TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/17 W122 2209166-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.02.2021
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Entscheidungsdatum

17.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §13 Abs3
AsylG 2005 §13 Abs4
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W122 2209166-1/52E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch die BBU GmbH - Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.08.2019 und am 22.01.2021, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatsangehöriger des Iran und der persischen Volksgruppe sowie der Religion des Zoroastrismus zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 9 ff.).

2. Im Rahmen der Erstbefragung (AS 9 bis 19) gab der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zu Protokoll, dass er dauernd aufgrund seiner Religionszugehörigkeit und seiner Stellung als regierungskritischer Rapper (Künstler) von der Regierung gesucht und belästigt worden sei.

3. Am 15.07.2016 langte ein medizinisches Sachverständigengutachten bei der belangten Behörde ein, in welchem eine Alterseingrenzung des BF zum Untersuchungszeitpunkt im Altersbereich von mindestens 17,5 bis maximal 22,3 Jahren festgestellt wurde.

4. Mittels Verfahrensanordnung vom 06.03.2017 wurde dem BF gemäß § 13 Abs. 2 AsylG mitgeteilt, dass er sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet aufgrund der Begehung eines Verbrechens gemäß § 17 StGB verloren habe.

5. Am 14.03.2017 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen XXXX als Jugendgericht wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, 27 Abs. 2 SMG, 27 Abs. 2a SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten, unter Setzung einer Probezeit im Ausmaß von 3 Jahren, rechtskräftig seit 18.03.2017, verurteilt ( XXXX gemäß AS 233 ff.).

6. Am 17.10.2017 wurde der BF vom Bezirksgericht XXXX gemäß § 259 Z 3 StPO von der gegen ihn erhobenen Anklage wegen §§ 15, 127 StGB freigesprochen (8 U 198/17y-5 gemäß AS 253 f.). Der Berufung der Staatsanwaltschaft XXXX gegen dieses Urteil wurde vom Landesgericht XXXX als Berufungsgericht, mit Urteil vom 05.06.2018, nicht Folge gegeben ( XXXX gemäß AS 253 bis 257).

7. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme im Asylverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.08.2018 (AS 247 bis 310) gab der BF, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi, zunächst zu Protokoll, dass seine Angaben, welche er im Zuge der Erstbefragung (AS 9 bis 19) getätigt habe, der Wahrheit entsprechen würden. Er fügte jedoch diesbezüglich hinzu, dass es sich dabei lediglich um eine kurze Befragung gehandelt habe. Dies sei der Grund warum er nicht alle seine fluchtrelevanten Probleme im Zuge dieser Erstbefragung geschildert habe. Des Weiteren gab der BF an gesund zu sein und erklärte, dass er der Volksgruppe der Perser sowie der Religion des Zoroastrismus angehöre. Früher, somit davor, sei er muslimisch schiitischen Glaubens gewesen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dass er musikalisch talentiert sei und die Stimme für religiöse Gebete gehabt habe. Somit habe er, auf Anraten seiner Lehrer, mit 7 Jahren begonnen als sogenannter „Maddah“ auf religiösen Festen Gebete professionell vorzusingen und vorzulesen. Er sei diesbezüglich der Beste in seinem Bezirk gewesen. Mit 15 Jahren habe er jedoch zum allerletzten Mal eine Moschee besucht. Er habe in diesem Alter gemerkt, dass er etwas Anderes, nicht ihm Vorgegebenes, machen wollte. Danach sei er Rapper geworden Da er aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als „Maddah“ bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt, sei dieser Wechsel mit besonderer Unterdrückung verbunden gewesen. Im Iran sei es verboten als Rapper aufzutreten. Dies da Rapper dortzulande meistens gegen das Regime singen würden.

Zu etwaigen Verfolgungen von staatlicher Seite aufgrund seiner Religionsangehörigkeit sowie politischer Gesinnung in seiner Heimat befragt, gab der BF an, dass solche niemals stattgefunden hätten.

Zu seinem Ausreisegrund befragt, führte der BF des Weiteren aus, dass es sehr oft persönliche und direkte Übergriffe gegen ihn, aufgrund seiner Stellung als Rapper, in seiner Heimat gegeben habe. Ab dem Zeitpunkt, als er mit 15 Jahren, daher 2013, in der Moschee sein geändertes Gedankengut geäußert habe sowie Rapper geworden sei, hätten die Übergriffe auf ihn begonnen. Bei einer Rückkehr in seine Heimat drohe dem BF die Todesstrafe aufgrund seiner musikalischen Tätigkeit als Rapper.

Der BF gab darüber hinaus an, dass er auch in Österreich als Musiker sehr aktiv sei und unter anderem eine CD, gemeinsam mit anderen Künstlern, veröffentlicht habe. Die auf dieser CD befindlichen Songs seien auch über die Internet-Plattform XXXX ersichtlich. Er sei auch in einer Musikgruppe mit welcher er in Österreich bereits Auftritte gehabt habe.

Zu seinem Privatleben befragt, gab der BF unter anderem an, dass er in Österreich weder Deutschkurse noch sonstige Schulen, Kurse oder Ausbildungen absolviert habe und auch kein Mitglied eines Vereins oder einer Organisation sei. Er sei jedoch im „ XXXX “ gemeinnützig tätig.

