TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/2 I403 2231893-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2020
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Entscheidungsdatum

02.10.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs4 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
NAG §11 Abs2 Z1
StGB §127
StGB §128 Abs1
StGB §129
StGB §130
StGB §229
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch


I403 2231893-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Astrid WAGNER, Himmelpfortgasse 10, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.09.2020 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Serbien, ist seit dem 23.08.2011 durchgehend im Bundesgebiet hauptgemeldet.

Mit Bescheid des Landehauptmannes von XXXX vom 30.11.2011 wurde ihm ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" erteilt, welcher zuletzt bis zum 15.04.2019 verlängert wurde.

Am 16.05.2019 stellte der Vater des zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährigen Beschwerdeführers beim Amt der XXXX Landesregierung, XXXX , für diesen einen Zweckänderungsantrag hinsichtlich eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt EU". Das betreffende Verfahren wurde aufgrund einer Wohnsitzänderung zwischenzeitlich an das Amt der XXXX Landesregierung abgetreten.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 23.10.2019, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 15 StGB sowie wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 130 Abs. 1 erster Fall und Abs. 2 zweiter Fall StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Monaten, davon neunzehn Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren, verurteilt.

Am 06.02.2020 wurde der Beschwerdeführer im Beisein seines Vaters zur Überprüfung seines Aufenthaltsstatus niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) einvernommen. Der Vater gab hierbei an, seit dem Jahr 2011 die alleinige Obsorge für den Beschwerdeführer zu haben, während sich die Mutter in Serbien aufhalte. Der Vater selbst lebe seit 35 Jahren in Österreich. Der Beschwerdeführer gab an, mit seinen beiden Geschwistern bei seinem Vater zu leben. Er arbeite seit August 2019 in einer Gebäudereinigungsfirma und wolle eine Lehre zum Koch beginnen, wozu er jedoch lediglich mit einem gültigen Aufenthaltstitel in der Lage sei. Er habe in XXXX vier Jahre die Mittelschule besucht, neben seinem Vater würden sich noch die Großeltern väterlicherseits, Onkeln sowie Tanten in Österreich aufhalten. Zu seiner Mutter in Serbien habe er keinerlei Kontakt und wisse er nicht, wo diese sich aufhalte. Er werde in Serbien weder strafrechtlich noch politisch verfolgt, zuletzt sei er vor etwa zwei Jahren mit seinem Vater dort auf Urlaub gewesen. Der Beschwerdeführer könne Serbisch sprechen und schreiben, wolle jedoch in XXXX bleiben und eine Lehre absolvieren.

Mit Schriftsatz der belangten Behörde vom 11.02.2020 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt werde, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu erlassen und ihm die Möglichkeit eingeräumt, diesbezüglich innerhalb von vierzehn Tagen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Von dieser Möglichkeit machte der Beschwerdeführer keinen Gebrauch.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 08.05.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß „§ 52 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Es wurde gemäß „§ 52 Abs. 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß „§ 46 FPG“ nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß „§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG“ wurde die Frist für eine freiwillige Ausreise mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.). Gemäß „§ 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG“ wurde gegen den Beschwerdeführer zudem ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.).

Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 05.06.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 30.07.2020, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Fall, 15 StGB sowie wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einundzwanzig Monaten, davon vierzehn Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren, verurteilt.

Am 24.09.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle XXXX , eine mündliche Beschwerdeverhandlung abgehalten, wobei die Befragung des Beschwerdeführers, welcher sich zu diesem Zeitpunkt in einer Justizanstalt befand, mit seiner ausdrücklichen Zustimmung mittels Videokonferenz erfolgte. Nachdem der Vater des Beschwerdeführers, welcher als Zeuge geladen war, über seine Rechtsvertretung ersucht hatte, aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie nicht nach XXXX anreisen zu müssen, wurde diesem mittels Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.09.2020 ein Fragenkatalog übermittelt, welcher noch am selben Tag seitens seiner Rechtsvertretung unterfertigt rückübermittelte wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien. Seine Identität steht fest. Am 21.09.2020 erreichte er seine Volljährigkeit.

