TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/16 W285 2236156-4

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Veröffentlicht am 16.02.2021
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Entscheidungsdatum

16.02.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch


W285 2236156-4/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER im Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RAe Rast & Musliu, zu Recht:

A)

Es wird gemäß § 22 a Abs 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der betroffene Fremde (im Folgenden: BF), Staatsangehöriger Afghanistans, stellte einen ersten Antrag auf internationalen Schutz am 27.04.2016 in Bulgarien, verließ noch vor der Entscheidung darüber das Land und reiste weiter nach Ungarn. Von dort reiste er nach Österreich ein und stellte am 13.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid vom 10.05.2017 wies das Bundesamt das Bundesamte für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 12.11.2018 stellte der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz in Belgien. Der BF reiste von Belgien illegal nach Frankreich weiter. Dort stellte er am 04.03.2019 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz (siehe IZR-Auszug vom 18.01.2021 im Vorverfahren G311 2236156-4).

Gegen den BF wurde am 31.07.2019 eine Anklage wegen einer vorsätzlich begangenen strafbaren Handlung erhoben. Daraufhin hat das Bundesamt mit Bescheid vom 06.08.2019 dem BF das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 31.07.2019 abgesprochen. Der BF hat dagegen fristgerecht Beschwerde erhoben. Am XXXX .2019 wurde der BF rechtskräftig durch das Landesgericht XXXX wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 1., 2. und 3. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, bedingt, Probezeit 3 Jahre, rechtskräftig verurteilt. Auch gegen den Bescheid vom 06.08.2019 erhob der BF fristgerecht Beschwerde.

Diese Beschwerde sowie jene gegen den Bescheid vom 10.05.2017 wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Zahlen W252 2159751-1/16E, W252 2159751-2/6E vom 06.04.2020 als unbegründet abgewiesen.

Es wurde am 17.04.2020 ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mit der afghanischen Vertretungsbehörde eingeleitet. Am 18.05.2020 wurde der BF als afghanischer Staatsangehöriger identifiziert und die Ausstellung eines HRZ zugesagt.

Mit Bescheid vom 30.04.2020 wurde eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot über den BF erlassen. Das Einreiseverbot wurde mit 6 Jahren festgesetzt. Der Bescheid erwuchs mit 07.07.2020 in Rechtskraft 1. Instanz.

Am XXXX .2020 wurden Sie vom Landesgericht XXXX rechtskräftig wegen §§ 28 (1) 2. Fall, 28 (2) SMG, §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG, §§ 28a (1) 5. Fall, 28a (3) 1. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 14 Monate bedingt, verurteilt.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 08.10.2020 wurde über den BF die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 AVG verhängt. Dieser Bescheid wurde dem BF am 08.10.2020 zugestellt.

Dagegen wurde Beschwerde erhoben. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2020, W117 2236156-1, wurde diese als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass im Entscheidungszeitpunkt die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft vorliegen.

Gegen den Mandatsbescheid vom 08.10.2020 erhob der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter neuerlich Beschwerde mit Schriftsatz vom 30.11.2020.

Mit dem am 07.12.2020 mündlich verkündeten Erkenntnis, G306 2236156-2, wurde die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom 08.10.2020 wird als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass die Anhaltung seit dem 22.10.2020 rechtmäßig erfolgte. Weiters wurde gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Der BF war für die Charterabschiebung am 15.12.2020 vorgesehen. Hinsichtlich des BF liegt ein EU-Laissez-Passer vor. Nach den Mitteilungen in der Beschwerdevorlage im Verfahren G311 2236156-3 wurden bei der Charterabschiebung am 15.12.2020 Personen mit einem Laissez-Passer nicht berücksichtigt bzw. weiter hinten gereiht. Der BF wurde aus diesem Grund am 15.12.2020 nicht abgeschoben.

Der BF befindet sich seit 08.10.2020 und damit seit vier Monaten und einer Woche in Schubhaft. Der BF verfügt über Freunde in Österreich und hätte er die Möglichkeit, bei ihnen bis zur Abschiebung zu wohnen.