Zu seinem Strafdelikt befragt, gab der BF an, dass er psychische Probleme gehabt habe. Er habe kein Geld zum Leben und kein Dach über dem Kopf gehabt und ein Freund habe ihn dazu gezwungen einmalig Drogen zu verkaufen.

8. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018 (AS 345 bis 495), zugestellt am 15.10.2018, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei. Einer Beschwerde gegen den oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 55 Abs. 1a bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise des BF. Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG habe der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 14.02.2017 verloren. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG werde gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stützte sich auf umfangreiche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat, Iran (Seite 26 bis 66 des bekämpften Bescheides; AS 420 bis 460), insbesondere auch zur politischen Lage, zur Sicherheitslage, zum Rechtsschutz/Justizwesen, zu den Sicherheitsbehörden, zu Folter und unmenschlicher Behandlung, zu Korruption, zu NGOs und Menschenrechtsaktivisten, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur Meinungs- und Pressefreiheit sowie Internet, zur Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und Opposition, zu Haftbedingungen, zur Todesstrafe, zur Religionsfreiheit, zur Bewegungsfreiheit, zur Aus- und Einreise, zu gefälschten Dokumenten, zur Grundversorgung und Wirtschaft, zu Sozialbeihilfen, zur medizinischen Versorgung und zur Behandlung nach der Rückkehr. Es finden sich umfangreiche und nachvollziehbare Quellenangaben, wobei die Quellen hierfür hinreichend aktuell sind.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte des Weiteren unter anderem fest, dass der BF mit Hinblick auf seine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle und, dass die sofortige Ausreise des BF aus dem Staatsgebiet demzufolge erforderlich sei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der behaupteten Identität des BF aufgrund fehlender Dokumente keine Glaubwürdigkeit zuzusprechen gewesen sei sowie, dass der BF nicht glaubhaft darstellen habe können, einer persönlichen Verfolgung im Iran ausgesetzt zu sein. Es habe insbesondere nicht festgestellt werden können, dass der BF Probleme mit den Behörden im Iran hatte. Dem Fluchtvorbringen des BF wurde im Rahmen einer umfangreichen Beweiswürdigung die Glaubwürdigkeit versagt.

9. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 11.10.2018 wurde der BF gemäß
§ 52a Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ein Rückkehrberatungsgespräch bis zum 29.10.2018 in Anspruch zu nehmen.

10. Mit weiterer Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 11.10.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

11. Gegen den oben genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde erhoben, welche am 07.11.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde zunächst beantragt, dass das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und dem BF gemäß § 3 AsylG internationalen Schutz gewähren möge. In eventu möge das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG feststellen, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Iran zukommt. In eventu möge das Bundesverwaltungsgericht feststellen, dass die gemäß § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei sowie des Weiteren feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen würden und dem BF daher gemäß § 58 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen sei. In eventu möge das Bundesverwaltungsgericht entsprechend § 66 Abs. 2 AVG und § 28 Abs. 3 und 4 VwGVG den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen, das erlassene Einreiseverbot ersatzlos beheben sowie eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG durchführen. Darüber hinaus erging die Anregung dieser Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

In der Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF seine geltend gemachte Kritik am iranischen Regime in Österreich fortsetze und bereits mehrere einschlägige Musikstücke veröffentlicht habe. Die vom BF geäußerte Furcht vor Verfolgung seitens des iranischen Staats sei demzufolge wohlbegründet und asylrelevant. 12. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 09.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

12. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.11.2018, Geschäftszahl L516 2209166-1/3E, wurde der oben angeführten Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheids stattgegeben und dieser gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG ersatzlos behoben. Es wurde somit festgestellt, dass der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt. Zudem wurde der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids stattgegeben und dieser gemäß § 55 Abs. 1a FPG ersatzlos behoben. Abschließend sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, dass der BF keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG darstelle, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Aufgrund der ersatzlosen Behebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung lagen in Folge auch die Voraussetzungen für die Anwendung des § 55 Abs. 1a FPG nicht mehr vor.

Die Trennung der Spruchpunkte sei aufgrund ihrer Zweckmäßigkeit hinsichtlich der Folgen einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für den betroffenen BF und der Spruchreife der Spruchpunkte VI und VII gemäß § 59 Abs. 1 letzter Satz AVG zulässig gewesen.

13. Am 27.06.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Mitteilung, ebenfalls vom 27.06.2019, der ehemaligen Lebensgefährtin des BF, XXXX , vorgelegt, in welcher diese über Belästigungen und Bedrohungen des BF gegen ihre Person berichtete. In dieser Mitteilung gab die ehemalige Lebensgefährtin des BF an, aufgrund der geschilderten Vorfälle, den BF bei der Polizei anzeigen zu wollen.

14. Am 10.07.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft XXXX vorgelegt. Bei der betreffenden Mitteilung handelt es sich um eine Verständigung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, wonach gegen den BF ein Strafantrag vom 10.07.2019 wegen § 105 Abs. 1 StGB beim Landesgericht XXXX ( XXXX ) eingebracht wurde.

