aus, dass betreffend die Beschwerdeführerin die Gewährung des Status der Asylberechtigten nicht wahrscheinlich sei, da schon die allgemeinen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung im Familienverfahren nicht vorliegen würden; die Beschwerdeführerin sei zum Antragszeitpunkt bereits volljährig gewesen.

In der beiliegenden Stellungnahme des BFA wurde zudem angemerkt, dass bereits die Bezugsperson ihren Asylstatus nach § 34 AsylG 2005 abgeleitet habe und eine sog. „Kettenableitung“ gemäß § 34 Abs. 6 AsylG nur hinsichtlich minderjähriger Kinder möglich sei.

3. Mit Schreiben vom 05.10.2018 wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit zur Stellungnahme (Parteiengehör) eingeräumt. Ihr wurde gleichzeitig mitgeteilt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Prüfung ihres Antrages beziehungsweise des Sachverhaltes mitgeteilt habe, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status der Asylberechtigten oder der subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei. Es werde auf die beiliegende Mitteilung und Stellungnahme des BFA hingewiesen und die Gelegenheit gegeben, innerhalb der Frist von einer Woche ab Zustellung die dort angeführten Ablehnungsgründe durch unter Beweis zu stellendes Vorbringen zu zerstreuen.

4. In einer fristgerecht eingebrachten Stellungnahme vom 11.10.2017, verfasst durch die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin, wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin psychisch und geistig beeinträchtigt sei, weshalb trotz ihrer Volljährigkeit eine Abhängigkeit zur Mutter bestehe, die ihre gesetzliche Vertreterin und Obsorgeberechtigte sei.
5. Nach Übermittlung der Stellungnahme an das BFA teilte dieses mit, dass die negative Wahrscheinlichkeitsprognose aufrecht bleibe.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.10.2017, zugestellt am 24.10.2017, verweigerte die ÖB Damaskus die Erteilung des Einreisetitels gemäß § 26 FPG idgF iVm § 35 AsylG 2005 mit der Begründung, dass die Beschwerdeführerin bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung volljährig gewesen sei und durch das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht unter Beweis gestellt werden hätte können, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich sei.

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 20.11.2017 fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sich die Behörde nicht hinreichend mit den vorgelegten Beweisen und den ärztlichen Befunden auseinandergesetzt habe. Die Beschwerdeführerin sei zwar 23 Jahre alt, doch sei sie körperlich, psychisch und geistig beeinträchtigt, weshalb die Bezugsperson als ihre gesetzliche Vertreterin bestellt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe bis zum Ausreisetermin der Bezugsperson mit dieser im gemeinsamen Haushalt gelebt und würde sie nun von ihrer Tante betreut werden. Ohne die Hilfe ihrer Familie sei es der Beschwerdeführerin nicht möglich, ihren Alltag zu bewältigen. Die Beschwerdeführerin habe gemäß Art. 8 EMRK ein Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens; insbesondere ein Recht darauf, mit ihrer Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin zusammen zu leben.

8. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 11.01.2018 wies die ÖB Damaskus die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG ab.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH seien österreichische Vertretungsbehörden bezüglich der Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG an die Mitteilung des BFA über die Prognose einer Asylgewährung bzw. die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gebunden. Eine Nachprüfung dieser Wahrscheinlichkeitsprognose nach negativer Mitteilung des Bundesamtes durch die Botschaft komme daher nicht in Betracht.

Auch nach dem Beschwerdevorbringen sei unstrittig, dass die Beschwerdeführerin einen Antrag nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt habe und dass eine negative Wahrscheinlichkeitsprognose des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ergangen sei. Als alleintragender Grund für die Abweisung des von der Beschwerdeführerin gestellten Antrages auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005 komme somit (nur) in Betracht, dass nach der Mitteilung des BFA die Erfolgsaussichten des Antrages der Beschwerdeführerin auf Gewährung desselben Schutzes (wie der Bezugsperson) als nicht wahrscheinlich einzustufen seien. Darauf sei im angefochtenen Bescheid auch ausschließlich Bezug genommen worden.

Jenseits und unabhängig von der obangeführten Bindungswirkung teile die belangte Behörde die Ansicht des BFA, dass die Beschwerdeführerin bereits volljährig sei und die von ihr genannte Bezugsperson den Status als Asylberechtigte ihrerseits nur aus einem Familienverfahren nach dem 4. Abschnitt des AsylG 2005 ableite. Der Beschwerdeführerin fehle es bereits an der Grundvoraussetzung der Familieneigenschaft nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005, woran auch der Beschwerdehinweis auf Art. 8 EMRK nicht zu ändern vermöge.

