TE Vwgh Erkenntnis 1997/4/22 96/11/0359

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Veröffentlicht am 22.04.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §58 Abs2;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des W in H, vertreten durch Mag. G, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 26. August 1996, Zl. Ib-277-87/96, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die - bis 18. März 1998 befristete - Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B für die Dauer von zwölf Monaten, gerechnet ab Zustellung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 27. Juni 1996, somit ab 28. Juni 1996, entzogen; gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 wurde ausgesprochen, daß ihm "für dieselbe Zeit" keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Diese Aussprüche wurde von der Erstbehörde in der geschilderten Weise formuliert und von der belangten Behörde als Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG bestätigt. Die auf § 75 Abs. 4 KFG 1967 (betreffend Ablieferung des Führerscheines) und auf § 64 Abs. 2 AVG (betreffend Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung) gestützten Aussprüche sind - ungeachtet ihrer ebenfalls erfolgten Bestätigung durch den angefochtenen Bescheid - nicht mehr Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Sie sind einerseits Hinweise auf eine kraft Gesetzes eintretende Verpflichtung (§ 75 Abs. 4 KFG 1967), andererseits von den Beschwerdegründen nicht erfaßt (§ 64 Abs. 2 AVG).

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Inhalt des angefochtenen Bescheides ist nach dem oben wiedergegebenen Wortlaut des Spruches des Erstbescheides die endgültige Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers verbunden mit dem Ausspruch, daß dem Beschwerdeführer vor dem 28. Juni 1997 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

Der Grund für die bekämpfte Entziehungsmaßnahme war, daß der Beschwerdeführer am 8. Oktober 1995 ein Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB begangen hat. Dies stand auf Grund eines rechtskräftigen Urteiles des Bezirksgerichtes Bezau vom 29. Jänner 1996 bindend fest. Die belangte Behörde führt in der Begründung des angefochtenen Bescheides ferner drei einschlägige Vorstrafen an, nämlich aus dem Jahre 1991 durch das Bezirksgericht Bezau wegen fahrlässiger Körperverletzung, aus dem Jahr 1992 durch das Amtsgericht Lindau wegen vorsätzlicher Körperverletzung und aus dem Jahr 1994 durch das Landesgericht Feldkirch wegen schwerer Körperverletzung. Die belangte Behörde erwähnte ferner mehrere Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers nach der StVO 1960 und dem KFG 1967. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich ferner, daß dem Beschwerdeführer - offenbar im Zusammenhang mit der im Jahr 1994 erfolgten gerichtlichen Verurteilung - im Jahre 1995 die Lenkerberechtigung entzogen gewesen sei.

Die belangte Behörde qualifizierte die strafbare Handlung des Beschwerdeführers vom 8. Oktober 1995 als bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. c KFG 1967, da es sich um das insgesamt dritte "vorsätzliche Körperverletzungsdelikt" gehandelt habe. Die Erstbehörde habe schlüssig begründet, weshalb sie eine "Entziehungsdauer" von zwölf Monaten für gerechtfertigt halte. Die Tatsache "der neuerlichen gerichtlichen Verurteilung" müsse zu einer Entziehung nach § 73 KFG 1967 und nicht nach § 74 KFG 1967 führen.

Die Annahme der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem strafbaren Verhalten vom 8. Oktober 1995 verkehrsunzuverlässig sei, begegnet keinen Bedenken. Der Beschwerdeführer bietet das Bild eines zu Gewalttätigkeiten neigenden Menschen, der sich auch durch erfolgte Bestrafungen nicht von derartigen Handlungen abbringen läßt. Personen mit einer solchen Sinnesart werden vom Gesetzgeber im § 66 Abs. 2 lit. c KFG 1967, vorbehaltlich des Ergebnisses der Wertung nach § 66 Abs. 3 KFG 1967, als verkehrsunzuverlässig eingestuft. Die Tathandlungen liegen auch nicht so lange zurück, daß im Wege des § 66 Abs. 3 KFG 1967 eine andere Sichtweise geboten wäre. Daß der Beschwerdeführer bisher im Straßenverkehr "kaum negativ in Erscheinung getreten" sei - was angesichts der in der Begründung des angefochtenen Bescheides genannten Verwaltungsübertretungen zumindest in Frage gezogen werden kann -, ändert nichts an der aus der angenommenen bestimmten Tatsache ableitbaren Verkehrsunzuverlässigkeit, welche sich aus der Neigung zu agressivem Verhalten ergibt, das typischerweise auch im Straßenverkehr zum Tragen kommen kann, auch wenn es dort bisher noch nicht zum Tragen gekommen sei.

Die Prognose, daß der Beschwerdeführer vor Ablauf von zwölf Monaten von der Zustellung des Erstbescheides, also von etwa 21 Monaten nach Begehung der letzten strafbaren Handlung, seine Verkehrszuverlässigkeit nicht wiedererlangen werde, begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Es handelt sich offenbar um die zweite Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit Gewalttätigkeiten und hat ihn auch die erste Entziehung nicht davon abgehalten, erneut einschlägig straffällig zu werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 27. Februar 1985, Zl. 83/11/0307, ausgesprochen, daß der Umstand, daß im Zusammenhang mit einer vorübergehenden Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 mit höchstens 18 Monaten bemessen werden darf, nicht dazu führen muß, daß nicht auch im Zusammenhang mit einer Entziehung nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 eine Zeit gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 von 18 Monaten oder weniger verfügt werden darf. Es bedarf aber einer besonderen Begründung, wieso bei einem derartigen Ausspruch nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 eine endgültige und nicht bloß eine vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung verfügt wird.

Eine solche schlüssige Begründung enthält der angefochtene Bescheid nicht. Die von der belangten Behörde ins Treffen geführte Notwendigkeit der Klärung, "inwieweit die Verkehrszuverlässigkeit sowie die geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen tatsächlich wieder gegeben ist", erfüllt diese Voraussetzung nicht. Bedenken gegen die körperliche und geistige Eignung des Beschwerdeführers bestehen nach der Aktenlage nicht. Die Überprüfung der Richtigkeit der Prognose über den Zeitpunkt der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit hat auch vor Wiederausfolgung des Führerscheines bei Auslaufen einer vorübergehenden Entziehung der Lenkerberechtigung zu erfolgen; sie erschöpft sich im übrigen in der Feststellung, ob die betreffende Person seit der letzten Entziehung der Lenkerberechtigung weitere strafbare Handlungen begangen hat, die auf Grund ihrer Eigenschaft als bestimmte Tatsachen im Sinne des § 66 Abs. 1 und 2 KFG 1967 die Annahme der Verkehrszuverlässigkeit ausschließen. Die Notwendigkeit dieser Prüfung kann daher als Begründung für die Anordnung einer Entziehung nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 in Verbindung mit der Verfügung einer Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 von zwölf Monaten nicht herangezogen werden.

Die fehlende Begründung ergibt sich auch nicht aus der Befristung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers, indem nämlich die prognostizierte Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit erst nach Eintritt der Befristung der Lenkerberechtigung erfolgen soll und aus diesem Grund eine vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung ausscheidet. Der erstgenannte Zeitpunkt ist nach Auffassung der belangten Behörde der 28. Juni 1997. Die Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers war mit 18. März 1998 befristet, sodaß der Wiederausfolgung des Führerscheines an den Beschwerdeführer vom 29. Juni 1997 an aus diesem Grund ein rechtliches Hindernis nicht entgegenstünde.

Der geschilderte Begründungsmangel belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996110359.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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