Er ist gesund und erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer lebte zunächst mit seiner Mutter in Serbien in prekären Verhältnissen, unter anderem auf der Straße. Sein in Österreich lebender Vater holte ihn als Kind zu sich, seither hat der Beschwerdeführer seine Mutter nicht mehr gesehen. Er ist seit dem 23.08.2011 durchgehend im Bundesgebiet hauptgemeldet und lebte bis zu seiner jüngsten Inhaftierung (mit 27.05.2020) mit seinem Vater, seinem Bruder, seiner Schwester und seiner Stiefmutter in einem gemeinsamen Haushalt. Der Vater und der Bruder des Beschwerdeführers halten sich auf Grundlage eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt EU", seine Schwester auf Grundlage einer "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" im Bundesgebiet auf. Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet in einem Gebäudereinigungsunternehmen, als dessen Inhaberin die Großmutter des Beschwerdeführers aufscheint. Der Bruder des Beschwerdeführers absolviert eine Lehre zum Kellner, während seine Schwester kürzlich ein Kind bekommen hat und aufgrund dessen zum Entscheidungszeitpunkt keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Zudem hat der Beschwerdeführer noch Großeltern, Onkeln und Tanten väterlicherseits in Österreich.

Der Vater des Beschwerdeführers lebt seit über dreißig Jahren in Österreich und kam ihm seit dem Jahr 2011 die alleinige Obsorge über den Beschwerdeführer zu. Zur Mutter des Beschwerdeführers besteht seitens der Familie kein Kontakt und ist ihr Aufenthaltsort nicht bekannt.

Der Beschwerdeführer beherrscht die serbische Sprache in Wort und Schrift, hat jedoch keine maßgeblichen familiären oder privaten Anknüpfungspunkte mehr in seinem Herkunftsstaat. Er hat in Serbien den Kindergarten und die erste Klasse der Volksschule besucht.

In Österreich hat er insgesamt acht Jahre die Schule besucht und seinen Pflichtschulabschluss erworben. Er hat eine Lehre als Koch begonnen, jedoch nicht abgeschlossen. Seine Koch-Lehre setzt er zum Entscheidungszeitpunkt während seiner Anhaltung in Strafhaft fort. Jeweils am 15.01.2018, vom 20.06.2018 bis zum 20.08.2018 sowie vom 01.08.2018 bis zum 09.08.2018 ging er Erwerbstätigkeiten als Arbeiter oder geringfügig beschäftigter Arbeiter nach. Zuletzt betätigte er sich vom 27.08.2019 bis zum 09.06.2020 als Arbeiter im Gebäudereinigungsunternehmen seiner Großmutter.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 23.10.2019, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 15 StGB sowie wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 130 Abs. 1 erster Fall und Abs. 2 zweiter Fall StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Monaten, davon neunzehn Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren, verurteilt. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung das Geständnis, der bisher tadellose Lebenswandel sowie die geringfügige Schadensgutmachung, als erschwerend hingegen die Vielzahl der Tatangriffe, die mehrfache Qualifikation sowie das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen gewertet. Überdies wurde dem Beschwerdeführer für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet.

Dieser ersten Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer einerseits am 16.06.2019 einer Frau eine Handtasche samt 17 Euro an Bargeld mit Gewalt gegen ihre Person weggenommen hatte, indem er ihr in eine Wohnhausanlage gefolgt war und ihr von hinten die Handtasche vom Arm riss, sodass sie ins Wanken geriet, einen Sturz aber verhindern konnte und flüchtete. Am 25.06.2019 hatte er zunächst einer Frau ihre Handtasche wegzureißen versucht, welche diese um ihr Handgelenk gewickelt hatte, indem er kräftig daran zog, sodass Gegenstände aus der Tasche zu Boden fielen. Da es der Beschwerdeführer nicht geschafft hatte, ihr die Handtasche zu entreißen, blieb es beim Versuch. Einer weiteren Frau, welche sich mit beiden Händen an ihrem Rollator anhielt, riss er mit einem kräftigen Zug die Handtasche vom Unterarm, sodass diese sich nicht mehr am Rollator festhalten konnte und beinahe zu Sturz kam. Überdies hatte er im Rahmen von insgesamt fünfzehn Tathandlungen vom 30.05.2019 bis zum 07.07.2019 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit Mittätern anderen fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Wert mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, gewerbsmäßig durch Einbruch in Gebäude (zumeist Baustellencontainer oder Container, in welchen sich eine Trafik befunden hat) weggenommen bzw. wegzunehmen versucht.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 30.07.2020, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Fall, 15 StGB sowie wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einundzwanzig Monaten, davon vierzehn Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren, verurteilt. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung das Geständnis sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, als erschwerend hingegen die einschlägige Vorstrafe sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen gewertet. Überdies wurde dem Beschwerdeführer für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet, ihm die Weisung erteilt, sich einer ambulanten Drogenentwöhnungsbehandlung zu unterziehen (nachdem er der Staatsanwaltschaft auch wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zur Anzeige gebracht wurde) und die dreijährige Probezeit aufgrund seiner ersten rechtskräftigen Verurteilung auf fünf Jahre verlängert.