Hinsichtlich des Schubhaftbescheides vom 08.10.2020 erhob der BF durch seine rechtsfreundliche Vertretung am 18.01.2021 neuerlich Beschwerde.

Über diese Beschwerde entschied das Bundesverwaltungsgericht mit mündliche verkündetem Bescheid vom 20.01.2021, G311 2236156-3, wie folgt:

„Die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom 08.10.2020 und die Anhaltung bis 07.12.2020 wurde als unzulässig zurückgewiesen. Es wurde festgestellt, dass die Anhaltung seit dem 08.12.2020 rechtmäßig erfolgte. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.“

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft in rechtlicher Hinsicht aus:

„Hinsichtlich des BF liegt eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor, er geht im Bundesgebiet keiner legalen Beschäftigung nach und verfügt über keine finanziellen Mittel.

Der BF konnte zwar darlegen, dass ihm bei einem Freund eine gesicherte Unterkunft zur Verfügung steht. Aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen des Beschwerdeführers ist von der mangelnden Vertrauenswürdigkeit und einem besonderen Interesse des Staates an der Sicherstellung der Abschiebung auszugehen.

Auf Grund dieser Erwägungen ist davon auszugehen, dass im Falle des Beschwerdeführers insgesamt Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 und 9 FPG in einem die Anhaltung in Schubhaft rechtfertigenden Ausmaß besteht.

Dem konnte auch mit dem Verweis auf das (nachvollziehbare) Interesse an einer Unterkunftnahme bei seinem Freund nicht wirkungsvoll entgegengetreten werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob eine hinreichende Sicherheit besteht, dass sich der Beschwerdeführer zukünftig dem Zugriff der Behörden nicht entziehen würde.

Auf Grund der festgestellten Fluchtgefahr konnte auch nicht mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden. Im Falle des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass weniger einschneidende Maßnahmen nicht angewendet werden können, da sich der Beschwerdeführer insbesondere durch sein vor Anordnung der Schubhaft gezeigtes kriminelles Verhalten und die Absetzung nach Belgien und Frankreich als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat - was aber Voraussetzung für die Anordnung des gelinderen Mittels ist. Auf Grund dieser Umstände und der bestehenden Fluchtgefahr, überwogen daher die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und eines geordneten Fremdenwesens die Interessen des Beschwerdeführers an der Abstandnahme von der Verhängung der Schubhaft und ist diese als ultima-ratio-Maßnahme notwendig.

Es ist auch davon auszugehen, dass die Überstellung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht nur in zumutbarer, sondern sogar binnen relativ kurzer Frist möglich ist. Auch die absehbare Dauer der Schubhaft war nicht unverhältnismäßig: Mit der Durchführung der Überstellung ist tatsächlich und innerhalb der gesetzlichen Fristen zu rechnen. Abschiebungen nach Afghanistan finden statt; Der BF wurde als afghanischer Staatsangehöriger identifiziert und liegt ein EU-Laissez-Passer vor.

Überdies gab es bei Anordnung der Schubhaft keine erkennbaren Hinweise auf eine Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers und wurde sie auch im Beschwerdeverfahren nicht behauptet.

Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen die Anhaltung des BF in Schubhaft ab 08.12.2020 abzuweisen.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ist festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Für die Durchsetzung der Rückkehrentscheidung (Abschiebung) ist die Anwesenheit des Beschwerdeführers erforderlich. Es ist angesichts seines bisherigen Verhaltens jedoch davon auszugehen, dass er sich dem behördlichen Zugriff durch Untertauchen erneut entziehen würde und sich eine Gelegenheit dazu bietet. Da er zudem über keine feststellbaren beruflichen und substanziellen sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt, ist nicht ersichtlich, was den Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft von einem Untertauchen abhalten sollte. Überdies hat er sich durch sein sonstiges Vorverhalten - etwa die unstrittige Suchtmittelkriminalität - als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat.

