TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/26 Ra 2021/17/0017

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Veröffentlicht am 26.05.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
18 Kundmachungswesen

Norm

BGBlG §4 Abs2
VwGG §38a
VwGG §38a Abs2
VwGG §38a Abs3
VwGG §38a Abs3 Z1
VwGG §38a Abs3 Z1 lita
VwGG §38a Abs4
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Berger, die Hofrätin Dr. Koprivnikar sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 17. November 2020, LVwG-413737/11/Gf/RoK, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck; mitbeteiligte Partei: C R, vertreten durch Dr. Fabian A. Maschke, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 17/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        1. Mit Straferkenntnis vom 30. April 2020 verhängte die belangte Behörde wegen acht näher konkretisierter Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild Glücksspielgesetz - GSpG gemäß § 52 Abs. 2 GSpG acht Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 10.000,-- (sowie acht Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von jeweils 120 Stunden) über den Mitbeteiligten und schrieb ihm einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor.

2        2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 17. November 2020 setzte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) aufgrund der Beschwerde des Mitbeteiligten die von der belangten Behörde über den Mitbeteiligten verhängten Geldstrafen auf jeweils € 3.000,-- sowie die Ersatzfreiheitsstrafen auf jeweils 33 Stunden pro Glücksspielgerät herab und wies die Beschwerde gegen das Straferkenntnis im Übrigen unter Konkretisierung der Strafsanktionsnorm (§ 52 Abs. 2 dritter Strafrahmen GSpG) als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Mit Spruchpunkt II. ermäßigte das LVwG den Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens und sprach aus, dass kein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten sei. Überdies erklärte es eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig (Spruchpunkt III.).

3        2.2. Soweit für das nunmehrige Revisionsverfahren von Bedeutung, führte das LVwG begründend u.a. aus, es habe nach dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2020, V 505/2020, selbständig und von Amts wegen zu prüfen, ob der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, eine Sperrwirkung bewirke. Die Kundmachung dieses Beschlusses sei fehlerhaft erfolgt, weil ein unzuständiges Organ - nämlich die Bundesministerin für EU und Verfassung anstelle des Bundeskanzlers - die Kundmachung vorgenommen habe und weil die Kundmachung des Beschlusses nicht im BGBl. II, sondern im BGBl. I erfolgt sei. Daher erweise sich dieser Sperrbeschluss „als nichtig“, sodass die Sperrwirkung des § 38 Abs. 1 VwGG nicht eingetreten sei.

4        Der Mitbeteiligte habe aus näheren Gründen die angelasteten Verwaltungsübertretungen zu verantworten; die Höhe der verhängten Strafen erweise sich jedoch als unverhältnismäßig, weshalb diese in Anwendung des § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG herabzusetzen gewesen seien.

5        3.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen.

6        3.2. Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung, die belangte Behörde verwies auf ihre Ausführungen im Straferkenntnis.

7        4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        4.1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kundmachung des oben genannten Beschlusses vom 27. April 2020 („Sperrbeschluss“) nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht als Verordnung im Sinne des Art. 139 B-VG zu qualifizieren ist (vgl. den Beschluss VfGH 8.10.2020, V 505/2020). Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Beschluss weiters ausgesprochen hat, treten für den Fall, dass eine Kundmachung nicht entsprechend den Vorgaben des § 38a Abs. 2 VwGG - beispielsweise von einem unzuständigen Verwaltungsorgan - erfolgt sein sollte, die Sperrwirkungen gemäß § 38a VwGG nicht ein. Dieser Umstand ist nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes von jedem Verwaltungsgericht (von Amts wegen) aufzugreifen; das Verfahren, das aus diesem Grund nicht von einer Sperrwirkung erfasst wird, ist vom Verwaltungsgericht fortzuführen. Es bleibt auch den Parteien des Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten unbenommen, in diesen Fällen ein entsprechendes Vorbringen - auch in einem Rechtsmittel - zu erstatten.

9        4.2. Die Revision erweist sich vor diesem Hintergrund mit ihrem Vorbringen, es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Kundmachung eines Sperrbeschlusses gemäß § 38a VwGG vor, als zulässig.