Dieser zweiten Verurteilung lag zugrunde, dass er im Rahmen von insgesamt fünfzehn Tathandlungen vom 09.04.2020 bis zum 24.05.2020, zum Teil in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit weiteren Mittätern, anderen fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Wert durch Einbrechen bzw. Eindringen mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel in ein Gebäude, ein Transportmittel, einen Lagerplatz oder sonst einen anderen umschlossenen Raum bzw. durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung mit dem Vorsatz weggenommen bzw. wegzunehmen versucht hat, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Herauszustreichen sind hierbei insbesondere die Diebstähle dreier PKW in einem Gesamtwert von 37.980 Euro. Seine Verurteilung aufgrund von Urkundenunterdrückung gründete zudem auf insgesamt fünf seitens des Beschwerdeführers unterdrückter behördlicher Kennzeichentafeln.

Die beiden Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten stehen in einem zeitlichen Zusammenhang mit Verfahren über den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und wurden von ihm als Minderjähriger begangen. Der Beschwerdeführer zeigt sich einsichtig, was seine kriminelle Vergangenheit betrifft und wird von seinem Vater unterstützt, der ihm nach der Haftentlassung auch wieder Wohnraum zur Verfügung stellen wird.

Gemäß § 1 Z 6 der HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019) gilt Serbien als sicherer Herkunftsstaat. Es sind im Falle einer Rückkehr nach Serbien auch keine Umstände hinsichtlich etwaiger staatlicher Repressalien oder anderweitig gearteter Probleme bekannt bzw. wurden solche nicht vorgebracht. Jedoch besteht die reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Serbien in eine für ihn ausweglose Lebenssituation gerät.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid sowie in den Beschwerdeschriftsatz.

Auskünfte aus dem Strafregister (SA), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister (IZR) und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-Web) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zudem wurde am 24.09.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle XXXX , eine mündliche Beschwerdeverhandlung abgehalten, wobei die Befragung des Beschwerdeführers, welcher sich zu diesem Zeitpunkt in einer Justizanstalt befand, mit seiner ausdrücklichen Zustimmung mittels Videokonferenz erfolgte. Nachdem der Vater des Beschwerdeführers, welcher als Zeuge geladen war, über seine Rechtsvertretung ersucht hatte, aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie nicht nach XXXX anreisen zu müssen, wurde diesem mittels Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.09.2020 ein Fragenkatalog übermittelt, welcher noch am selben Tag seitens seiner Rechtsvertretung unterfertigt rückübermittelte wurde.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines serbischen Reisepasses Nr. XXXX fest.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand und seiner Erwerbsfähigkeit ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren, sein Gesundheitszustand überdies aus seiner Haftfähigkeit sowie seine Erwerbsfähigkeit aus seinen diversen Erwerbsausübungen in Österreich.

Die aufrechte Meldung des Beschwerdeführers seit dem 23.08.2011 sowie sein gemeinsamer Wohnsitz mit seinen Angehörigen ergibt sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister der Republik. Der Aufenthaltsstatus seines Vaters und seiner Geschwister ergibt sich aus einer Abfrage im Informationsverbund zentrales Fremdenregister.

Die Feststellungen zu seinen übrigen familiären Verhältnissen in Österreich sowie in Serbien ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren sowie den Angaben seines Vaters im Rahmen seiner schriftlichen Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht vom 22.09.2020. Insbesondere ist glaubhaft, dass kein Kontakt der Familie mehr zur Mutter des Beschwerdeführers besteht, wenngleich deren Aufenthaltsort auch aufgrund divergierender Angaben im Verfahren nicht festgestellt werden kann. Im Administrativerfahren hatte der Beschwerdeführer noch angegeben, diese würde sich in Serbien aufhalten, während er in der Beschwerdeverhandlung nunmehr vorbrachte, seine Mutter wäre in Frankreich. Sein Vater gab in seiner schriftlichen Stellungnahme lediglich an, die Mutter des Beschwerdeführers habe „jetzt eine neue Familie“, es gebe keinen Kontakt und er wüsste nicht, wo sie sich aufhalte.