Im gegenständlichen Fall sind die Kriterien der Ziffer 3 wie dargelegt weiterhin gegeben. In Bezug auf Z 9 ist überdies festzuhalten, dass schon nach dem Wortlaut der Bestimmung (einzelne) "soziale Anknüpfungspunkte" für sich alleine nicht ausreichen, der Anordnung einer Schubhaft entgegenzustehen. Vielmehr geht es um den "Grad der sozialen Verankerung in Österreich", wobei familiäre Beziehungen, eine legale Erwerbstätigkeit, Existenzmittel und gesicherter Wohnraum exemplarisch genannt werden. Im gegenständlichen Fall sind diese Anknüpfungspunkte allerdings nur in geringem Ausmaß gegeben.

In Zusammenschau mit den obigen Ausführungen besteht damit aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kein Zweifel, dass im gegenständlichen Fall (weiterhin) eine zur Schubhaftanordnung hinreichende Fluchtgefahr seitens des Beschwerdeführers sowie ein hohes staatliches Interesse an der Sicherstellung einer (bereits durchsetzbaren) Abschiebung zu bejahen ist.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich auch, dass im gegenständlichen Fall die Anordnung des gelinderen Mittels nicht ausreichend ist, um den Sicherungsbedarf zu erfüllen. Damit liegt auch die geforderte "ultima-ratio-Situation" für die Anordnung/Fortsetzung der Schubhaft vor und erweist sich diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch als verhältnismäßig.

Hinsichtlich der absehbaren Dauer der Schubhaft ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass diese in zumutbarer Zeit beendet werden kann.

Für die Annahme einer (zukünftigen) unverhältnismäßig langen Anhaltung gibt es gegenwärtig keinen Anhaltspunkt. Aus heutiger Sicht ist weiter davon auszugehen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers jedenfalls innerhalb der gesetzlich zulässigen Anhaltedauer erfolgen kann.

Mit Eingabe des BFA vom 10.02.2021 wurde die Überprüfung der Anhaltung des BF in Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vorgelegt. Mit Schreiben des BFA vom 05.02.2021 teilte das BFA dem BF mit, dass er am 23.02.2021 abgeschoben werde, dieses Schreiben wurde vom BF am 05.02.2021 persönlich übernommen.

Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien schriftlich Parteiengehör ein.

Der BF brachte vor, er befinde sich seit mehr als drei Monaten in Schubhaft. Er habe in Österreich einen festen Wohnsitz, habe sich dem Verfahren noch nie entzogen und könne mit einem gelinderen Mittel das Auslangen gefunden werden, die Anhaltung in Schubhaft sei nicht verhältnismäßig. Er habe Freunde und eine Verlobte, die im Bundesgebiet legal aufhältig sei. Die Anhaltung in Schubhaft widerspreche daher Art. 8 EMRK. Aufgrund der Pandemie Covid-19 würde selten Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt werden, bei den Abschiebungen seien jeweils immer mehr Personen vorgesehen als es Plätze gibt, darüberhinaus liege für den BF nur ein provisorisches EU-Laissez-Passer vor.

Aufgrund der aktenkundigen Mitteilung des BFA wird festgestellt, dass der BF für die Abschiebung am 23.02.2021 nach Afghanistan vorgesehen ist.

II. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Feststellungen gründen auf den gegenständlich ergangenen Vorentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Zahlen W252 2159751-1, W252 2159751-1, W117 2236156-1, G306 2236156-2, und G311 2236156-3 in die elektronischen Akten wurde Einsicht genommen. Das Bundesverwaltungsgericht holte weiters aktuelle, den Fremden betreffende, Auszüge aus dem Fremdenregister, dem Strafregister, der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltug und dem Zentralen Melderegister ein.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.01.2021 zur Zahl G311 223656-3 durch die auch im Gegenstand erkennende Richterin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der im Rahmen des vorliegenden Parteiengehörs geltend gemachte Zeuge wurde in der Verhandlung am 20.01.2021 vom Bundesverwaltungsgericht einvernommen.

Der BF hat ausgeführt, dass es sich bei dem Zeugen um seinen Cousin handelt. Der Zeuge selbst gab in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass der BF sein Freund sei und sie sich vor einigen Jahren in der Mariahilferstraße kennengelernt hätten. Hinsichtlich der genauen Umstände des Kennenlernens blieb der Zeuge ausweichend und konnte keine konkreten Angaben machen.

