TE Vwgh Erkenntnis 1997/4/16 95/21/1068

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Veröffentlicht am 16.04.1997
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §18;
MRK Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des D in D, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 25. August 1995, Zl. Frb-4250/95, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsbürger der Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 in Verbindung mit § 21 Fremdengesetz 1992 - FrG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, gegen den Beschwerdeführer lägen folgende rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen vor:

1.) Mit Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom 21. September 1992 sei der Beschwerdeführer des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB für schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe von

60 Tagessätzen verhängt worden.

2.) Mit Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom 22. Juli 1993 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Geldstrafe von

50 Tagessätzen verurteilt worden. Die Strafe sei gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter der Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden.

3.) Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 22. Februar 1994 sei der Beschwerdeführer in drei Fällen wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von

150 Tagessätzen verurteilt worden. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB sei die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden.

4.) Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 21. Juni 1994 sei der Beschwerdeführer des Verbrechens des schweren Diebstahles durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4 und 129 Z. 1 StGB für schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe in Höhe von 300 Tagessätzen verhängt worden. Die bedingten Strafnachsichten zu 2.) und 3.) seien widerrufen worden.

Darüber hinaus lägen gegen den Beschwerdeführer 17 rechtskräftige Bestrafungen wegen Übertretungen des Kraftfahrgesetzes 1967 und der Straßenverkehrsordnung 1960 vor. Aufgrund der angeführten Verurteilungen erfülle der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG. Er sei in drei Fällen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen verurteilt worden. Es sei daher nach § 18 Abs. 1 leg. cit. die Annahme gerechtfertigt, der Aufenthalt des Fremden werde die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden und anderen in Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten öffentlichen Interessen, z.B. der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und der Gesundheit anderer, zuwiderlaufen. Der 1972 in Serbien geborene Beschwerdeführer sei seit Herbst 1985 ununterbrochen in Österreich wohnhaft. Er sei von seinen im Bundesgebiet wohnhaften Eltern nachgeholt worden. Seit November 1992 seien auch seine Ehegattin und sein minderjähriges Kind in Österreich aufenthaltsberechtigt. Der Beschwerdeführer sei als Kraftfahrer tätig. Aufgrund des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei davon auszugehen, daß er in Österreich integriert sei und intensive familiäre und persönliche Bindungen in Österreich habe. Dennoch sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele, insbesondere der Verhinderung von strafbaren Handlungen, dringend geboten. Dies ergebe sich insbesondere aus der Tatsache der wiederholten Tatbegehung und des alsbaldigen Rückfalls (der Beschwerdeführer habe seine der vierten Verurteilung zugrundeliegende Tat nur wenige Wochen nach der Erlassung des dritten Strafurteils begangen). Darüber hinaus sprächen 17 rechtskräftige Verwaltungsstrafen wegen Übertretungen nach der Straßenverkehrsordnung 1960 und dem Kraftfahrgesetz 1967 für die Annahme, daß der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung zu beachten. Trotz des massiven Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei aufgrund des massiven öffentlichen Interesses an der Ausreise bzw Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers davon auszugehen, daß die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung.

Auch § 20 Abs. 2 FrG stehe der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, da dem Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG 1985 nicht verliehen hätte werden können, weil er sich zum einen noch nicht zehn Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe und zum anderen seine viermaligen gerichtlichen Verurteilungen der Verleihung entgegenstünden.

Die Erlassung eines auf fünf Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes sei erforderlich, um den Verwaltungszweck, nämlich Hintanhaltung einschlägiger Rechtsbrüche, zu erreichen.

Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragt seine kostenpflichtige Aufhebung.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht dagegen, daß die belangte Behörde vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG ausging und er läßt auch die Beurteilung der belangten Behörde, daß die Annahme des § 18 Abs. 1 leg. cit. gerechtfertigt sei, unbekämpft. Auch der Verwaltungsgerichtshof hegt dagegen keine Bedenken.