Die Versicherungszeiten des Beschwerdeführers als Arbeiter sowie geringfügig beschäftigter Arbeiter als auch die Erwerbstätigkeit seines Vaters als Arbeiter in einer Gebäudereinigungsfirma ergeben sich aus einer Abfrage im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Der Umstand, dass betreffende Gebäudereinigungsfirma der Großmutter des Beschwerdeführers gehört, ergibt sich aus dem Impressum auf der Homepage des Unternehmens, wo diese als deren Inhaberin aufscheint (vgl. https://www. XXXX , Zugriff 28.09.2020).

Die rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers entsprechen dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich. Die Umstände hinsichtlich der seiner Verurteilungen zugrundeliegenden strafbaren Handlungen als auch die Erwägungen des Strafgerichts zu den Strafbemessungsgründen ergeben sich aus den im Akt enthaltenen bzw. im Beschwerdeverfahren angeforderten Urteilsausfertigungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu den Zl.en XXXX sowie XXXX .

Dass der Beschwerdeführer darüber hinaus der Staatsanwaltschaft wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften polizeilich zur Anzeige gebracht wurde, ergibt sich aus einem im Akt enthaltenen Abtretungsbericht der LPD XXXX vom 13.05.2020 zur Zl. XXXX .

Eine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers für den Fall seiner Rückkehr nach Serbien wurde nie vorgebracht. Jedoch besteht angesichts des Umstandes, dass er soeben erst seine Volljährigkeit erreicht hat, Serbien bereits nach der ersten Klasse Volksschule im Jahr 2011 verlassen hat und dort teilweise auf der Straße leben musste, wie er in der Verhandlung angab, sich (abgesehen von seiner Mutter, zu der kein Kontakt besteht und deren Aufenthaltsort nicht bekannt ist) seine gesamte Kernfamilie in Österreich aufhält und er über keine maßgeblichen familiären oder privaten Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsstaat mehr verfügt, die reale Gefahr, dass er im Falle einer Rückkehr nach Serbien in eine für ihn ausweglose Lebenssituation gerät. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung auch an, dass er die Straftaten aus dem verzweifelten Versuch heraus beging, sich eine finanzielle Basis für die Rückkehr nach Serbien zu schaffen. Damit soll sein Handeln keineswegs entschuldigt werden, doch lassen die besonderen Umstände (dass der Beschwerdeführer als junges Kind von seiner Mutter im Stich gelassen wurde (vgl. Verhandlungsprotokoll, S 7: „Als sie gegangen ist, da war ich sieben Jahre alt. Sie hat gesagt, sie muss zur Arbeit, danach habe ich sie nie mehr gesehen.“), dass er in Serbien in prekären Verhältnissen leben musste (vgl. Verhandlungsprotokoll, S 4: „Wir hatten in Serbien kein gutes Leben. Wir hatten nichts zu Essen und haben auf der Straße geschlafen.“) und dass er angesichts der Aussicht Österreich verlassen zu müssen, in Panik geriet (vgl. Verhandlungsprotokoll, S 6: „Jeder hat zu mir gesagt, dass ich das Land verlassen muss und ich habe keinen Ausweg mehr gesehen. Nach Serbien mit 50Euro oder 100 Euro zu gehen, das geht nicht. (…) Ich habe immer dann Scheiße gebaut, wenn ich Angst hatte, dass es Probleme mit dem Visum gibt und ich das Land verlassen muss. Ich wollte Geld bekommen, für den Fall, dass ich nach Serbien muss, damit ich dort überleben kann.“) und dass er die Straftaten als Minderjähriger beging) es für das Bundesverwaltungsgericht glaubhaft und wahrscheinlich erscheinen, dass der Beschwerdeführer seine kriminelle Vergangenheit hinter sich lässt und nun als Erwachsener und nach Verspüren des Haftübels tatsächlich einen anderen Weg einschlagen wird.