15. Am 19.07.2019 teilte die ehemalige Lebensgefährtin, XXXX , dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass sie ihre obengenannte Anzeige gegen den BF zurückziehe. Die Mitteilung ging zusammen mit dem entsprechenden Verweis in der Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, bezüglich der obengenannten Beschwerde des BF gegen den obengenannten Bescheid, am 25.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

16. Am 21.08.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der das die Beschwerde zur Gänze abweisende Erkenntnis mündlich verkündet wurde. In der am 13.03.2020 ergangenen schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses wurde festgestellt, dass der BF im Iran seit seiner Kindheit musikalisch aktiv gewesen sei und im Kindes- und frühen Jugendalter religiöse Lieder und Gedichte im Rahmen von muslimisch religiösen Veranstaltungen vorgetragen habe. Der BF erlangte durch diese musikalisch, religiöse Tätigkeit einen gewissen lokalen Bekanntheitsgrad in seinem Bezirk. Mit 15 Jahren wandte sich der BF innerlich vom Islam und damit verbunden von seinen Teilnahmen an religiösen Veranstaltungen ab. Der BF interessierte sich seit diesem Zeitpunkt zunehmend für Rapmusik und wurde diesbezüglich auch selbst musikalisch aktiv. Der BF war aufgrund seines persönlichen Wandels und seiner Abkehr vom islamischen Glauben mit temporärer zwischenmenschlicher und teilweiser unsachlicher sowie beleidigender Kritik und Häme in seinem (ehemaligen) gesellschaftlichen Umfeld konfrontiert. Der BF wurde in seiner iranischen Heimat von Behörden, im Speziellen von der SEPA und BASIJ nicht gesucht und verhaftet.

Der BF habe vor seiner Abreise aus dem Iran, unter dem Account seines Bruders auf einer iranischen Website ein Musikvideo hochgeladen, in welchem er keinerlei religiöse oder politische Aussagen tätigte, veröffentlicht. Der BF habe keine weiteren politischen oder anderweitig gesellschafts- bzw. religionskritischen Musikvideos sowie sonstige einschlägige Inhalte veröffentlicht.

Konkrete, gegen die Person des BF gerichtete, Verfolgungshandlungen aufgrund seiner religiösen Orientierung bzw. persönlichen, geistigen Entwicklung und politischer Einstellung sowie seines Interesses und seiner Teilnahme an der Rap-Musik-Kultur in Teheran, durch staatliche Behörden des Irans, einschließlich im Speziellen Beschuldigungen durch Mullahs, würden nicht vorliegen.

Es seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt worden, dass der BF Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Der BF spreche geringfügig Deutsch. Der BF mache eine Musikausbildung und befindet sich in der Grundversorgung. Der BF sei ledig und habe eine ca. 2 Monate alte Tochter. Der Beschwerdeführer führe mit der Mutter keine partnerschaftliche Beziehung. Seine Tochter lebe bei der Mutter.

Der BF wurde am 14.03.2017 von einem Landesgericht als Jugendgericht wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer bedingten Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt. Am 17.10.2017 wurde der BF von einem Bezirksgericht von der gegen ihn erhobenen Anklage wegen versuchten Diebstahls freigesprochen. Gegen den BF wurde am 10.07.2019 ein Strafantrag beim Landesgericht XXXX wegen Nötigung eingebracht. Die Mutter der Tochter des BF habe zuvor am 27.06.2019 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass sie gegen den BF wegen Belästigungen und Bedrohungen des BF Anzeige erheben wollte.

Der BF habe gemeinsam mit Freunden im Juni 2018 Musikvideos veröffentlicht und diese im September 2018 auf einer Internetplattform hochgeladen. Diese Musikvideos würden überwiegend deutschen Sprechgesang beinhalten. Die Passagen, welche vom BF auf Farsi gesungen würden, würden von einer Welt ohne Grenzen und der Gleichheit aller Menschen handeln.

Der BF würde im Falle der Rückkehr in den Iran weder in eine existenzgefährdende Notsituation geraten noch sei er als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt. Es habe auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des BF in seinem Herkunftsstaat festgestellt werden können.

17. Mit Schriftsatz vom 23.01.2020 erhob der BF durch seine nunmehrige Rechtsvertretung Beschwerde an den Verfassungsberichtshof (nunmehr „VfGH“). Diese wurde im Wesentlichen dahingehend begründet, dass die Entscheidung des BVwG mit Willkür behaftet gewesen sei, weil der BF vom Islam abgefallen sei und ihm diesbezüglich im Iran eine lange Haftstrafe drohen würde. Ebenso sei er im Iran einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt, weil er Lieder mit politischen Inhalten verbreitet habe. Ebenfalls habe erkennende Gerichte das Kindeswohl bei der Interessenabwägung im Zuge der Rückkehrentscheidung nur unzureichend geprüft, sodass diese Fehlerhaftigkeit zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK geführt habe. Die strafrechtliche Verurteilung des BF, bei der es sich nur um ein Vergehen gehandelt habe, liege schon längere Zeit zurück. Seither habe sich der BF auch wohlverhalten.