Es wurde daher festgestellt, dass der BF die Möglichkeit habe, bei Freunden zu wohnen.

Der in der Verhandlung am 20.01.2021 rechtsfreundlich vertretene BF brachte in der Verhandlung nicht vor, dass er eine Verlobte hat. Das diesbezügliche Vorbringen wird daher als nicht glaubwürdig erachtet.

III. Rechtliche Beurteilung:

§ 76 FPG lautet:

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1.       dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2.       dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3.       die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1.       ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a.      ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2.       ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3.       ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4.       ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5.       ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6.       ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a.       der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.       es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7.       ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8.       ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9.       der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

§ 80 FPG lautet:

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1.       drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2.       sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1.       die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.       eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3.       der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4.       die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.

§ 22a BFA-VG lautet:

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft

§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1.       er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2.       er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3.       gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.

Hinsichtlich des BF liegt eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor, er geht im Bundesgebiet keiner legalen Beschäftigung nach und verfügt über keine finanziellen Mittel.

Der BF konnte zwar darlegen, dass ihm bei einem Freund eine gesicherte Unterkunft zur Verfügung steht. Aufgrund seiner Absetzung ins Ausland und der strafrechtlicher Verurteilungen des BF ist von der mangelnden Vertrauenswürdigkeit und einem besonderen Interesse des Staates an der Sicherstellung der Abschiebung auszugehen.

Die Gründe, aus denen die Schubhaft mittels mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.01.2021 aufrecht erhalten wurde (Ziffern 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG), haben sich seither nicht geändert und sind nach wie vor gegeben.

Dem konnte auch mit dem Verweis auf das (nachvollziehbare) Interesse an einer Unterkunftnahme bei seinem Freund nicht wirkungsvoll entgegengetreten werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob eine hinreichende Sicherheit besteht, dass sich der Beschwerdeführer zukünftig dem Zugriff der Behörden nicht entziehen würde.

In Zusammenschau mit den obigen Ausführungen besteht aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kein Zweifel, dass im gegenständlichen Fall (weiterhin) eine zur Schubhaftanordnung hinreichende Fluchtgefahr seitens des Beschwerdeführers sowie ein hohes staatliches Interesse an der Sicherstellung einer (bereits durchsetzbaren) Abschiebung zu bejahen ist.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit – insbesondere aufgrund der Absetzung ins Ausland und die strafgerichtliche Verurteilung – kommen diese nicht in Betracht.

Auf Grund dieser Umstände und der bestehenden Fluchtgefahr, überwogen daher die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und eines geordneten Fremdenwesens die Interessen des Beschwerdeführers an der Abstandnahme von der Verhängung der Schubhaft und ist diese als ultima-ratio-Maßnahme notwendig.

Es ist auch davon auszugehen, dass die Überstellung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht nur in zumutbarer, sondern sogar binnen relativ kurzer Frist möglich ist. Auch die absehbare Dauer der Schubhaft ist nicht unverhältnismäßig: Mit der Durchführung der Überstellung ist tatsächlich und innerhalb der gesetzlichen Fristen zu rechnen. Abschiebungen nach Afghanistan finden statt; der BF wurde als afghanischer Staatsangehöriger identifiziert und liegt ein EU-Laissez-Passer vor.

Überdies gibt es keine erkennbaren Hinweise auf eine Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers und wurde sie auch nicht behauptet. Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft – angesichts einer realistischen Überstellung im Februar 2021 - gegeben ist.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte entfallen, da am 20.01.2021 im Vorverfahren durch die erkennende Richterin eine Verhandlung durchgeführt wurde. Den Verfahrensparteien wurde schriftliches Parteiengehör gewährt. Der Sachverhalt war aufgrund der Vorentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes, den Angaben des BFA in der Aktenvorlage und der Stellungnahme des BF geklärt.

Schlagworte

Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W285.2236156.4.00

Im RIS seit

04.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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