10       4.3. Die Revision ist auch berechtigt.

4.3.1. § 38a VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idF BGBl. I Nr. 33/2013 lautet:

Gleichartige Rechtsfragen in einer erheblichen Anzahl von Verfahren

§ 38a. (1) Ist beim Verwaltungsgerichtshof eine erhebliche Anzahl von Verfahren über Revisionen anhängig, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind, oder besteht Grund zur Annahme, dass eine erhebliche Anzahl solcher Revisionen eingebracht werden wird, so kann der Verwaltungsgerichtshof dies mit Beschluss aussprechen. Ein solcher Beschluss hat zu enthalten:

1.   die in diesen Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften;

2.   die auf Grund dieser Rechtsvorschriften zu lösenden Rechtsfragen;

3.   die Angabe, welche der Revisionen der Verwaltungsgerichtshof behandeln wird.

Die Beschlüsse werden von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat gefasst.

(2) Beschlüsse gemäß Abs. 1 verpflichten, soweit es sich bei den darin genannten Rechtsvorschriften zumindest auch um Gesetze, politische, gesetzändernde oder gesetzesergänzende Staatsverträge oder Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, handelt, den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann, ansonsten die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zu ihrer unverzüglichen Kundmachung.

(3) Mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Beschlusses gemäß Abs. 1 treten folgende Wirkungen ein:

1.   in Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat:

a)   Es dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

b)   Die Revisionsfrist beginnt nicht zu laufen; eine laufende Revisionsfrist wird unterbrochen.

c)   Die Frist zur Stellung eines Fristsetzungsantrages sowie in den Bundes- oder Landesgesetzen vorgesehene Entscheidungsfristen werden gehemmt.

2.   in allen beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahren gemäß Abs. 1, die im Beschluss gemäß Abs. 1 nicht genannt sind:

Es dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

(4) In seinem Erkenntnis fasst der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsanschauung in einem oder mehreren Rechtssätzen zusammen, die nach Maßgabe des Abs. 2 unverzüglich kundzumachen sind. Mit Ablauf des Tages der Kundmachung beginnt eine unterbrochene Revisionsfrist neu zu laufen und enden die sonstigen Wirkungen des Abs. 3.“

11       4.3.2. Die im Teil I des Bundesgesetzblattes vom 30. Juni 2020 Nr. 55/2020 erfolgte Kundmachung der Bundesministerin für EU und Verfassung über den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes in dem zur Zl. Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahren gemäß § 38a VwGG lautet:

„Gemäß § 38a Abs. 2 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. Nr. 10, in Verbindung mit der Entschließung BGBl. I Nr. 17/2020, wird kundgemacht:

Der Verwaltungsgerichtshof hat am 27. April 2020, der Bundesministerin für EU und Verfassung zugestellt am 2. Juni 2020, in dem zur Zl. Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahren gemäß § 38a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. Nr. 10, folgenden Beschluss gefasst:

I. Beim Verwaltungsgerichtshof besteht Grund zur Annahme, dass im Sinne des § 38a Abs. 1 VwGG eine erhebliche Anzahl von Revisionen eingebracht werden wird, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind: Es geht um die Fragen, ob § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz Glücksspielgesetz - GSpG sowie im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz leg. cit., die §§ 16 und 64 VStG gegen Unionsrecht (Art. 56 AEUV sowie Art. 49 Abs. 3 GRC) verstoßen und ob die vor dem Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark wegen der allenfalls daraus folgenden Unanwendbarkeit ohne gesetzliche Grundlage ergangen ist.

II. Zur Beantwortung der in Spruchpunkt I. genannten Rechtsfragen hat der Verwaltungsgerichtshof § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz Glücksspielgesetz, BGBl. Nr. 620/1989, idF BGBl. I Nr. 13/2014, sowie § 16 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 und § 64 Abs. 2 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2013, anzuwenden.

III. Der Verwaltungsgerichthof wird die Rechtsfragen in dem zu Ra 2020/17/0013 protokollierten Revisionsverfahren behandeln.