18. Mit Erkenntnis des VfGH vom 26.06.2020, Zl. E 312/2020-15, wurde das angefochtene Erkenntnis des BVwG insoweit aufgehoben, als der BF durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, gegen den Ausspruch der Abschiebung in den Herkunftsstaat Iran, gegen den Verlust des Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet und das auf drei Jahre befristete Aufenthaltsverbot abgewiesen wurde, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden sei. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgewiesen und insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Begründend wurde festgehalten, dass ein mündlich verkündetes Erkenntnis die tragenden Elemente einer Begründung zu enthalten habe. Im Rahmen der Begründung des angefochtenen mündlichen Erkenntnisses vom 21. August 2019 habe sich das BVwG mit den vorgebrachten Fluchtmotiven des BF auseinandergesetzt. Das BVwG habe es jedoch unterlassen, die wesentlichen Entscheidungsgründe insbesondere hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Iran, des Verlusts des Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet und das auf drei Jahre befristete Aufenthaltsverbot zu verkünden. Aus diesem Grund sei die Entscheidung des BVwG mit Willkür belastet gewesen.

19. Mit Schriftsatz vom 28.07.2020 erfolgte eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des BF an das BVwG. In dieser wurde im Wesentlichen festgehalten, das sich der BF weiterhin integriere und seine Anwesenheit in Österreich wichtig für das Kindeswohl sei, damit seine Tochter mit beiden Elternteilen aufwachsen könne. Diesbezüglich wurde ein sozialarbeiterisches „Gutachten“ eines Zentrums für Jugendarbeit vom 28.07.2020 und Lichtbilder, die den BF mit seiner Tochter zeigen, vorgelegt. Ebenso habe er sich seiner strafrechtlichen Verurteilung auch wohlverhalten. Des Weiteren wurde die Einholung eines psychologischen und psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass der BF an einer schweren depressiven Erkrankung leiden würde, beantragt. Ebenso wurde die Einholung einer Anfrage der Staatendokumentationsstelle zum Beweis dafür, dass aufgrund der Covid-19 Pandemie die medizinische Versorgung äußerst prekär sei, beantragt.

20. Mit Schreiben vom 06.08.2020 gab die Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH bekannt, dass sie bevollmächtigt worden sei, den BF in gegenständlicher Rechtssache zu vertreten, zumal das Vollmachtsverhältnis des BF zu seiner bisherigen Rechtsvertretung mit Schreiben vom 30.09.2020 aufgelöst wurde.

21. Mit Schreiben vom 10.11.2020 wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen vorgelegt, unter anderem ein Unterstützungsschreiben eines Jugendzentrums und Fotos der Jugendarbeit des BF sowie die gekürzte Urteilsausfertigung des Strafurteils vom 12.11.2019 des Landesgericht XXXX , Zl. XXXX , in welchem der BF vom Vergehen der Nötigung nach § 105 StGB gemäß § 259 Abs. 3 StPO freigesprochen wurde.

22. Am 22.01.2021 fand am Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt. In dieser waren der BF, seine Rechtsvertretung, nunmehr die BBU GmBH (ausgewiesen durch eine vorgelegte Vollmacht), eine Zeugin und ein Vertreter der belangten Behörde persönlich anwesend.

Der BF gab zu Beginn der Verhandlung an, dass er in der Lage sei, der Verhandlung folgen zu können und diesbezüglich keine Hinderungsgründe vorliegen würden.

Danach wurde festgehalten, dass der BF und seine rechtsfreundliche Vertretung über die aktuellen Länderberichte informiert wären, sodass diese dem Verfahren hinzugefügt wurden. Danach vermeinte der BF, dass er seine Tochter nicht für die Asylgewährung benutzt habe, sondern die Konversion sein Fluchtgrund gewesen sei. Dass er seine Tochter dafür benutzt habe, habe ihm seine Frau (Anm.: die Kindesmutter) gesagt und er habe dieses Gefühl auch bei der letzten Verhandlung seitens des Richters gehabt. Er würde jeden Tag mit seiner Tochter verbringen. Er sei unter Tags bei der Kindesmutter. Diese habe heute nicht kommen wollen, weil die Tochter krank sei. Im Übrigen habe sie auch Angst, dass sie wegen der Lügen, die sie hier erzählt habe, ihren Konventionsreisepass verliere. Sie sei depressiv und habe ein Problem mit dem Betreuer vom Jugendamt, der ein Schreiben verfasst hätte, das in dieses Verfahren eingebracht worden sei und nicht der Wahrheit entsprochen habe. Er habe seiner Freundin auch im Jahr 2019 eine Droh-SMS geschrieben. Er sei nervös gewesen, aber durch anwaltliche Hilfe beim Prozess freigesprochen worden. Mittlerweile wäre wieder alles in Ordnung. Sie sei auch schwanger geworden, jedoch hätten sie das Kind abtreiben lassen. Nachdem er seine Tochter nicht habe sehen dürfen, wäre seine Freundin zum Jugendgericht mitgekommen und hätte dort gesagt, dass sie wieder zusammenwohnen würden. Es habe dann einen Beschluss gegeben, dass er seine Tochter wieder sehen dürfe. Da auch die Rechtsvertretung des BF nicht davon wusste, wurde dem BF eine Frist von 14 Tagen eingeräumt, um den genannten Beschluss eines Bezirksgerichtes vorzulegen. Der BF vermeinte, dass es nun eine Besuchszeitenregelung geben würde. Er selbst sei in der Geburtsurkunde seiner Tochter als Vater eingetragen. Sie hätten den Beschluss aufheben lassen, dass er seine Tochter nur zweimal pro Woche sehen dürfe, weil sie wieder zusammenwohnen würden. In einer Obsorgevereinbarung sei geschrieben, dass die Obsorge der Tochter bis zu deren dritten Lebensjahr bei der Mutter liege.