9. Am 11.01.2018 wurde bei der ÖB Damaskus ein Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG eingebracht und darin im Wesentlichen das Vorbringen der Stellungnahme sowie der Beschwerde wiederholt.

10. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 01.03.2018, eingelangt am 05.03.2018, wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag samt Verwaltungsakten übermittelt. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde die Rechtssache der erkennenden Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

11. Mit Eingabe vom 29.09.2020 übermittelte die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin eine beglaubigte Übersetzung eines Schreibens der Ärztekammer in Syrien vom XXXX .2020.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 25.03.2017 bei der ÖB Damaskus einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005. Als Bezugsperson wurde XXXX geb. XXXX , StA. Syrien, genannt, welche die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin sei.

Der Bezugsperson wurde mit Bescheid vom 24.05.2017, Zl. 1138163109-170523302, rechtskräftig seit 29.05.2017, der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Sie leitete ihrerseits ihren Status als Asylberechtigte aus einem Familienverfahren nach dem 4. Abschnitt des AsylG 2005 ab.

Mit Bescheid der ÖB Damaskus vom 23.10.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG abgewiesen.

Eine Familienangehörigeneigenschaft zur Bezugsperson im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 kann nicht festgestellt werden. Bei Stellung des Einreiseantrages hatte die am XXXX geborene Beschwerdeführerin bereits das 18. Lebensjahr vollendet. Die Volljährigkeit der Beschwerdeführerin im Antragszeitpunkt wurde im Verfahren auch nicht bestritten.

Die Eltern und jüngeren Geschwister der ledigen und kinderlosen Beschwerdeführerin leben in Österreich.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer angeborenen Hypoxie, wodurch eine verspätete physische und psychische Entwicklung vorliegt. Sie leidet zudem an psychischen Erkrankungen und benötigt eine Psychotherapie. Sie ist auf Unterstützung im Alltag angewiesen.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem Akt der ÖB Damaskus; diese wurden von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten. Unbestritten blieb insbesondere die Volljährigkeit der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels. Dass der Bezugsperson der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten ihrerseits im Rahmen eines Familienverfahrens gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 gewährt wurde, ergibt sich aus der im Akt einliegenden Kopie des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2017 und wurde im Verfahren ebenfalls nicht bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückverweisung der Rechtssache:

3.1. § 34 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:

„(1) Stellt ein Familienangehöriger von

1.       einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2.       einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3.       einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.       dieser nicht straffällig geworden ist und

(Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3.       gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.       dieser nicht straffällig geworden ist;

(Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3.       gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4.       dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1.       auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2.       auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3.       im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).“

§ 35 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:

„(1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1.       gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2.       das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3.       im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.“

§ 75 Abs. 24 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

„(24) Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 zuerkannt wurde und auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15. November 2015 gestellt haben, sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15, 3 Abs. 4 bis 4b, 7 Abs. 2a und 51a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 nicht anzuwenden. Für diese Fremden gilt weiter § 2 Abs. 1 Z 15 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016. §§ 17 Abs. 6 und 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 sind auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, nicht anzuwenden. Auf Verfahren gemäß § 35, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, ist § 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 weiter anzuwenden. Handelt es sich bei einem Antragsteller auf Erteilung des Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 um den Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 rechtskräftig zuerkannt wurde, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 nicht zu erfüllen, wenn der Antrag auf Erteilung des Einreisetitels innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 gestellt wurde. § 22 Abs. 1 gilt für Verfahren, die mit Ablauf des 31. Mai 2018 bereits anhängig waren, auch noch nach dem 31. Mai 2018 weiter.“

§ 11 und 11a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 68/2013 lauten:

„Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.“

§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet wie folgt:

„§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.“

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 an die Mitteilung des Bundesasylamtes (nunmehr: des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl) über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung. Diesbezüglich kommt ihr keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. das im Beschwerdefall im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis VwGH 16.12.2014, Ro 2014/22/0034 unter Hinweis auf VwGH 17.10.2013, 2013/21/0152; VwGH 19.06.2008, 2007/21/0423).