IV. Der Bundeskanzler ist gemäß § 38a Abs. 2 VwGG zur unverzüglichen Kundmachung des Spruches dieses Beschlusses im Bundesgesetzblatt verpflichtet. Auf die mit der Kundmachung eintretenden, in § 38a Abs. 3 VwGG genannten Rechtsfolgen, wird verwiesen.“

12       4.3.3. Gemäß § 38a Abs. 3 Z 1 lit. a VwGG tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung eines Beschlusses nach § 38a Abs. 1 VwGG folgende (Sperr-)Wirkung ein: In Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat, darf das Verwaltungsgericht nur noch solche Handlungen vornehmen oder Anordnungen und Entscheidungen treffen, die durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder welche die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Diese Wirkung besteht gemäß § 38a Abs. 4 zweiter Satz VwGG bis zum Ablauf des Tages, an dem die Rechtssätze der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die gleichartigen Rechtsfragen kundgemacht wurde (vgl. in diesem Zusammenhang auch das u.a. zur ähnlichen Regelung des § 86a VfGG ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, VfSlg. 20.147/2017).

13       Für die Beurteilung, ob die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes gegen die Sperrwirkung des § 38a Abs. 3 VwGG verstößt, ist jener Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung iSd § 38a Abs. 3 Z 1 lit. a VwGG „getroffen“ wurde. Maßgeblich ist das Datum der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (vgl. nochmals VfSlg. 20.147/2017).

14       4.3.4. Das LVwG traf seine Entscheidung vom 17. November 2020 nach der Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 38a Abs. 1 VwGG vom 27. April 2020. Dabei wendete das LVwG § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG, somit eine jener Rechtsvorschriften an, die im oben genannten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 nach § 38a VwGG angeführt ist. Das LVwG hatte daher eine in diesem Beschluss nach § 38a VwGG genannte Rechtsfrage zu beurteilen.

15       Eine die Sache des Verfahrens erledigende Entscheidung, wie sie das LVwG im vorliegenden Fall getroffen hat, ist aber nicht als zulässige Handlung, Anordnung oder Entscheidung iSd § 38a Abs. 3 Z 1 lit. a VwGG anzusehen (vgl. VwGH 4.9.2003, 2003/17/0124).

16       4.3.5. Das LVwG ist der Auffassung, die Wirkung des Sperrbeschlusses sei wegen dessen fehlerhafter Kundmachung nicht eingetreten, weshalb es über die Beschwerde des Mitbeteiligten habe entscheiden dürfen.

17       Zur Frage der behaupteten Fehlerhaftigkeit dieser Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG im BGBl. I Nr. 55/2020 hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. März 2021, E 4041/2020-14, jedoch bereits Folgendes ausgesprochen:

„[...] Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 8. Oktober 2020, V 505/2020, bereits zum Ausdruck gebracht hat, stellt die Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG eine besondere Form der Zustellung dar. Die Kundmachung bewirkt eine höhere Publizität des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes, durch welche die in § 38a Abs. 3 VwGG bestimmten Rechtsfolgen (Sperrwirkungen) ausgelöst werden. Erfolgt die Kundmachung entgegen den gesetzlichen Vorgaben des § 38a Abs. 2 VwGG, treten die in § 38a Abs. 3 VwGG vorgesehenen Sperrwirkungen nicht ein.

[...] Gemäß § 38a Abs. 2 VwGG verpflichten Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a Abs. 1 VwGG, soweit es sich bei den darin genannten Rechtsvorschriften zumindest auch unter anderem um Gesetze handelt, den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann, ansonsten die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zur unverzüglichen Kundmachung. Aus dem Wort ‚ansonsten‘ folgt, dass die Kundmachung ausschließlich dem Bundeskanzler bzw. Landeshauptmann obliegt, wenn sich die Rechtsfragen zumindest auch auf Grund von Gesetzen ergeben (vgl. Erläut. zur RV 447 BlgNR 22. GP, 4). Betrifft der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a Abs. 1 VwGG somit ein Bundesgesetz, ist der Bundeskanzler gemäß § 38a Abs. 2 VwGG zur Kundmachung verpflichtet.