Danach wurde die Kindesmutter der Tochter des BF als Zeugin einvernommen. Sie gab an, seit längerem unter Angstzuständen zu leiden und legte eine Audio-Datei, die sie seitens des Bruders des BF erhalten habe, vor. In dieser werde sie bedroht und ihr Rache geschworen, falls dem BF etwas passieren sollte. Die Familie des BF würde diesen auch in Österreich rächen, weil sie wisse, wo sie aufhältig sei. Sie sei froh, dass sie in Österreich lebe, denn im Iran hätte der Vater das Sorgerecht für die Tochter bekommen. Dennoch habe sie beim Jugendgericht gelogen und diese Audio-Datei nicht vorgelegt. Sie habe dem BF nicht verziehen, jedoch habe sie wegen der erhaltenen Drohungen Angst. Falls sie dem BF nicht verziehen hätte, hätte sie Angst um ihr Leben gehabt. Sie sei während und nach der Schwangerschaft alleine gewesen und sie sei sich sicher, dass der BF ihre Tochter nur gezeugt hätte, um einen Reisepass zu erhalten. Er würde Frauen nicht mit Respekt behandeln und beschimpfe diese. Wenn seine Tochter hohes Fieber habe, dann komme er ebenfalls nicht, um zu helfen. Sie habe auch bei der Geburt alleine ins Krankenhaus gehen müssen. Die Rechtsvertreterin habe dem BF gesagt, er solle zu ihr gekommen und zu dritt Fotos machen, um die Chancen des BF in seinem Asylverfahren zu erhöhen. Auch habe sie der BF mehrmals genötigt und die Polizei sei öfters gekommen. Er habe sich auch nicht um die Wohnungen gekümmert, aber ihr Vermieter unterstütze ein wenig und habe ihr immer Wohnraum zur Verfügung gestellt. Sie habe Angst gehabt, zur heutigen Verhandlung zu kommen und im Vorfeld darüber nicht mit dem BF gesprochen, damit sie von ihm nicht gestresst werde. Sie sei schon bei der Frauenberatungsstelle gewesen und auch ihre Nachbarn würden von dieser Problematik Bescheid wissen. Sie würde auch nicht wollen, dass sie der BF weiterhin besuche. Er wurde auch ihre Instagram-Follower verfolgen und diesen schreiben, dass sie eine Diebin sei und sie in Sexfilmen mitspielen würde. Er schreibe auch, dass sie keine Matura habe, obgleich sie studiert habe. Sie legte danach diese Chatverläufe vor, die der Dolmetscher sinngemäß übersetzte und die Angaben der BF bestätigte. Er gab auch an, dass darinstehe, dass sie Drogen konsumiere. Dem BF habe sie ihr Kind während der Befragung anvertraut, weil sie gewusst habe, dass er das Haus nicht verlasse. Sie hätte vor dem Jugendgericht noch viel mehr sagen können und ihre Einvernahme dort habe schon zehn Stunden gedauert. Ebenso habe sie hier weiterstudieren wollen. Jetzt könne sie nicht mehr in den Iran zurück und ihre Depressionen würden immer schlimmer werden.

Danach befragte der Rechtsvertreter des BF die Zeugin. Sie gab an, dass der BF nie Zeit mit der Tochter verbringen würde. Sie lebe mit ihr alleine. Er würde nur kommen, um mit ihr Fotos zu machen. Diesbezüglich könne man sich auch bei der Flüchtlingseinrichtung erkundigen. Er habe die Tochter auch angeschrien und ihr keine Zuneigung oder Liebe entgegengebracht. Sie werde vom BF auch eine alte Frau genannt, obgleich sie erst 1987 geboren worden sei. Der BF sei auch nicht XXXX geboren worden, sondern habe sich nur für das Asylverfahren minderjährig gemacht. Eine Geburtsurkunde, die ihr ein Cousin ihres Vaters zukommen hat lassen, weise aus, dass er 1371 geboren worden sei. Er sei auch nicht Angehöriger der Zoroastrismus-Religion, sondern ein Moslem.

Danach wurde die Befragung des BF fortgesetzt. Diese gab an, dass er gegen die Asylentscheidung auch Revision erhoben habe. Er führte auch aus, dass er sich wünsche, dass das Verfahren bald abgeschlossen sei, um sich mehr um seine Tochter kümmern zu können und auch deswegen, dass er sich wieder der Musik widmen könne. Er habe im Zuge seines Aufenthaltes in Österreich Fehler gemacht und eine miserable Lebenssituation gehabt. Nun wolle er arbeiten, sich um die Familie kümmern und seine Lebenssituation verbessern.

Auf Vorhalt bestätigte der BF, dass es sich bei der vorgelegten Geburtsurkunde um die seines Vaters handeln würde. Er vermeinte abermals, dass er in seiner Zeit in Österreich sehr viel erlitten habe, er dies aber wegen seiner Tochter durchgestanden habe. Nun wolle er die Gelegenheit bekommen, um zu zeigen, wie gut er sich um seine Familie kümmern werde.