Nach dieser Rechtsprechung ist zur Frage des Prüfungsumfangs der österreichischen Vertretungsbehörde bei der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels im Sinne des § 35 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 auf die Gesetzesmaterialien zur Stammfassung der Vorgängerbestimmung (§ 16 AsylG 1997) zurückzugreifen.

Danach sollten die bei den österreichischen Berufsvertretungsbehörden im Ausland gestellten Asylanträge an die Durchführung eines Vorverfahrens gebunden sein. Bei diesem speziellen Sichtvermerksantrag sollte nämlich ein relativ formalisiertes Ermittlungsverfahren betreffend eine mögliche Asylgewährung stattfinden, in welches das Bundesasylamt einzubinden sei. Treffe das Bundesasylamt die Prognose, dass eine Asylgewährung wahrscheinlich sei, habe die Berufsvertretungsbehörde ohne Weiteres einen entsprechend befristeten Sichtvermerk zur Einreise zu erteilen, worauf das eigentliche Asylverfahren stattzufinden habe. Dieser Mechanismus solle auf der Ebene eines Sichtvermerksverfahrens dazu dienen, die im Hinblick auf eine potentielle Schutzbedürftigkeit heiklen Fälle aus der Vielzahl der Asylanträge im Ausland herauszufiltern, ohne zugleich - im Hinblick auf das relativ formalisierte Verfahren vor der österreichischen Vertretungsbehörde - durch eine negative Asylentscheidung res iudicata zu bewirken und den Asylwerber für immer von einem ordentlichen Asylverfahren auszuschließen. Werde ein Sichtvermerk nicht erteilt, sei der betreffende Asylantrag als gegenstandslos abzulegen (RV 686 BlgNR 20.GP 23).

Schon diese Ausführungen lassen erkennen, dass die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Visumserteilung an die Mitteilung des (nunmehr) Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über die Prognose einer Schutzgewährung gebunden ist. Das Gesetz stellt nur klar, dass es bei einer positiven Mitteilung über die voraussichtliche Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten keiner weiteren Voraussetzungen für die Visumserteilung bedarf, somit die Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründe des FPG diesfalls unbeachtet zu bleiben haben. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass die Vertretungsbehörde im Falle einer negativen Mitteilung des Bundesamtes noch einmal eine eigene Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Asylgewährung vorzunehmen hätte und zu einem gegenteiligen Ergebnis als die zur Entscheidung über Asylanträge sachlich zuständige Behörde kommen könnte. Für diese Auffassung gibt das Gesetz keine ausreichenden Anhaltspunkte. Es würde auch dem Zweck der Erteilung dieses Einreisetitels zuwiderlaufen, dem Familienangehörigen einer schutzberechtigten Ankerperson im Hinblick auf die voraussichtliche Gewährung von Asyl bzw. subsidiären Schutz die Einreise zu ermöglichen, wenn das zur Beurteilung des Schutzantrages zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Stattgebung unter diesem Titel nicht für wahrscheinlich erachtet (siehe zu dem ganzen BVwG 12.01.2016, W184 2112510-1 ua).

Soweit es innerhalb des mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz – FNG, BGBl. I Nr. 87/2012 geschaffenen geschlossenen Rechtsschutzsystems allerdings dem Bundesverwaltungsgericht nunmehr offen steht, auch die Einschätzung des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002), war Folgendes zu erwägen:

Im vorliegenden Fall wurde ein Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt und als Bezugsperson die in Österreich Asylberechtigte XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, genannt, welche die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin ist. Die Bezugsperson leitete ihren Status als Asylberechtigte bereits aus einem Familienverfahren nach dem 4. Abschnitt des AsylG 2005 ab.

Aus dem vorliegenden Akt ergibt sich zweifelsfrei, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer Antragstellung bereits volljährig war, weshalb die Beschwerdeführerin nicht unter den Familienbegriff des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 fällt.

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung zu Zlen. Ra 2015/21/0230 bis 0231-3 unter anderem mit dem Begriff des Familienangehörigen nach § 35 Abs. 5 AsylG auseinandergesetzt und ausgeführt, dass aus den ErläutRV zum FNG-AnpassungsG 2014 eine restriktive Tendenz in Bezug auf den zu erfassenden Personenkreis zu erkennen sei.