Art. 77 Abs. 3 zweiter Satz B-VG erlaubt es, die sachliche Leitung bestimmter, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörender Angelegenheiten ‚eigenen‘ - gemeint vom Bundeskanzler verschiedenen - Bundesministern zu übertragen (sogenannte ‚Kanzleramtsminister‘; vgl. Raschauer, Art. 77 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 50 ff.). Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 29. Jänner 2020, BGBl. II 17/2020, übertrug der Bundespräsident der im Bundeskanzleramt angesiedelten Bundesministerin für EU und Verfassung unter anderem die sachliche Leitung der Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

[...] Die - auch für Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständige - Bundesministerin für EU und Verfassung war daher - entgegen der Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich - gemäß § 38a Abs. 2 VwGG iVm der Entschließung des Bundespräsidenten vom 29. Jänner 2020, BGBl. II 17/2020, für die am 30. Juni 2020 erfolgte Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 zuständig.

[...] Anders als das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich weiters meint, stellt auch die Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes im Teil I des Bundesgesetzblattes keine gesetzwidrige Kundmachung dar:

[...] Im Spruchpunkt IV. des Beschlusses vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, verpflichtete der Verwaltungsgerichtshof zur Kundmachung des Beschlusses ‚im Bundesgesetzblatt‘.

§ 38a Abs. 2 VwGG verpflichtet zur unverzüglichen Kundmachung eines Beschlusses nach § 38a Abs. 1 VwGG, enthält aber keine Regelung darüber, wo ein solcher Beschluss kundzumachen ist. Eine zwingende Kundmachung eines Beschlusses nach § 38a VwGG im Teil II des Bundesgesetzblattes wird - anders als das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich meint - auch in § 4 Abs. 2 BGBlG nicht bestimmt.

[...] Die erfolgte Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG vom 27. April 2020 im Bundesgesetzblatt I war nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes zweifellos geeignet, alle Adressaten des Beschlusses von dessen Inhalt in Kenntnis zu setzen. Im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG jedenfalls hinreichend Publizität erlangt, sodass der Beschluss die in § 38a Abs. 2 VwGG vorgesehenen Rechtswirkungen entfaltet. Im Hinblick darauf ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht weiter zu untersuchen, in welchem Teil des Bundesgesetzblattes die Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach dem Bundesgesetzblattgesetz einzureihen ist.

[...] Der im Übrigen vertretenen Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, verstoße gegen die ‚autonome Beurteilung der Unionsrechtskompatibilität von nationalem Recht‘ durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu folgen:

[...] Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union haben alle Gerichte der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und für die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Normen Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (EuGH 9.3.1978, Rs. 106/77, Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal, Slg. 1978, I-629 [Rz 21/23]; siehe auch zB VfGH 27.11.2019, E 2047/2019 ua.).

[...] Anders als das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich meint, steht die Sperrwirkung eines Beschlusses nach § 38a VwGG dem unionsrechtlichen Gebot der unmittelbaren Anwendbarkeit von Unionsrecht durch die innerstaatlichen Gerichte nicht entgegen. § 38a Abs. 3 VwGG bewirkt, dass vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anhängige Verfahren betreffend die im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a Abs. 1 VwGG genannten Rechtsvorschriften und Rechtsfragen - mit Ausnahme der Fälle des § 38a Abs. 3 Z 1 lit. a VwGG - bis zur Kundmachung der Rechtssätze durch den Verwaltungsgerichtshof nach § 38a Abs. 4 VwGG unterbrochen sind. Ein Beschluss nach § 38a VwGG bewirkt jedoch nicht, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Rahmen seiner Zuständigkeit innerstaatliche gesetzliche Vorschriften zugrunde zu legen hat, die offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Bestimmung des Unionsrechtes widersprechen. Das diesbezügliche Vorbringen geht somit ins Leere.