Danach erfolgte der Schluss der mündlichen Verhandlung. Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Die Identität des BF steht nicht fest. Der BF stammt aus Teheran, Iran und ist Angehöriger der persischen Volksgruppe. Er bekennt sich zum Glauben des Zoroastrismus, praktiziert seine Religion jedoch nicht. Bevor der BF sich zum Glauben des Zoroastrismus bekannte war dieser schiitischer Moslem. Der BF ist psychisch und physisch gesund. Der BF besuchte im Iran mehrere Jahre die Schule und arbeitete in einer Schuhmacherei, einem Restaurant sowie bei einer Essensauslieferung.

Der BF hat eine Großmutter sowie einen Bruder und eine Schwester, welche im Iran leben. Die Großmutter und Schwester des BF leben in Teheran. Der Bruder des BF lebt in Qeschm. Der Vater des BF ist verstorben. Die Mutter des BF ist, aus Sicht des BF, unbekannten Aufenthaltes.

Der BF war im Iran seit seiner Kindheit musikalisch aktiv und trug im Kindes- und frühen Jugendalter religiöse Lieder und Gedichte im Rahmen von muslimisch religiösen Veranstaltungen vor. Der BF erlangte durch diese musikalisch, religiöse Tätigkeit einen gewissen lokalen Bekanntheitsgrad in seinem Bezirk. Mit 15 Jahren wandte sich der BF innerlich vom Islam und damit verbunden von seinen Teilnahmen an religiösen Veranstaltungen ab. Der BF interessierte sich seit diesem Zeitpunkt zunehmend für Rapmusik und wurde diesbezüglich auch selbst musikalisch aktiv.

Der BF veröffentlichte vor seiner Abreise aus dem Iran, ein Musikvideo, in welchem er keinerlei religiöse oder politische Aussagen tätigte. Die diesbezüglich veröffentlichten und nach wie vor abrufbaren Aussagen des BF beziehen sich ausschließlich auf Inhalte moderner Jugendkultur. Konkrete, gegen die Person des BF gerichtete, Verfolgungshandlungen aufgrund seiner religiösen Orientierung bzw. persönlichen, geistigen Entwicklung und politischer Einstellung sowie seines Interesses und seiner Teilnahme an der Rap-Musik-Kultur in Teheran, durch staatliche Behörden des Irans, einschließlich im Speziellen Beschuldigungen durch Mullahs, liegen nicht vor.

Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der BF Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Der BF reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 19.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF spricht geringfügig Deutsch. Der BF macht derzeit eine Musikausbildung und befindet sich in der Grundversorgung. Der BF knüpfte in Österreich freundschaftliche Kontakte. Er musiziert und macht im Speziellen Rap mit seinem österreichischen Freundeskreis. Der BF wirkte aktiv als Künstler an der Gestaltung von zwei Musik-Alben mit und nahm an zwei öffentlichen Konzerten in Österreich teil. Der BF hat keine Deutschkurse besucht und auch sonst an keinen integrativen Maßnahmen teilgenommen.

Der BF ist ledig und hat eine minderjährige Tochter im Kleinkindalter. Er lebt im Flüchtlingsheim und somit nicht mit seiner Tochter und der Mutter derselbigen im gemeinsamen Haushalt zusammen. Der BF führt mit der Mutter seiner Tochter auch keine partnerschaftliche Beziehung.

Der BF wurde in Österreich am 14.03.2017 von einem Landesgericht wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer bedingten Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt. Am 17.10.2017 wurde der BF von einem Bezirksgericht von der gegen ihn erhobenen Anklage wegen versuchten Diebstahls freigesprochen. Gegen den BF wurde am 10.07.2019 ein Strafantrag beim Landesgericht XXXX wegen Nötigung eingebracht. Die Mutter der Tochter des BF teilte zuvor am 27.06.2019 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass sie gegen den BF wegen Belästigungen und Bedrohungen des BF gegen ihre Person Anzeige erheben wollte. Dieses Strafverfahren endet am 12.11.2019 mit einem Freispruch des BF.

Der BF veröffentlichte gemeinsam mit Freunden Musikvideos, Dies wurden im Jahr 2018 auf einer Internetplattform hochgeladen. Diese Musikvideos beinhalten überwiegend deutschen Sprechgesang. Die Passagen, welche vom BF auf Farsi gesungen werden, handeln von einer Welt ohne Grenzen und der Gleichheit aller Menschen.

Es wird festgestellt, dass der BF im Falle der Rückkehr in den Iran weder in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde noch als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre.

Zum Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des BF in seinem Herkunftsstaat festgestellt werden.

1.2.Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt (Länderinformationsblatt vom 20.11.2020):

1.       Politische Lage

Letzte Änderung: 29.06.2020

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 2.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahekommen (GIZ 2.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und

137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).

2.       Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.06.2020

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch- irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).

2.1.    Verbotene Organisationen

Letzte Änderung: 29.06.2020

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020). Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 26.2.2020). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 10.2019) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).

Es scheint eher unwahrscheinlich, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. dem Verteilen von Flyern, angeklagt wird, es ist aber schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).