Soweit im Verfahren vorgebracht wurde, dass die Mutter der Beschwerdeführerin trotz deren Volljährigkeit durch Beschluss eines Schariagerichts mit deren Obsorge und gesetzlicher Vertretung betraut worden sei, ist (ungeachtet der abschließenden Beurteilung der Rechtsgültigkeit dieses Beschlusses) festzuhalten, dass § 34 AsylG 2005 allein auf die sich aus der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ergebende (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, mwN) Familienangehörigeneigenschaft des Antragstellers abstellt, wofür die Obsorge keine Rolle spielt (s. VwGH 05.03.2020, Ra 2019/19/0397).

Überdies wurde der Bezugsperson der Beschwerdeführerin, wie in der Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2017 zutreffend angemerkt wurde, der Status der Asylberechtigten ihrerseits im Rahmen eines Familienverfahrens nach § 34 AsylG, nämlich abgeleitet von ihrem Ehemann, zuerkannt. Gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG sind die Bestimmungen des 4. Abschnitts des AsylG, das Familienverfahren betreffend, in diesem Fall nicht anzuwenden. Daher stünde der volljährigen Beschwerdeführerin auch insofern ein solches Verfahren iSd § 34 AsylG nicht offen.

Die Behörde hat demnach zutreffend aufgezeigt, dass die Mutter der Beschwerdeführerin als taugliche Bezugsperson im Sinne der §§ 34, 35 AsylG 2005 grundsätzlich nicht in Betracht kommt.

Mit Erkenntnis vom 27.11.2017, E 1001/2017 u.a., trug der VfGH der Behörde für den Bereich des § 35 AsylG 2005 allerdings eine unmittelbare Anwendung des Art. 8 EMRK auf. Für den VfGH sei nämlich - bei Aufhebung der Versagung von Einreisetiteln für die minderjährigen Kinder eines in Österreich anerkannten Flüchtlings - auch die Verweigerung der Einreiseerlaubnis für die Ehegattin aufzuheben gewesen, da zu prüfen gewesen wäre, ob es - ungeachtet des eventuellen Nichtvorliegens einer Ehe - Art. 8 EMRK gebieten würde, dieser die Einreise zur Wahrung des Familienlebens zu gestatten (mit Verweis auf VfGH 06.06.2014, 369/2013 und 23.11.2015, E 1510/2015, dem folgend VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002, Rn. 33). Vgl. weiters auch – hier von besonderer Relevanz - VwGH 28.01.2020, Ra 2018/20/0464, wonach ungeachtet dessen, dass im Wege des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt werden könnte, zu prüfen wäre, ob die sofortige Einreise unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK zur Wahrung des Familienlebens zu gestatten sein könnte.

Im verfahrensgegenständlichen Fall könnte es sohin – angesichts ihrer vorgebrachten persönlichen Situation als junge Frau mit den festgestellten körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen sowie der bestehenden Entwicklungsverzögerung – im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur geboten erscheinen, der Beschwerdeführerin ungeachtet der einfachgesetzlichen Rahmenbedingungen, wonach eine Erstreckung des Status von ihrer Mutter (mangels gesetzlicher Grundlage) nicht in Betracht kommt, die Einreise zu ermöglichen, um ein Familienleben mit ihrer Mutter, aber auch ihrem ebenfalls hier asylberechtigten Vater und ihren Geschwistern in Österreich fortzusetzen.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass die Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht unter den Begriff des "Familienlebens" des Art. 8 EMRK fallen, außer es können weitere Faktoren einer Abhängigkeit, die über normale Gefühlsbande zwischen solchen Familienangehörigen hinausgehen, festgestellt werden (EGMR 13.12.2007; Emonet und andere/Schweiz, Nr. 39051/03, Abs. 35 und EGMR 7.11.2000, Kwakye-Nti und Dufie/Niederlande, Nr. 31519/96).

Solche Faktoren der Abhängigkeit sind der Aktenlage nach jedoch im konkreten Einzelfall nicht auszuschließen und wurden von der belangten Behörde unzureichend erhoben:

Nach den vorgelegten ärztlichen Unterlagen leidet die Beschwerdeführerin an einer natalen Hypoxie, was zu einer verspäteten Entwicklung ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten führte (ihre geistige Entwicklungsverzögerung wurde nicht näher konkretisiert, es wurde jedoch in den vorgelegten Schriftsätzen festgehalten, dass diese sich etwa auf dem Entwicklungsstand einer Zwölfjährigen befinde). Ein in Vorlage gebrachtes ärztliches Schreiben führt aus, dass die von Geburt an bestehende Hypoxie zu einer Schwäche der vier Gliedmaßen, mangelnder geistiger und motorischer Entwicklung, Luxationsattacken, Angstzuständen, schwerer Schlaflosigkeit und wiederholten Krämpfen geführt hätte. Sie benötige zudem eine langfristige Psychotherapie und sei im alltäglichen Leben auf die Unterstützung Dritter angewiesen.