[...] Soweit das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich weiters einen Verstoß des § 38a Abs. 3 VwGG gegen Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC behauptet, weil die Sperrwirkung des Beschlusses nach § 38a VwGG in Verwaltungsstrafsachen mit den ‚Anforderungen an eine Entscheidung binnen angemessener Frist‘ nicht vereinbar sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des § 38a VwGG - im Interesse des Beschwerdeführers - der Verfahrensökonomie und der Sicherstellung der (Unions-)Rechtskonformität der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte dienen. Ein Verstoß des § 38a Abs. 3 VwGG gegen Art. 6 EMRK oder Art. 47 GRC liegt insoweit nicht vor.“

18       4.3.6. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes an:

19       Aufgrund der mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 29. Jänner 2020, BGBl. II Nr. 17/2020, erfolgten Übertragung der sachlichen Leitung der Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit an die Bundesministerin für EU und Verfassung war diese für die am 30. Juni 2020 erfolge Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 zuständig.

20       Soweit das LVwG die Kundmachung im BGBl. I moniert, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof im Spruchpunkt IV. des Beschlusses vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, das gemäß § 38a Abs. 2 VwGG zuständige Organ, nämlich den Bundeskanzler, zur Kundmachung des Beschlusses „im Bundesgesetzblatt“ verpflichtete.

21       § 38a Abs. 2 VwGG enthält aber keine Regelung darüber, wo ein solcher Beschluss kundzumachen ist. Eine zwingende Kundmachung eines Beschlusses nach § 38a VwGG im Teil II des Bundesgesetzblattes wird aber auch in § 4 Abs. 2 Bundesgesetzblattgesetz (BGBlG) nicht bestimmt.

22       Da die erfolgte Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG vom 27. April 2020 im Teil I des Bundesgesetzblattes geeignet war, alle Adressaten des Beschlusses von dessen Inhalt in Kenntnis zu setzen, erweist sich diese Publikationsform nicht als rechtswidrig.

23       Die Sperrwirkung eines Beschlusses nach § 38a VwGG steht dem unionsrechtlichen Gebot der unmittelbaren Anwendbarkeit von Unionsrecht durch die innerstaatlichen Gerichte nicht entgegen: § 38a Abs. 3 VwGG bewirkt nämlich lediglich, dass beim LVwG anhängige Beschwerdeverfahren betreffend die im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a Abs. 1 VwGG genannten Rechtsvorschriften und Rechtsfragen - mit Ausnahme der Fälle des § 38a Abs. 3 Z 1 lit. a VwGG - bis zur Kundmachung der Rechtssätze durch den Verwaltungsgerichtshof nach § 38a Abs. 4 VwGG nicht entschieden werden dürfen. Ein Beschluss nach § 38a VwGG bewirkt jedoch nicht, dass das LVwG im Rahmen seiner Zuständigkeit innerstaatliche gesetzliche Vorschriften zugrunde zu legen hat, die offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Bestimmung des Unionsrechtes widersprechen.

24       Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass keine fehlerhafte Kundmachung des genannten Beschlusses vom 27. April 2020 vorliegt. Das LVwG hatte daher die Wirkungen des ordnungsgemäß kundgemachten Sperrbeschlusses bei der Behandlung der Beschwerde des Mitbeteiligten zu beachten.

25       4.4. Die angefochtene Entscheidung wurde jedoch entgegen der Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a Abs. 3 VwGG gefasst:

26       Das LVwG traf nach Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes im BGBl. I Nr. 55/2020 am 30. Juni 2020 eine die (Beschwerde-)Sache des Mitbeteiligten erledigende Entscheidung, in der das LVwG die im Punkt II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 genannten Rechtsvorschriften - u.a. des § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG - anzuwenden und die in Punkt I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 genannten Rechtsfragen zu beurteilen hatte.

27       Aus dem Vorgesagten folgt aber, dass die Bestimmung des § 38a Abs. 3 Z 1 VwGG durch die Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses verletzt wurde. Eine Verletzung dieser Bestimmung bewirkt eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses im Verständnis des § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG, weil das angefochtene Erkenntnis nach den im Zeitpunkt seiner Erlassung geltenden Bestimmungen nicht hätte ergehen dürfen (vgl. in diesem Zusammenhang nochmals VwGH 4.9.2003, 2003/17/0124).

28       5. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

29       6. Bemerkt wird, dass § 38a Abs. 3 Z 2 VwGG der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht, weil dadurch keine Präjudizierung der im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 aufgeworfenen Fragen erfolgt.

Wien, am 26. Mai 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021170017.L00

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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