Dass es sich bei Serbien um einen sicheren Herkunftsstaat handelt, ergibt sich aus § 1 Z 6 der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten auf Basis des § 19 Abs. 5 Z 2 des BFA-Verfahrensgesetzes als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung – HStV, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) darf ein Aufenthaltstitel einem Fremden (u.a.) nur erteilt werden, wenn sein Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Gemäß § 11 Abs. 4 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei der Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK ist zunächst auf die Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet Bedacht zu nehmen. Der Beschwerdeführer hält sich gegenständlich seit etwa neun Jahren und einem Monat - und damit mehr als die Hälfte seines Lebens - in Österreich auf, wobei ihm für den überwiegenden Teil seiner Aufenthaltsdauer ein Aufenthaltsrecht auf Grundlage eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" zukam. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet - unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände - ein großes Gewicht verleihen (vgl. zuletzt VwGH 15.01.2020, Ra 2017/22/0047 mwH). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der Verwaltungsgerichtshof eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. zuletzt VwGH 15.01.2020, Ra 2017/22/0047 mwH). Sohin ist ein – überwiegend rechtmäßiger - Aufenthalt von über neun Jahren im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur durchaus als so lange zu bewerten, dass dieser das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich zu stärken vermag.

Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht alleine maßgeblich, sondern ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422). Im Fall des Beschwerdeführers ist naturgemäß zu berücksichtigten, dass dieser bereits im Alter von neun Jahren nach Österreich kam. Er hat insgesamt neun Schulstufen positiv abgeschlossen und somit seinen Pflichtschulabschluss erworben. Er hat eine Lehre als Koch begonnen, jedoch nicht abgeschlossen. Seine Koch-Lehre setzt er zum Entscheidungszeitpunkt während seiner Anhaltung in Strafhaft fort. Darüber hinaus ging er jeweils am 15.01.2018, vom 20.06.2018 bis zum 20.08.2018 sowie vom 01.08.2018 bis zum 09.08.2018 Erwerbstätigkeiten als Arbeiter oder geringfügig beschäftigter Arbeiter nach. Zuletzt betätigte er sich vom 27.08.2019 bis zum 09.06.2020 als Arbeiter im Gebäudereinigungsunternehmen seiner Großmutter (in welchem auch sein Vater beschäftigt ist), ehe über ihn die Untersuchungshaft verhängt wurde. Von einer nachhaltigen Integration am Arbeitsmarkt kann angesichts der persönlichen Historie des Beschwerdeführers somit noch nicht ausgegangen werden.

Zu prüfen ist überdies ein etwaiger Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers.

Der Begriff des "Familienlebens" iSd Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B8986/80, EuGRZ 1982, 311), zwischen Eltern und erwachsenen Kindern und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. zuletzt EGMR 02.06.2020, 3138/16, Azerkane gg Niederlande; überdies Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1).

Auch die österreichischen Höchstgerichte vertreten in ständiger Judikatur die Auffassung, dass eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen - auch unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR - unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen kann, sofern zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu VwGH 17.11.2009, 2007/20/0955 mwH; VfGH 09.06.2006, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR).

Fallgegenständlich kam der Beschwerdeführer als Kind im Alter von neun Jahren nach Österreich und lebt seitdem mit seiner gesamten Kernfamilie (abgesehen von seiner Mutter, zu der kein Kontakt besteht und deren Aufenthaltsort nicht bekannt ist), bestehend aus seinem Vater, seinem Bruder und seiner Schwester (als auch seiner Stiefmutter) in einem gemeinsamen Haushalt. Er hat erst vor wenigen Tagen die Volljährigkeit erreicht und halten sich sein Vater und sein Bruder legal auf Grundlage eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt EU" und seine Schwester auf Grundlage einer "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" im Bundesgebiet auf, sodass auch von ihrem dauerhaften Verbleib in Österreich ausgegangen werden kann. Der Beschwerdeführer selbst ging nach seinem Umzug nach Österreich ebenfalls davon aus, dauerhaft in Österreich bleiben zu können und hatte hier seinen Lebensmittelpunkt.