Die belangte Behörde hat keine Feststellungen zu den konkret vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere dem Ausmaß der Entwicklungsverzögerung und der Unterstützungsbedürftigkeit im Alltag, getroffen, welche eine Beurteilung dahingehend zuließen, ob die Beschwerdeführerin trotz Volljährigkeit zu ihrer Mutter in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis steht. Angesichts des Vorbringens zum vorliegenden Entwicklungsstand sowie der Vertretungsbefugnis der Mutter trotz Volljährigkeit waren jedenfalls Anhaltspunkte aktenkundig, welche nähere Erhebungen erforderlich gemacht hätten. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdeführerin wurde keiner Beweiswürdigung unterzogen und fehlen im angefochtenen Bescheid jegliche Feststellungen dazu.

Zwar lässt sich dem Verwaltungsakt entnehmen, dass die Beschwerdeführerin in Syrien infolge der Ausreise ihrer Mutter und Geschwister offensichtlich im Haushalt einer Tante betreut wird und dort während der letzten drei Jahre offenbar unter Trennung von ihren Eltern und Geschwistern leben konnte, ohne in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten. Davon zu trennen ist allerdings die Frage, ob zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter (unter Berücksichtigung des Aufenthalts auch ihres Vaters und sämtlicher Geschwister in Österreich) ein solches Naheverhältnis besteht, welches die Erteilung eines Einreisetitels aus Gründen des Art. 8 EMRK geboten erscheinen ließe, was insbesondere dann gerechtfertigt erschiene, wenn die Beziehung der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter – angesichts der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen – im Ergebnis jener zwischen einem Elternteil und einem minderjährigen Kind gleichkommen würde. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Beschluss eines Schariagerichts in Vorlage gebracht, demzufolge der Mutter der Beschwerdeführerin trotz ihrer Volljährigkeit weiterhin die gesetzliche Vertretung für die Beschwerdeführerin zukomme, was jedenfalls als Indiz für eine entsprechende trotz Volljährigkeit bestehende Abhängigkeit bzw. besondere Nahebeziehung gewertet werden kann.

Die Behörde hat sich jedoch mit den fallspezifischen besonderen Umständen der psychischen und physischen Beeinträchtigung der Beschwerdeführerin, der trotz Volljährigkeit offenbar bestehenden Vertretungsbefugnis ihrer Mutter sowie der konkreten Ausgestaltung des familiären Verhältnisses zwischen der Beschwerdeführerin, ihrer Mutter, ihrem Vater und ihren jüngeren Geschwistern, welche allesamt in Österreich asylberechtigt sind, nicht erkennbar auseinandergesetzt. Die belangte Behörde traf weder Feststellungen zu einem in der Vergangenheit geführten Familienleben der Beschwerdeführerin mit der Bezugsperson (wie auch dem Vater und den jüngeren Geschwistern) im Herkunftsstaat, noch zu einem derzeit allenfalls bestehenden Kontakt der Beschwerdeführerin mit der Bezugsperson sowie den weiteren Angehörigen in Österreich.

Dem angefochtenen Bescheid lassen sich auch keine Feststellungen dahingehend entnehmen, weshalb die Trennung zwischen der Beschwerdeführerin und ihren Eltern und Geschwistern ursprünglich erfolgte, ob also gegebenenfalls zwingende Faktoren die Ausreise der übrigen Familienmitglieder unter Zurücklassung der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat erforderlich machten, oder ob dies auf einen freien Entschluss der Familienmitglieder zurückzuführen gewesen ist. Hierzu wird in der Beschwerdevorentscheidung einzig festgehalten, dass die Beschwerdeführerin eine Beschwerde gegen eine frühere Visumsverweigerung „offensichtlich in Kenntnis der geringen Erfolgsaussichten“ zurückgezogen hätte; nähere Feststellungen hierzu lassen sich dem Verwaltungsakt jedoch nicht entnehmen. Aus einem im Akt einliegenden E-Mail-Verkehr zwischen der ÖB Damaskus und der bevollmächtigten Vertretung der Mutter der Beschwerdeführerin vom 13.03.2017 ergibt sich vielmehr, dass die Mutter der Beschwerdeführerin grundsätzlich eine Ausreise gemeinsam mit der Beschwerdeführerin intendiert hatte.