2.2.    Volksmudschahedin (Mujahedin-e-Khalq – MEK, MKO; People’s Mojahedin Orga- nisation of Iran – PMOI; National Council of Resistance of Iran – NCRI)

Letzte Änderung: 29.06.2020

Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, „iranische Volksmudschahedin“) gilt in Iran als Terrororganisation, und wird für die Ermordung von17.000 Iranern verantwortlich gemacht (ÖB Teheran 9.2017; vgl. Global Security o.D., SFH 20.7.2018). Verbindungen zur MEK gelten in Iran als „moharebeh“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 10.2019). Im Exil in Frankreich hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Telepolis 18.1.2019). Die linksgerichtete MEK wurde in den 1960er Jahren mit der Intention gegründet, den Schah von Persien zu stürzen. Die MEK unterstützte während der iranischen Revolution Ayatollah Khomeini. Die Organisation wurde Anfang der 1980er Jahre aus dem Iran ins Exil in den Irak vertrieben, nachdem sie gegen Khomeini opponiert hatte. Die MEK wird für verschiedene Anschläge verantwortlich gemacht und hatte als Verbündete der irakischen Seite am ersten Golfkrieg zwischen 1980 bis 1988 teilgenommen. Im Jahr 1987 gründete die Organisation einen bewaffneten Arm, die National Liberation Army (NLA) und führte ab 1988 von der 60 Kilometer von Bagdad entfernten Basis Ashraf ausgehend bewaffnete Operationen durch. In diesem Zeitraum exekutierten die iranischen Behörden hunderte bis tausende MEK-Mitglieder, welche als Feinde der Nation und Verräter bezeichnet wurden. Die Organisation wurde von einer Reihe von Staaten offiziell als terroristische Organisation eingestuft, darunter von den USA, der EU und Großbritannien. Im Jahr 2003 hat sich die MEK entwaffnet und den Verzicht auf Gewalt verkündet. In den Jahren 2008, 2009 und 2012 wurde die MEK in Großbritannien, in der EU und in den USA von der Liste der terroristischen Organisationen entfernt (SFH 20.7.2018). Die MEK-Mitglieder in Irak ließen sich ab 2011 im Rahmen einer von UNHCR unterstützten Umsiedlung mehrheitlich in Albanien nieder. Im September 2016 sollen die letzten Volksmudschahedin ihr Lager in Irak verlassen haben (SFH 20.7.2018; vgl. Guardian 9.11.2018). Mittlerweile sind viele von ihnen in die EU und USA weitergereist (Guardian 9.11.2018).

Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016; vgl. Guardian 9.11.2018). In Bezug auf die Demonstrationen, die Ende 2017/Anfang 2018 in den großen Städten Irans stattfanden, gab der Oberste Führer Khamenei den Großteil der Schuld an den Demonstrationen der MEK und erkannte somit das Ausmaß des Einflusses dieser Gruppierung an (Iran Focus 18.1.2018; vgl. Arab News 22.1.2018).

Die MEK konzentriert sich mittlerweile auf das Beeinflussen der öffentlichen Meinung und auf das Sammeln von Informationen zur Situation im Land. Inwieweit die MEK von der iranischen Bevölkerung unterstützt wird, ist umstritten. Einerseits gibt es Informationen, die besagen, dass die MEK die größte militante iranische Oppositionsgruppe sei, mit dem Ziel die Islamische Republik, die iranische Regierung und deren Sicherheitsapparat zu stürzen. Andererseits gibt es Berichte, die der MEK wenig bis gar keine Unterstützung der Bevölkerung zusprechen (ACCORD 7.2015). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung und international präsent ist, aber sie genießt in Iran selbst aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung (ÖB Teheran 10.2019).

Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch misshandeln würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten, angewendet. Solche Vorwürfe werden von der MEK kategorisch zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018).

2.3.    PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (Partei für Freiheit und Leben in Kurdis- tan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans)

Letzte Änderung: 29.06.2020

Die PJAK begann in den späten 1990er Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität (BMI 2015; vgl. ACCORD 7.2015, DIS 7.2.2020), und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern. 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die PKK ihre Basen und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK. Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Angaben über die Stärke der PJAK-Kämpfer sind schwierig. Schätzungen liegen zwischen 1.000 (JF 15.1.2018) und 3.000 Kämpfern (BMI 2015). Ein großer Teil der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauen sein (TRAC o.D.; vgl. CRS 6.2.2020).

Die PJAK ist zwischen einem Militärflügel, den ostkurdischen Verteidigungskräften (YRK), und dem politischen Flügel, der Demokratischen und Freien Gesellschaft Ostkurdistans (KODAR), aufgeteilt. Wie bei anderen PKK-Zweigen versucht die Gruppe angeblich, mit allen Iranern zusammenzuarbeiten, aber in der Praxis ist ihre Mitgliedschaft fast ausschließlich kurdisch. Während der militärische Flügel in den Kandil-Bergen stationiert ist, ist der politische Zweig in Europa und Irak ansässig (JF 15.1.2018) und operiert in Iran im Untergrund (DIS 7.2.2020). Der militärische Arm der PJAK führte von Anfang der 2000er Jahre bis 2011 eine sporadische Aufstandskampagne auf niedriger Ebene im Iran durch. Dabei wurden Dutzende iranische Sicherheitskräfte getötet, hauptsächlich bei Operationen in und um Städte mit kurdischer Mehrheit wie Urmia und Mariwan. 2011 erklärte die PJAK einen [brüchigen] Waffenstillstand. Der Zusammenbruch des syrischen Staates eröffnete der PKK und ihren Mitgliedsgruppen neue Möglichkeiten und es wurden Kämpfer nach Syrien geschickt. Dies wurde ab 2014 verstärkt, da die von der YPG [syrischer Ableger der PKK] gehaltenen Gebiete zunehmend von den von der Türkei unterstützten Streitkräften der Freien Syrischen Armee (FSA) und von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates (IS), insbesondere bei der Belagerung von Kobane, unter Druck gesetzt wurden. Trotz des zunehmenden Engagements der PJAK in Syrien gab die Gruppe ihren Waffenstillstand mit dem Iran im Jahr 2015 auf, vor allem, um von der weit verbreiteten Empörung und den Protesten gegen die Tötung einer kurdischen Frau durch die iranischen Sicherheitskräfte in Mahabad zu profitieren. Dies führte dazu, dass die Gruppe die Angriffe auf iranische Truppen wieder aufnahm, was zu verstärkter Gewalt zwischen PJAK und der iranischen Regierung führte und im August 2015 ihren Höhepunkt mit einem PJAK-Angriff in Mariwan erreichte, bei dem Berichten zufolge 20 Mitglieder des iranischen Revolutionsgarde-Korps (IRGC) getötet wurden. Die Regierung reagierte mit der Hinrichtung inhaftierter kurdischer Aktivisten (JF 15.1.2018).