Wenngleich der Beschwerdeführer nunmehr im September 2020 seine Volljährigkeit erreicht hat und aufgrund seiner derzeitigen Inhaftierung auch kein unmittelbares finanzielles oder anderweitig geartetes Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Vater besteht, so ist bei lebensnaher Betrachtung angesichts des Umstandes, dass er seit seiner Einreise nach Österreich bis zu seiner nunmehrigen Inhaftierung (seit 28.05.2020) mit seiner in Österreich aufenthaltsberechtigten Kernfamilie in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat und ihm von seinem Vater Unterhalt gewährt wurde, ehe er zuletzt im familiären Gebäudereinigungsunternehmen gearbeitet hat, von einer starken Bindung sowie einer diesbezüglich maßgeblichen familiären Beziehungsintensität zu seiner in Österreich lebenden Kernfamilie auszugehen. Auch wird sein Vater dem Beschwerdeführer nach dessen Haftentlassung mit 23.12.2020 wiederum Unterkunft und Unterhalt gewähren, wie sich aus dessen schriftlicher Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht vom 22.09.2020 sowie den Ausführungen des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung ergibt. Aufgrund des erhobenen Sachverhaltes besteht zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vater neben einem maßgeblich intensiven Familienleben insoweit auch ein Abhängigkeitsverhältnis, welches im konkreten Fall die Annahme des Bestehens eines im Lichte der vorzitierten Judikatur des EGMR, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes schützenswerten Familienlebens iSd Art. 8 EMRK rechtfertigt, in welches durch die gegenständliche Rückkehrentscheidung eingegriffen wird.

Auch wenn eine Fortführung des Familienlebens in Serbien angesichts des Umstandes, dass seinem Vater ebenfalls die serbische Staatsangehörigkeit zukommt, theoretisch denkbar wäre, so wäre dadurch sein in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigter sowie nachhaltig auf dem Arbeitsmarkt integrierter Vater de facto gezwungen, das Gebiet der Union zu verlassen, während sich darüber hinaus erhebliche Reflexwirkungen in der Rechtssphäre der in Österreich aufenthaltsberechtigten Geschwister und Großeltern des Beschwerdeführers, als auch der Lebensgefährtin seines Vaters ergeben würden. Vor dem Hintergrund, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch die Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eines Familienmitgliedes auf die Lebenssituation der im Inland verbleibenden Familie zu beachten sind (vgl. VwGH 15.12.2011, 2009/18/0023), erscheint eine Fortsetzung des Familienlebens in Serbien im vorliegenden Fall nicht zumutbar.

In Serbien verfügt der Beschwerdeführer hingegen nur noch über entfernte Verwandte und angesichts des Umstandes, dass er seinen Herkunftsstaat im Alter von neun Jahren verlassen hat, auch über kein maßgeblich intensives, nachhaltiges privates oder familiäres Netzwerk. Den weit überwiegenden Teil seiner Schulbildung hat er in Österreich absolviert, überdies seine gesamte bisherige Berufserfahrung auf dem österreichischen Arbeitsmarkt gesammelt.

Die Intensität des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich überwiegt seine nur noch oberflächlich vorhandenen Bindungen an Serbien im vorliegenden Beschwerdefall dergestalt, dass sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich nur dann hinter dem öffentlichen Interesse an seiner Außerlandesbringung zurücktreten müsste, wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen würde.

In diesem Zusammenhang wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer zweimal aufgrund teils gravierender, gewerbsmäßiger Eigentumsdelikte in Österreich zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Besonders ist herauszustreichen, dass er nach seiner ersten rechtskräftigen Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 23.10.2019 trotz der ihm zuteilwerdenden Resozialisierungschance durch eine bedingte Strafnachsicht von neunzehn Monaten seiner zwanzigmonatigen Freiheitsstrafe und mit Unterstützung durch Bewährungshilfe binnen weniger Monate innerhalb offener Probezeit abermals einschlägig straffällig wurde, was grundsätzlich eine hohe Rückfallneigung indiziert.