Fraglich erscheint auch, ob vor dem Hintergrund der vorliegenden Entwicklungsverzögerung eine Aufrechterhaltung des Kontaktes zwischen der Beschwerdeführerin und ihren in Österreich lebenden engsten Angehörigen über moderne Kommunikationsmittel wie Telefon und Internet, wie sie zwischen volljährigen Angehörigen üblicherweise erfolgen kann, überhaupt möglich ist. Hierzu fehlen jegliche Feststellungen, sodass nicht auszuschließen ist, dass die Verweigerung eines Einreisetitels im vorliegenden Fall angesichts der bei der Beschwerdeführerin bestehenden physischen und psychischen Beeinträchtigungen faktisch einen gänzlichen Abbruch der Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und ihren in Österreich asylberechtigten Eltern und Geschwistern bewirken würde, was deren Interessen nach Art. 8 EMRK entsprechend höheres Gewicht verleihen könnte.

Es fehlen somit entsprechende Feststellungen der Behörde letztlich dazu, ob es in casu ausnahmsweise erforderlich ist (sein könnte), dass das Familienleben (der volljährigen) Beschwerdeführerin in Österreich fortgesetzt wird (oder nicht). Aufgrund des Mangels an diesbezüglichen Feststellungen ist es dem Bundesverwaltungsgericht auch nicht möglich, die angefochtene Entscheidung einer Prüfung hinsichtlich der Berücksichtigung bzw. Einhaltung des Art. 8 EMRK zu unterziehen, wie dies der VfGH jedoch für erforderlich erachtet (siehe oben).

Insofern war die Entscheidung zu beheben und zur Durchführung von Ermittlungen zum Grad der Behinderung und zur Versorgung und Betreuung der Beschwerdeführerin in der Heimat sowie dem Ausmaß der Beziehung bzw. des Kontaktes zu ihren Eltern und Geschwistern durchzuführen, und hierzu Feststellungen zu treffen. Von besonderer Relevanz erscheint es, Ermittlungen zu führen und Feststellungen zu treffen, wie sich die aktuelle Versorgung/Betreuung der Beschwerdeführerin in der Heimat konkret gestaltet, zumal sich seit mittlerweile seit geraumer Zeit die gesamte Kernfamilie der Beschwerdeführerin in Österreich befindet.

Aus den oben zitierten Erkenntnissen der Höchstgerichte ergibt sich zumindest, dass eine konkrete und individuelle Prüfung der beteiligten Interessen nach den Kriterien des Art. 8 EMRK stattzufinden hat und eine Ablehnung eines Einreisetitels entsprechend begründet werden muss. Die vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung ist wohl auch in geeigneter Weise mit dem Antragsteller zu erörtern. Im gegenständlichen Fall wurde eine solche Prüfung nicht vorgenommen bzw. zumindest nicht begründet dokumentiert. Die erstinstanzliche Behörde hätte sich gegenständlich mit der angegebenen Behinderung der Beschwerdeführerin, ihrer tatsächlichen Lebenssituation und der sie erwartenden Lebenssituation nach Abreise der im Verfahren genannten Familienmitglieder aus der Heimat, näher auseinandersetzen müssen. Aufgrund der besonderen Konstellation des Falles wäre zu prüfen gewesen, ob es durch die angefochtene Entscheidung zu einem möglichen Eingriff nach Art. 8 EMRK kommt.

Aufgrund der Besonderheiten und der verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11 a FPG) des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens, kann die Durchführung der notwendigen Ermittlungen zum Familienleben, zur Schwere der Erkrankungen der Beschwerdeführerin und zur Intensität ihrer Abhängigkeit bzw. deren nunmehrigen Lebenssituation in Abwesenheit ihrer Kernfamilie, nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch das erkennende Gericht selbst durchgeführt werden. Es war daher mit der Behebung des gegenständlichen Bescheids vorzugehen.

Gemäß § 11 a Abs. 2 FPG war dieser Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu treffen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht gesundheitliche Beeinträchtigung individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W212.2155591.3.00

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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