Die PJAK liefert sich somit seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 26.2.2020). In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. BTI 2020). Es ist weiterhin mit verschärften Repressalien gegen kurdische Organisationen zu rechnen. Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 10.2019). Zusammenstöße der PJAK mit iranischen Sicherheitskräften wurden auch 2019 berichtet (Kurdistan24 5.8.2019).

2.4.    Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Orga- nization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)

Letzte Änderung: 29.06.2020

Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 26.2.2020). Die KDPI wurde 1945 in der iranischen Stadt Mahabad gegründet (DIS 7.2.2020) und vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt (TRAC o.D.). Das Ziel der KDPI besteht darin, die kurdischen nationalen Rechte innerhalb eines Bundes und eines demokratischen Iran zu erlangen (DIS 7.2.2020; vgl. TRAC o.D., MERIP o.D.). Die KDPI wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die von ihrem irakischen Hauptquartier aus das Regime bekämpft (BMI 2015; vgl. MERIP o.D., ACCORD 7.2015). Die KDPI wird traditionell als die größte iranisch-kurdische Partei angesehen. Die Partei KDP-Iran hat sich 2006 von der KDPI getrennt und ist eine separate Partei (DIS 7.2.2020). Die kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere die KDPI, sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015).

Die Komala-Partei wurde 1969 gegründet. Ihre Mitglieder bestanden zu dieser Zeit aus kurdischen linken Studenten und Intellektuellen, hauptsächlich aus Teheran, aber auch aus anderen kurdischen Städten. Komala basiert auf sozialistischen Werten und kämpft für kurdische Rechte und einen demokratischen, säkularen, pluralistischen und föderalen Iran. Komala besteht aus drei oder mehr getrennten Parteien (DIS 7.2.2020).

Das Ausmaß der zivilpolitischen Aktivitäten der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere der KDPI und Komala in Iran, ist aufgrund der Kontrolle, mit der sie konfrontiert sind, im Allgemeinen begrenzt. Wenn die Parteien zivilpolitische Aktivitäten durchführen, geschieht dies unter Geheimhaltung, um zu verhindern, dass die Behörden gegen sie vorgehen. Die Parteien unterstützen jedoch die Aktivitäten anderer, beispielsweise von Organisationen, die sich sowohl auf Umweltfragen als auch auf soziale Fragen konzentrieren. Die kurdischen politischen Parteien führen Propaganda-Aktivitäten durch, um ein Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und die Menschen zu ermutigen – durch verschiedene friedliche und entschlossene Maßnahmen wie Demonstrationen, Generalstreiks und symbolische Mittel wie das Tragen kurdischer Kleidung zu besonderen Anlässen – gegen die Regierung zu protestieren. Die meisten Aktivitäten der kurdischen Parteien finden im öffentlichen Raum, einschließlich Schulen, statt. Die Parteien ermutigen ihre Mitglieder, Unterstützer und die Öffentlichkeit, Maßnahmen über soziale Medien, Fernseh- und Radiokanäle zu ergreifen. In Bezug auf die Rekrutierung von Mitgliedern ist zu sagen, dass die Regeln für die Mitgliedschaft in den iranisch-kurdischen politischen Parteien (KDPI und Komala) nicht immer geradlinig sind und die Mitgliedschaft durch verschiedene Verfahren erlangt werden kann. Menschen in der kurdischen Region des Iran können über die geheimen Netzwerke dieser Parteien Mitglieder werden oder sie können selbst Mitglieder der Partei in der Autonomen Kurdischen Region Irak kontaktieren und dadurch Mitglieder werden. Zukünftige Mitglieder durchlaufen eine Überprüfung um z.B. Spione der iranischen Regierung ausschließen zu können. Es kommt nämlich immer wieder vor, dass das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden Personen bedrohen oder bestechen, um sie als Kundschafter einzusetzen (DIS 7.2.2020).

Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei und der KDP-Iran und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 10.2019). Ende April 2017 stationierte eine der Komala-Parteien ihre Streitkräfte im Grenzgebiet zwischen der Autonomen Kurdischen Region Irak und Iran (DIS 7.2.2020). Zuletzt wurden im September 2018 drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet (ÖB Teheran 10.2019; vgl. DIS 7.2.2020), zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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