In der Beschwerdeverhandlung konnte das Bundesverwaltungsgericht letztlich jedoch den Eindruck gewinnen, dass der Beschwerdeführer aufgrund des nunmehr nach seiner zweiten rechtskräftigen Verurteilung verspürten Haftübels tatsächlich den inneren Entschluss gefasst hat, sein Leben grundlegend ändern zu wollen, während er seine erste Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von lediglich einem Monat – wohl nicht zuletzt aufgrund seines zu diesem Zeitpunkt noch jugendlichen Alterns - offenbar noch bagatellisiert hatte (vgl. Verhandlungsprotokoll, S 5: „Ich habe einen Monat bekommen mit sechzehn Jahren. Ich habe nicht nachgedacht. Jetzt habe ich sieben Monate bekommen, ich habe hier vieles gelernt und bin älter geworden. Ich möchte eine Familie haben. Ich werde niemals wieder straffällig werden. Ich habe hier eine Drogentherapie begonnen und habe auch noch Bewährungshilfe. Ich habe begonnen viel nachzudenken.“). Er zeigte sich hinsichtlich seiner begangenen Straftaten einsichtig und reuig und vermittelte glaubhaft, gewillt zu sein, sich nach seiner Haftentlassung um eine Arbeitsstelle sowie ein geregeltes Leben zu bemühen. Auch setzt er gegenwärtig in Haft seine Lehre zum Koch fort und gab sinngemäß an, dass er sich durch die Übersiedlung seiner Familie in eine ländliche Region im Frühjahr 2020 ab sofort auch dem negativen Einfluss seines vormaligen, falschen Freundeskreises entziehen könne, durch welchen er letztlich straffällig geworden sei. Die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt seiner Tatbegehungen ist im Rahmen der gegenständlichen Interessenabwägung ebenso ins Kalkül zu ziehen (zur Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Falle eines minderjährigen Straftäters vgl. EGMR 22.03.2007, 1638/03, Maslov gg Österreich).

Das Bundesverwaltungsgericht ist sich bewusst, dass in Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Fremde, selbst wenn sie - anders als im vorliegenden Fall - Ehegatten österreichischer Staatsbürger sind, nicht in Frage steht (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249 mwH). Auch ist der Gesinnungswandel eines Straftäters nach höchstgerichtlicher Judikatur grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. zuletzt VwGH 30.04.2020, Ra 2019/20/0399, mwH). Im vorliegenden Fall verbüßt der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor seine Strafhaft in einer Justizanstalt, sodass vor diesem Hintergrund auch noch keine längere Phase des Wohlverhaltens gegeben ist, welche nahelegen würde, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet fortan keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit mehr darstellen würde.

Jedoch muss im konkreten Fall berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer bereits im Kindesalter nach Österreich kam, mittlerweile mehr als die Hälfte seines Lebens im Bundesgebiet zubrachte und sich überdies seine gesamte Kernfamilie (abgesehen von seiner Mutter, zu der kein Kontakt besteht und deren Aufenthaltsort nicht bekannt ist) hier aufhält, während er über keinerlei maßgebliche familiäre oder private Anknüpfungspunkte in Serbien mehr verfügt. Im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat fehlt dem Beschwerdeführer, welcher nur wenige Tage vor dem Entscheidungszeitpunkt seine Volljährigkeit erreicht hat, jegliche Zukunftsperspektive, während ihm in Österreich zumindest sein schützenswertes Familienleben zu seinem Vater, bei welchem er nach seiner Entlassung aus der Strafhaft ab 23.12.2020 wieder unterkommen und gegebenenfalls auch in der familieneigenen Gebäudereinigungsfirma arbeiten wird können, ein gewisses Maß an Stabilität verleiht. Aus dem Gesagten ist im Rahmen einer Gesamtschau und unter Abwägung aller Umstände das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung seines Privat- und Familienlebens in Österreich geringfügig höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung. Im Falle einer erneuten Straffälligkeit wird diese Interessenabwägung - bei ansonsten unveränderten Verhältnissen - jedoch wohl nicht mehr zu seinen Gunsten ausfallen können.

Die Rückkehrentscheidung greift aufgrund des bestehenden Familien- und Privatlebens des Beschwerdeführers trotz der fehlenden Unbescholtenheit in seine Rechte nach Art. 8 EMRK ein. Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Vermögenskriminalität sowie am Schutz der öffentlichen Ordnung ist angesichts der privaten und familiären Integration des Beschwerdeführers während seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich und seinem jugendlichen Alter von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn Abstand zu nehmen. Sein privates Interesse an einem Verbleib überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Dies bedingt auch den Entfall der übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, der somit in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist. Sollte der Beschwerdeführer allerdings wieder straffällig werden, wird die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Abschiebung aufenthaltsbeendende Maßnahme Diebstahl Einreiseverbot Einreiseverbot rechtmäßig ersatzlose Behebung freiwillige Ausreise Frist Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gewerbsmäßigkeit Haft Haftstrafe Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Raub Rückkehrentscheidung Spruchpunktbehebung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Urkundenunterdrückung Verbrechen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2231893.1.01

Im RIS seit

11.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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