Der Beschwerdeführer erachtet die Erlassung des Aufenthaltsverbotes aber im Grunde des § 19 FrG für rechtswidrig. Nach § 19 FrG seien bei Aufenthaltsverboten die öffentlichen und die privaten Interessen menschenrechtskonform gegeneinander abzuwägen. Hiezu führt der Beschwerdeführer insbesondere aus, es entspreche der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, daß Aufenthaltsverbote gegen Gastarbeiterkinder der zweiten Generation nicht verhängt werden dürften, bevor diese Personen zu gerichtlichen Haftstrafen verurteilt worden seien. In diesem Zusammenhang verweist der Beschwerdeführer auf die Urteile Djeroud und Beldjoudi des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Im Hinblick auf den (fast) zehnjährigen Aufenthalt in Österreich reichten die drei vermögensrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers nicht aus, um die Annahme überwiegenden öffentlichen Interesses zu rechtfertigen. Was die Verurteilungen wegen Übertretungen des Kraftfahrgesetzes 1967 und der Straßenverkehrsordnung 1960 anlange, so fehle es der Behörde grundsätzlich am Beurteilungsmaßstab, wenn sie derartige Bagatellstrafen überhaupt erwähne.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist zu erwidern, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seinem Urteil vom 23. Jänner 1991 im Fall Djeroud gegen Frankreich keine Entscheidung in der Sache getroffen hat, da dieser Fall wegen eines Vergleiches der Parteien aus dem Register des Gerichtshofes gestrichen wurde. Auch aus dem Urteil vom 26. März 1992 im Fall Beldjoudi gegen Frankreich ist für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, da sich jener Fall von dem vorliegendem durch seinen zugrundeliegenden Sachverhalt wesentlich unterscheidet. Im Fall Beldjoudi wertete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als entscheidend, daß der 1950 in Frankreich geborene Fremde und seine Eltern bis 1. Jänner 1963 die französische Staatsbürgerschaft innehatten und diese erst im Zusammenhang mit der Erlangung der Unabhängigkeit Algeriens verloren. Weiters war Beldjoudi seit zwanzig Jahren mit einer Französin verheiratet, wobei der eheliche Wohnsitz stets in Frankreich war. Aus den genannten Fällen kann insbesondere die Auffassung, daß nach der geltenden Rechtslage Aufenthaltsverbote gegen Gastarbeiterkinder der zweiten Generation grundsätzlich nicht verhängt werden dürften, bevor diese zu gerichtlichen Haftstrafen verurteilt worden seien, nicht gestützt werden. Es kann auch nicht als rechtswidrig erkannt werden, daß die belangte Behörde die zahlreichen Verwaltungsstrafen des Beschwerdeführers (17 in etwas mehr als vier Jahren) zur Wertung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers herangezogen hat, wobei jedoch - wie in der Gegenschrift zutreffend ausgeführt wird - die gerichtlichen Straftaten für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ausschlaggebend waren.

Die von der belangten Behörde gemäß § 19 FrG getroffene Einschätzung, daß aufgrund der wiederholten Tatbegehung und des raschen Rückfalles die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte Dritter dringend geboten ist, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden. Es fällt zu Lasten des Beschwerdeführers besonders ins Gewicht, daß - worauf die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend hinweist - die Taten in ihrer Schwere eine ansteigende Tendenz zeigen. Die vierzehn Monate Wohlverhaltens, gerechnet von der Erlassung der letzten gerichtlichen Strafe bis zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes (in zweiter Instanz), sind viel zu kurz, um entscheidend zugunsten des Beschwerdeführers ins Gewicht fallen zu können. Bei der Abwägung privater und öffentlicher Interessen hat die Behörde intensive familiäre und persönliche Bindungen des Beschwerdeführers berücksichtigt, insbesondere daß seine Eltern und seine Schwester in Österreich leben sowie daß er verheiratet und Vater eines minderjährigen Kindes ist. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch auch zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer seine ersten dreizehn Lebensjahre bei in der Heimat verbliebenen Verwandten verbracht hat, daß seine jugoslawisch-stämmige, aber in Deutschland geborene Ehegattin erst seit drei Jahren in Österreich aufenthaltsberechtigt ist und daß sein Sohn noch nicht das schulpflichtige Alter erreicht hat, sodaß die Bindung des Beschwerdeführers und seiner Familie an die Republik Österreich doch auch relativiert wird. Es kann daher die Abwägung zwischen den gegen den Aufenthalt des Beschwerdeführers sprechenden öffentlichen Interessen mit seinen privaten und familiären Interessen mit dem Ergebnis, daß letztere nicht schwerer wiegen, im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, daß sich - wenngleich § 20 Abs. 2 FrG möglicherweise nicht direkt anwendbar sein sollte - aus dieser Gesetzesstelle ein Maßstab dafür ergäbe, wann der Gesetzgeber fremdenpolizeiliches Einschreiten bei langjährigem Aufenthalt im Inland für verhältnismäßig ansehe. Diese Ausführungen sind nicht zielführend. § 20 Abs. 2 FrG schafft eine begünstigende Ausnahmebestimmung für Fremde, welchen vor Verwirklichung des maßgebenden Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 verliehen hätte werden können, indem er die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen diese Personen als unzulässig erklärt, es sei denn, daß das Aufenthaltsverbot auf § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG zu gründen wäre, weil der Fremde wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden ist. Im Gegensatz zum Beschwerdevorbringen kommt es daher nicht nur auf einen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet an, sondern auch darauf, daß alle anderen in § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Zu Recht behauptet der Beschwerdeführer nicht, daß er diese Voraussetzungen erfülle, auch der Verwaltungsgerichtshof hält den angefochtenen Bescheid gemäß § 20 Abs. 2 FrG nicht für rechtswidrig (vgl. zu § 20 Abs. 2 FrG das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1996, Zl. 95/21/0372).

Da nach dem Gesagten dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Gerichtsentscheidung

EGMR 1991/01/23 Djeroud;
EGMR 1992/03/26 Bedjoudi;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995211068.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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